Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 395



129 III 395

65. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Pensionskasse
X. und Pensionskasse Y. (Beschwerde)

    7B.65/2003 vom 26. Juni 2003

Regeste

    Retentionsverzeichnis (Art. 283 SchKG; Art. 268 OR).

    Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses gegenüber einem Schuldner,
dem die provisorische Nachlassstundung bewilligt worden ist (E. 2.2).

    Für die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses zur Sicherung von
künftigem (laufendem) Mietzins ist die Gefährdung des Retentionsrechts
auch dann darzutun, wenn der genannte Zins unmittelbar an verfallenen
Zins anschliesst, für den das gleiche Gesuch gestellt worden ist (E. 3.4).

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Mit Eingabe vom 10. Januar 2003 reichten die Pensionskasse X. und
die Pensionskasse Y. beim Betreibungsamt des Kantons Basel-Stadt für
fälligen Mietzins von Fr. 798'636.35 (für die Zeit vom 1. Januar 2003
bis zum 31. März 2003) und laufenden Mietzins von Fr. 1'251'113.30 (für
die Zeit vom 1. April 2003 bis zum 30. Juni 2003) ein gegen die Z. AG in
provisorischer Nachlassstundung gerichtetes Begehren um Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses in den gemieteten Räumen in A. ein.

    Das Betreibungsamt stellte noch am 10. Januar 2003 für den fälligen
Mietzins eine Retentionsurkunde aus und liess die Retentionsgläubigerinnen
mit Schreiben vom 13. Januar 2003 bezüglich des künftigen Zinses
wissen, dass sie die nach der Rechtsprechung erforderliche konkrete und
unmittelbare Gefahr der Wegschaffung der Gegenstände nicht glaubhaft
gemacht hätten und ihrem Begehren insofern deshalb nicht stattgegeben
werden könne.

    Die Pensionskasse X. und die Pensionskasse Y. führten bei der
Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt
Beschwerde mit dem Begehren, das Betreibungsamt anzuweisen, auch für
den Zins für die Monate April 2003 bis Juni 2003 (Fr. 1'251'113.30)
eine Retentionsurkunde aufzunehmen.

    Mit Urteil vom 20. Februar 2003 wies die kantonale Aufsichtsbehörde
die Beschwerde ab.

    Die Pensionskasse X. und die Pensionskasse Y. nahmen diesen Entscheid
am 7. März 2003 in Empfang. Mit einer vom 17. März 2003 datierten und
noch am gleichen Tag zur Post gebrachten Eingabe führen sie (rechtzeitig)
Beschwerde an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
und erneuern das im kantonalen Verfahren gestellte Begehren. (...)

Erwägung 2

    2.

    2.1  Der Vermieter von Geschäftsräumen hat ein Retentionsrecht an den
beweglichen Sachen in den vermieteten Räumen, die zu deren Einrichtung
oder Benutzung gehören (Art. 268 Abs. 1 OR). Zur einstweiligen Wahrung
dieses Rechts kann er die Hilfe des Betreibungsamtes in Anspruch nehmen
und die Aufnahme eines Verzeichnisses der vom Retentionsrecht erfassten
Gegenstände verlangen (Art. 283 Abs. 1 und 3 SchKG).

    2.2  Schon im Zeitpunkt der Einreichung des Begehrens um Aufnahme
einer Retentionsurkunde war der Z. AG (Retentionsschuldnerin) die
provisorische Nachlassstundung bewilligt worden. Diese Tatsache stand
einer allfälligen Gutheissung des Begehrens grundsätzlich jedoch
nicht entgegen: Wohl ist zu bedenken, dass die Einleitung der zur
Prosekution des Retentionsverzeichnisses erforderlichen Betreibung auf
(Fahrnis-)Pfandverwertung (Art. 283 Abs. 3 SchKG) während der Stundung
ausgeschlossen ist (Art. 297 Abs. 1 und 2 SchKG). Indessen ist nicht
bereits in der Einreichung des Betreibungsbegehrens die verpönte Einleitung
zu erblicken. Die Betreibung beginnt vielmehr erst mit der Zustellung
des Zahlungsbefehls (Art. 38 Abs. 2 SchKG). Das während hängiger
Nachlassstundung gestellte Betreibungsbegehren ist vom Betreibungsamt
zu protokollieren und gegebenenfalls nach dem Wegfall der Stundung zu
vollziehen (BGE 50 III 7 S. 9; vgl. auch den Entscheid der Aufsichtsbehörde
in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Solothurn vom
26. November 1975, auszugsweise veröffentlicht in: SOG 1975 S. 22 Nr. 15
und SJZ 72/1976 S. 266 Nr. 82; FRANZ STUDER, Das Retentionsrecht in der
Zwangsvollstreckung, Diss. Zürich 2000, S. 170 f. Rz. 417).

