Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 IV 138



129 IV 138

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.350/2002 vom 11. Februar 2003

Regeste

    Art. 305 StGB; Begünstigung.

    Wer fluchtbereiten Tatverdächtigen Beistand leistet, indem er ihre
ohne weiteres ersetzbaren persönlichen Effekten aus dem Hotelzimmer holt
und sie ihnen übergibt, begeht keine Begünstigung (E. 2.2).

Sachverhalt

    A.- Das Bezirksgericht Zürich sprach X. am 6.  März 2002 der
Begünstigung (Art. 305 Abs. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit 14
Tagen Gefängnis bedingt. Gleichzeitig verlängerte es die Probezeit für
eine Vorstrafe aus dem Jahr 1998. Auf Berufung des Verurteilten hin
bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich den angefochtenen Entscheid
in den genannten Punkten.

    B.- Der Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Gegen M.K. und S.K. war am frühen Nachmittag des 20. März 2001 eine
Strafverfolgung eingeleitet worden. Die beiden waren bereits im Verlauf
des Morgens im Zusammenhang mit einer Strafanzeige wegen Betrugs in ihrem
Hotelzimmer polizeilich kontrolliert worden, doch hatte sich zunächst keine
Grundlage für eine Verhaftung ergeben. Erst als der ältere der beiden
Männer nach der Kontrolle in ein Taxi stieg, fiel dem Polizisten das
von der Anzeigestellerin beschriebene ungewöhnliche Schuhwerk von M.K.
auf. Nachdem die Polizisten mit der Bezirksanwaltschaft Rücksprache
genommen hatten, wurde die Verhaftung der beiden Männer im Hinblick auf
ihre Befragung und Konfrontation mit der Anzeigestellerin beschlossen. Da
bereits bekannt war, dass die gesuchten Männer keinen festen Wohnsitz
hatten und eine weitere Nacht im Hotel verbringen wollten, wurde die
Hotelrezeption angewiesen, bei ihrem Erscheinen sofort die Polizei zu
kontaktieren.

    Gleich nach der Kontrolle durch die Polizei hatte M.K. den
X. telefonisch angerufen und ihn unter dem Vorwand der Zeitnot
gebeten, sein Reisegepäck und dasjenige von S.K. aus dem Hotel zu
holen. Er fuhr dann zu X. und überbrachte ihm den elektronischen
Hotelzimmerschlüssel. X. begab sich anschliessend zum Hotel und holte wie
vereinbart das Reisegepäck. Er gab dann den Schlüssel an der Rezeption ab,
fuhr zu sich nach Hause und brachte das Gepäck schliesslich zu M.K. und
S.K. in ein anderes Hotel. Beiden Männern gelang offenbar die Flucht.

    X. wusste von Anbeginn, dass M.K. und S.K. am selben Morgen im Hotel
von der Polizei kontrolliert worden waren und bereits einige Tage vorher
deren Vater verhaftet worden war. Im Anschluss an dessen Verhaftung hatte
sich M.K. bei X. nach einem Anwalt erkundigt. Bevor X. beiden Männern
aushalf, erklärte ihm M.K., aus Angst vor einer Verhaftung könne und wolle
er nicht mehr ins Hotelzimmer zurück, weshalb X. ihm doch seine Tasche
holen und nachher überbringen möge. Das Obergericht nimmt an, aufgrund
der Umstände habe es X. ernsthaft für möglich gehalten, dass die beiden
Männer eine Straftat begangen hatten und befürchteten, deswegen doch noch
von der Polizei in Gewahrsam genommen zu werden.

    C.- X. erhebt gegen das Urteil des Obergerichts eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es vollumfänglich aufzuheben und
die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Der Beschwerdeführer bestreitet, dass sein Verhalten den Tatbestand
der Begünstigung im Sinne von Art. 305 Abs. 1 StGB erfüllt.

