Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 595



129 III 595

95. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
i.S. P. AG gegen Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, als
obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen
(Beschwerde)

    7B.127/2003 vom 28. August 2003

Regeste

    Art. 9 Abs. 2 und Art. 99 Abs. 2 VZG, Art. 17 SchKG; Neuschätzung
des Grundstücks, Beschwerdelegitimation.

    Der Betreibungsschuldner ist legitimiert, gegen den Schätzungsentscheid
der Aufsichtsbehörde Beschwerde zu erheben und eine tiefere Schätzung zu
beantragen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Das Betreibungsamt Richterswil teilte am 19. Juni 2002 der P. AG
als Schuldnerin in der Betreibung Nr. ... mit, dass die betreibungsamtliche
Schätzung des zu verwertenden Grundstücks (dauerndes und übertragbares
Baurecht für eine Fabrik, Assek.-Nr. a auf der Liegenschaft Kat.-Nr. b
sowie Fabrikgebäude Assek.-Nr. c und Lagergebäude Assek.-Nr. d, in
X.) Fr. 5'890'000.- betrug. Mit Eingabe vom 8. Juli 2002 verlangte
die P. AG beim Bezirksgericht Horgen als unterer Aufsichtsbehörde in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen rechtzeitig die Neuschätzung des
Grundstücks. Mit Verfügung vom 9. Dezember 2002 stellte der Präsident
der unteren Aufsichtsbehörde der P. AG die vom Sachverständigen
Y. durchgeführte Neuschätzung mit dem Ergebnis von Fr. 2'770'000.- zur
Stellungnahme zu.

    B.- Die untere Aufsichtsbehörde wies mit Beschluss vom 4. Februar 2003
das Betreibungsamt an, in der Betreibung Nr. ... für das zu verwertende
Grundstück den Schätzwert von Fr. 4'330'000.- einzusetzen. Zur Begründung
hielt sie im Wesentlichen fest, dass sowohl die betreibungsamtliche
als auch die Neuschätzung von einem Sachverständigen durchgeführt
worden seien und daher der Mittelwert aus beiden Gutachten eingesetzt
werde. Gegen diesen Beschluss erhob die P. AG Beschwerde und beantragte,
der Schätzwert sei auf Fr. 1'800'000.-, eventualiter Fr. 2'770'000.-
gemäss Gutachten der Neuschätzung festzusetzen. Das Obergericht des
Kantons Zürich, II. Zivilkammer, als obere kantonale Aufsichtsbehörde in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen trat auf die Beschwerde mit Beschluss
vom 7. Mai 2003 mangels Beschwerdelegitimation nicht ein.

    C.- Die P. AG hat den Beschluss der oberen Aufsichtsbehörde mit
Beschwerdeschrift vom 22. Mai 2003 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, der
angefochtene Beschluss sei aufzuheben und die obere Aufsichtsbehörde sei
anzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten.

    Die obere Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung
auf Gegenbemerkungen (Art. 80 OG) verzichtet. Die Z. AG als
Betreibungsgläubigerin und Beschwerdegegnerin beantragt, auf die
Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei diese abzuweisen. Das
Betreibungsamt hat sich nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Die obere Aufsichtsbehörde hat im Wesentlichen festgehalten,
dass es im Verwertungsverfahren darum gehe, einen möglichst hohen Erlös
zu erzielen, so dass die Beschwerdeführerin kein Rechtsschutzinteresse
an einer Herabsetzung des Schätzungswertes habe. Auch den Interessen von
Steigerungsinteressenten komme keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Daher
könne die Richtigkeit und Schlüssigkeit der (beiden) Gutachten, die im
vorliegenden Fall in der Tat verschiedene Fragen nicht abschliessend
beantworten würden, nicht Gegenstand von Weiterungen sein. Die obere
Aufsichtsbehörde hat geschlossen, dass weder die Beschwerdeführerin
noch Steigerungsinteressenten ein schutzwürdiges Interesse an der
Beschwerdeführung hätten. Sie ist daher auf die Beschwerde nicht
eingetreten und hat auch keinen Grund zum Einschreiten von Amtes wegen
gesehen.

    Die Beschwerdeführerin wendet dagegen im Wesentlichen ein, ihre
Legitimation zur Beschwerdeführung sei gegeben, auch wenn sie eine
tiefere Schätzung verlange. Beide Gutachten würden wesentliche Punkte
übersehen, so dass nicht der Durchschnitt genommen werden könne. Der "krass
unzutreffende", "massiv übersetzte" Schätzungswert könne den Eindruck
erwecken, die Betreibungsgläubigerin sei für ihre Forderung vollumfänglich
gedeckt, und könne - was in ihrem (der Beschwerdeführerin) tatsächlichen
Interesse stehe - laufende Sanierungsverhandlungen beeinflussen.

