Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 535



129 III 535

85. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A.R. gegen
B.R. (Berufung)

    4C.22/2003 vom 16. Mai 2003

Regeste

    Schiedsgutachten; Fälligkeit einer Kaufpreisforderung; Inverzugsetzung
durch Mahnung.

    Gerichtliche Überprüfung eines Schiedsgutachtens (E.  2).

    Anforderungen an die Mahnung, den Kaufpreis zu zahlen, wenn dessen
Höhe im Zeitpunkt der Fälligkeit noch nicht bestimmt ist (E. 3).

    Ergänzung eines lückenhaften Kaufvertrages (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die J.R. AG, Bauunternehmung mit Sitz in F., verfügt über
ein Aktienkapital von Fr. 200'000.-, das in 200 Namenaktien mit einem
Nominalwert von je Fr. 1'000.- aufgeteilt ist. Bis 1983 war J.R. alleiniger
Aktionär und Inhaber des Unternehmens. Am 22. Dezember 1983 schloss er
mit seinen Söhnen A., B. und C., die damals alle für das Bauunternehmen
tätig waren, eine als Schenkungsvertrag bezeichnete Vereinbarung. Danach
schenkte er seinen Söhnen sämtliche Aktien der J.R. AG, wobei A. 80
Aktien und die beiden anderen Söhne je 60 Aktien erhielten (Ziffer
1 des Vertrags). Die Schenkungen wurden als Erbvorbezüge bezeichnet,
deren Wert aufgrund der Bilanz per 31. Dezember 1982 zu berechnen war
(Ziffer 4). Im Vertrag wurden sodann verschiedene Punkte geregelt, welche
die Zukunft der J.R. AG und deren Beziehungen zu Vater R. sowie seinen
Söhnen betreffen. Dazu gehört Ziffer 9 mit folgendem Wortlaut:

      "Die Beschenkten haben ein gegenseitiges Vorkaufsrecht im Verhältnis

    ihres bisherigen Besitzes auf die Aktien der J.R. AG. Der Preis richtet

    sich nach der letzten vor dem Verkaufsdatum geschlossenen Bilanz,

    ergänzt durch stille und offene Reserven sowie latente Steuern,

    sinngemäss berechnet wie per 31. Dez. 1982. Bei

    Meinungsverschiedenheiten ist der Preis endgültig durch die

    Kontrollstelle festzulegen."

    Unter Ziffer 11 des Vertrages wurde sodann festgehalten:

      "Scheidet ein Beschenkter als Verwaltungsrat resp. Mitarbeiter

      aus der

    J.R. AG aus, hat er seine Aktien gemäss Ziff. 7 (recte Ziff. 9) zu

    verkaufen und die Mitaktionäre sind verpflichtet, diese käuflich zu

    übernehmen. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Erbrechts."

    B.- Im März 1990 schied C.R. aus der J.R. AG Bauunternehmung aus
und verkaufte im Einverständnis mit seinem Bruder B. sein Aktienpaket an
A. Gemäss Kaufvertrag vom 15. März 1990 betrug der Kaufpreis für die 60
Namenaktien Fr. 1'450'000.-.

    Im Oktober 1992 trat auch B.R. als Verwaltungsrat zurück. Sein
Arbeitsverhältnis mit der Gesellschaft wurde auf Ende 1992 aufgelöst. In
der Folge forderte B.R. seinen Bruder A. unter Hinweis auf die Regelung im
Schenkungsvertrag vom 22. Dezember 1983 auf, ihm die 60 Namenaktien der
J.R. AG abzukaufen. Nachdem sich die beiden Brüder nicht über den Preis
der Aktien einigen konnten, leitete B.R. ein gerichtliches Befehlsverfahren
ein, das mit Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 17. Januar
1996 abgeschlossen wurde. Damit wurde A.R. befohlen, der Revisionsstelle
der J.R. AG, der D. Treuhand AG in G., den Auftrag zur Festlegung des
Kaufpreises der Namenaktien zu erteilen.

    Die D. Treuhand AG kam in ihrem schriftlichen Gutachten vom
29. Januar 1997 zum Ergebnis, das für die Preisbestimmung massgebende
Eigenkapital der Gesellschaft betrage Fr. 3'842'775.-, was einen Wert von
Fr. 19'214.- pro Aktie ergebe. Mit einem solchen Kaufpreis waren weder B.
noch A. einverstanden.

