Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 IV 168



129 IV 168

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.474/2002 vom 10. April 2003

Regeste

    Art. 187 Ziff. 1 StGB; Einbeziehen eines Kindes in eine sexuelle
Handlung.

    Der Tatbestand des Einbeziehens von Kindern in eine sexuelle Handlung
erfordert, dass diese den äusseren Vorgang der sexuellen Handlung als
solchen unmittelbar wahrnehmen (E. 3.2).

Sachverhalt

    A.- X. begab sich am 23. September 2000, um 21.30 Uhr, in die Nähe des
B.-Schulhauses in A. Dort näherte er sich den anwesenden vier 15-jährigen
Kindern, beobachtete sie über eine Stunde lang vom angrenzenden Waldrand
aus, zog seine Hosen herunter und onanierte. Die Jugendlichen hatten ihn
bemerkt und jeweils anhand der Glut der von ihm gerauchten Zigaretten
lokalisiert. Den eigentlichen Akt der Selbstbefriedigung konnten sie
nicht beobachten; sie realisierten aber, dass er am Unterkörper nackt
oder allenfalls nur leicht bekleidet war.

    B.- Das Bezirksgericht Brugg sprach X.  mit Urteil vom 9. Oktober 2001
von der Anklage der sexuellen Handlung mit Kindern und des Exhibitionismus
frei, auferlegte ihm indes die Verfahrenskosten. Auf Berufung der
Staatsanwaltschaft und des Beurteilten hin erklärte das Obergericht
des Kantons Aargau X. der sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187
Ziff. 1 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu zwei Monaten Gefängnis
unbedingt. Eine hiegegen geführte eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 20. September 2002 gut und hob
das angefochtene Urteil auf.

    C.- Mit Urteil vom 24. Oktober 2002 erklärte das Obergericht des
Kantons Aargau X. erneut der sexuellen Handlung mit Kindern (Art. 187
Ziff. 1 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu zwei Monaten Gefängnis
unbedingt.

    D.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    E.- Das Obergericht des Kantons Aargau beantragt in seiner
Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau schliesst unter Verzicht auf Vernehmlassung ebenfalls auf
Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Gemäss Art. 187 Ziff. 1 StGB macht sich der sexuellen Handlungen
mit Kindern u.a. schuldig, wer ein Kind unter 16 Jahren in eine
sexuelle Handlung einbezieht (aura mêlé ... à un acte d'ordre sexuel;
coinvolge ... in un atto sessuale). Das frühere Recht hatte noch die
blosse Vornahme einer solchen Handlung vor einem Kind mit Strafe bedroht
(Art. 191 Ziff. 2 aStGB). Die neue Fassung des Gesetzes verdeutlicht,
dass der Täter die geschlechtliche Handlung bewusst vor dem Kinde
ausführen und beabsichtigen muss, dass dieses die Handlung wahrnimmt
(Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und
des Militärstrafgesetzes [Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben,
gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie] vom 26. Juni 1985, BBl
1985 II 1009, S. 1067). Das Einbeziehen des Kindes in eine sexuelle
Handlung bedeutet, dass der Täter das Kind gezielt zum Zuschauer seiner
sexuellen Handlungen, und dadurch zum Sexualobjekt macht (TRECHSEL,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997,
Art. 187 StGB N. 9; STRATENWERTH/JENNY, Schweizerisches Strafrecht,
Bes. Teil I, 6. Aufl., Bern 2003, § 7 N. 16; REHBERG/SCHMID, Strafrecht
III, 7. Aufl., Zürich 1997, S. 382; CORBOZ, Les infractions en droit
suisse, Bd. I, Bern 2002, S. 723 N. 24; vgl. auch PHILIPP MAIER, Basler
Kommentar, Strafgesetzbuch II, Art. 187 StGB N. 14; ders., Umschreibung
von sexuellen Verhaltensweisen im Strafrecht, AJP 1999 S. 1398 f.). Das
ist etwa der Fall, wenn der Täter vor dem Kind mit allen Zeichen sexueller
Erregung onaniert (JENNY, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, 4. Bd.:
Delikte gegen die sexuelle Integrität und gegen die Familie, Art. 187
StGB N. 21; STRATENWERTH/JENNY, aaO, § 7 N. 16). Nicht erforderlich ist,
dass das Kind den Vorgang als sexuelle Handlung begreift; was der Täter
mit seiner Handlung bezweckt, muss es nicht verstehen (JENNY, aaO, Art.
187 StGB N. 15; TRECHSEL, aaO, Art. 187 StGB N. 5).