Erwägung 3

    3.  Zur Beschwerdeführung gemäss Art. 17 SchKG ist legitimiert, wer
durch die angefochtene Verfügung eines Vollstreckungsorganes in seinen
rechtlich geschützten oder zumindest tatsächlichen Interessen betroffen
und dadurch beschwert ist und deshalb ein schutzwürdiges Interesse an
der Aufhebung oder Abänderung der Verfügung hat (BGE 120 III 42 E. 3
S. 44; 112 III 1 E. 1 S. 3; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de
la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 152 zu
Art. 17 SchKG). Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, dass ihr die obere
Aufsichtsbehörde die Legitimation zur Beschwerdeführung abgesprochen hat.

    3.1  Aus dem Zusammenhang zwischen der Höhe des Schätzungswertes
und dem Steigerungserlös kann - entgegen der Auffassung der Vorinstanz -
nichts für die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin abgeleitet
werden. Die Schätzung des zu versteigernden Grundstückes sagt nichts
über den an der Versteigerung tatsächlich erzielbaren Erlös aus, sondern
gibt im Pfandverwertungsverfahren den Interessenten allenfalls einen
Anhaltspunkt über das vertretbare Angebot (vgl. BGE 101 III 32 E. 1
S. 34). Deshalb soll die Schätzung nicht "möglichst hoch" sein, sondern
den mutmasslichen Verkaufswert des Grundstückes bestimmen (Art. 9 Abs. 1
i.V.m. Art. 99 Abs. 1 der Verordnung des Bundesgerichts vom 23. April
1920 über die Zwangsverwertung von Grundstücken [VZG; SR 281.42]). Diesem
Zweck dient das Recht der Beteiligten (auch des Schuldners), ohne nähere
Begründung eine neue Schätzung durch Sachverständige zu verlangen
(Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 99 Abs. 2 VZG), sowie die Regel, dass die
Aufsichtsbehörde sich für einen Mittelwert (nicht den höheren Wert)
entscheiden darf, wenn voneinander abweichende Schätzungen zweier gleich
kompetenter Sachverständiger vorliegen (BGE 120 III 79 E. 2b S. 81). Vor
dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin als Schuldnerin (abgesehen
von möglichen tatsächlichen Interessen) ein rechtlich geschütztes Interesse
hat, ohne weiteres die Schätzung des Betreibungsamtes in Frage zu stellen,
um den mutmasslichen Verkaufswert zu bestimmen, ist kein Grund ersichtlich,
ihre Beschwerdelegitimation vom Antrag auf eine höhere Schätzung abhängig
zu machen.

    3.2  Der Schuldner hat - wie der Gläubiger - sodann grundsätzlich ein
rechtlich geschütztes Interesse an der ordnungsgemässen Abwicklung des
Zwangsvollstreckungsverfahrens (vgl. FRANCO LORANDI, Betreibungsrechtliche
Beschwerde und Nichtigkeit, N. 176 und 184 zu Art. 17 SchKG mit
Hinweisen). Nach feststehender Rechtsprechung sind deshalb vor allem
und ganz allgemein die am Zwangsvollstreckungsverfahren unmittelbar
Beteiligten, d.h. der Schuldner und der Gläubiger zur Beschwerdeführung
legitimiert (BGE 43 III 18 E. 1 S. 20 f.; 67 III 89 S. 90; 70 III
18 E. 2 S. 20; vgl. GILLIÉRON, aaO, N. 161 zu Art. 17 SchKG). Die
untere Aufsichtsbehörde hat nach der von der Beschwerdeführerin
anbegehrten Neuschätzung des Grundstücks durch einen Sachverständigen
das Betreibungsamt angewiesen, für das zu verwertende Grundstück einen
anderen als den betreibungsamtlich ermittelten mutmasslichen Verkaufswert
einzusetzen. Dass es sich bei diesem Beschluss um eine konkrete auf den
Verfahrensgang einwirkende Massnahme handelt, steht ausser Frage. Folglich
besteht ein rechtlich geschütztes Interesse der Beschwerdeführerin als
Schuldnerin, den Entscheid der unteren Aufsichtsbehörde mit Beschwerde
an die obere Aufsichtsbehörde weiterzuziehen und die Ordnungsmässigkeit
dieses Entscheides in Frage zu stellen. Wenn die obere Aufsichtsbehörde
daher zum Ergebnis gelangt ist, die Beschwerdeführerin sei zur Beschwerde
gegen den Beschluss der unteren Aufsichtsbehörde über den massgeblichen
Schätzungswert mangels Rechtsschutzinteresse nicht berechtigt, ist dies
mit den Regeln zur Legitimation für die Beschwerde nach Art. 18 SchKG,
für welche die gleichen Grundsätze wie für diejenige nach Art. 17 SchKG
gelten (LORANDI, aaO, N. 44 zu Art. 18 SchKG), nicht vereinbar.

    3.3  Nach dem Dargelegten erweist sich die Beschwerde gegen das
Nichteintreten der Vorinstanz auf die Beschwerde zufolge fehlender
Beschwerdelegitimation als begründet. Die Beschwerde ist gutzuheissen und
der angefochtene Beschluss aufzuheben. Die obere Aufsichtsbehörde wird
daher angewiesen, die Beschwerde der Beschwerdeführerin entgegenzunehmen,
die weiteren Eintretensvoraussetzungen zu prüfen und gegebenenfalls in
der Sache zu entscheiden.