    C.- B.R. reichte am 17. Dezember 1997 beim Amtsgericht Luzern-Land
Klage gegen A.R. ein. Der Kläger verlangte unter anderem, der Beklagte
habe ihm im Gegenzug zur Übertragung von 60 Namenaktien der J.R. AG
Fr. 1'800'000.- nebst 5% Zins seit 3. Februar 1993 zu zahlen. Das
Amtsgericht liess von E. ein Gutachten betreffend den Wert der Aktien
ausarbeiten. Dieser kam in seinem Gutachten vom 13. Juni 2000 zum Schluss,
dass der Wert Fr. 17'001.- pro Aktie betrage.

    Mit Urteil vom 5. September 2001 stellte das Amtsgericht Luzern-Land
fest, dass das Schiedsgutachten der D. Treuhand AG vom 29. Januar
1997 weiterhin zwischen den Parteien Recht mache. Es verpflichtete den
Beklagten, dem Kläger im Gegenzug zur Übertragung von 60 Namenaktien
der J.R. AG den Betrag von je Fr. 19'214.- pro Aktie, somit total
Fr. 1'152'840.- nebst 5% Zins seit 4. Februar 1993 zu zahlen.

    Der Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Luzern. Dieses
wies das Rechtsmittel mit Urteil vom 21. November 2002 ab und bestätigte
den Entscheid des Amtsgerichts.

    D.- Mit Berufung beantragt der Beklagte dem Bundesgericht, das Urteil
des Obergerichts des Kantons Luzern vom 21. November 2002 aufzuheben und
die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell das angefochtene
Urteil insoweit aufzuheben, als es den Beklagten zur Zahlung eines Zinses
von 5% seit 4. Februar 1993 verpflichte.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Die Parteien haben im Schenkungsvertrag vom 22. Dezember
1983 vereinbart, dass der Wert der Aktien durch die Kontrollstelle als
Schiedsgutachterin zu bestimmen sei, falls sie sich nicht darüber einigen
könnten. Damit haben sie sich zum Abschluss eines Schiedsgutachtervertrages
verpflichtet für den Fall, dass die Höhe des Kaufpreises für die Aktien
streitig bleiben würde. Als Schiedsgutachtervertrag wird eine Vereinbarung
bezeichnet, mit der ein Dritter beauftragt wird, für die Parteien eines
Rechtsverhältnisses verbindlich bestimmte tatsächliche Feststellungen zu
treffen oder bestimmte Rechtsfragen zu beantworten (BGE 117 Ia 365 E. 5
und 6; Urteil C.239/1986 vom 14. November 1986, E. 1, publ. in: SJ 1987
S. 223 f.; STEIN/JONAS/SCHLOSSER, Kommentar zur Zivilprozessordnung,
Bd. 9, 22. Aufl., Tübingen 2002, Rz. 21 vor § 1025). In der Lehre ist
umstritten, ob es sich um ein Rechtsinstitut des materiellen Privatrechts
oder des Prozessrechts handelt (vgl. FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar
zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., N. 2 zu § 258). Nach
der Praxis des Bundesgerichts gehört der Schiedsgutachtervertrag
dem materiellen Recht an (BGE 67 II 146 E. 2 S. 148; zit. Urteil vom
14. November 1986, E. 1).

    2.1  Schiedsgutachten werden von den Gerichten nicht frei auf ihre
inhaltliche Richtigkeit hin überprüft. Ein Schiedsgutachten kann vielmehr
in Bezug auf seinen Inhalt bloss mit den Einwänden angefochten werden, es
sei offensichtlich ungerecht, willkürlich, unsorgfältig, fehlerhaft oder
in hohem Grade der Billigkeit widersprechend oder es beruhe auf falscher
tatsächlicher Grundlage. Zulässig ist zudem die Berufung auf Willensmängel
(BGE 67 II 146 E. 3; 71 II 294 f.; zit. Urteil vom 14. November 1986).

    2.2  Der Beklagte betrachtet das Gutachten der D. Treuhand AG als
offensichtlich falsch im Sinne der zitierten Rechtsprechung, weil es
hinsichtlich des Wertes der Aktien zu einem Ergebnis gekommen sei,
das um mehr als 15% von jenem des gerichtlich eingeholten Gutachtens
abweiche. Er beruft sich auf eine Lehrmeinung, die im Zusammenhang
mit Schiedsgutachten im Gebiet der Schadensversicherung vertreten wird
(HÖNGER/SÜSSKIND, Basler Kommentar, N. 17 zu Art. 67 VVG).

