Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 683



129 III 683

105. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung
i.S. X. Handelsgesellschaft mbH in Konkurs gegen Y. sowie Obergericht
des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)

    5P.456/2002 vom 6. Juni 2003

Regeste

    Anerkennung und Vollstreckung eines österreichischen Urteils (Art. 1
Abs. 2 Ziff. 2 LugÜ, Art. 9 des Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages
zwischen der Schweiz und Österreich; Art. 25 ff., Art. 166 ff. IPRG).

    Ein österreichisches Urteil über die Anfechtungsklage (actio pauliana)
im Konkurs fällt weder in den Anwendungsbereich des LugÜ (E. 3) noch
des bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrages (E. 4),
und es ist nicht Objekt der Anerkennung im Sinne von Art. 25 ff. IPRG
(E. 5.2). Aktivlegitimation einer ausländischen Konkursmasse (E. 5.3).

Sachverhalt

    A.- Die X. Handelsgesellschaft mbH in Konkurs leitete gestützt
auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 31. Oktober 2000 gegen
Y. beim Betreibungsamt Neuenhof die Betreibung Nr. ... (Zahlungsbefehl
vom 23. Januar 2002) für den Betrag von Fr. 136'191.03 nebst Zinsen
und Kosten ein. Auf Rechtsvorschlag der Betreibungsschuldnerin stellte
die X. Handelsgesellschaft mbH in Konkurs beim Bezirksgericht Baden das
Begehren, es sei das fragliche Urteil zwischen den Parteien anzuerkennen
und vollstreckbar zu erklären und in der Betreibung definitive
Rechtsöffnung zu erteilen.

    B.- Mit Urteil vom 17. April 2002 entsprach der Gerichtspräsident 3
von Baden dem Begehren um Erteilung der definitiven Rechtsöffnung. In
teilweiser Gutheissung einer von Y. erhobenen Beschwerde hob das
Obergericht des Kantons Aargau, 5. Zivilkammer, mit Urteil vom 21. Oktober
2002 den erstinstanzlichen Entscheid vollumfänglich auf und wies das
Begehren um definitive Rechtsöffnung ab (Dispositiv-Ziff. 1); im Weiteren
wurde die Beschwerde abgewiesen (Dispositiv-Ziff. 2), alles unter Kosten-
und Entschädigungsfolgen (Dispositiv-Ziff. 3 und 4).

    C.- Mit Eingabe vom 26. November 2002 führt die X. Handelsgesellschaft
mbH in Konkurs staatsrechtliche Beschwerde und beantragt dem Bundesgericht,
es seien die Dispositiv-Ziff. 1, 3 und 4 des Urteils des Obergerichts
aufzuheben und die Rechtsöffnung in der eingeleiteten Betreibung zu
erteilen; eventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.

    In ihrer Vernehmlassung vom 20. Februar 2003 beantragt
Y. Nichteintreten auf die Beschwerde bzw. Abweisung derselben; eventualiter
(bei Gutheissung der Beschwerde) Rückweisung der Sache an das Obergericht
und keine Erteilung der Rechtsöffnung durch das Bundesgericht. Das
Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

    Strittig ist vor Bundesgericht, ob das Urteil des Oberlandesgerichtes
Wien in der Schweiz anerkannt und vollstreckt werden kann.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Das Obergericht hat die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung
vorab deswegen verweigert, weil es das österreichische Urteil betreffend
eine paulianische Anfechtungsklage als Anwendungsfall von Art. 1 Abs. 2
Ziff. 2 LugÜ (SR 0.275.11) erachtete, wonach das Übereinkommen auf
"Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren" nicht anzuwenden ist. Die
Beschwerdeführerin verneint die Unanwendbarkeit des LugÜ, unter Hinweis
auf einen Teil der Literatur.