Erwägung 3

    3.

    3.1  Das Retentionsrecht dient der Deckung eines verfallenen
Jahreszinses und des laufenden Halbjahreszinses (Art. 268 Abs. 1
OR). Zur Sicherung des laufenden, noch nicht fälligen Zinses darf das
Retentionsverzeichnis allerdings nur aufgenommen werden, wenn der Vermieter
oder Verpächter eine unmittelbare Gefährdung seines Rechts, d.h. Anzeichen
dafür glaubhaft macht, dass der Mieter wegzuziehen oder die sich in
den gemieteten Räumlichkeiten befindenden Sachen fortzuschaffen gedenkt
(vgl. Art. 268b Abs. 1 OR; BGE 97 III 43 E. 2 S. 45; FRITZSCHE/WALDER,
Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II,
3. Aufl., § 63 Anm. 13; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 6. Aufl., § 34 Rz. 11; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN,
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., N. 4 zu Art. 283
SchKG).

    3.2  Unter Berufung auf BGE 97 III 43 (E. 3 S. 46) erklärt die
kantonale Aufsichtsbehörde, dass für die Abgrenzung zwischen verfallenem
und laufendem Zins auf den letzten Zinstermin vor Einreichung des
Begehrens um Aufnahme des Retentionsverzeichnisses abzustellen sei. Was
davor liege, gehöre zum verfallenen (Jahres-), was folge, zum laufenden
(Halbjahres-)Zins. Der hier massgebende Zinstermin sei der 1. Januar
2003 gewesen, so dass die Mietzinse für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis
zum 31. Dezember 2002 zu den verfallenen zu zählen seien. Da sich das
Begehren der Beschwerdeführerinnen ausschliesslich auf die Zeit nach dem
1. Januar 2003 beziehe, strebe es einzig eine Absicherung des laufenden
bzw. künftigen Halbjahreszinses an. Das Betreibungsamt habe eingeräumt,
dass es bei der Beurteilung des Retentionsgesuchs (und dessen Gutheissung
für das erste Quartal 2003) fälschlicherweise angenommen habe, es gehe
um einen Teil des verfallenen Jahreszinses. Auf Grund ihrer Darlegungen
hält die Vorinstanz weiter fest, dass die Beschwerdeführerinnen nicht
nur für das zweite Quartal 2003, sondern auch für das erste eine konkrete
unmittelbare Gefährdung des Retentionsrechts durch eine Wegschaffung der
in Frage stehenden Gegenstände hätten glaubhaft machen müssen. Indessen
habe die Beschwerdegegnerin das aufgenommene Retentionsverzeichnis nicht
beanstandet und bestehe kein Anlass, dieses von Amtes wegen aufzuheben.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde hält schliesslich dafür, dass keine
Umstände vorlägen, die im gegenwärtigen Zeitpunkt eine bevorstehende
Wegschaffung der in die Mieträume eingebrachten Gegenstände ernstlich
befürchten liessen. Derartige Hinweise könnten nicht schon darin gesehen
werden, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit Unternehmensteile der Z. AG
zum Verkauf gelangen dürften. Es sei durchaus denkbar, dass in einem
solchen Fall auch die bestehenden Mietverträge samt den ausstehenden
Verpflichtungen übernommen würden. Angesichts der vermieteten Fläche von
über 15'000 m2 sei zudem nicht vorstellbar, dass die Mieterin in grösserem
Umfang unbemerkt Gegenstände entfernen könnte. Die Beschwerdeführerinnen
könnten deshalb in einem solchen Fall zu gegebener Zeit ohne weiteres
die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses verlangen.

