Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 574



129 III 574

90. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. K. gegen
Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) sowie
Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)

    5P.141/2003 vom 23. Juni 2003

Regeste

    Aussetzen des Verfahrens gemäss Art. 38 Abs. 1 des
Lugano-Übereinkommens.

    Bei einem Vorbehaltsurteil nach deutschem Zivilprozess darf das
schweizerische Vollstreckungsverfahren nicht sistiert werden, weil das
Nachverfahren, unter dessen auflösender Bedingung das Vorbehaltsurteil
steht, kein ordentlicher Rechtsbehelf i.S. von Art. 38 Abs. 1 LugÜ ist
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- In einem Urkundenprozess gemäss § 592 ff.  der deutschen
ZPO verurteilte das Landgericht Düsseldorf K. mit rechtskräftigem
Vorbehalts-/Anerkenntnisurteil vom 8. Juli 1997, der Bundesanstalt für
vereinigungsbedingte Sonderaufgaben DM 1'890'949.12 nebst Zins zu 5%
seit 6. Juli 1995 zu zahlen.

    B.- In Gutheissung des Gesuches der Bundesanstalt für
vereinigungsbedingte Sonderaufgaben vom 5. September 2002 um
Vollstreckbarerklärung und definitive Rechtsöffnung erteilte der
Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes Uster in der
Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes R. für Fr. 1'418'426.- nebst Zins
definitive Rechtsöffnung. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel des Rekurses
und der Nichtigkeitsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich,
II. Zivilkammer, mit Beschluss vom 4. März 2003 ab.

    C.- Dagegen hat K. am 2. April 2003 staatsrechtliche Beschwerde
eingereicht mit dem Begehren um Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Mit Präsidialverfügung vom
6. Mai 2003 ist diese erteilt worden.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Das Obergericht hat erwogen, eine Sistierung des
Vollstreckungsverfahrens gemäss Art. 38 Abs. 1 LugÜ (SR 0.275.11) komme
nicht in Frage. Das Vorbehaltsurteil sei nach deutscher ZPO vorläufig
vollstreckbar und der Beschwerdeführer habe das Nachverfahren mehr als fünf
Jahre nicht eingeleitet. Offenbar gehe er davon aus, dass dieses ohne
Rücksicht auf eine Frist zulässig sei. Der ordentliche Rechtsbehelf im
Sinne von Art. 38 Abs. 1 LugÜ müsse indes fristgebunden sein, ansonsten
der Antragsteller den Zeitpunkt des Rechtsbehelfs beliebig bestimmen
und diesen erst und gerade dann einlegen könnte, wenn das Begehren
um Vollstreckbarerklärung im Zweitstaat anhängig gemacht werde. Im
Übrigen spreche der Zeitablauf von über fünf Jahren mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Nachklagerecht verwirkt sei.

    Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, das
Lugano-Übereinkommen nicht vertragsautonom, sondern nach Landesrecht
ausgelegt zu haben. Der Begriff des ordentlichen Rechtsbehelfes sei weit
auszulegen und das Nachverfahren sei inzwischen eingeleitet; diesfalls
sei auf das Fristerfordernis zu verzichten.

Erwägung 3

    3.  Gemäss Art. 38 Abs. 1 LugÜ kann das obere Gericht des Zweitstaates
das Vollstreckungsverfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im
Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist oder
die Frist hierfür noch läuft. Analoges sieht Art. 30 Abs. 1 LugÜ für das
Anerkennungsverfahren vor.

    Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, ist der Begriff des
ordentlichen Rechtsbehelfs vertragsautonom auszulegen. Der Europäische
Gerichtshof hat diesbezüglich in seinem Entscheid vom 22. November 1977
erkannt, ordentliches Rechtsmittel im Sinne der Konvention sei jeder
Rechtsbehelf, der zur Aufhebung oder Abänderung der für vollstreckbar
zu erklärenden Entscheidung führen könne und für dessen Einlegung im
Erststaat eine gesetzliche Frist gesetzt sei, die durch die Entscheidung
selbst ausgelöst werde (GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht,
Kommentar zu EuGVÜ und LugÜ, München 1997, N. 6 zu Art. 38; KROPHOLLER,
Europäisches Zivilprozessrecht, Kommentar zu EuGVO und LugÜ, 7. Aufl.,
Heidelberg 2002, N. 3 zu Art. 37).

    Ein Vorbehalts-/Anerkenntnisurteil bedeutet, dass die beklagte
Partei den Klageanspruch bestreitet und nur für den Urkundenprozess
anerkennt. Das Vorbehaltsurteil ist auflösend bedingt, weil es
unter dem Vorbehalt des Nachverfahrens steht, das den Rechtsstreit
vor gleicher Instanz ohne Beschränkung der Beweismittel fortsetzt
(ROSENBERG/SCHWAB/GOTTWALD, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., München 1993,
S. 318 ff.). Nichtsdestoweniger erwächst das Vorbehaltsurteil in formelle
Rechtskraft, und gemäss § 599 Abs. 3 ZPO stellt es binnenstaatlich einen
Vollstreckungstitel dar.

    Aus § 600 ZPO ist keine Frist für das Nachverfahren ersichtlich;
der Beschwerdeführer weist denn auch mit Nachdruck auf diesen Umstand
hin. Nach den vorstehenden Erwägungen handelt es sich beim Nachverfahren
folglich nicht um einen ordentlichen Rechtsbehelf im Sinne des autonom
ausgelegten Art. 38 LugÜ. Etwas anderes lässt sich auch aus dem Entscheid
des Bundesgerichtshofes vom 12. Juni 1986 und der einschlägigen Literatur
nicht ableiten: Zwar plädiert diese dafür, das vom Europäischen Gerichtshof
aufgestellte Kriterium der Fristgebundenheit des Rechtsbehelfs nur dann zu
verwenden, wenn dieser im Zeitpunkt der Befassung des Zweitgerichts noch
nicht eingelegt ist (KROPHOLLER, aaO, N. 4 zu Art. 37). Eine nach mehr
als fünf Jahren am 28. November 2002 und damit just einen Tag vor Rekurs
und Nichtigkeitsklage an das Obergericht des Kantons Zürich eingereichte
Nachklage beim Landgericht Düsseldorf bietet jedoch keinen Anlass, von
der Definition des ordentlichen Rechtsmittels, wie sie vom Europäischen
Gerichtshof vorgenommen worden ist, abzuweichen.

    Das Obergericht hat folglich mit seinen Erwägungen kein
Staatsvertragsrecht verletzt, umso weniger als Art. 30 Abs. 1 und Art. 38
Abs. 1 LugÜ die Sistierung des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens
ins Ermessen des hierfür zuständigen Gerichts stellt und das Bundesgericht
bei der Beurteilung von Ermessensentscheiden Zurückhaltung übt
(vgl. exemplarisch BGE 118 II 50 E. 4 S. 55 f.; 123 III 274 E. 1a/cc
S. 279 f.; 126 III 305 E. 4a S. 306).