Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 410



129 III 410

68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. SA gegen
A. (Berufung)

    4C.358/2002 vom 14. März 2003

Regeste

    Haftung bei Zivilschutzmassnahmen (Art. 58 ZSG); Haltereigenschaft
bei Luftfahrzeugen (Art. 64 LFG).

    Für Drittschäden, die von Zivilschutzmassnahmen herrühren, haftet das
Gemeinwesen kausal (Art. 58 Abs. 1 und 3 ZSG). Art. 58 Abs. 6 ZSG, der
andere Haftpflichtbestimmungen vorbehält, ändert an dieser Haftungsordnung
nichts (E. 3).

    Die Haltereigenschaft im Sinne von Art. 64 LFG beurteilt sich nach den
für die Motorfahrzeughaftpflicht erarbeiteten Kriterien. Bei requirierten
Fahrzeugen geht die Haltereigenschaft auf das Gemeinwesen über (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Der Staatsrat des Kantons Wallis requirierte mit Verfügung
vom 24. Februar 1999 Helikopter dortiger Fluggesellschaften, um
auf die drohenden Lawinenkatastrophen vorbereitet zu sein. Die
Einsatzzentrale befand sich auf dem Militärflugplatz Z., wobei das
Kommando der Territorialbrigade V übertragen wurde. Die Ausführung des
Staatsratsbeschlusses wurde der kantonalen Katastrophenzelle (KAZE)
übertragen.

    Die X. SA (Beklagte), eine im Fluggewerbe tätige Aktiengesellschaft,
wurde vom zuständigen Offizier der Territorialbrigade V, angewiesen,
am 28. Februar 1999 von 10h00 bis circa 14h30 einen Helikopter zur
Erkundung der Lawinencouloirs bereitzustellen. Ein Angestellter der
Beklagten pilotierte den Helikopter, während B. und C., Dienstchef
bzw. Sektionschef bei der kantonalen Dienststelle für Strassen- und
Flussbau, die Rekognoszierung durchführten.

    Um circa 15h06 kollidierte der Helikopter mit den Seilen einer
Seilbahn und stürzte ab. Die Seilbahn, die A. (Kläger) gehört und zu
einem von diesem ausgebeuteten Steinbruch führt, wurde durch die Kollision
beschädigt und konnte bis zur Ausführung der Reparaturarbeiten nicht mehr
benutzt werden.

    B.- Am 9. Februar 2001 beantragte der Kläger dem Bezirksgericht Visp,
die Beklagte zur Zahlung von Fr. 311'317.- zu verurteilen. Am 19. Februar
2002 überwies das Bezirksgericht die Akten dem Kantonsgericht des Kantons
Wallis zur Ausfällung eines Vorurteils über die Passivlegitimation der
Beklagten. Mit Urteil vom 15. Oktober 2002 stellte das Kantonsgericht
fest, dass die Beklagte dem Kläger für den durch den Helikopterunfall
verursachten Schaden haftet.

    C.- Die Beklagte ficht das Urteil des Kantonsgerichts sowohl mit
staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit Berufung an. Mit Berufung
beantragt sie, das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen,
dass die Beklagte nicht passivlegitimiert ist. Der Kläger schliesst auf
Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Die Vorinstanz ist der Auffassung, die Beklagte sei gestützt auf
das Bundesgesetz über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 (Luftfahrtgesetz,
LFG; SR 748.0) für die dem Kläger entstandenen Schäden haftpflichtig. Die
Beklagte macht geltend, dass zur Beurteilung der Haftungsfrage nicht das
Luftfahrtgesetz, sondern das auf das Bundesgesetz über den Zivilschutz
vom 17. Juni 1994 (Zivilschutzgesetz, ZSG; SR 520.1) und die Verordnung
über die Requisition vom 9. Dezember 1996 (SR 519.7; nachfolgend: ReqV)
gestützte kantonale Recht massgebend sei. Die Requisitionsverfügung des
Walliser Staatsrats basiere auf Art. 15 des Gesetzes über die Organisation
im Falle von Katastrophen und ausserordentlichen Lagen vom 2. Oktober 1991
(Systematische Gesetzessammlung des Kantons Wallis, SGS 501.1). Nach
dessen Abs. 3 hafte für Schäden an Rechtsgütern von Drittpersonen im
Falle einer Requisition anstelle des Eigentümers oder des Halters das
requirierende Gemeinwesen.

    3.2  Im vorliegenden Fall handelte es sich bei der Requisition
des Helikopters um eine Massnahme des Zivilschutzes. Der Zivilschutz
bezweckt den Schutz der Bevölkerung vor den Auswirkungen von Katastrophen
und trägt zur Bewältigung solcher Ereignisse bei (Art. 2 Abs. 1 ZSG).
Er übernimmt im Auftrag der Behörden Schutz und Betreuung der Bevölkerung
im Wohn-, Arbeits- und Pflegebereich (Art. 3 lit. c ZSG) sowie Rettung
und Hilfeleistung in Zusammenarbeit mit anderen dafür vorgesehenen
Organisationen (Art. 3 lit. d ZSG).

