Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 II 215



129 II 215

21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. X. gegen Migrationsamt sowie Rekursgericht im Ausländerrecht des
Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.451/2002 vom 28. März 2003

Regeste

    Art. 8 EMRK, Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 5 Abs. 1 und 2 Anhang I FZA,
Richtlinie 64/221 EWG, Art. 10 Abs. 1 lit. a und Art. 11 Abs. 3 ANAG;
Ausweisung; gegenwärtige, hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen
Ordnung.

    Zulässigkeit der Ausweisung eines aus einem EU-Staat stammenden
Betäubungsmittelhändlers nach Massgabe des ANAG, von Art. 8 EMRK
und Art. 13 Abs. 1 BV (E. 3 und 4) sowie unter dem Gesichtspunkt des
Freizügigkeitsabkommens (E. 5-7). Gewährt der Strafrichter einem wegen
eines Verbrechens oder Vergehens verurteilten Ausländer für die Nebenstrafe
der Landesverweisung den bedingten Vollzug, so hindert dies eine Ausweisung
nicht (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3.2); nichts anderes gilt im
Falle von straffälligen Ausländern, deren Aufenthaltsregelung in den
Geltungsbereich des Freizügigkeitsabkommens fällt (E. 7.4).

Sachverhalt

    A.- Der 1970 geborene, aus Italien stammende X. ist seit Mitte 1995
mit der italienischen Staatsbürgerin Y. verheiratet, die in der Schweiz
geboren ist und über die Niederlassungsbewilligung verfügt. Gestützt auf
die Heirat erhielt X. eine Aufenthaltsbewilligung, welche in der Folge
regelmässig verlängert wurde.

    B.- Mit Strafbefehl vom 3. Februar 1998 verurteilte die
Bezirksanwaltschaft Zürich X. wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln
zu einer Busse von Fr. 500.-. Am 21. April 2000 wurde X. im Kanton Tessin
verhaftet. Am 23. Januar 2001 verurteilte ihn das Geschworenengericht
Locarno wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und neun
Monaten und verwies ihn für sieben Jahre des Landes, wobei es ihm für
die Nebenstrafe den bedingten Vollzug gewährte.

    C.- Mit Verfügung vom 3. Januar 2002 wies die Fremdenpolizei des
Kantons Aargau X. für unbestimmte Dauer aus der Schweiz aus. Die dagegen
erhobene Einsprache wies die Fremdenpolizei am 12. Februar 2002 ab. Gegen
diesen Einspracheentscheid erhob X. erfolglos Beschwerde beim Rekursgericht
im Ausländerrecht des Kantons Aargau.

    D.- Gegen den Entscheid des Rekursgerichts vom 12. Juli 2002
hat X. beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Ausgangspunkt und Massstab für die Schwere des Verschuldens und
die fremdenpolizeiliche Interessenabwägung ist die vom Strafrichter
verhängte Strafe. Der Beschwerdeführer ist wegen qualifizierter
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu drei Jahren und neun
Monaten Zuchthaus sowie einer Landesverweisung von sieben Jahren verurteilt
worden, wobei ihm für die Landesverweisung der bedingte Strafvollzug
gewährt wurde. Damit ist der Ausweisungsgrund von Art. 10 Abs. 1 lit. a
ANAG (SR 142.20) gegeben.

    3.2  Verübt ein Ausländer ein Verbrechen oder ein Vergehen,
hat bereits der Strafrichter die Möglichkeit, die strafrechtliche
Landesverweisung anzuordnen (Art. 55 StGB). Sieht er hievon ab oder
gewährt er für die Landesverweisung den bedingten Strafvollzug, bleibt
es den Fremdenpolizeibehörden unbenommen, den Ausländer auszuweisen; sie
dürfen in diesem Fall strenger urteilen als der Strafrichter und ihre
Interessenabwägung unabhängig von dessen Interessenabwägung vornehmen
(BGE 124 II 289 E. 3a S. 291 mit Hinweisen; vgl. BGE 122 II 433 E. 2b
S. 435). Dem Resozialisierungsgedanken des Strafrechts ist aber im Rahmen
der umfassenden fremdenpolizeilichen Interessenabwägung ebenfalls Rechnung
zu tragen (BGE 122 II 433 E. 2b S. 435 f.).

