Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 320



129 III 320

53. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Stadt Zürich gegen
ABZ Recycling AG (Berufung)

    4C.352/2002 vom 21. Februar 2003

Regeste

    Vertragsrechtliche Auswirkungen einer Beamtenbestechung.

    Verträge, die durch Schmiergelder bewirkt werden, haben nicht ohne
weiteres einen rechts- oder sittenwidrigen Inhalt (Bestätigung der
Rechtsprechung). Der durch Bestechung eines Beamten bewirkte Vertrag
fällt nur dann unter die Verbotsnormen von Art. 19 und 20 OR, wenn das
strafbare Verhalten sich auf den Vertragsinhalt erstreckt (E. 5.2).

    Zustandekommen des Vertrages trotz Korruption (E. 6.2)?
Unverbindlichkeit des Vertrages wegen absichtlicher Täuschung (E. 6.3)?

    Folgen der Vertragsanfechtung wegen eines Willensmangels.

    Grundsatz: Dahinfallen des Vertrages ex tunc (E. 7.1.1).  Bei ganz
oder teilweise abgewickelten Dauerschuldverhältnissen: Kündigung ex
nunc (E. 7.1.2); Vorbehalt (E. 7.1.4). Unterschied zum faktischen
Vertragsverhältnis (E. 7.1.3). Vergütung der erbrachten Leistungen
(E. 7.2) und Schadenersatz (E. 7.3).

Sachverhalt

    A.- Die ABZ Recycling AG (Klägerin) befasst sich mit der Entsorgung
von Klärschlamm. In einem Fünfjahresvertrag mit der Stadt Zürich (Beklagte)
verpflichtete sie sich, dieser ab 1. Januar 1990 entwässerten Klärschlamm
abzunehmen, nach Orange (Frankreich) zu transportieren und dort zu Kompost
verarbeiten zu lassen. Die Beklagte ihrerseits verpflichtete sich zur
Lieferung einer jährlichen Mindestmenge von 6'000 Tonnen Klärschlamm
und zur Leistung eines Entgelts von Fr. 387.30 pro entsorgte Tonne
(nachfolgend Klärschlammvertrag).

    Im Rahmen eines Strafverfahrens (so genannte "Zürcher
Klärschlammaffäre") erhärtete sich der Verdacht, dass die Klägerin
einem Beamten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Klärschlammvertrag
Fr. 200'000.- bis Fr. 300'000.- hatte zukommen lassen. Dies veranlasste
die Beklagte im Jahre 1993 zur Anfechtung des Vertrags, worauf sie die
Klägerin nicht mehr mit Klärschlamm belieferte und sich weigerte, deren
Rechnungen über bereits nach Orange transportierten und dort verwerteten
Klärschlamm zu begleichen.

    B.- Mit Klage vom 5. Juli 1993 belangte die Klägerin die Beklagte auf
rund Fr. 620'000.- nebst Zins für erbrachte Leistungen sowie entgangenen
Gewinn auf der vertraglich garantierten, aber nicht gelieferten
Klärschlammmenge des Jahres 1992 und behielt sich die Geltendmachung
weiteren Schadens und einer Genugtuung vor.

    Die Beklagte widersetzte sich der Forderung und verlangte
widerklageweise die Verurteilung der Klägerin zur Herausgabe von
ungerechtfertigten Bereicherungen und zu Schadenersatz im Umfange von
insgesamt vier Millionen Franken.

    C.- Das Bezirksgericht Zürich hiess mit Urteil vom 10. September 1999
die Hauptklage im Betrage von Fr. 608'906.- und die Widerklage im Betrage
von Fr. 250'052.- gut. Nach Verrechnung der beiden auf den Urteilstermin
aufgezinsten Forderungen verurteilte es die Beklagte zur Bezahlung von
Fr. 489'940.- nebst Zins ab Urteilsdatum.

    Auf Berufung der Beklagten und Anschlussberufung der Klägerin
wies das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, mit
Urteil vom 20. November 2001 Klage und Widerklage ab. Es verneinte die
Prozessführungsbefugnis der Klägerin bezüglich der Klageforderung, weil
diese teilweise verpfändet worden war und daher nach Auffassung des
Gerichts nur mit Zustimmung der Pfandgläubigerinnen hätte eingeklagt
werden dürfen (Art. 906 Abs. 2 ZGB). Die Widerklageforderung hielt es
materiell für unbegründet.

    Das Bundesgericht, II. Zivilabteilung, hiess mit Urteil vom 30. Mai
2002 eine Berufung der Klägerin teilweise gut und wies die Streitsache zur
Neubeurteilung der Hauptklage an die Vorinstanz zurück. Es erkannte, die
Forderung habe unbesehen ihrer Verpfändung von der Klägerin im Alleingang
eingeklagt werden dürfen. Auf eine gegen die Abweisung der Widerklage
gerichtete Anschlussberufung der Beklagten trat das Bundesgericht
nicht ein.

    D.- Mit Urteil vom 17. September 2002 hiess das Obergericht die Klage
im (aufgezinsten) Betrage von Fr. 740'176.70 nebst Zins ab Urteilsdatum
der ersten Instanz teilweise gut.

    Mit Berufung vom 31. Oktober 2002 beantragte die Beklagte dem
Bundesgericht, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.

    Mit Beschluss vom 24. Oktober 2002 berichtigte das Obergericht sein
Urteil vom 17. September 2002 und hiess die Klage neu im Betrage von
Fr. 867'536.60 nebst Zins gut.

    Auch dagegen führte die Beklagte am 2. Dezember 2002 Berufung mit
den Anträgen, den Beschluss des Obergerichtes aufzuheben und die Klage
abzuweisen.

    E.- Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde gegen das obergerichtliche
Urteil vom 17. September 2002 zog die Beklagte wiederum zurück.

    Das Bundesgericht weist die beiden Berufungen ab, soweit darauf
einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.  Die Beklagte macht geltend, die Vorinstanz habe bundesrechtswidrig
die Nichtigkeit des Klärschlammvertrags verneint. Nach ihr trifft die
herrschende Auffassung, wonach zwar das Schmiergeldversprechen, nicht
aber der durch das Schmiergeld erschlichene Vertrag nichtig sei, auf
den vorliegenden Fall nicht zu, weil die Schmiergeldzahlungen an einen
Beamten als Verbrechen unter Strafe gestellt seien und die Strafbarkeit
der Bestechung (Art. 315 f. aStGB, Art. 322ter ff. StGB) zwingend auch
die Nichtigkeit des dadurch bewirkten privaten Rechtsgeschäfts zur Folge
haben müsse.

    5.1  Ob die Beklagte an dieser Rüge ein hinreichendes
Rechtsschutzinteresse hat, erscheint fraglich. Das Obergericht hat den
Klärschlammvertrag für sie zufolge Grundlagenirrtums als unverbindlich
erachtet. Sollten die daraus abgeleiteten Rechtsfolgen identisch mit
denjenigen der Feststellung einer anfänglichen Nichtigkeit sein, liefe
die Berufung auf einen blossen Streit über Entscheidungsgründe hinaus,
die für sich allein keine Beschwer bedeuten und daher die Rügen um den
Grund der Invalidierung des Vertrages unzulässig machen (BGE 121 IV 94
E. 1b; 115 II 300 E. 2b; 111 II 398 E. 2b).

    Dass Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Rechtsgeschäften
in alternativer Konkurrenz stehen können, ist seit langem bekannt
(vgl. schon THEODOR KIPP, Über Doppelwirkungen im Recht, insbesondere über
die Konkurrenz von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, in: Festschrift für
Ferdinand von Martitz, Berlin 1911, S. 211 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., Bd. I, Rz.
717). Dass zudem die Rechtsfolgen der Nichtigkeit und der durch Anfechtung
bewirkten Unverbindlichkeit eines Vertrags, namentlich beim ganz oder
teilweise abgewickelten Dauerschuldverhältnis identisch sein können,
entspricht verbreiteter Auffassung (PIERRE TERCIER, La corruption et
le droit des contrats, in: SJ 1999 S. 225 ff., 266 ff.; KRAMER, Berner
Kommentar, N. 240 ff. zu Art. 1 OR und N. 313 zu Art. 19/20 OR; derselbe,
Münch Komm, 4. Aufl., N. 68 ff. der Einleitung vor § 241 BGB; SCHMIDLIN,
Berner Kommentar, N. 184 zu Art 23/24 OR und N. 102 ff. zu Art. 31 OR;
GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, aaO, Rz. 942 ff.). Die Frage kann indessen offen
bleiben, weil die Vorinstanz die Sittenwidrigkeit des Klärschlammvertrags
bundesrechtskonform verneint hat.

    5.2  Sittlich bedenkliche Machenschaften im Vorfeld des Vertrags,
die sich nicht in dessen Inhalt niederschlagen, machen ihn nicht
sittenwidrig (KRAMER, Berner Kommentar, N. 179 zu Art. 19/20 OR;
GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, aaO, Rz. 729). Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts und der herrschenden Lehre haben daher Verträge, die durch
Schmiergelder bewirkt werden, im Gegensatz zu den Schmiergeldversprechen
als solchen keinen rechts- oder sittenwidrigen Inhalt und fallen nicht
unter die Nichtigkeitsfolgen von Art. 20 OR (BGE 119 II 380 E. 4c
mit Hinweisen; TERCIER, aaO, S. 262 f.). Auf diese Rechtsprechung
zurückzukommen besteht kein Anlass.

    Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in diesem Zusammenhang nicht
entscheidend, ob die vertragsbezogene Korruption unter Strafe gestellt
ist. Geht es wie hier um einen Tatbestand der Bestechung (Art. 288, 315
f. aStGB, Art. 322ter ff. StGB), ist geschütztes Rechtsgut der Strafnormen
das Vertrauen der Allgemeinheit in die Objektivität und Sachlichkeit
amtlicher Tätigkeit, in die Unparteilichkeit der rechtsstaatlichen
Amtsführung und Aufgabenerfüllung (Botschaft des Bundesrates vom 19. April
1999 zur Revision des Korruptionsstrafrechts, BBl 1999 S. 5497 ff.,
5505 f. und 5523). Die Strafbarkeit beschränkt sich daher nicht auf die
Vorteilsvergabe für pflichtwidriges Amtshandeln, sondern beschlägt jeden
dem Amtsträger nicht gebührenden Vorteil im Zusammenhang mit seiner -
auch pflichtgemässen - Amtsführung (Art. 316 aStGB; Art. 322quinquies
f. StGB; Botschaft, S. 5506 und 5534 ff.; CORBOZ, Les infractions en
droit suisse, Bd. II, Bern 2002, S. 700 ff.). Die bestechungsbezogene
Rechtswidrigkeit erfasst somit für sich allein den Inhalt der durch die
Vorteilsvergabe bewirkten oder belohnten Amtshandlungen nicht. Damit
fallen entsprechende Verträge wegen des strafbaren Verhaltens im
Bestechungstatbestand nur dann unter die Verbotsnormen von Art. 19 und
20 OR, wenn die Strafbarkeit sich auf den Vertragsinhalt erstreckt (vgl.
analog zu den wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeiten: KRAMER, Berner
Kommentar, N. 142 zu Art. 19/20 OR).

    Die von der Beklagten angeführte Entscheidung der Genfer Cour de
Justice Civile (publ. in: SJ 1979 S. 21 ff.) steht mit dieser Auffassung
nicht in Widerspruch. Das Gericht hatte dort die Nichtigkeit eines
durch Korruption bewirkten Vertrages mit der Begründung bejaht, die
vertragschliessende Aktiengesellschaft und der fehlbare Beamte hätten
eine wirtschaftliche Einheit gebildet, weshalb es aus dem Institut
des Durchgriffs durch die juristische Person die Korruption und deren
rechtsgeschäftlichen Folgen trotz formeller Dualität der Parteien
als einheitliches Verhalten wertete und deshalb insgesamt Nichtigkeit
annahm. Hier liegen die Verhältnisse indessen anders.

    Zu beachten ist weiter, dass die Strafbarkeit von
Schmiergeldversprechen sich nicht im Amtsbezug erschöpft, sondern
durchaus auch in rein privatrechtlichen Verhältnissen gegeben sein kann
(insbesondere als ungetreue Geschäftsbesorgung nach Art. 158 StGB;
weitere mögliche Tatbestände bei TERCIER, aaO, S. 239 f.). Ebenfalls
hier aber gilt der Grundsatz, dass die Korruption für sich allein die
Gültigkeit des dadurch bewirkten Rechtsgeschäfts nicht beeinträchtigt,
erfülle sie einen Straftatbestand oder nicht.

    Die Vorinstanz hat damit kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die
Nichtigkeit des Klärschlammvertrags unbesehen des Bestechungsbezugs
verneinte.

Erwägung 6

    6.  Der Vertrag mit sittenwidrigem Inhalt ist abzugrenzen
vom sittenwidrigen Zustandekommen des Vertragsabschlusses
(GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, aaO, Rz. 729; KRAMER, Berner Kommentar, N. 179
zu Art. 19/20 OR). Dieser Mangel des Vertragsschlusses beschlägt nicht
dessen Inhalt, sondern die Frage des Konsenses, der Verwirklichung des
Vertragstatbestands. Das Gesetz regelt den Tatbestand nicht abschliessend,
im Wesentlichen aber mit den Bestimmungen über die Übervorteilung und
die Willensmängel.

    Die Vorinstanz hat einen wesentlichen Grundlagenirrtum der Beklagten
bei Abschluss des Vertrags bejaht und daraus auf dessen Unverbindlichkeit
geschlossen. Insoweit ist ihr Urteil nicht angefochten und daher im
Berufungsverfahren nicht zu überprüfen.

    Die Beklagte macht darüber hinaus geltend, zufolge der festgestellten
Korruption sei der Klärschlammvertrag gar nicht zustande gekommen oder
jedenfalls wegen absichtlicher Täuschung unverbindlich.

    6.1  Erneut stellt sich die Frage, ob die Beklagte an diesen Rügen
ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse hat, wenn die Unverbindlichkeit
des Vertrags so oder anders nicht mehr im Streite liegt (vgl. E. 5.1
hievor). Dies umso mehr, als die auf Schadenersatz gerichtete Widerklage
der Beklagten unter allen Titeln rechtskräftig abgewiesen ist und
umgekehrt eine Schadenersatzpflicht nach Art. 26 OR nicht im Streite
liegt, mithin auch insoweit eine Besserstellung der Beklagten aus dem
Täuschungstatbestand gegenüber dem wesentlichen Irrtum nicht offensichtlich
ist (vgl. BGE 40 II 534 E. 4; zu möglichen unterschiedlichen Rechtsfolgen
von Täuschung und Irrtum im Dauerschuldverhältnis allerdings SCHMIDLIN,
Berner Kommentar, N. 102 ff. zu Art. 31 OR). Die Frage kann wiederum
offen bleiben, weil die Rügen unbegründet sind.

    6.2  Fehlerhafte Willensbildung verhindert den Konsens nicht, sondern
gibt der davon betroffenen Partei allenfalls ein Recht, den Vertrag
anzufechten. Umgekehrt setzt diese Anfechtung notwendigerweise einen
Konsens voraus (BGE 105 II 23 E. 2b). Wirksamer Dissens und Willensmangel
schliessen sich gegenseitig aus.

    Konsens wird durch tatsächlich übereinstimmend verstandene
oder nach dem Vertrauensprinzip übereinstimmend zu verstehende
Willenserklärungen bewirkt. Inwiefern diese Voraussetzungen bei Abschluss
des Klärschlammvertrags nicht gegeben waren, ist weder den Feststellungen
der Vorinstanz noch den Darlegungen der Beklagten zu entnehmen. Die Rüge,
der Vertragstatbestand habe sich nicht verwirklicht, ist unbegründet.

    6.3  Tatbestandsmerkmal der absichtlichen Täuschung im Sinne von
Art. 28 OR ist u.a. der Täuschungserfolg. Die Täuschung muss für den
Vertragsabschluss das kausale Motiv sein, der Gegner muss den Getäuschten
verleitet haben. Daran gebricht es, wenn der Getäuschte den Vertrag auch
ohne Täuschung geschlossen hätte (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 83 zu
Art. 28 OR;

VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts,
Bd. I, Zürich 1979, S. 322 f.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, aaO, Rz. 856;
BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl.,
Zürich 1988, S. 220 f.; ALFRED KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, Bd. I, Bern 1996, S. 279 f.; ENGEL, Traité des
obligations en droit suisse, 2. Aufl., Bern 1997, S. 354 f.).

    Die Vorinstanz hielt für unbewiesen, dass die Zahlung der Schmiergelder
einen Einfluss auf den Abschluss, die Gestaltung oder die Abwicklung
des Klärschlammvertrags hatte. Darin liegt Beweiswürdigung, welche
das Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüfen kann (BGE 127
III 543 E. 2c). Die Beweislast für die Kausalität der Täuschung aber
trägt der Getäuschte (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 171 zu Art. 28
OR). Blieb die Kausalität unbewiesen, hat das Obergericht folglich der
Beklagten die Berufung auf absichtliche Täuschung bundesrechtskonform
versagt. Die insoweit abweichende Auffassung von EVELINE WYSS/HANS CASPAR
VON DER CRONE (Bestechung bei Vertragsschluss, in: SZW 2003 S. 35 ff., 40)
geht von anderen, von der Vorinstanz nicht festgestellten tatsächlichen
Verhältnissen aus.

    6.4  Dass die Beklagte den Klärschlammvertrag wegen eines wesentlichen
Grundlagenirrtums rechtzeitig und rechtsgültig angefochten hat, wie die
Vorinstanz darlegte, ist im Berufungsverfahren unangefochten geblieben
und daher nicht zu überprüfen.

Erwägung 7

    7.  Zu beurteilen bleiben damit allein noch die Folgen der
Vertragsanfechtung.

    7.1

    7.1.1  Der Vertrag ist für den Irrenden unverbindlich (Art. 23
OR). Unabhängig davon, ob der so genannten Anfechtungs- oder der so
genannten Ungültigkeitstheorie gefolgt wird (BGE 114 II 131 E. 3b;
SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 115 ff. zu Art. 23/24 OR; SCHWENZER,
Basler Kommentar, N. 8 ff. zu Art. 23 OR), ist Rechtsfolge der begründeten
Geltendmachung des Willensmangels grundsätzlich das Dahinfallen des
Vertrags ex tunc (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 123 zu Art. 23/24 OR und
N. 14 zu Art. 31 OR; SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 31 OR).
Bereits erbrachte Leistungen sind zurückzuerstatten. Dabei sind nach
herkömmlicher Ansicht die Grundsätze der Vindikation einerseits und der
ungerechtfertigten Bereicherung anderseits anwendbar (BGE 114 II 131
E. 3; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 86 ff. zu Art. 31 OR; SCHWENZER,
Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 31 OR).

    In der Lehre wird zudem mit guten Gründen die Auffassung vertreten,
nicht nur im Falle des verzugsbedingten Rücktritts vom Vertrag, sondern
auch bei dessen Unverbindlichkeit wegen Willensmängeln sei von einem
vertraglichen Rückabwicklungsverhältnis auszugehen, welches auf dem
ursprünglichen formalen Konsens gründe (SCHMIDLIN, Berner Kommentar,
N. 16 ff., 56 ff. und 97 zu Art. 31 OR; SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 15
zu Art. 31 OR). Insoweit bleibt der Vertragsschluss trotz berechtigter
Anfechtung nicht bedeutungslos. Dies zeigt sich etwa darin, dass die
Rückerstattung empfangener Leistungen trotz Ungültigkeit des Vertrags
in Beachtung dessen Synallagmas Zug um Zug zu erfolgen hat (BGE 111 II
195 E. 3; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 94 zu Art. 31 OR mit weiteren
Hinweisen).

    7.1.2  Geht es um die Anfechtung ganz oder teilweise abgewickelter
Dauerschuldverhältnisse, etwa im Bereiche von Dienstleistungen, von
entgeltlichen Gebrauchsüberlassungen, von Leibrenten und Verpfründungen
oder von einfachen Gesellschaften, stösst eine Rückabwicklung nach reinen
Vindikations- und Bereicherungsgrundsätzen in aller Regel auf erhebliche
praktische Schwierigkeiten oder erweist sich gar als unmöglich.

    Das Gesetz regelt diesen Tatbestand nicht allgemein, hat aber für
den Arbeitsvertrag in Art. 320 Abs. 3 OR eine Sonderordnung getroffen,
wonach für die gegenseitigen Ansprüche und Verpflichtungen die
Gültigkeit des unverbindlichen Vertrags bis zu dessen Aufhebung fingiert
wird. Dass das Gesetz diesen Grundsatz nicht ausdrücklich auf andere
Dauerschuldverhältnisse ausgedehnt hat, schliesst nicht aus, ihn auf dem
Wege teleologischer Auslegung zu verallgemeinern und analog anzuwenden. In
der neueren Lehre wird denn überwiegend die Auffassung vertreten, die
Anfechtung eines ganz oder teilweise abgewickelten Dauerschuldverhältnisses
wegen eines Willensmangels wirke als Kündigung ex nunc, wobei diese
Lösung im Irrtumsbereich zusätzlich auf Art. 25 Abs. 1 OR abgestützt
wird (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 184 zu Art. 23/24 OR und N. 102
ff. zu Art. 31 OR; SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 7, Vorbemerkungen zu
Art. 23-31 OR; dieselbe, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, 2. Aufl., Bern 2000, Rz. 39.25; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, aaO,
Rz. 942 ff.; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Zürcher Kommentar, N. 565 zu Art.
1 OR; KRAMER, Berner Kommentar, N. 313 zu Art. 19/20 OR; KELLER/SCHÖBI,
Allgemeine Lehren des Vertragsrechts, Bd. I, 3. Aufl., Basel 1988, S.
278 f. und 311; HANS MERZ, Vertrag und Vertragsschluss, 2. Aufl., Freiburg
1992, S. 9 ff.).

    Diese Lösung hat sich ebenfalls in andern vergleichbaren
Rechtsordnungen durchgesetzt (grundlegend bereits FRANZ GSCHNITZER,
Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht, in: Jherings
Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, 76/1926, S. 317
ff., 396 ff.; aus der jüngeren Literatur namentlich ERNST A. KRAMER,
Der Irrtum beim Vertragsschluss: eine weltweit rechtsvergleichende
Bestandsaufnahme, in: Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts
für Rechtsvergleichung, Zürich 1998, S. 130 mit Hinweisen). Auch das
Bundesgericht hat diese juristische Konstruktion bereits in Erwägung
gezogen (Urteil 4C.444/1994 vom 20. Juli 1995, E. 4a).

    7.1.3  Die Behandlung der Anfechtung eines ganz oder teilweise
bereits abgewickelten Dauerschuldverhältnisses als ausserordentliche
Kündigung ex nunc bedeutet im Grundsatz, dass sie nicht zurückwirkt
und der abgewickelte Teil des Vertrags als voll gültig erachtet wird,
was für die abgelaufene Vertragsdauer im Synallagma die parteiautonom
begründeten Ansprüche unberührt lässt. Damit erübrigt sich die Annahme
eines so genannt faktischen Vertragsverhältnisses, wie sie Rechtsprechung
und Lehre verschiedentlich in Betracht gezogen haben (BGE 119 II 437 E.
3b/bb; 110 II 244 E. 2d, kritisch dazu KRAMER, Berner Kommentar, N. 313
zu Art. 19/20 OR; Urteile 4C.284/2000 vom 23. Januar 2002, E. 2c/aa und
4C.222/1998 vom 14. Januar 1999, E. 5; BUCHER, Basler Kommentar, N. 76
zu Art. 1 OR; TERCIER, aaO, S. 267 ff.). Dies gilt jedenfalls dort, wo -
wie bei der Irrtumsanfechtung - die Invalidierung des Vertrags nicht von
Amtes wegen festgestellt, sondern durch Ausübung eines Gestaltungsrechts
herbeigeführt wird. Praktikabilitätsgründe wegen der Schwierigkeiten
der Rückabwicklung rechtfertigen hier, dieser Willenserklärung die
Bedeutung einer Kündigung beizumessen. Allerdings sind die dogmatischen
Unterschiede auch nicht überzubetonen. Im Ergebnis führt die Annahme eines
faktischen Vertragsverhältnisses bis zum Zeitpunkt der Irrtumsanfechtung
kaum zu andern Lösungen als die Annahme einer Vertragsbeendigung durch
Kündigung (KRAMER, Der Irrtum beim Vertragsschluss, aaO, S. 130;
GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, aaO, Rz. 944; TERCIER, aaO, S. 268 f.;
vgl. immerhin E. 7.3 hienach).

    7.1.4  Ein Vorbehalt zur reinen Auflösung des Vertrags ex nunc
ist jedoch für den Fall anzubringen, dass der Willensmangel sich im
Synallagma selbst auswirkte, d.h. für das Leistungsversprechen des
Irrenden in quantitativer Hinsicht bestimmend war. Hier vermag die
Anfechtung insoweit zurückzuwirken, als die gegenseitigen Leistungen in
gerichtlicher Vertragsanpassung neu bewertet und bei gegebener Kausalität
des Irrtums auf ihr Gleichgewicht nach dem Regelungsgedanken von Art. 20
Abs. 2 OR modifiziert werden (Urteil 4C.444/1994 vom 20. Juli 1995,
E. 4a; TERCIER, aaO, S. 269; KOZIOL/WELSER, Bürgerliches Recht, Bd. I,
12. Aufl., S. 141 f.; KRAMER, Münch Komm, aaO; vgl. auch BGE 107 II 419 E.
3a; 123 III 292 E. 2e/aa).

    7.2  Wird die "Kündigungstheorie" übernommen, wurde der
Klärschlammvertrag durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom
16. Februar 1993 ex nunc aufgelöst und blieb er bis zu diesem Zeitpunkt
gültig. Damit ist die Beklagte auch verpflichtet, die bis dahin erbrachten
Leistungen der Klägerin zu vergüten. Da nach den für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz die Schmiergeldzahlungen
der Klägerin und der Irrtum der Beklagten darüber keinen Einfluss
auf die Preisgestaltung hatten, ist der Vertragspreis zu bezahlen.
Nicht anders verhielte es sich, wollte man der Theorie des faktischen
Vertragsverhältnisses folgen. Die Vorinstanz hat der Klägerin daher unter
diesem Titel zu Recht die im Quantitativ unbeanstandeten Fr. 319'297.85
zugesprochen.

    Daran ändert der Einwand der Beklagten nichts, es sei rechtlich
unhaltbar, der Klägerin auch die Gewinnmarge des vereinbarten Entgelts
zu belassen, da sie diesen Gewinn nur wegen der erfolgten Bestechung und
damit aufgrund einer strafbaren Handlung habe erzielen können. Abgesehen
davon, dass allfällige Bereicherungs- oder Schadenersatzansprüche
der Beklagten nach dem Gesagten rechtskräftig abgewiesen wurden und
nicht mehr zu prüfen sind, verkennt die Beklagte, dass die pönale
Sanktionsfunktion gegenüber Korruption primär dem Strafrecht und
dem Recht des öffentlichen Dienstes zukommt. Das Privatrecht greift
nur insoweit ein, als es die Lösung der betroffenen Partei von einem
makelbehafteten Vertrag erlaubt und Anspruch auf Ausgleich rechtswidrig
oder rechtlos bewirkter Vermögenseinbussen, Vermögenszugänge und
Vermögensverschiebungen gibt. Diese Ansprüche aber haben eine Ausgleichs-
und keine Privilegierungs- oder Diskriminierungsfunktion. Das Privatrecht
gründet insoweit auf dem Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung,
was ausserhalb klarer gesetzlicher Anordnungen oder vertraglicher Regelung
(z.B. Konventionalstrafe) keine privatrechtlichen Sanktionen gegenüber
einer Partei zulässt, denen keine Ausgleichsfunktion auf der andern
Seite zukommt (FRANZ BYDLINSKI, System und Prinzipien des Privatrechts,
Wien 1996, S. 92 ff.).

    Ist aber festgestellt, dass der Inhalt des Klärschlammvertrags durch
die Schmiergelder nicht beeinflusst wurde, d.h. der Vertrag auch ohne
Korruption zu denselben Bedingungen abgeschlossen worden wäre, bleibt
für eine Preiskorrektur im Sinne eines Gewinnausschlusses kein Raum.
Dies würde vielmehr zu einer Privilegierung der Beklagten führen,
welche sich allein aus ihrem Willensmangel nicht begründen liesse. Dazu
gibt das allgemeine Privatrecht keine Handhabe (a.A. EVELINE WYSS/HANS
CASPAR VON DER CRONE, aaO, S. 42 f., welche von einem blossen Anspruch
auf Verwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag ausgehen).

    7.3  Wurde der Klärschlammvertrag mit der Anfechtungserklärung der
Beklagten vom 16. Februar 1993 nach der hier vertretenen Auffassung
rechtlich zufolge Kündigung ex nunc aufgelöst, hat die Vorinstanz
der Klägerin bundesrechtskonform ebenfalls Schadenersatz für die
Unterschreitung der vereinbarten Liefermenge durch die Beklagte
zugesprochen. Die Erwägungen unter Ziff. 7.2 hiervor gelten sinngemäss.
Die Höhe des entgangenen Gewinns ist dabei Tatfrage und vom Bundesgericht
nicht zu überprüfen (Art. 63 Abs. 2 OG).