    Die Behörden des Zivilschutzes dürfen sich durch Requisition
gegen angemessene Entschädigung bewegliche und unbewegliche Sachen
beschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen und sich
nicht auf andere Weise zu annehmbaren Bedingungen beschaffen können
(Art. 1 Abs. 1 ReqV). Als Requisitionsgüter gelten auch Luftfahrzeuge
(vgl. Art. 36 ReqV). Durch die Requisition geht das Verfügungsrecht
über das Requisitionsgut an die requirierende Instanz über (Art. 3
Abs. 2 ReqV). Öffentlichrechtliche Rechte und Pflichten sowie mit
privatrechtlichen Rechtsverhältnissen verbundene Rechte und Pflichten ruhen
während der Dauer der Requisition (Art. 3 Abs. 3 ReqV). Gestützt auf das
kantonale Recht dürfen die Kantone durch den Bund belegte Requisitionsgüter
requirieren, sofern das Recht des Bundes auf Requisition nicht in Kraft ist
(Art. 5 Abs. 2 ReqV). Für den Kanton Wallis ist das Recht zur Requisition
in Art. 15 des Gesetzes über die Organisation im Falle von Katastrophen
und ausserordentlichen Lagen geregelt.

    Die Frage der Haftung für Drittschäden, die von Zivilschutzmassnahmen
herrühren, bestimmt sich nach Art. 58 des Zivilschutzgesetzes. Nach dieser
Bestimmung haftet kraft Bundesrecht ausschliesslich das Gemeinwesen, und
zwar kausal (Art. 58 Abs. 1 und 3 ZSG). Der Mitarbeiter der Beklagten,
der den Helikopter pilotierte, handelte im Rahmen der angeordneten
Zivilschutzmassnahme. Sein Verhalten ist deshalb dem haftenden Gemeinwesen
zuzurechnen. Art. 58 Abs. 6 ZSG, der andere Haftpflichtbestimmungen
vorbehält, ändert an dieser Haftungsordnung nichts. Diese Bestimmung wurde
in Anlehnung an das Bundesgesetz vom 3. Februar 1995 über die Armee und die
Militärverwaltung (Militärgesetz, MG; SR 510.10) in das Zivilschutzgesetz
aufgenommen, um die Haftungsordnungen einander inhaltlich anzupassen
(vgl. Botschaft des Bundesrates zur Revision der Zivilschutzgesetzgebung
vom 18. August 1993, BBl 1993 III 865 f.). Die analoge Bestimmung in
Art. 135 Abs. 3 MG aber ist klar: "Bei Tatbeständen, die unter andere
Haftungsbestimmungen fallen, richtet sich die Haftung des Bundes nach
diesen Bestimmungen." Dass in Art. 58 Abs. 6 ZSG das Haftungssubjekt nicht
ebenfalls ausdrücklich erwähnt ist, hat seinen Grund offensichtlich darin,
dass es nicht in jedem Fall mit dem Bund identisch ist, sondern auch
die Kantone und Gemeinden haftpflichtig sein können (vgl. Art. 58 Abs. 1
ZSG). Nach Sinn und Zweck und systematischem Zusammenhang aber lässt sich
Art. 58 Abs. 6 ZSG nicht anders verstehen, als dass unter die vorbehaltenen
anderen Haftpflichtbestimmungen nur das jeweils haftbare Gemeinwesen fällt.

    Damit fällt die - private - Beklagte als Haftungssubjekt weg, und
ist ihre Passivlegitimation zu verneinen.

Erwägung 4

    4.  Im Übrigen wäre die Haltereigenschaft der Beklagten im Sinne von
Art. 64 des Luftfahrtgesetzes zu verneinen. Diese beurteilt sich nach den
für die Motorfahrzeughaftpflicht massgebenden Kriterien (ALFRED KELLER,
Haftpflicht im Privatrecht, Bd. I, 6. Aufl., S. 271; DESCHENAUX/TERCIER,
La responsabilité civile, 2. Aufl., S. 178). Danach aber kommt es zur
Begründung der Haltereigenschaft in erster Linie auf die Verfügungsgewalt
über das Fahrzeug an (BGE 129 III 102 E. 2.3 S. 105 f.; 117 II 609 E. 3b
S. 612; 101 II 133 E. 3 S. 136). Diese wird nicht dadurch aufgehoben,
dass der gewöhnliche Halter das Fahrzeug für kurze Zeit freiwillig einem
Dritten überlässt (BGE 70 II 179 E. 1 S. 180; 62 II 190; bestätigt in BGE
129 III 102 E. 2.3 S. 106). Wegen der fehlenden Freiwilligkeit musste
daher die fortdauernde Halterschaft bei einem Diebstahl des Fahrzeugs
ausdrücklich im Gesetz geregelt werden (vgl. Art. 75 Abs. 1 SVG).

    Die Überlassung eines requirierten Fahrzeugs erfolgt indessen
nicht freiwillig, sondern zwangsweise. Die für den kriegerischen oder
katastrophenbedingten Einsatz requirierten Fahrzeuge gefährden oftmals
Dritte in einem das normale Gefährdungspotential übersteigenden Mass. Es
wäre daher nicht sachgerecht, den früheren Halter weiterhin haften
zu lassen. Vielmehr erscheint es aus diesen Gründen gerechtfertigt,
bei rechtmässig erlangter Verfügungsgewalt des Gemeinwesens auch
die Haltereigenschaft auf das Gemeinwesen übergehen zu lassen. Die
Haltereigenschaft des requirierenden Gemeinwesens ist denn auch allgemein
anerkannt (vgl. OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, II/3,
S. 480, N. 125; REMO A. SCHÜRMANN, Die Requisition als Institut des
Völkerrechts sowie des schweizerischen Verwaltungsrechts, Diss. Zürich
1980, S. 104 unter Hinweis auf WILLY KOENIG, Schweizerisches
Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., S. 521).