Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 31



129 III 31

6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. (Berufung)

    4C.219/2002 vom 4. September 2002

Regeste

    Art. 5 und 24 Abs. 1 GestG; Zuständigkeit der Gerichte am Ort der
Niederlassung bei arbeitsrechtlichen Klagen.

    Bei arbeitsrechtlichen Klagen kann das Gericht am Ort der Niederlassung
(Art. 5 GestG) neben dem Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei
oder am gewöhnlichen Arbeitsort (Art. 24 Abs. 1 GestG) angerufen werden
(E. 3).

Sachverhalt

    B. (Klägerin) arbeitete als Verkäuferin in einem Sportgeschäft
in X., das zu der Einzelfirma Ski-Shop A. gehört, die ihren Sitz
gemäss Handelsregisterauszug in Y. hat. Die Klägerin reichte bei dem
für Y. zuständigen Bezirksgericht Klage gegen A. (Beklagten) ein, und
berief sich für die örtliche Zuständigkeit auf den Wohnsitz des Beklagten
in Y. Der Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit, da er seinen
Wohnsitz in Z. habe. Das Bezirksgericht wies die Unzuständigkeitseinrede
ab. Auf Beschwerde des Beklagten hin bestätigte das Kantonsgericht
die Zuständigkeit des Bezirksgerichts, da der Beklagte in Y. eine im
Handelsregister eingetragene Geschäftsniederlassung habe, und es sich
bei der Klage um einen Anspruch aus dem Betrieb dieser Niederlassung
handle. Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass eine Zuständigkeit
der Niederlassung nach Art. 5 des Gerichtsstandsgesetzes (GestG;
SR 272) gegeben sei, da der Beklagte in Y. eine im Handelsregister
eingetragene Geschäftsniederlassung habe. Der Beklagte macht geltend, in
arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sei der Gerichtsstand der Niederlassung
nicht gegeben.

    3.1  Art. 5 GestG sieht für Klagen aus dem Betrieb einer geschäftlichen
oder beruflichen Niederlassung oder Zweigniederlassung eine Zuständigkeit
der Gerichte am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei sowie am Ort
der Niederlassung vor. Der Begriff der Niederlassung umfasst die
Zweigniederlassung einer Handelsgesellschaft oder Genossenschaft, aber
auch die berufliche oder geschäftliche Niederlassung einer natürlichen
Person (Arzt, Anwalt), einer Einzelfirma oder einer Personengesellschaft
(Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über den Gerichtsstand
in Zivilsachen vom 18. November 1998, Botschaft, BBl 1999 S. 2846;
VOGEL/SPÜHLER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl., Zürich 2001,
4. Kap., Rz. 50). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Begriff der
Zweigniederlassung, welche eine gewisse wirtschaftliche und geschäftliche
Unabhängigkeit verlangt (BGE 120 III 11 E. 1a; 117 II 85 E. 3; 101 Ia
39 E. 3, je mit Hinweisen), kann beibehalten werden (VALLONI/BARTHOLD,
Das Schweizerische Gerichtsstandsgesetz, Zürich 2002, S. 25 f. Ziff. 5.4).

    Unbestritten ist, dass die im Handelsregister eingetragene Einzelfirma
des Beklagten eine Niederlassung im Sinne von Art. 5 GestG ist. Der
Beklagte macht weder geltend, die Vorinstanz habe ihrem Urteil einen
falschen Begriff der Niederlassung zugrunde gelegt, noch bringt er vor,
dass es sich bei der Filiale in X. um eine Zweigniederlassung handle,
die einen eigenen Gerichtsstand begründen würde. Wie die Vorinstanz
für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat, sind die Filialen
der Einzelfirma des Beklagten vielmehr Verkaufsläden, die gegen Aussen
als wirtschaftliche Einheit auftreten; in allen Läden werden unter
der Einzelfirma "Skishop A." Sportartikel verkauft. Weiter hat sie
festgestellt, dass der Beklagte seine Filialen von Y. aus leitete, woraus
sie zu Recht auf eine dortige Niederlassung schloss. Unbestritten ist,
dass die Klage am dortigen Sitz erhoben wurde, und dass der von Art. 5
GestG geforderte Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Ansprüchen
und der Niederlassung besteht.

    3.2  Somit bleibt lediglich zu prüfen, ob der Gerichtsstand der
Niederlassung (Art. 5 GestG) neben dem Gerichtsstand für arbeitsrechtliche
Klagen gemäss Art. 24 Abs. 1 GestG angerufen werden kann.