    3.2  Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist für die Frage
der Unanwendbarkeit des LugÜ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2
LugÜ massgebend, ob das betreffende Verfahren seine Grundlage im
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht hat und ohne ein derartiges
Verfahren wahrscheinlich nicht eingeleitet worden wäre (BGE 125 III
108 E. 3d S. 111, unter Hinweis auf JAN KROPHOLLER, Europäisches
Zivilprozessrecht, jetzt 7. Aufl., Heidelberg 2002, N. 36 zu
Art. 1). Eine paulianische Anfechtungsklage im Konkurs hat ihre
Grundlage effektiv im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht - sie
dient der Vergrösserung der Konkursmasse - und wird ohne ein solches
Konkursverfahren nicht eingeleitet. Ohne die Gefahr eines Verlustes in
der Zwangsvollstreckung bzw. im Konkurs besteht keine Veranlassung und
auch keine Möglichkeit, gegen an sich paulianische Rechtshandlungen
eines Schuldners vorzugehen. Vor diesem Hintergrund ist von der
Unanwendbarkeit des LugÜ auf Anfechtungsklagen im Konkurs auszugehen
(GERHARD WALTER, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 3. Aufl.,
Bern 2002, S. 172). Die Unanwendbarkeit des LugÜ (sowie des parallelen
Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens) wird auch
in Österreich für die Konkursanfechtung angenommen (CZERNICH/TIEFENTHALER,
Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel, Wien 1997, N. 14 zu Art. 1;
vgl. PETER SCHLOSSER, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 2003, N. 21
zu Art. 1 mit weiteren Hinweisen). Die Beschwerde ist daher unbegründet,
soweit das Obergericht die paulianische Anfechtungsklage als Anwendungsfall
von Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 LugÜ erachtet hat, wobei die Unanwendbarkeit
des LugÜ auch die Anwendbarkeit von dessen Art. 16 bis 18 ausschliesst.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Für den Fall der Unanwendbarkeit des LugÜ beruft sich die
Beschwerdeführerin auf den Staatsvertrag vom 16. Dezember 1960 zwischen der
Schweiz und Österreich über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen (SR 0.276.191.632). Dabei weist sie zu Recht vorab auf
Art. 55 und 56 Abs. 1 LugÜ, wonach der vorgenannte bilaterale Vertrag
in Kraft bleibt, soweit das LugÜ unanwendbar ist. Zu Unrecht rügt die
Beschwerdeführerin indessen, das Obergericht habe diesen Staatsvertrag
mit keinem Wort erwähnt und seine Existenz schlicht übersehen.
Vielmehr weist das Obergericht auf dieses Abkommen hin, wobei - unter
Hinweis auf Art. 9 des Staatsvertrags - ausgeführt wird, Anerkennungs-
und Vollstreckungsabkommen bezüglich "Entscheiden aus Konkursverfahren"
bestünden nicht. Damit meint das Obergericht offenbar, das vorliegend
in Frage stehende Urteil falle unter Art. 9 des Staatsvertrages, der wie
folgt lautet: "Entscheidungen, mit denen Ordnungsstrafen verhängt werden,
Entscheidungen im Konkursverfahren sowie Entscheidungen schweizerischer
Gerichte über die Bestätigung eines Nachlassvertrages und Entscheidungen
österreichischer Gerichte im Ausgleichsverfahren gelten nicht als
gerichtliche Entscheidungen im Sinne dieses Vertrages."

    4.2  Im Unterschied zum Obergericht verneint die Beschwerdeführerin
die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des Art. 9 auf den vorliegenden
Fall, unter Hinweis einerseits auf die Formulierung "im" Konkursverfahren,
anderseits auf die anderen Ausnahmefälle des Art. 9. Sinn und Zweck
der Bestimmung liege darin, (nur) solche Entscheidungen, die nicht in
einem kontradiktorischen Verfahren ergangen seien, die Anerkennung
zu verweigern. Diese Auffassung geht fehl. Zum einen wird bei den
meisten bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen der
Ausschluss der Anwendbarkeit für Urteile aus Anfechtungsklagen daraus
gefolgert, dass "Entscheidungen in Konkurs- und Nachlassvertragssachen"
ausgeschlossen sind (ausdrücklich Art. 11 Ziff. 1 des Abkommens vom
15. Januar 1936 zwischen der Schweiz und Schweden über die Anerkennung
und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen
[SR 0.276.197.141]; vgl. DANIEL STAEHELIN, Die Anerkennung ausländischer
Konkurse und Nachlassverträge in der Schweiz [Art. 166 ff. IPRG], Diss.
Basel 1989, S. 151 mit Hinweisen). Zum anderen beruht der Staatsvertrag
mit Österreich von 1960 auf demjenigen aus dem Jahre 1927, der nur sehr
beschränkt und in der hier interessierenden Frage gar nicht revidiert
wurde (vgl. BBl 1961 I 1564 f., S. 1571). Folglich gilt unverändert,
dass gerichtliche Entscheidungen über vollstreckungsrechtliche Fragen, bei
der auf materielle Vorfragen zurückgegriffen werden muss, ohne dass über
die Betreibung hinaus materielle Rechtskraft unter den Prozessparteien
geschaffen wird, nicht unter die Vollstreckungspflicht im Sinne des
Staatsvertrages fallen (RUDOLF PROBST, Die Vollstreckung ausländischer
Zivilurteile in der Schweiz nach den geltenden Staatsverträgen,
Diss. Bern 1936, S. 46 f.). Beim Anfechtungsprozess handelt es sich
um eine betreibungsrechtliche Streitigkeit, die in ihrer rechtlichen
Wirksamkeit auf das hängige Vollstreckungsverfahren beschränkt bleibt
(BGE 114 III 110 E. 3d S. 113 mit Hinweisen; AMONN/GASSER, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl., Bern 1997, § 4 Rz. 55). Vor
diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn das Obergericht das
Urteil des Oberlandesgerichtes Wien über die paulianische Anfechtung vom
Anwendungsbereich des bilateralen Staatsvertrages ausgenommen hat.