    Diese Meinung, der sich auch die beiden kantonalen Gerichte
angeschlossen haben, orientiert sich weitgehend an der deutschen Lehre
und Rechtsprechung zu § 64 Abs. 1 des deutschen VVG bzw. § 319 BGB. Danach
gelten Bewertungsgutachten als offenbar unrichtig bzw. unbillig, wenn sie
um mehr als 25% von dem auf objektiver Grundlage ermittelten Wert abweichen
(STEIN/JONAS/SCHLOSSER, aaO, Rz. 24 vor § 1025; STAUDINGER/RIEBLE,
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2001, Rz. 14 zu §
319; RÖMER/LANGHEID, Versicherungsvertragsgesetz VVG, 2. Aufl., München
2003, Rz. 16 ff. zu § 64).

    Massgebend ist nicht der Vergleich des Schiedsgutachtens mit
einem anderen Gutachten zum gleichen Thema, sondern der Vergleich des
Schiedsgutachtens mit dem objektiv ermittelten Sachverhalt. Das kommt
bei HÖNGER/SÜSSKIND (aaO, N. 17 zu Art. 67 VVG) deutlich zum Ausdruck,
während die Äusserungen der in der Berufungsschrift ebenfalls zitierten
ROELLI/JAEGER (Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den
Versicherungsvertrag vom 2. April 1908, 2. Bd., Bern 1932) weniger
eindeutig zu sein scheinen. Diese Autoren schliessen sich einerseits der
damaligen deutschen Rechtsprechung an (N. 44 und 45 zu Art. 67 VVG),
führen dagegen an anderer Stelle aus, der Vergleich mit dem Gutachten
des gerichtlichen Sachverständigen könne unter bestimmten Umständen
von Bedeutung sein (N. 46 zu Art. 67 VVG). Einleitend halten sie
indessen in dieser Note fest, dass die Anfechtung des Schiedsgutachtens
ausgeschlossen sein muss, wenn beim Richter nur Zweifel in die Richtigkeit
des Gutachtens hervorgerufen werden können, nicht aber die Überzeugung,
dass ein offenkundiger grober Irrtum begangen worden ist. Das werde meist
dann der Fall sein, wenn eine genaue Feststellung des Schadens überhaupt
nicht mehr möglich ist und die Experten nur nach freiem Ermessen schätzen
mussten. Dann genüge zur Anfechtung also nicht die Tatsache, dass die
gerichtlich ernannten Sachverständigen zu einer anderen Schätzung
gelangen, es wäre denn, dass eine so grosse Differenz zwischen den
beiden Schätzungen bestünde, dass daraus auf einen groben Verstoss der
Schiedsmänner geschlossen werden müsste.

    Festzuhalten ist somit, dass die Äusserungen von ROELLI/JAEGER
in N. 46 zu Art. 67 VVG für den vorliegenden Fall nicht einschlägig
sind, weil sie sich auf einen Sachverhalt beziehen - die Schätzung von
Sachschaden -, der hier nicht vorliegt. Im Übrigen erschöpfen sich die
Äusserungen dieser Autoren genau besehen im Hinweis darauf, dass ein
Vergleich zwischen Schiedsgutachten und gerichtlichem Gutachten ein Indiz
für allfällige grobe Fehler des Schiedsgutachters in tatsächlicher oder
rechtlicher Hinsicht bilden kann. Diese Erkenntnis hat das Obergericht
aber berücksichtigt, indem es die beiden Gutachten miteinander verglichen
und zu den Abweichungen, die vor allem hinsichtlich der Bewertung
der Liegenschaften bestehen, Stellung genommen hat. Das Obergericht
ist jedoch zum Ergebnis gekommen, dass der Schiedsgutachterin keine
gravierenden Fehler unterlaufen sind. Soweit es bei der Prüfung des
Schiedsgutachtens tatsächliche Feststellungen getroffen hat, sind diese für
das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG). Die mit der Berufung
gegen diese Feststellungen oder die Beweiswürdigung des Obergerichts
erhobene, allgemein gehaltene Kritik ist nicht zu hören.

    2.3  Unbegründet ist sodann der Vorwurf des Beklagten, das
Obergericht hätte die Aktienwertberechnung der Schiedsgutachterin
nicht "einzelpositionsweise" mit jener des gerichtlichen Experten
vergleichen dürfen. Wie bereits festgehalten wurde, hatte das
Obergericht zu beurteilen, wie weit die Feststellungen und Schätzungen der
Schiedsgutachterin mit dem objektiv ermittelten Sachverhalt übereinstimmen
bzw. davon abweichen. Dabei ist es richtigerweise so vorgegangen, dass
es die einzelnen streitigen Positionen unter Auseinandersetzung mit den
Parteivorbringen mit jenen im gerichtlichen Gutachten verglichen und dessen
Ergebnisse teilweise korrigiert hat. Dieses Vorgehen ist vom Bundesrecht
her nicht zu beanstanden.

