Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 422



129 III 422

71. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. und B. gegen Bank
X. (Berufung)

    4C.363/2001 vom 7. Juli 2003

Regeste

    Art. 62 Abs. 1 und Art. 423 OR; Eingriffskondiktion und
Geschäftsanmassung.

    Der Eigentümer, dessen Sache von einem dazu nicht Berechtigten
vermietet wird, erleidet einen Eingriff in seine absolute
Rechtsstellung. Er kann gegenüber dem Vermieter Ansprüche aus
ungerechtfertigter Bereicherung oder aus unechter Geschäftsführung ohne
Auftrag (Geschäftsanmassung) geltend machen, unabhängig davon, ob es
zwischen ihm und dem Vermieter zu einer unmittelbaren Vermögensverschiebung
gekommen ist (E. 4).

Sachverhalt

    A.- A. (Kläger 1) schloss mit der Bank X. (Beklagte) am 25. Februar
1992 und am 23. Juni/14. Juli 1992 mehrere Kreditverträge. Als Pfand für
die Forderungen der Beklagten aus drei eingegangenen Kontobeziehungen
haftet ein Schuldbrief über Fr. 500'000.-, lastend auf der Liegenschaft
Y. im Eigentum von B. (Klägerin 2), der Ehefrau des Klägers 1. Nachdem
der Kläger 1 seinen Zahlungspflichten nicht nachgekommen war, stellte
die Beklagte die im Schuldbrief verurkundete Forderung per 15. Juni
1995 fällig und leitete Betreibung auf Grundpfandverwertung ein. Die
Betriebenen erhoben Rechtsvorschlag. Am 19. Januar 1999 erteilte der
Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirks Meilen der Beklagten
für den Betrag von Fr. 500'000.- provisorische Rechtsöffnung.

    B.- Die von den Klägern am 15. März 1999 erhobene Aberkennungsklage
wies das Bezirksgericht Meilen am 4. Mai 2000 ab. Auf kantonalrechtliche
Berufung der Kläger hin nahm das Obergericht mit Beschluss vom 2. Oktober
2001 davon Vormerk, dass der Entscheid des Bezirksgerichts im Umfang
von Fr. 125'000.- nicht angefochten und insofern rechtskräftig geworden
sei. Im verbleibenden Umfang wies es die Klage mit Urteil vom gleichen
Tag ab. Eine dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Kläger wies
das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 30. Oktober 2002 ab, soweit
es darauf eintrat.

    C.- Gleichzeitig mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde erhoben die
Kläger eidgenössische Berufung mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts
vom 2. Oktober 2001 aufzuheben und die Forderung der Beklagten im Umfang
von Fr. 400'000.- abzuerkennen. Die Beklagte beantragt die Abweisung
der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.  Die Kläger stellen der Forderung der Beklagten eine Forderung
der Klägerin 2 zur Verrechnung gegenüber, welche diese an den Kläger
1 abgetreten hat. Zur Begründung ihres Anspruchs machen sie geltend,
die Klägerin 2 sei im Jahre 1992 Alleineigentümerin des Inventars
des Restaurants "Z." in der Liegenschaft S. geworden. Im selben Jahr
sei das Restaurant von den damaligen Eigentümerinnen der Liegenschaft
einschliesslich des Gross- und Kleininventars zu einem einheitlichen
Mietzins an C. bzw. die D. AG (im Folgenden: Pächter) vermietet
worden. Im Jahre 1993 habe die Beklagte die Liegenschaft im Rahmen
einer Zwangsversteigerung gekauft. Der Mietvertrag betreffend das
Restaurant sei im Rahmen der Liegenschaftsversteigerung auf die Beklagte
übergegangen. Diese habe sich in der Folge unrechtmässig als Vermieterin
des Inventars ausgegeben und den vollen Mietzins gemäss den Verträgen
entgegengenommen, obwohl sie darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass
das Inventar nach wie vor der Klägerin 2 gehöre. Damit habe sie sich
unrechtmässig bereichert.

    Die Vorinstanz liess offen, wie es sich mit diesen tatsächlichen
Behauptungen verhält, da der Klägerin 2 rechtlich auch keine Forderung
gegen die Beklagte zustünde, wenn vom behaupteten Sachverhalt ausgegangen
werde. So begründete es auch dann keinen Anspruch der Klägerin 2
gegen die Beklagte, wenn das Inventar in ihrem Eigentum stünde und der
Betreiber des Restaurants für die Benutzung des Inventars Zahlungen
an die Beklagte geleistet hätte. Zwar seien Bereicherungsansprüche
des Eigentümers nach Art. 62 Abs. 1 OR gegen den unberechtigten Nutzer
denkbar. Die Grundeigentümerin und Verpächterin (also die Beklagte) wäre
allerdings höchstens mittelbar in diese Rechtsbeziehung einbezogen. Falls
ihr das Inventar nicht gehörte, fehlten Zahlungen an sie die innere
Rechtfertigung. Dies heisse aber keineswegs, dass sie sich damit zu Lasten
der Klägerin 2 bereichert hätte. Deren Anspruch auf Nutzungs-Entschädigung
richtete sich (nur) gegen den Pächter; falls dieser zu Unrecht unter
dem Titel Nutzung etwas an die Grundeigentümerin zahlte, täte er dies
auf eigenes Risiko. Der Klägerin 2 stünde daher nur gegen ihn eine
Bereicherungsforderung zu, nicht gegen die Beklagte.

    Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz verkennt, dass die
Beklagte - die Wahrheit der klägerischen Behauptungen hinsichtlich
des Eigentums am Mobiliar vorausgesetzt - unmittelbar in die absolute
Rechtsstellung der Klägerin 2 eingriff, indem sie das Mobiliar vermietete,
ohne dazu berechtigt zu sein. Sofern die Beklagte - der klägerischen
Darstellung gemäss - bösgläubig im eigenen Interesse handelte, also
das Mobiliar im Wissen um die Eigentümerstellung der Klägerin 2 an den
Pächter vermietete, kann die Klägerin 2 ihren Anspruch auf die Regeln
über die Geschäftsanmassung (Art. 423 OR) stützen (BGE 126 III 69
E. 2a; dazu u.a.: SCHMID, Gewinnherausgabe bei unerlaubter Untermiete,
recht 4/2000 S. 205 ff.; WIEGAND, ZBJV 138/2002 S. 342 ff.; CHAPPUIS,
Gestion d'affaires imparfaite: du nouveau, SZW 2000 S. 201 ff.). Danach
hat derjenige, der in eine fremde Rechtssphäre eingreift und damit
Gewinn erzielt, dem Geschäftsherrn bzw. dem Rechtsträger den zu Unrecht
erzielten Gewinn und allenfalls darüber hinaus Schadenersatz zu leisten
(vgl. dazu BGE 126 III 69 E. 2 S. 72 f.; zu den Rechtsfolgen: SCHMID,
Zürcher Kommentar, N. 94 ff. und 144 zu Art. 423 OR). Der Klägerin
2 kann aber auch dann ein Anspruch gegen die Beklagte zustehen, wenn
diese das Mobiliar gutgläubig (Art. 3 ZGB) im eigenen Interesse an den
Pächter vermietet hat. Insoweit kann sie die von der Beklagten durch die
unberechtigte Vermietung des Inventars erworbene Bereicherung unabhängig
von einem Verschulden mit einer Eingriffskondiktion herausverlangen,
also einen Bereicherungsanspruch im Sinne von Art. 62 Abs. 1 OR geltend
machen (SCHMID, Kommentar, aaO, N. 179 zu Art. 423 OR; SCHLUEP, Über
Eingriffskondiktionen, in: Fritz Sturm [Hrsg.], Mélanges Paul Piotet, Bern
1990, S. 173 ff.; SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, 2. Aufl., Bern 2000, Rz. 57.01 ff.; VON TUHR/PETER, Allgemeiner
Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, 3. Aufl., Zürich
1979, S. 494 ff., Ziff. VIII). Weder die Ansprüche aus Geschäftsanmassung
noch diejenigen aus ungerechtfertigter Bereicherung setzen voraus, dass
zwischen dem Bereicherungsgläubiger und dem Bereicherungsschuldner eine
unmittelbare Vermögensverschiebung stattgefunden hat; auszugleichen ist
vielmehr in jedem Fall die Bereicherung, die der Schuldner auf Kosten
(im französischen Gesetzestext von Art. 62 Abs. 1 OR: "aux dépens
d'autrui") eines andern erlangt hat (HUWYLER, Zur Anspruchsgrundlage
der Obligation aus ungerechtfertigter Bereicherung im Schweizerischen
Obligationenrecht, in: Vogt/Zobl [Hrsg.], Festschrift für Hermann Schulin,
Basel 2002, S. 41 ff., insbes. S. 66 f.; zur Frage des Erfordernisses einer
Vermögensverschiebung namentlich auch CHAPPUIS, aaO, S. 204; SCHWENZER,
aaO, Rz. 55.09 und 57.10 mit weiteren Hinweisen).

    Die Vorinstanz hat demnach Bundesrecht verletzt, indem sie
einen Anspruch der Kläger auf der Grundlage des von ihnen behaupteten
Sachverhalts verneinte und sie auf mögliche Ansprüche gegen den Pächter
verwies. Die Berufung ist insoweit gutzuheissen und das angefochtene
Urteil aufzuheben. Dem angefochtenen Urteil sind zu entscheiderheblichen
strittigen Fragen keine tatsächlichen Feststellungen zu entnehmen,
namentlich darüber, ob die Klägerin 2 Eigentümerin des Mobiliars des
Restaurants "Z." ist, ob und allenfalls in welcher Höhe die Beklagte als
Erwerberin der Liegenschaft S. für die Überlassung des Mobiliars an den
Pächter Mietzins einkassiert hat und ob sie gegebenenfalls gutgläubig
gehandelt oder sich eine Vermieterstellung bösgläubig angemasst hat. Die
Sache ist daher zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 OG).