    2.1  Der Begünstigung nach Art. 305 Abs. 1 StGB macht sich schuldig,
wer jemanden der Strafverfolgung, dem Strafvollzug oder dem Vollzug einer
der in den Artikeln 42-44 und 100bis StGB vorgesehenen Massnahmen entzieht.

    Die Tathandlung des Entziehens setzt voraus, dass der Täter
eine Amtshandlung im Strafverfahren mindestens für eine gewisse Zeit
verhindert hat (BGE 117 IV 467 E. 3 mit Hinweisen). Sie ist vollendet,
wenn beispielsweise eine strafprozessuale Zwangsmassnahme wie die
Verhaftung erst später erfolgen kann, als es ohne die Handlung des
Begünstigenden geschehen wäre (BGE 103 IV 98 E. 1; 104 IV 186 E. 1b; 106
IV 189 E. 2c). Eine blosse Beistandshandlung, welche die Strafverfolgung
nur vorübergehend oder geringfügig behindert bzw. stört, genügt jedoch
nicht (vgl. BGE 99 IV 266 E. 3 S. 276 f.). Zu den als Begünstigung in
Frage kommenden Tathandlungen zählen unter anderem das Verbergen von
Beweismitteln, um zu Gunsten der verfolgten Person die Sachaufklärung
hinauszuschieben, sowie das zeitweilige Beherbergen eines Flüchtigen oder
von den Strafverfolgungsbehörden Gesuchten, dessen Transportierung und
die Leistung materieller Unterstützung an ihn (vgl. nur STEFAN TRECHSEL,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997,
Art. 305 StGB N. 8 f. mit ausführlichen Nachweisen; URSULA CASSANI,
Commentaire du droit pénal suisse, partie spéciale, Bd. 9, Bern 1996,
Art. 305 StGB N. 13 ff.). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
muss aber in jedem Fall nachgewiesen sein, dass der Flüchtige,
Verdächtige usw. gerade wegen der Handlung des angeblichen Begünstigers
dem polizeilichen Zugriff für eine gewisse Zeit entzogen worden ist
(BGE 114 IV 36 E. 1b; 117 IV 467 E. 4c).

    2.2  Gegenüber der Vorinstanz brachte der Beschwerdeführer vor,
er habe keine Begünstigung begangen, weil die beiden Männer auch ohne
seine Mitwirkung nicht ins Hotel zurückgekehrt wären, sondern für diesen
Fall ihr Gepäck aufgegeben und den elektronischen Hotelzimmerschlüssel
fortgeworfen hätten. Die Vorinstanz verneint dies mit dem Hinweis, den
beiden Tatverdächtigen sei angesichts der Umstände offensichtlich sehr viel
daran gelegen gewesen, "zu ihrem Gepäck zu kommen". Gleichzeitig räumt sie
ein, es könne nicht widerlegt werden, dass das Reisegepäck etwas anderes
als bloss Rasiersachen, Seife und Ähnliches enthalten habe. Angesichts
des verbindlich festgestellten Inhalts des Reisegepäcks ist der Einwand
des Beschwerdeführers nicht zu widerlegen. Es ist nicht ersichtlich,
inwiefern der Beschwerdeführer M.K. und S.K. dem polizeilichen Zugriff für
eine gewisse, nicht unerhebliche Zeit entzogen haben soll, indem er das
Gepäck der beiden Männern holte und es ihnen überbrachte. Die ohne weiteres
ersetzbaren persönlichen Effekte konnten den Tatverdächtigen die Flucht
bzw. die Abreise lediglich etwas bequemer gestalten, sie jedoch nicht in
relevanter Weise fördern. Das Verhalten des Beschwerdeführers erscheint
damit als untergeordnete Beistandshandlung, worin kein Entziehen von der
Strafverfolgung im Sinne der Rechtsprechung liegt (vgl. insbesondere BGE
117 IV 468 E. 4c zur Verköstigung eines Flüchtigen). Die Verurteilung
wegen vollendeter Begünstigung verletzt damit Bundesrecht.