    2.4  Entgegen der Rüge des Beklagten trifft nicht zu, dass das
Obergericht zur Bestimmung der prozentualen Abweichung nicht auf die
Gesamtergebnisse der beiden Gutachten abgestellt hat. Den Berechnungen des
Beklagten, der zu einer Abweichung von 26.1% gelangt, liegt die bereits
widerlegte Meinung zu Grunde, dass das Obergericht nicht berechtigt
war, die Schätzungen des gerichtlichen Gutachters zu korrigieren. Unter
Berücksichtigung dieser Korrekturen ist das Obergericht indessen zum
Ergebnis gekommen, dass der massgebend Eigenkapitalwert Fr. 3'253'607.-
bzw. Fr. 4'027'137.- betrage und damit eine Abweichung von 15.35% bzw. von
rund 5% vom Gesamtergebnis des Schiedsgutachtens bestehe. Damit bewegt
sich die Abweichung in einer Bandbreite, die nach der bereits zitierten
Lehre und Rechtsprechung nicht ausreicht, um das Schiedsgutachten als
offensichtlich falsch zu betrachten. Für das Obergericht bestand unter
diesen Umständen kein Anlass, ein weiteres gerichtliches Gutachten
einzuholen. Es hat den entsprechenden Antrag des Beklagten abgewiesen,
ohne den sich aus Art. 8 ZGB ergebenden bundesrechtlichen Beweisanspruch
zu verletzen. Die diesbezügliche Rüge des Beklagten erweist sich als
unbegründet.

Erwägung 3

    3.  Das Obergericht hat dem Kläger Verzugszins von 5% seit 4. Februar
1993 zugesprochen. Der Beklagte rügt eine Verletzung von Art. 82, Art. 102
Abs. 1 und Art. 184 Abs. 2 OR mit der Begründung, die Kaufpreisschuld
sei in jenem Zeitpunkt mangels rechtsgültiger Mahnung nicht fällig gewesen.

    3.1  Der Schuldner einer Geldschuld hat, soweit nichts anderes
vereinbart worden ist, von Gesetzes wegen Verzugszins zu zahlen, sobald er
mit der Zahlung der Schuld in Verzug gerät (Art. 104 Abs. 1 OR). Dieser
Regelung liegt die Fiktion zugrunde, dass der verzugsbelastete Schuldner
bis zur Erfüllung weiterhin über den Geldbetrag verfügen kann und der
Gläubiger dadurch eine entsprechende Vermögenseinbusse erleidet. Es bedarf
weder eines Schadensnachweises durch den Gläubiger noch eines Verschuldens
des Schuldners, weshalb dieser auch dann Verzugszins zahlen muss, wenn er
im Zeitpunkt des Verzugseintritts von seiner Zahlungspflicht oder deren
Höhe keine Kenntnis hatte (WIEGAND, Basler Kommentar, Obligationenrecht
I, 2. Aufl., N. 1 zu Art. 104 OR mit Zitaten; WEBER, Berner Kommentar,
N. 7 und 34 ff. zu Art. 104 OR; BGE 83 II 427 E. 2e S. 442; 123 III 241
E. 4b S. 245).

    3.2  Die Verzugszinspflicht setzt einerseits die Fälligkeit der
Forderung und andererseits die Inverzugsetzung des Schuldners voraus.

    3.2.1  Fälligkeit bedeutet, dass der Gläubiger die Leistung fordern
kann und der Schuldner erfüllen muss. Der Zeitpunkt der Fälligkeit wird
in erster Linie durch die von den Parteien getroffene Vereinbarung
bestimmt. Fehlt eine solche, gilt gemäss Art. 75 OR die Vermutung
der sofortigen Fälligkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BUCHER,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, 2.
Aufl., Zürich 1988, S. 305).