    3.3  Das Geschworenengericht Locarno hat festgehalten, dass der
Beschwerdeführer ungefähr 1 kg 620 g Kokain verkauft sowie ca. 91 g Kokain
mit einem Reinheitsgrad von 44.07% aufbewahrt und transportiert und ca. 70
g Kokain an verschiedene Personen unentgeltlich abgegeben hat. Das Gericht
beurteilte das Verschulden des Beschwerdeführers als schwer; es hielt
fest, dass er während eines gewissen Zeitraums der wichtigste Lieferant
für einen grossen Kreis von Abnehmern war. Dies wog für das Gericht umso
schwerer, als der Beschwerdeführer weder selbst drogenabhängig war noch
in finanziellen Nöten steckte. Der Beschwerdeführer habe zudem gegenüber
seinen Abnehmern ein Klima der Angst geschaffen und habe Personen,
die nicht bezahlten, bedroht. In Anbetracht dieser Umstände besteht ein
gewichtiges öffentliches Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers
aus der Schweiz.

    3.4  Der Beschwerdeführer hält sich erst seit 1994 legal in der Schweiz
auf; damals war er 24 Jahre alt. Bis zu seiner Verhaftung im Frühling
2000 verbrachte er somit sechs Jahre (legal) in der Schweiz. Er ist mit
einer Landsfrau verheiratet, mit der er keine Kinder hat. Diese ist in
der Schweiz geboren und lebt seither ununterbrochen hier. Sie besitzt
die Niederlassungsbewilligung und betreibt ein eigenes ...geschäft.
Gemäss einer Aktennotiz hat die Ehefrau des Beschwerdeführers
der Fremdenpolizei am ... Januar 2002 telefonisch mitgeteilt, sie
beabsichtige, die Scheidung einzureichen. Es sei ihr recht, dass ihr
Ehemann aus der Schweiz ausgewiesen werde, und sie habe nicht die Absicht,
mit ihm nach Italien zu gehen. Laut Mitteilung ihres Mannes habe dessen
Anwalt ein Papier vorbereitet, mit welchem sie bestätigen solle, dass
sie weiterhin mit ihrem Mann zusammenleben und mit ihm Kinder haben
wolle. Dies entspreche in keinem Fall ihren Absichten; sie habe jedoch
Angst, es könnte ihr etwas angetan werden, wenn sie dieses Schreiben
nicht unterzeichne. Der Beschwerdeführer führt dazu aus, es sei ihm nicht
bekannt, dass seine Ehefrau die Scheidung einreichen wolle, er bestreite
zudem, getrennt von ihr zu leben.

    Falls die Ehefrau tatsächlich beabsichtigen sollte, sich vom
Beschwerdeführer scheiden zu lassen, stellte sich die Frage, ob für sie
eine Ausreise nach Italien zumutbar wäre, nicht mehr. Da sich jedoch im
vorliegenden Fall, wie im Folgenden zu zeigen ist, eine Ausweisung des
Beschwerdeführers auch dann rechtfertigt, wenn die Beziehung zu seiner
Ehefrau intakt und für diese eine Ausreise nach Italien unzumutbar sein
sollte, können beide Fragen offen bleiben.