    Aus der Botschaft (BBl 1999 S. 2846) geht hervor, dass Art. 5 GestG
dem Kläger neben dem allgemeinen Gerichtsstand am Sitz oder Wohnsitz
der beklagten Partei sowie neben allfälligen besondern Gerichtsständen
gemäss dem 3. Kapitel des Gerichtsstandsgesetzes ein weiteres Forum
am Ort der Niederlassung oder Zweigniederlassung der beklagten Partei
zur Verfügung stellen soll. Auch der überwiegende Teil der Lehre geht
davon aus, dass Art. 5 GestG neben dem allgemeinen Gerichtsstand (Art. 3
GestG) sowie neben allfälligen besonderen Zuständigkeiten gemäss dem 3.
Kapitel des Gerichtsstandsgesetzes ein Forum am Ort der Niederlassung
einräumt, falls die besonderen Gerichtsstände eine Zuständigkeit am Sitz
des Beklagten vorsehen (MÜLLER/WIRTH, Gerichtsstandsgesetz, Zürich 2001,
Art. 5 GestG N. 23, Art. 24 GestG N. 72; DONZALLAZ, Commentaire de la loi
fédérale sur les fors en matière civile, Bern 2001, Art. 5 GestG N. 4,
Art. 24 GestG N. 27; KELLERHALS/VON WERDT/GÜNGERICH, Gerichtsstandsgesetz,
Bern 2001, Art. 5 GestG N. 1, Art. 24 GestG N. 9; VALLONI/BARTHOLD, aaO,
S. 25 f. Ziff. 5.4). Hingegen geht Infanger (SPÜHLER/TENCHIO/INFANGER,
Gerichtsstandsgesetz, Basel 2001, Art. 5 GestG N. 4) davon aus, dass der
Gerichtsstand der Niederlassung nur gewählt werden kann, wenn im 3. Kapitel
des Gerichtsstandsgesetzes kein besonderer Gerichtsstand vorgesehen ist.

    Der Beklagte stützt seine Rüge auf die Lehrmeinung von Infanger, welche
den Materialien und dem überwiegenden Teil der Lehre entgegensteht. Seinen
Standpunkt begründet der Beklagte zudem mit dem Umkehrschluss, dass in
Art. 24 Abs. 2 GestG für stellensuchende Personen der Niederlassungsort
als Gerichtsstand ausdrücklich erwähnt werde, und deshalb mangels
Erwähnung in Art. 24 Abs. 1 GestG für arbeitsrechtliche Klagen nicht
in Frage komme. Damit verkennt er jedoch, dass die Sonderregelung für
Personalverleih und Arbeitsvermittlung in Art. 24 Abs. 2 GestG erfordert,
den Gerichtsstand des Niederlassungsortes genauer und in Abweichung von
Art. 5 GestG zu umschreiben. Dem Willen des Gesetzgebers entsprechend,
der vom überwiegenden Teil der Lehre gestützt wird, rechtfertigt es sich,
für Klagen aus dem Betrieb einer Niederlassung oder Zweigniederlassung
immer auch den Gerichtsstand an deren Ort zur Verfügung zu stellen. Dies
ergibt sich im Falle arbeitsrechtlicher Klagen insbesondere auch daraus,
dass der Gesetzgeber mit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort
gemäss Art. 24 Abs. 1 GestG eine Konkordanz mit den Fassungen von
Art. 5 Ziff. 1 LugÜ (SR 0.275.11) und Art. 115 Abs. 1 IPRG (SR 291)
herstellen wollte, welche dieselbe Anknüpfung kennen (Botschaft, BBl 1999
S. 2862). Sowohl Art. 5 Ziff. 1 LugÜ in Verbindung mit Art. 5 Ziff. 5
LugÜ, wie auch Art. 115 Abs. 1 IPRG in Verbindung mit Art. 112 Abs. 2 IPRG
sehen für arbeitsrechtliche Klagen den Niederlassungsort als alternativen
Gerichtsstand neben dem gewöhnlichen Arbeitsort vor.

    3.3  Da bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten die Gerichte am Ort der
Niederlassung neben den Gerichten am Wohnsitz oder Sitz der beklagten
Partei oder jenem am gewöhnlichen Arbeitsort angerufen werden können,
hat die Vorinstanz die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts zu
Recht bejaht.