    Für den Kaufvertrag bestimmt Art. 213 Abs. 1 OR, dass der Kaufpreis mit
dem Übergang des Kaufgegenstandes in den Besitz des Käufers fällig wird,
falls kein anderer Zeitpunkt vereinbart ist. Diese Bestimmung ist richtig
ausgelegt als Bestätigung des Grundsatzes zu verstehen, dass Verkäufer
und Käufer ihre Leistungen gleichzeitig - Zug um Zug - zu erfüllen haben
(Art. 184 Abs. 2 OR; CAVIN, Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, Basel
1977, S. 18). Der Verkäufer ist somit nicht zur Vorleistung verpflichtet,
um die Fälligkeit des Kaufpreises zu bewirken. Es genügt, wenn er seine
Leistung anbietet (ALFRED KOLLER, Basler Kommentar, Obligationenrecht I,
2. Aufl., Basel 1996, N. 1 zu Art. 213 OR). Daraus ergibt sich, dass das
Obergericht entgegen der Rüge des Beklagten weder Art. 82 noch Art. 184
Abs. 2 OR verletzt hat, indem es entschied, dass der Kläger die Aktien
nicht hinterlegen musste, um den Beklagten in Verzug zu setzen. Es
genügte, dass der Kläger jederzeit über die Aktien verfügen konnte und
er die Möglichkeit hatte, sie dem Beklagten Zug um Zug gegen Zahlung des
Kaufpreises auszuhändigen. Was der Kläger in diesem Zusammenhang gegen das
angefochtene Urteil einwendet, beruht auf einer Verkennung des Begriffs
des Leistungsangebots und ist nicht zu hören.

    3.2.2  Die Mahnung ist eine an den Schuldner gerichtete Erklärung
des Gläubigers, die zum Ausdruck bringt, dass er die Leistung ohne
Säumnis verlangt (WEBER, Berner Kommentar, N. 63 zu Art. 102 OR; LARENZ,
Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München
1987, S. 345). Mit der Mahnung muss die zu erbringende Leistung so
genau bezeichnet werden, dass der Schuldner erkennt, was der Gläubiger
fordern will. Geht es um eine Geldforderung, ist deren Höhe in der Regel
zu beziffern. Auf eine Bezifferung in der Mahnung selbst kann jedoch
zum Beispiel verzichtet werden, wenn damit auf eine früher zugestellte,
den Geldbetrag enthaltende Rechnung verwiesen wird.

    Zu Recht wird sodann in der Lehre die Meinung vertreten, dass
eine Bezifferung nicht erforderlich ist, wenn sie im Zeitpunkt der
Fälligkeit der Forderung nicht möglich ist, weil deren genaue Höhe noch
nicht feststeht (WEBER, Berner Kommentar, N. 71 zu Art. 102 OR). Diese
Meinung findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass jede fällige
Geldforderung mahnbar sein muss, damit der Gläubiger die Verzugsfolgen
auslösen kann. In der Praxis des Bundesgerichts finden sich denn auch
Beispiele, wo Mahnungen als wirksam betrachtet wurden, obwohl die
genaue Höhe des geforderten Geldbetrags den Parteien im Zeitpunkt der
Mahnung nicht bekannt bzw. das Bestehen der Forderung ungewiss war (so
BGE 83 II 427 E. 2b für die Forderung des Vermächtnisnehmers gegen den
Testamentserben und BGE 120 II 259 E. 4 S. 265 für die Forderung auf
Erstattung des wirklichen Werts von Aktien gemäss Art. 686 Abs. 4 aOR;
ebenso Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Oktober 1964,
publ. in: ZR 1965 Nr. 147, E. VIII).

Erwägung 4

    4.  Die Vorinstanz hat die Klausel unter Ziffer 11 des
Schenkungsvertrages vom 22. Dezember 1983 rechtlich als Kaufvertrag
qualifiziert. Bei der rechtlichen Beurteilung dieser Klausel ist
indessen zu berücksichtigen, dass es sich um eine atypische Form des
Kaufvertrags handelt. Dabei spielt zunächst eine Rolle, dass er Teil eines
gemischten Vertrages ist, der neben verschiedenartigen aktienrechtlichen
Regelungen Elemente eines Schenkungsvertrages mit Erbrechtsbezug und eines
Kaufrechtsvertrags sowie eines Leibrentenvertrags und eines weiteren
Kaufvertrags (Grundstück in H.) umfasst. Der auf die Aktien bezügliche
kaufrechtliche Teil der Vereinbarung ist rudimentär geregelt und deshalb
ergänzungsbedürftig, wie sich im Folgenden zeigen wird. Dazu kommt, dass
er an eine Bedingung geknüpft und der Kaufpreis als wichtiges Essentiale
nicht ziffernmässig bestimmt, sondern lediglich bestimmbar ist, wobei er
zunächst von den Parteien berechnet bzw. ausgehandelt werden soll und beim
Scheitern einer Einigung in einer zweiten Phase von der Revisionsstelle
als Schiedsgutachterin zu bestimmen ist.