    3.5  Was die Arbeits- und Ausbildungssituation angeht, ist
festzuhalten, dass nicht bekannt ist, ob der Beschwerdeführer in
sprachlicher Hinsicht hier integriert ist. Der Beschwerdeführer arbeitete
seit seiner Einreise in die Schweiz unter anderem als Chauffeur, bevor er
im Januar 1999 arbeitslos wurde. Ab Ende 1999 wurde er für ein paar Monate
im Rahmen eines Beschäftigungsprogrammes von der Stiftung C. beschäftigt,
bis er im April 2000 im Kanton Tessin verhaftet und in Untersuchungshaft
gesetzt wurde. Es kann somit nicht von einer besonderen beruflichen
Integration gesprochen werden, aus welcher der Beschwerdeführer etwas
zu seinen Gunsten ableiten könnte. Die prägenden Jahre der Kindheit
und Jugend hat der Beschwerdeführer sodann in Italien verbracht; die
kulturellen und sozialen Gepflogenheiten dieses Landes sollten ihm daher
noch vertraut sein. Seine Wiedereingliederungschancen sind insoweit
als gross zu werten. Zu betonen ist ferner, dass Italien ein Mitglied
der Europäischen Union ist und in allen Lebensbereichen mit der Schweiz
vergleichbare Standards aufweist.

    3.6  Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall das
öffentliche Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers dessen
privates Interesse an einem Verbleib eindeutig überwiegt.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Art. 8 Abs. 1 EMRK - wie seit dem 1. Januar 2000 auch Art. 13
Abs. 1 BV - gewährleistet das Recht auf Achtung des Privat- und
Familienlebens. Darauf kann sich im Rahmen eines ausländerrechtlichen
Bewilligungsverfahrens berufen, wer nahe Verwandte mit einem gefestigten
Anwesenheitsrecht in der Schweiz hat. Soweit eine familiäre Beziehung
tatsächlich gelebt wird und intakt ist, wird das der zuständigen Behörde
grundsätzlich eingeräumte freie Ermessen beschränkt (BGE 126 II 425 E. 2a
S. 427 mit Hinweisen).

    Angesichts der unklaren Beziehungssituation zu seiner Ehefrau ist
fraglich, ob sich der Beschwerdeführer überhaupt auf Art. 8 EMRK berufen
kann. Die Frage kann aber offen bleiben, da sich ein Eingriff in das von
dieser Bestimmung geschützte Rechtsgut gestützt auf Art. 8 Ziff. 2 EMRK
auf jeden Fall rechtfertigt.

    4.2  Der in Art. 13 Abs. 1 BV garantierte Anspruch auf Achtung des
Privat- und Familienlebens entspricht materiell der Garantie von Art. 8
EMRK und gewährt darüber hinaus im Bereich des Ausländerrechts keine
zusätzlichen Ansprüche (BGE 126 II 377 E. 7 S. 394).

Erwägung 5

    5.  Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen
der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
(Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) in Kraft getreten. Im
Folgenden ist zu prüfen, ob allenfalls dieses Abkommen einer Ausweisung
des Beschwerdeführers entgegensteht.

    5.1  Gemäss Art. 1 lit. a und c FZA hat das Freizügigkeitsabkommen
zu Gunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft und der Schweiz folgendes Ziel: Einräumung eines Rechts auf
Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit
und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im
Hoheitsgebiet der Vertragsparteien (lit. a) sowie Einräumung eines Rechts
auf Einreise und Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien für
Personen, die im Aufnahmestaat keine Erwerbstätigkeit ausüben (lit. c).

    Der Beschwerdeführer kann sich als italienischer Staatsangehöriger
auf das Freizügigkeitsabkommen berufen und hat grundsätzlich Anspruch
auf Aufenthalt in der Schweiz.

    5.2  Den Staatsangehörigen einer Vertragspartei wird das Recht
auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit, vorbehaltlich des
Art. 10 FZA (Übergangsbestimmungen und Weiterentwicklung des Abkommens),
nach Massgabe des Anhanges I des Abkommens (im Folgenden: Anhang I FZA)
eingeräumt (Art. 4 FZA).

    Zur Erreichung der Ziele des Freizügigkeitsabkommens treffen
die Vertragsparteien alle erforderlichen Massnahmen, damit in ihren
Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der
Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden
(Art. 16 Abs. 1 FZA).

    Soweit für die Anwendung des Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts
herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der
Unterzeichnung berücksichtigt (Art. 16 Abs. 2 FZA).