    3.3  Die Beschwerdeführerinnen sind der Ansicht, die Rechtsprechung
des Bundesgerichts zur Abgrenzung zwischen verfallenem und laufendem Zins
sei mit dem Wortlaut von Art. 268 Abs. 1 OR nicht vereinbar, höhle das
mietrechtliche Retentionsrecht aus und führe zu sachwidrigen Ergebnissen,
indem sie insbesondere die Unterschiede zwischen Praenumerando-
und Postnumerando-Vereinbarungen ausser Acht lasse. Als Folge ihrer
abweichenden Betrachtungsweise halten sie fest, die Periode des verfallenen
Jahreszinses erstrecke sich hier auf die Zeit vom 1. April 2002 bis zum
31. März 2003.

    Diese Ausführungen der Beschwerdeführerinnen stossen insofern von
vornherein ins Leere, als das Betreibungsamt zur Sicherung des Mietzinses
für die Zeit bis zum 31. März 2003 (ohne Prüfung einer Gefährdung)
ein Retentionsverzeichnis aufgenommen hat und dieses auf Grund des
angefochtenen Entscheids bestehen bleibt.

    3.4  Auch die Beschwerdeführerinnen selbst gehen sodann davon aus,
dass es bezüglich des zweiten Quartals 2003 um das Retentionsrecht
für künftigen (laufenden) Mietzins geht. Sie halten unter Berufung
auf PETER HIGI (Zürcher Kommentar, N. 78 zu Art. 268-268b OR) und auf
ANTON K. SCHNYDER/M. ANDREAS WIEDE (Kommentar zum SchKG, Basel 1998,
N. 53 f. zu Art. 283 SchKG) indessen dafür, sie hätten für die Aufnahme
eines Retentionsverzeichnisses zur Sicherung dieses Zinses keine besondere
Gefährdung ihres Rechts nachzuweisen, da dieser (künftige) Zins unmittelbar
an den (nach ihrer Betrachtungsweise) als verfallen zu qualifizierenden
Zins für das erste Quartal anschliesse (für den das Betreibungsamt - wenn
auch auf Grund eines Irrtums - ein Retentionsverzeichnis errichtet hat);
der Umstand, dass der Mieter mit seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen
im Rückstand sei, beweise ausreichend, dass die Einbringlichkeit der
Mietzinse auch künftig in Frage stehe.

    Diesen Vorbringen ist nicht beizupflichten: Entgegen der in der
Beschwerde vertretenen Auffassung ergibt sich aus dem darin ebenfalls
angerufenen BGE 97 III 43 ff. keineswegs, dass eine Gefährdung
"der vermieterischen Ansprüche" nur dann belegt werden müsste,
wenn die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses ausschliesslich
für künftigen Mietzins verlangt wird (vgl. BGE 97 III 43 E. 2 S. 45;
dazu auch JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO, N. 6 zu Art. 283 SchKG,
die ausdrücklich bemerken, das Betreibungsamt habe sich, unabhängig
davon, ob das Retentionsrecht für einen laufenden Mietzins allein
oder in Verbindung mit verfallenem Zins beansprucht werde, darüber
zu vergewissern, ob die in Frage stehenden Gegenstände fortgeschafft
werden wollten). Die Beschwerdeführerinnen verkennen, dass es um die
Gefährdung des Retentionsrechts, d.h. darum geht, ob die Wegschaffung
der haftenden Gegenstände droht (vgl. Art. 268b Abs. 1 OR; BGE 97 III
43 E. 2 S. 45), und nicht um die Gefahr für die Einbringlichkeit der
(künftigen) Mietzinsansprüche. Ihre Vorbringen zur Zahlungsfähigkeit
und zum Zahlungswillen der Beschwerdegegnerin stossen deshalb ins Leere.

    Unbehelflich sind die Ausführungen der Beschwerdeführerinnen
schliesslich auch insoweit, als der Verneinung der erforderlichen
Gefährdung durch die Vorinstanz der Umstand entgegenhalten wird,
dass der Beschwerdegegnerin eine (provisorische) Nachlassstundung
bewilligt wurde. Es ist zu bemerken, dass die Geschäftstätigkeit
des Nachlassschuldners unter der Aufsicht des Sachwalters steht
(Art. 298 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 293 Abs. 4 SchKG) und die
als Retentionsobjekte in Frage kommenden Gegenstände somit nicht ohne
weiteres verkauft werden können und dass der Sachwalter für die Wahrung
der Interessen der Retentionsberechtigten zu sorgen hat (dazu BGE 50 III
7 S. 10).