Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 IV 212



129 IV 212

32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Solothurn gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.88/2003 vom 4. August 2003

Regeste

    Art. 49 Ziff. 3 i.V.m. Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB; nachträgliche
Anrechnung einer stationären Therapie auf die Bussenumwandlungsstrafe.

    Der Vollzug einer Massnahme kann nicht nachträglich auf die
Bussenumwandlungsstrafe angerechnet werden (E. 2.3).

Sachverhalt

    A.- Der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt
verurteilte X. am 3. Juni 1998 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand
zu einer Gefängnisstrafe von fünf Wochen unter Gewährung des bedingten
Strafvollzuges bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie zu einer Busse
von Fr. 1'500.-.

    Da X. die Geldstrafe weder bezahlte noch abverdiente, ordnete der
Amtsgerichtspräsident am 6. Mai 2002 die Umwandlung der Busse in eine
Haftstrafe von 50 Tagen an.

    Gegen diesen Entscheid erhob X., vertreten durch das Sozialamt der
Einwohnergemeinde A., am 15. Mai 2002 Beschwerde beim Obergericht des
Kantons Solothurn. Zur Begründung wurde ausgeführt, X. werde vom Sozialamt
A. finanziell unterstützt. Mit den minimalen Unterstützungsleistungen
sei er nicht in der Lage, seine Schulden zu begleichen. X. sei schwer
alkoholabhängig. Dass er sich nicht an die amtsgerichtlichen Abmachungen
gehalten habe, sei Folge eines schweren Rückfalles in den Alkoholismus. Am
7. Mai 2002 habe er ins Spital verbracht werden müssen; am 10. Mai 2002
sei er in die psychiatrische Klinik D. verlegt worden. Er sei nun bereit,
einen Alkoholentzug zu machen. Unter diesem Aspekt sei die Umwandlung
der Busse in eine Haftstrafe als kontraproduktiv zu betrachten, zumal
ein weiterer Rückfall durch die Haft vorprogrammiert würde.

    Mit Schreiben vom 3. Juni 2002 teilte das Obergericht dem Sozialamt
A. mit, dass die vorliegende Umwandlung der Busse in Haft nicht zu
beanstanden sei. Gestützt auf die Alkoholkrankheit von X. und dessen
Einsicht, einen Alkoholentzug zu machen, bestünde aber die Möglichkeit,
die stationäre Massnahme an den Vollzug der Haftstrafe anzurechnen.

    X. unterzog sich vom 5. August bis 5. Dezember 2002 einer stationären
Therapie in der B. Klinik, einer Fachklinik für Alkohol-, Medikamenten-
und Tabakabhängige in C. im Kanton Zürich.

    B.- Das Obergericht bestätigte am 12.  Februar 2003 die Umwandlung der
Busse in eine Haftstrafe von 50 Tagen. Gleichzeitig rechnete es die Dauer
der stationären Therapie auf die Umwandlungsstrafe an und stellte fest,
dass die 50-tägige Haftstrafe damit abgegolten sei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Ziffer 2 des Urteils bzw. sinngemäss
das ganze Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen und beantragt die
Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde. Der Beschwerdegegner hat sich nicht
vernehmen lassen.

    Das Bundesgericht heisst die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Der Bussenumwandlungsentscheid ist kein Vollzugs-, sondern ein
materieller Entscheid, der mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde
angefochten werden kann (BGE 125 IV 231 E. 1a). Die Beschwerde ist daher
zulässig.

Erwägung 2

    2.  Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 49
Ziff. 3 StGB. Sie macht geltend, die Vorinstanz habe die vorgenannte
Bestimmung unrichtig angewendet, indem sie - analog einer Anrechnung von
stationären Massnahmen auf ordentliche Freiheitsstrafen - den Aufenthalt
des Beschwerdegegners in der B. Klinik auf die Bussenumwandlungsstrafe
angerechnet habe.

    Das Gesetz äussert sich nicht zur Frage, ob Massnahmen auf die
Bussenumwandlungsstrafe angerechnet werden können. Soweit ersichtlich
haben sich auch Lehre und Rechtsprechung nicht mit dieser Thematik befasst.

    2.1  Art. 49 Ziff. 3 Abs. 1 StGB bestimmt, dass der Richter die Busse
in Haft umwandeln muss, wenn der Verurteilte sie schuldhaft nicht bezahlt
und auch nicht abverdient. Im Falle der Umwandlung werden 30 Franken Busse
einem Tag Haft gleichgesetzt (Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 Satz 3 StGB). Da
Freiheitsstrafen in der Regel von einschneidenderer Konsequenz für den
Betroffenen sind als Geldstrafen, ist die Bussenumwandlung im Gesetz
als ultima ratio ausgestaltet: Erst wenn sich bei Nichtbezahlung und
Verweigerung des Abarbeitens der Busse auch ein Betreibungsverfahren als
sinnlos erweist oder fruchtlos bleibt, darf der Richter die Umwandlung
aussprechen (MARKUS HUGENTOBLER, Die bedingte Entlassung aus dem
Strafvollzug bei der Umwandlungsstrafe, SJZ 96/2000 S. 51).