    5.3  Der Beschwerdeführer war bis zum 31. August 2000 im Besitze einer
Aufenthaltsbewilligung. Da er sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft
befand, galt diese Bewilligung als wenigstens bis zu seiner Entlassung
fortbestehend (Art. 14 Abs. 8 ANAV [SR 142.201]). Er war damit im
Zeitpunkt des Inkrafttretens der bilateralen Abkommen zur Ausübung einer
Erwerbstätigkeit berechtigt und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis von
einem Jahr und mehr, womit er gemäss Art. 10 Abs. 5 FZA automatisch ein
Recht auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung hat; allfällige
übergangsrechtliche Einschränkungen (Art. 10 Abs. 1-4 FZA) kommen in
seinem Fall nicht zur Anwendung.

Erwägung 6

    6.

    6.1  Die vom Freizügigkeitsabkommen gewährten Rechtsansprüche
stehen unter dem Vorbehalt von Massnahmen zum Schutz der öffentlichen
Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA). Art. 5
Abs. 2 Anhang I FZA verweist auf die entsprechenden Richtlinien der EG,
insbesondere die Richtlinie 64/221 EWG (ABl. Nr. 56, 1964, S. 850).

    Die Richtlinie 64/221 EWG wurde zum Zwecke der Koordinierung der
Vorschriften über den Ordre-public-Vorbehalt erlassen; der ursprüngliche
Kreis der Berechtigten wurde in den Richtlinien 72/194 EWG (ABl. Nr. L
121, 1972, S. 32) und 75/35 EWG (ABl. Nr. L 14, 1975, S. 10) weiter
ausgedehnt. Inhaltlich enthält die Richtlinie 64/221 EWG in Art. 2
Abs. 2 bis Art. 7 eine Reihe von Schranken, welche die Geltendmachung
von nationalen Sondervorschriften begrenzen sollen. Die Art. 8 und 9 der
Richtlinie enthalten darüber hinaus Mindeststandards für den Rechtsschutz
einer von aufenthaltsbeendenden Massnahmen betroffenen Person (HARTMUT
SCHNEIDER, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im
EG-Vertrag, Baden-Baden 1998, S. 110 f.).

    6.2  Die Richtlinie definiert nicht, welches die durch den
Ordre-public-Vorbehalt geschützten Polizeigüter der öffentlichen Ordnung
und Sicherheit sind, sondern überlässt die konkrete Ausgestaltung
dem jeweiligen Landesrecht (MARCEL DIETRICH, Die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer in der Europäischen Union, Zürich 1995, S. 491 f.). Der
Europäische Gerichtshof (im Folgenden: EuGH) hat festgehalten, dass
der Begriff der öffentlichen Ordnung im Gemeinschaftsrecht namentlich,
wenn er eine Ausnahme vom wesentlichen Grundsatz der Freizügigkeit der
Arbeitnehmer rechtfertigt, eng zu verstehen sei; daher dürfe seine
Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung
durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden. Dennoch könnten die
besonderen Umstände, die möglicherweise die Berufung auf den Begriff der
öffentlichen Ordnung rechtfertigten, von Land zu Land und im zeitlichen
Wechsel verschieden sein, sodass insoweit den innerstaatlichen Behörden
ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag gesetzten
Grenzen zuzubilligen sei (Urteil des EuGH vom 4. Dezember 1974 in der
Rechtssache 41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337, Randnr. 18). Insgesamt
stellen sich die Beschränkungen der ausländerpolizeilichen Befugnisse
der Mitgliedstaaten als eine besondere Ausprägung des in den Art. 8-11
EMRK verankerten Grundsatzes dar, dass die zum Schutz der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung vorgenommenen Einschränkungen der in den genannten
Artikeln zugesicherten Rechte nicht den Rahmen dessen überschreiten dürfen,
was für diesen Schutz in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist
(Urteil des EuGH vom 28. Oktober 1975 in der Rechtssache 36/75, Rutili,
Slg. 1975, 1219, Randnr. 32).