    4.1  Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass aus
dem Wortlaut von Ziffer 11 des Schenkungsvertrags vom 22. Dezember
1983 abgeleitet werden kann, die vertragschliessenden Parteien hätten
vereinbart, dass die gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag
mit dem Eintritt der Suspensivbedingung, d.h. mit dem Ausscheiden des
Verkäufers aus der J.R. AG fällig werden sollten. Die Vertragsparteien
haben sich somit insoweit an die subsidiär geltende gesetzliche
Regel von Art. 75 OR gehalten. Art. 213 Abs. 1 OR steht dem nicht
entgegen. Zum einen regelt diese Vorschrift gemäss richtiger Auslegung
nicht die Fälligkeit, sondern den Erfüllungsmodus (vgl. oben E. 3.2.1).
Zum andern setzt sie lediglich eine gesetzliche Regel fest, von der
durch Vertragsvereinbarung abgewichen werden kann. Schliesslich ist
festzuhalten, dass der vom Beklagten angerufene Art. 184 Abs. 2 OR
ebenfalls den Erfüllungsmodus betrifft, wobei aber auch hier gemäss dem
Wortlaut der Vorschrift vertraglich eine andere Reihenfolge der Erfüllung
bestimmt werden kann. Die vom Beklagten erhobene Rüge einer Verletzung
von Art. 184 Abs. 2 OR erweist sich damit als unbegründet.

    4.2  Ziffer 11 des Schenkungsvertrages vom 22. Dezember 1983
ist insofern lückenhaft, als das Prozedere für die Berechnung des
Kaufpreises und insbesondere die Frage nicht geregelt wird, welche Partei
die Berechnung, wie sie in Ziffer 4 exemplifiziert ist, vorzunehmen
und der anderen Partei zu unterbreiten hat. Dass in diesem Punkt eine
ausfüllungsbedürftige Vertragslücke besteht, war denn auch den Parteien
selbst bewusst, sind sie doch übereinstimmend davon ausgegangen, dass
der in der J.R. AG verbleibende Beklagte, der im Gegensatz zum Kläger
direkten Zugriff auf die nötigen Daten hatte, die Berechnung durchzuführen
und dem Kläger zur Stellungnahme zuzustellen hatte.

    Auf diesem Hintergrund ist das Schreiben des Rechtsanwalts des Klägers
vom 3. Februar 1993 und die schriftliche Antwort des Rechtsanwalts des
Beklagten vom 17. Februar 1993 zu würdigen. Im Brief vom 3. Februar 1993
wird namentlich festgehalten, dass der Beklagte zur Übernahme der Aktien
des Klägers verpflichtet und die Festsetzung des Preises in Ziffer 9 des
Schenkungsvertrages eindeutig geordnet sei. Es wird sodann ausgeführt,
der Beklagte und sein Anwalt seien wiederholt auf die Aktienübernahme
aufmerksam gemacht worden, und festgestellt, dass sich der Beklagte
der Nichterfüllung des Schenkungsvertrages schuldig mache; der Beklagte
werde ausdrücklich in Verzug gesetzt, wobei zum Übernahmepreis ein Zins
geschuldet sei. Schliesslich wird der Beklagte aufgefordert, bis zum 27.
Februar 1993 eine Offerte für die Übernahme der Aktien zu unterbreiten.

    Dieses Schreiben erfüllt die Anforderungen an eine Mahnung, die
zur Inverzugsetzung des Schuldners geeignet ist. Damit wird deutlich
zum Ausdruck gebracht, dass der Beklagte seine Verpflichtungen aus
dem Kaufvertrag erfüllen soll, wobei dazu nicht nur die Zahlung des
Kaufpreises, sondern als Vorbereitungshandlung die Berechnung gemäss der
exemplifizierten Methode und die Unterbreitung einer Offerte gehörten. Eine
Bezifferung des Kaufpreises war nicht erforderlich, weil die genaue Höhe
für beide Parteien noch ungewiss war. Im Antwortschreiben vom 17. Februar
1993 erhob der Anwalt des Beklagten denn auch keine Einwände, sondern kam
vielmehr der Aufforderung des Klägers nach und unterbreitete diesem eine
Offerte für die Übernahme der Aktien.

    Die Rüge des Beklagten, die Vorinstanz habe Art. 102 Abs. 1 OR
verletzt, erweist sich damit als unbegründet.