    2.2  Das Strafgesetzbuch sieht eine Massnahmeanrechnung nur vor,
wenn das Gericht mit dem ursprünglichen Strafurteil die Massnahme neben
einer Freiheitsstrafe ausgesprochen hat. Nur dann ist zu prüfen, ob und
allenfalls wieweit die vollzogene Massnahme auf die primär angeordnete
Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Die Anrechnung des freiheitsentziehenden
Massnahmevollzugs auf den Strafvollzug stellt dabei die Regel dar (BGE 109
IV 78 E. 3f, g). Im Einzelnen sieht das Gesetz im Rahmen von Massnahmen
an geistig Abnormen (Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB) und für die Behandlung
von Trunk- und Rauschgiftsüchtigen (Art. 44 Ziff. 5 Satz 3 StGB) vor,
dass die Dauer des Freiheitsentzugs durch den Vollzug der Massnahme in
einer Anstalt auf die Dauer der bei ihrer Anordnung aufgeschobenen Strafe
anzurechnen ist. Sinn und Zweck der gesetzlichen Anrechnungsregelung
liegt einerseits darin, den durch die vollzogene Massnahme erzielten
Resozialisierungserfolg des Betroffenen nicht durch einen nachträglichen
Vollzug der Freiheitsstrafe wieder in Frage zu stellen (BGE 107 IV
20 E. 5c). Andererseits wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine
Verweigerung der Anrechnung des Massnahmevollzugs auf die Freiheitsstrafe
einen deutlich schwereren Eingriff in das Leben des Verurteilten zur Folge
hätte, als dies bei alleiniger Strafverbüssung der Fall wäre (BGE 109 IV
78 E. 3f).

    2.3  Ausgehend vom Zweckgedanken der Anrechnungsregelung erschiene
die analoge Anwendung der Massnahmeanrechnung auf die Umwandlungsstrafe
nicht zum vornherein abwegig. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich,
dass kein Bedürfnis für eine Analogie besteht, zumal Art. 49 Ziff. 3 StGB
ohne weiteres erlaubt, auf die persönliche Situation eines Verurteilten
gebührend einzugehen, um allfällige Härten der Bussenumwandlung
aufzufangen. Ausserdem steht auch der Charakter der Umwandlungsstrafe
einer Massnahmeanrechnung entgegen, denn diese ist ihrer Natur nach
eine blosse Ergänzung des Bussenentscheids und bezweckt alleine, diesen
in anderer Form vollziehbar zu machen (BGE 124 IV 205 E. 8b). Da ihr
somit kein eigenständiger, sondern lediglich behelfsmässiger Charakter
zur Durchsetzung des primär auf Geldleistung gerichteten Strafanspruchs
des Staates zukommt, tritt die Umwandlungsstrafe nicht an die Stelle der
ursprünglich angeordneten Geldstrafe. Eine Anrechnung auf die anfänglich
ausgesprochene Geldstrafe kommt aber nicht in Betracht.

    2.4  Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die Vorinstanz die
stationäre Therapie des Beschwerdeführers in analoger Anwendung von Art. 44
Ziff. 6 Abs. 2 StGB überhaupt nachträglich als Massnahmevollzug anerkennen
und diesen auf die Strafe anrechnen durfte. Wie die Beschwerdeführerin
im Übrigen zu Recht darlegt, kann die Vorinstanz der besonderen
Situation des Beschwerdegegners im Rahmen von Art. 49 Ziff. 3 StGB in
ausreichendem Mass Rechnung tragen. So kann der Richter bei schuldloser
Zahlungsunfähigkeit des Verurteilten von der Bussenumwandlung absehen,
sogar nachträglich, wenn dieser nachweist, dass die Voraussetzungen für
den Ausschluss der Umwandlung gegeben sind (Art. 49 Ziff. 3 Abs. 2 Satz
1 StGB). Des weiteren ist bei Vorliegen der Voraussetzungen von Art.
41 StGB der bedingte Vollzug der Umwandlungsstrafe möglich (Art. 49
Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 StGB). Schliesslich kann der Verurteilte die Busse,
ungeachtet der Rechtskraft des Umwandlungsentscheides, auch nachträglich
noch zahlen und damit den Vollzug der Haftstrafe abwenden (BGE 105 IV 14
E. 2 mit Hinweisen). Unter diesen Umständen ist mit der Beschwerdeführerin
davon auszugehen, dass die Vorinstanz Art. 49 Ziff. 3 StGB nicht richtig
angewendet und insofern Bundesrecht verletzt hat.