    6.3  Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil
des EuGH vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77, Bouchereau,
Slg. 1977, 1999, Randnrn. 21 ff.) ist unter einer Massnahme im Sinne
der Richtlinie 64/221 EWG und damit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang
I FZA jede Handlung zu verstehen, die das Recht auf freie Einreise und
Aufenthalt berührt. Da die Ausweisung, welche sowohl eine Entfernungs-
als auch eine Fernhaltemassnahme umfasst, das Recht auf freie Einreise
und Aufenthalt berührt, stellt sie eine Massnahme im Sinne von Art. 5
Abs. 1 Anhang I FZA dar.

Erwägung 7

    7.

    7.1  Die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit ist nur zulässig, wenn sie an ein persönliches Verhalten
der in Betracht kommenden Einzelperson anknüpft (Art. 3 Abs. 1 der
Richtlinie 64/221 EWG). Der Begriff des persönlichen Verhaltens drückt
nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Forderung aus, dass eine
Ausweisungsmassnahme nur auf Gefährdungen der öffentlichen Ordnung
und Sicherheit abstellen darf, die von der betroffenen Einzelperson
ausgehen. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 64/221 steht daher der
Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates entgegen,
wenn sie auf so genannte generalpräventive Gesichtspunkte gestützt wird
(Urteil des EuGH vom 26. Februar 1975 in der Rechtssache 67/74, Bonsignore,
Slg. 1975, 297, Randnrn. 6 und 7).

    Der Beschwerdeführer hat über 1,6 kg Kokain verkauft und daneben
Kokain transportiert, aufbewahrt und gratis verteilt. Er wurde dafür
zu drei Jahren und neun Monaten Zuchthaus verurteilt. Es liegt somit
ein persönliches Verhalten des Beschwerdeführers vor, das zu einer
Strafe geführt hat. Das Rekursgericht hat die Ausweisung aufgrund
dieses Verhaltens bestätigt und dazu ausgeführt, dass diese dem Zweck
der zukünftigen Gefahrenabwehr diene. Damit hat es die Massnahme auf
spezialpräventive Erwägungen gestützt.

    7.2  Ein Verhalten kann nicht als hinreichend schwerwiegend
betrachtet werden, um im Gebiete eines Mitgliedstaates Beschränkungen
der Einreise oder des Aufenthalts eines Angehörigen eines anderen
Mitgliedstaates zu rechtfertigen, wenn der erstgenannte Staat gegenüber
dem gleichen Verhalten, das von eigenen Staatsangehörigen ausgeht, keine
Zwangsmassnahmen oder andere tatsächliche und effektive Massnahmen zur
Bekämpfung dieses Verhaltens ergreift (Urteil des EuGH vom 18. Mai 1982
in den Rechtssachen 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982,
1665, Randnr. 8).

    Dieser Hinderungsgrund für die Zulässigkeit der Ausweisung ist im
vorliegenden Fall klarerweise nicht gegeben, wird doch der Drogenhandel in
der Schweiz auch gegenüber schweizerischen Staatsangehörigen strafrechtlich
verfolgt.

    7.3  Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 27.  Oktober 1977 (in
der Rechtssache 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999) festgestellt hat,
setzt die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung ausser der
Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt,
eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung voraus, die ein
Grundinteresse der Gesellschaft berührt (ebenso Urteil des EuGH vom 18. Mai
1989 in der Rechtssache 249/86, Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Slg. 1989, 1263, Randnr. 17).

    Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten stellt ohne weiteres
eine hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die
ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

    7.4  Strafrechtliche Verurteilungen allein können jedoch nicht ohne
weiteres die Massnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit begründen
(Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 64/221 EWG). Diese Bestimmung ist dahin
auszulegen, dass frühere strafrechtliche Verurteilungen nur insoweit
berücksichtigt werden dürfen, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein
persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung
der öffentlichen Ordnung darstellt (Urteile des EuGH vom 27. Oktober 1977
in der Rechtssache 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnrn. 27 und 28
sowie vom 19. Januar 1999 in der Rechtssache C-348/96, Calfa, Slg. 1999,
I-11, Randnr. 24).