    3.2  Nach den Feststellungen der Vorinstanz haben die Jugendlichen
hier lediglich wahrgenommen, dass der Beschwerdeführer "am Unterkörper
nackt oder allenfalls nur leicht bekleidet war". Seinen Penis oder die
eigentliche Selbstbefriedigung haben sie nicht gesehen. Nach Auffassung der
Vorinstanz haben sie "den Vorgang aber gestützt auf die gesamten Umstände
als sexuelle Handlung interpretiert" bzw. haben sie "die gesamten Umstände
richtig eingeordnet und realisiert, dass der Beschwerdeführer sexuelle
Absichten verfolgte".

    Dies lässt sich, wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet,
nicht als Wahrnehmung einer sexuellen Handlung im Sinne von Art. 187
Ziff. 1 StGB würdigen. Der Tatbestand des Einbeziehens von Kindern in eine
sexuelle Handlung erfordert, dass diese den äusseren Vorgang der sexuellen
Handlung als Ganzes unmittelbar sinnlich wahrnehmen (vgl. TRECHSEL, aaO,
Art. 187 StGB N. 9). Unmittelbar wahrgenommen haben die Jugendlichen
hier, wie ausgeführt, aber nur, dass der Beschwerdeführer etliche Zeit
auf dem Schulhausareal herumgeschlichen ist und dass er im Bereich des
Unterkörpers - jedenfalls an den Oberschenkeln - nicht bekleidet war.
Das fällt nicht unter den Tatbestand der sexuellen Handlungen mit Kindern
im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 StGB.

    Keiner der Jugendlichen schildert in seinen Aussagen vor der
Kantonspolizei denn auch nur ansatzweise, er hätte beobachtet, wie der
Beschwerdeführer sich selbst befriedigt habe, dass er an seinem Körper
Manipulationen vorgenommen habe, die auf so etwas hätten schliessen
lassen, oder dass sie das Glied des Beschwerdeführers gesehen hätten. Die
Vorinstanz stützt sich für ihren Schuldspruch letztlich allein auf den
Umstand, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme durch
die Kantonspolizei zugestanden hatte, er habe sich am fraglichen Ort -
nach seiner Darstellung allerdings vor Eintreffen der Jugendlichen -
selbst befriedigt. Aus diesem Zugeständnis lässt sich aber nicht ableiten,
die Jugendlichen hätten die Selbstbefriedigung des Beschwerdeführers auch
tatsächlich gesehen. Das folgt entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch
nicht daraus, dass die betroffenen Mädchen Strafantrag erhoben haben und
dass der Beschwerdeführer nach Eintreffen der alarmierten Polizei die
Flucht ergriffen hat.

    Es mag zutreffen, dass die Jugendlichen die Verhaltensweise
des Beschwerdeführers als belästigende sexuelle Handlung eingeordnet
haben. Diese Zuweisung eines sexuellen Bedeutungsgehalts kann sich aber
nur darauf beziehen, was von ihnen tatsächlich unmittelbar beobachtet
werden konnte, nämlich dass der Beschwerdeführer sich ihnen während
einiger Zeit in teilweise unbekleidetem Zustand mehrfach genähert
hat. Das ist keine sexuelle Handlung im Sinne des Gesetzes (vgl. BGE
125 IV 58 E. 3b). Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, ist der
Tatbestand der sexuellen Handlungen mit Kindern nicht erfüllt, wenn
sich die Wahrnehmungen der Kinder lediglich auf die Begleitumstände der
sexuellen Handlung beschränken.

    Im Übrigen ist zu beachten, dass der Einbezug eines Kindes in eine
sexuelle Handlung den Tatvarianten der Vornahme einer sexuellen Handlung
mit einem Kinde oder der Verleitung eines Kindes zu einer solchen Handlung
gleichsteht und dass für alle Tatvarianten dieselben Strafdrohungen,
nämlich Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis, gelten. Der
Tatbestand des Einbeziehens erfordert daher eine Verhaltensweise von
einiger Erheblichkeit, mithin eine ähnlich intensive Beteiligung des Kindes
wie bei den anderen beiden Tatvarianten der Vornahme oder der Verleitung
(vgl. JENNY, aaO, Art. 187 StGB N. 16).

    Der Schluss der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe den
objektiven Tatbestand des Art. 187 Ziff. 1 StGB erfüllt, verletzt daher
Bundesrecht. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet.