Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 IV 107



129 IV 107

13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Free Lotto Association
GmbH & Co. International KG gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
(Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.324/2002 vom 21. November 2002

Regeste

    Widerhandlungen gegen das Lotteriegesetz (Art. 38 Abs. 1 LG);
Konfiskation (Art. 43 LG), Einziehung (Art. 59 StGB), Verhältnis (Art. 333
Abs. 1 StGB).

    Art. 59 StGB hat Vorrang vor Art. 43 LG und findet auch Anwendung
auf Vermögenswerte, die durch Widerhandlungen gegen das Lotteriegesetz
erlangt worden sind (E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. ist an verschiedenen Gesellschaften, unter anderem an der Free
Lotto Association GmbH & Co. International KG, Düsseldorf (nachfolgend
Free Lotto), beteiligt, die gewerbsmässig Kunden in der Schweiz für das
deutsche Zahlenlotto akquirieren.

    B.- Das Bezirksamt Kreuzlingen verurteilte X.  mit Strafverfügung vom
23./24. Mai 2000 wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz betreffend die
Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten im Sinne von Art. 38 Abs. 1 LG zu
einer Busse von Fr. 3'000.-. Zugleich ordnete es gestützt auf Art. 43
LG und Art. 59 StGB die Einziehung des mit Verfügung vom 18. August 1999
bei der Postfinanz AG auf einem Postkonto der Free Lotto durch Kontosperre
beschlagnahmten Vermögenswerts von Fr. 250'000.- zu Gunsten des Kantons
Thurgau an.

    X. focht seine Verurteilung wegen Widerhandlung gegen das
Lotteriegesetz nicht an; diese ist somit in Rechtskraft erwachsen.

    Nachdem das Obergericht des Kantons Thurgau einen ersten Entscheid
betreffend die Einziehung aufgehoben hatte, ordnete das Bezirksamt
Kreuzlingen mit Verfügung vom 28. Juni 2001 die Einziehung von
Fr. 138'000.- von dem auf die Free Lotto lautenden Postkonto an. Die
Bezirksgerichtliche Kommission hob mit Urteil vom 17. September /
7. November 2001 die Einziehung in Gutheissung der von der Free Lotto
erhobenen Einsprache auf.

    In Gutheissung der von der Staatsanwaltschaft dagegen erhobenen
Berufung ordnete das Obergericht des Kantons Thurgau mit Urteil
vom 14. März 2002 die Einziehung eines Vermögenswerts im Betrag von
Fr. 138'000.- von dem mit Verfügung vom 18. August 1999 bei der Postfinanz
AG auf dem Postkonto der Free Lotto beschlagnahmten Vermögenswert von
Fr. 250'000.- zu Gunsten des Kantons Thurgau an.

    C.- Die Free Lotto führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Das Lotteriegesetz vom 8. Juni 1923 (LG; SR 935.51) ist am
1. Januar 1924 in Kraft getreten. Es ist seither nie geändert worden. Die
Konfiskation im Sinne von Art. 43 LG ist nicht als sachliche Massnahme,
sondern als Nebenstrafe ausgestaltet (siehe schon ERNST BLUMENSTEIN,
Gutachten und Gesetzesentwurf betreffend bundesrechtliche Regelung des
Lotteriewesens, Bern 1913, S. 107; WILLY STAEHELIN, Das Bundesgesetz
betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten als Strafgesetz,
Diss. Zürich 1941, S. 123). Sie ist nicht obligatorisch, sondern
fakultativ.

    Art. 43 LG listet die Objekte auf, die bei der Durchführung einer
verbotenen Lotterie (siehe Art. 4 LG) in den damals bekannten Formen
üblicherweise verwendet wurden, nämlich einerseits Lose, Coupons und
Ziehungslisten und andererseits den hiefür bezogenen Kaufpreis sowie
ferner die Druckschriften und Publikationsmittel, welche der - ebenfalls
verbotenen und strafbaren (siehe Art. 4 und 38 LG) - Ankündigung oder
Bekanntmachung einer Lotterie dienen.

    3.2  Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches in der Fassung vom
21. Dezember 1937 betreffend Einziehung und Verfall wurden durch das
Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR;
SR 313.0) umfassend revidiert (siehe Botschaft, BBl 1971 I 993 ff., 1007
f., 1031 f.; Verhandlungen der eidgenössischen Räte, AB 1973 N 451 ff.,
459, 495 ff.; AB 1973 S 578 f.). Art. 58 StGB in dieser neuen Fassung
regelte erstmals in allgemeiner Form die Ausgleichseinziehung. Der Richter
verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person unter
anderem die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine strafbare
Handlung erlangt worden sind, soweit die Einziehung zur Beseitigung eines
unrechtmässigen Vorteils oder Zustandes als geboten erscheint (Art. 58
Abs. 1 lit. a StGB in der Fassung von 1974); sind die Vermögenswerte nicht
mehr vorhanden, so wird auf eine Ersatzforderung des Staates in der Höhe
des unrechtmässigen Vorteils erkannt (Art. 58 Abs. 4 StGB in der Fassung
von 1974). Das bis dahin geltende Recht hatte lediglich die Einziehung
gefährlicher Gegenstände und den Verfall von Geschenken und anderen
Zuwendungen vorgesehen (Art. 58 und 59 StGB in der Fassung von 1937). Die
Einziehungsbestimmungen des Strafgesetzbuches sind durch Bundesgesetz vom
18. März 1994 ein weiteres Mal revidiert worden. Neu wird unter anderem
die Verjährung des Rechts zur Einziehung der durch strafbare Handlungen
erlangten Vermögenswerte ausdrücklich geregelt (Art. 59 Ziff. 1 Abs. 3
StGB; zur Verjährung des Einziehungsrechts siehe schon BGE 117 IV 233
E. 5) und die Möglichkeit der richterlichen Schätzung des Umfangs des
einzuziehenden Vermögenswerts vorgesehen (Art. 59 Ziff. 4 StGB).

    Die so genannte Ausgleichseinziehung beruht vor allem auf dem
grundlegenden sozialethischen Gedanken, dass sich strafbares Verhalten
nicht lohnen darf (BGE 104 IV 228 E. 6b; 106 IV 336 E. 3b/aa; TRECHSEL,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., 1997, N. 1 zu
Art. 59 StGB, mit Hinweisen).

    3.3

    3.3.1  Art. 59 StGB hat als neuere, allgemeine, die Einziehung von
Vermögenswerten umfassend regelnde Bestimmung Vorrang vor dem älteren
Art. 43 LG, der die Ausgleichseinziehung nur rudimentär - nämlich soweit
den noch vorhandenen Kaufpreis für Lose, Coupons oder Ziehungslisten
betreffend - regelt und welcher vor den grundlegenden Änderungen der
Einziehungsbestimmungen des Strafgesetzbuches in den Jahren 1974 und 1994
geschaffen worden war.

    3.3.2  Zwar finden gemäss Art. 333 Abs. 1 StGB die allgemeinen
Bestimmungen des Strafgesetzbuches, zu welchen auch Art. 59 StGB gehört,
auf Taten, die in anderen Bundesgesetzen mit Strafe bedroht sind, nur
insoweit Anwendung, als diese Bundesgesetze nicht selbst Bestimmungen
aufstellen. Dieser Vorbehalt kann indessen in Anbetracht der grundlegenden
sozialethischen Bedeutung der Ausgleichseinziehung, wie sie in Art. 59 StGB
ausgestaltet ist, nicht auch in Bezug auf veraltete Einziehungsbestimmungen
in irgendwelchen Spezialgesetzen gelten, welche die Ausgleichseinziehung
nur rudimentär regeln. Der Vorbehalt in Art. 333 Abs. 1 am Ende StGB
betrifft insoweit allenfalls Bestimmungen, deren Anwendungsbereich weiter
ist als derjenige von Art. 59 StGB, sowie insbesondere Vorschriften,
durch welche der Gesetzgeber bewusst eine von Art. 59 StGB abweichende
Regelung getroffen hat.

    Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen die Bestimmungen
des Strafgesetzbuches betreffend die Einziehung von Vermögenswerten bei
sämtlichen strafbaren Handlungen des eidgenössischen Rechts anwendbar sein
(siehe JEAN GAUTHIER, Quelques aspects de la confiscation selon l'article
58 du Code pénal Suisse, Festgabe Schultz, in: ZStrR 94/1977 S. 364 ff.,
365). Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei einer
Revision des Lotteriegesetzes auf den Erlass von besonderen Bestimmungen
betreffend die Einziehung, zumindest die Ausgleichseinziehung, verzichten
wird, wie dies bei der Änderung von verschiedenen Spezialgesetzen
bereits geschehen ist, etwa bei der Totalrevision des Bundesgesetzes über
Glücksspiele und Spielbanken durch Bundesgesetz vom 18. Dezember 1998
(SR 935.52).

    Dies bedeutet aber nicht, dass bis zu einer solchen Revision des
Lotteriegesetzes infolge des in Art. 333 Abs. 1 am Ende StGB genannten
Vorbehalts Art. 43 LG allein anwendbar bleibt. Vielmehr ist aus
den erwähnten Gründen sowie mit Rücksicht auf die Vorstellungen des
Gesetzgebers der in Art. 333 Abs. 1 am Ende StGB umschriebene Vorbehalt
im dargestellten Sinne restriktiv auszulegen.

    3.3.3  Das Bundesgericht hat bereits in BGE 97 IV 248 E. 3 die
Verpflichtung des Teilnehmers an einer lotterieähnlichen Kettenbriefaktion
zur Bezahlung des widerrechtlich erzielten Gewinnes an den Staat in
Anwendung des damals, im Jahre 1971, geltenden Art. 59 StGB betreffend
Verfall von Geschenken und anderen Zuwendungen bestätigt, und es ist damit
davon ausgegangen, dass diese Bestimmung - trotz der spezialgesetzlichen
Regelung der Konfiskation in Art. 43 LG - auch bei Widerhandlungen gegen
das Lotteriegesetz anwendbar ist.

    3.3.4  Auch in der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass Art. 59
StGB betreffend die Einziehung von Vermögenswerten vollumfänglich auf
die eidgenössische Nebenstrafgesetzgebung anwendbar ist und diese nur
insoweit ihre eigenständige Bedeutung behält, als sie weiter als Art. 59
StGB geht (NIKLAUS SCHMID, Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen,
Geldwäscherei, Bd. I, 1998, N. 13 zu Art. 59 StGB; derselbe, Das neue
Einziehungsrecht nach StGB Art. 58 ff., in: ZStrR 113/1995 S. 321 ff.,
327). Allerdings wird andererseits auch die Ansicht vertreten, dass
Art. 43 LG als "lex specialis" Vorrang habe (WILLY STAEHELIN, aaO, S. 143;
CHRISTIAN KLEIN, Die Ausnützung des Spieltriebes durch Veranstaltungen
der Wirtschaftswerbung und ihre Zulässigkeit nach schweizerischem Recht,
Diss. Zürich 1970, S. 110 Fn. 14; MADELEINE VOUILLOZ, La confiscation
en droit pénal - art. 58 ss CP, in: AJP 2001 S. 1387 ff., 1388). Diese
Meinungen sind indessen einerseits zu einer Zeit geäussert worden,
als das Strafgesetzbuch die Einziehung von durch strafbare Handlungen
erlangten Vermögenswerten nicht vorsah, und sie beziehen sich andererseits
lediglich auf das Verhältnis von Art. 43 LG zur Sicherungseinziehung
im Sinne von Art. 58 StGB. Insoweit mag Art. 43 LG, worüber hier
jedoch nicht abschliessend zu entscheiden ist, als zwar ältere, aber
speziellere Bestimmung Vorrang haben und daher, im Falle der Bestrafung
des Beschuldigten, eine Konfiskation beispielsweise der für das verbotene
Unternehmen hergestellten Druckschriften und Publikationsmittel gestützt
auf Art. 43 LG zulässig sein, auch wenn diese Gegenstände nicht im Sinne
von Art. 58 Abs. 1 StGB die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit
oder die öffentliche Ordnung gefährden und daher eine Einziehung gestützt
auf Art. 58 Abs. 1 StGB unzulässig wäre (siehe dazu auch BGE 117 IV 336
E. 2 mit Hinweisen). Allerdings ist die als Nebenstrafe ausgestaltete
Konfiskation im Sinne von Art. 43 LG fakultativ und dürfte der Richter
daher von einer Konfiskation der in dieser Bestimmung genannten Gegenstände
absehen, wenn diese völlig ungefährlich sind.

    3.4  Die Vorinstanz hat somit Art. 59 StGB betreffend die Einziehung
von Vermögenswerten zu Recht als anwendbar erachtet.

    Dass eine Einziehung des beschlagnahmten Vermögenswerts im Betrag von
Fr. 138'000.- auch bei Anwendung von Art. 59 StGB ausser Betracht falle,
macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. (...)