Erwägung 5

    5.

    5.1  Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht schliesslich
Willkür vor, weil es zur Auffassung gelangt ist, dass Urteile, welche
Anfechtungsklagen beinhalten, nicht nach Art. 25 ff. IPRG anerkannt werden
könnten. Es habe dabei die zivilrechtliche Wirkung des österreichischen
Urteils übergangen, wonach die Beschwerdegegnerin eine Geldschuld zu
begleichen habe.

    5.2  Das Obergericht hat zu Recht festgehalten, dass aufgrund der
allgemeinen Bestimmungen über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen
nach Art. 25 ff. IPRG nur Zivilsachen anerkannt werden können
(BERTI/SCHNYDER, Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, Basel
1996, N. 6 zu Art. 25 IPRG). Darunter fallen nicht die Anfechtungsklagen
als - wie erwähnt (E. 4.2) - betreibungsrechtliche Streitigkeiten mit
Reflexwirkung auf das materielle Recht, da sie vollstreckungsrechtlicher
Natur sind (STAEHELIN, aaO, S. 150 f. mit Hinweisen). Insofern
kann von Willkür nicht gesprochen werden, wenn das Obergericht das
österreichische Urteil über die paulianische Anfechtung nicht als Objekt
der Anerkennung im Sinne von Art. 25 ff. IPRG erachtet hat. Der Hinweis
der Beschwerdeführerin, dass gegen Urteile aus Anfechtungsprozessen die
Berufung an das Bundesgericht zulässig ist (Art. 43 ff. OG; BGE 93 III
436 E. 1 S. 437), hilft ihr nicht weiter. Es ist nicht ersichtlich,
inwiefern willkürlich sein soll, wenn das Obergericht für die Frage des
Charakters eines ausländischen Entscheides nicht die Regeln über die
Berufungsfähigkeit ("Zivilsachen") von kantonalen Entscheiden, die sich
nach der Organisation der Bundesrechtspflege richtet, angewendet hat.

    5.3  Die Beschwerdeführerin (wie auch das Obergericht) verkennt sodann
die Bedeutung des 11. Kapitels des IPRG, welches die zwischenstaatliche
Rechtshilfe in Konkurssachen - und insoweit die Auflockerung des
Territorialitätsgrundsatzes - regelt (BBl 1983 I 450). Danach ist eine
ausländische Konkursmasse nur zum Antrag auf Anerkennung des ausländischen
Konkursdekretes und Anordnung sichernder Massnahmen aktivlegitimiert
(Art. 166 und 168 SchKG) sowie, falls das ausländische Konkursdekret
in der Schweiz anerkannt worden ist, zur Anhebung der Anfechtungsklage
nach Art. 285 ff. SchKG (Art. 171 IPRG). Andere Rechtshandlungen kann
sie nicht vornehmen (Urteil 1P.161/1991, JdT 1993 II S. 125, E. 2b, mit
Hinweis auf PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Les dispositions de la nouvelle loi
fédérale de droit international privé sur la faillite internationale,
Lausanne 1991, S. 55). Da die Beschwerdeführerin als ausländische
Konkursmasse nicht aktivlegitimiert ist, in der Schweiz ihr zustehende
Forderungen in Betreibung zu setzen, kann der angefochtene Entscheid,
d.h. die Nichterteilung der Rechtsöffnung, in seinem Ergebnis nicht als
willkürlich bezeichnet werden.