    Der Beschwerdeführer hat, ohne selbst süchtig zu sein oder in
finanziellen Nöten zu stecken, eine beträchtliche Menge von Kokain
verkauft; wie oben ausgeführt, war er während eines bestimmten Zeitraums
der wichtigste Lieferant für einen grossen Kreis von Abnehmern. Er
schuf ein Klima der Angst, um die Kontrolle über seine Klienten zu
behalten. Damit hat der Beschwerdeführer eine grosse Rücksichtslosigkeit
gegenüber seinen Mitmenschen an den Tag gelegt. In dieses Bild passt
auch die Verurteilung zu einer Busse von Fr. 500.- wegen grober
Verletzung der Verkehrsregeln, weil er innerorts die signalisierte
Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um mindestens 33 km/h überschritten
und damit andere Verkehrsteilnehmer einer massiven Gefahr für Leib und
Leben ausgesetzt hat. Dazu kommt, dass er sich vor seiner Heirat längere
Zeit illegal in der Schweiz aufgehalten und seinen Lebensunterhalt mit
Schwarzarbeit bestritten hat. Das Rekursgericht durfte daher aufgrund
seines Vorlebens und der Um stände der Tatbegehung darauf schliessen,
dass in Bezug auf seine Delinquenz im Bereiche des Drogenhandels eine
Wiederholungsgefahr zu bejahen und damit eine gegenwärtige, schwere
Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Schweiz gegeben sei.

    An dieser Betrachtungsweise ändert nichts, dass das Geschworenengericht
Locarno dem Beschwerdeführer für die Nebenstrafe der Landesverweisung
gestützt auf Art. 41 StGB den bedingten Vollzug gewährt hat:

    Wie oben ausgeführt (E. 3.2), ist die Ausweisung eines straffälligen
Ausländers nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch dann nicht
ausgeschlossen, wenn der Strafrichter für die Landesverweisung den
bedingten Strafvollzug gewährt hat. Die Fremdenpolizeibehörden sind
nicht an die Prognose und die Interessenabwägung des Strafrichters
gebunden. Diese sind zwar in die Überlegungen einzubeziehen, können aber
nicht allein ausschlaggebend sein.

    Nichts anderes kann für straffällige Ausländer gelten, deren
Aufenthaltsregelung in den Geltungsbereich des Freizügigkeitsabkommens
fällt. Im vorliegenden Fall lässt die äusserst knappe Begründung des
Geschworenengerichts Locarno für den bedingten Vollzug der Landesverweisung
- der Hinweis auf die Bindungen des Beschwerdeführers an unser Land
(in ragione dei legami del prevenuto con il nostro territorio) - die
Bejahung einer Wiederholungsgefahr durch das Rekursgericht nicht als
unzutreffend erscheinen.

    7.5  Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Urteil des Bundesgerichts
vom 16. März 2001 (2A.468/2000) und sieht sich im Vergleich dazu als zu
streng behandelt.

    In jenem Fall hat das Bundesgericht die - kantonal letztinstanzlich vom
bernischen Verwaltungsgericht bestätigte - Ausweisung eines Italieners
aufgehoben, der, hauptsächlich wegen Betäubungsmitteldelikten,
zu Freiheitsstrafen von insgesamt über acht Jahren verurteilt worden
war. Der betreffende Ausländer war selber schwer drogenabhängig. Die
Fremdenpolizei, die ihm die Ausweisung schon im Jahre 1987 angedroht hatte,
verfügte diese erst im Jahre 1998, kurz nachdem er in das Programm der
ärztlich kontrollierten Drogenabgabe der Stadt und Region Bern (KODA-1)
aufgenommen worden war. Dieser Fall kann schon daher nicht mit dem
vorliegenden verglichen werden, weil dort die Betäubungsmittelkriminalität
im Zusammenhang mit der Sucht des Ausländers gestanden hatte und er
eben im Begriff war, diese konkret anzugehen und zumindest in den Griff
zu bekommen.

    7.6  Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Ausweisung des
Beschwerdeführers nicht gegen das Freizügigkeitsabkommen verstösst.