Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 242



129 III 242

40. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. B.
(Beschwerde)

    7B.226/2002 vom 18. Februar 2003

Regeste

    Einkommenspfändung (Art. 93 SchKG); Jahresfranchise für die
obligatorische Krankenpflegeversicherung.

    Bei der Ermittlung des Existenzminimums sind die unter die
Jahresfranchise fallenden und vom Schuldner tatsächlich zu bezahlenden
Gesundheitskosten in voller Höhe zu berücksichtigen (E. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Ihren Antrag begründet die Beschwerdeführerin damit, dass sie
vollkommen arbeitsunfähig sei und ihre psychischen Probleme regelmässige
Arztbesuche notwendig machten. Diese zwingenden Arztbesuche lösten
regelmässig die Jahresfranchise von Fr. 230.- aus. Diese Franchise habe mit
dem ihr zustehenden Grundbetrag nichts zu tun und sei bei der Ermittlung
des Notbedarfs deshalb gesondert zu berücksichtigen, was auf den Monat
bezogen Fr. 19.15 ausmache.

    3.2  Die Vorinstanz weist darauf hin, dass in dem für die Ermittlung
des Existenzminimums massgebenden Kreisschreiben der Schuldbetreibungs-
und Konkurskommission des kantonalen Obergerichts vom 3. Januar 2001
ein Grundbetrag für Nahrung, Kleidung und Wäsche einschliesslich deren
Instandhaltung, für Körper- und Gesundheitspflege, für den Unterhalt der
Wohnungseinrichtung, für Kulturelles sowie für Beleuchtung, Kochstrom
und/oder Gas festgelegt sei. Für die im Grundbetrag enthaltenen
Aufwendungen dürften keine Zuschläge gewährt werden. Solche seien
etwa vorgesehen für unmittelbar bevorstehende grössere Auslagen
für Arzt und Arzneien, denen in billiger Weise durch vorübergehende
Erhöhung des Existenzminimums Rechnung zu tragen sei. Wenn hier der
von der Beschwerdeführerin zu Lasten des Notbedarfs beanspruchte
Betrag von monatlich Fr. 19.15 als Anteil der Franchise für die
Krankenpflegeversicherung als kleinere Auslage für die Gesundheitspflege
und deshalb als im Grundbetrag berücksichtigt betrachtet und ein
entsprechender Zuschlag verweigert worden sei, sei dies nicht zu
beanstanden.

Erwägung 4

    4.  Neben anderen Einkünften können auch Unterhaltsbeiträge,
Pensionen und Leistungen jeder Art, die einen Erwerbsausfall oder
Unterhaltsanspruch abgelten, soweit gepfändet werden, als sie nach dem
Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht
unbedingt notwendig sind (Art. 93 Abs. 1 SchKG). Mit Beschwerde nach
Art. 19 Abs. 1 SchKG kann in diesem Zusammenhang gerügt werden, dass bei
der Ausübung des im Gesetz eingeräumten Ermessens, das Existenzminimum
des Schuldners festzusetzen, sachfremde Kriterien berücksichtigt oder
rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen worden seien (BGE 128 III
337 E. 3a mit Hinweisen).

    4.1  Das vom Obergericht herangezogene Kreisschreiben beruht
offensichtlich auf den Grundsätzen der von der Konferenz der Betreibungs-
und Konkursbeamten der Schweiz herausgegebenen Richtlinien (in der
Fassung vom 24. November 2000 veröffentlicht in: BlSchK 2001 S. 14
ff.), die auch das Bundesgericht seinen Entscheiden verschiedentlich
(stillschweigend) zugrunde gelegt hat (vgl. z.B. BGE 120 III 16 E. 2a
S. 17). Hinsichtlich der Gesundheitskosten geht aus diesen Empfehlungen
zunächst hervor, dass der in Ziff. I festgelegte monatliche (pauschale)
Grundbetrag die Kosten für "Körper- und Gesundheitspflege" erfasst.
Unter Ziff. II/8 (erster Absatz) sehen die Richtlinien sodann vor, dass
unmittelbar bevorstehenden grösseren Auslagen für Arzt und Arzneien
durch eine entsprechende zeitweilige Erhöhung des Notbedarfs Rechnung
zu tragen sei. Bei unvorhergesehenen, etwa durch eine notfallmässige
Behandlung verursachten Medizinalkosten bleibt selbstverständlich die
Anpassung der Pfändung an die neuen Gegebenheiten vorbehalten (Art. 93
Abs. 3 SchKG; so ausdrücklich auch Ziff. II/8, zweiter Absatz, der
Richtlinien). Ferner wird in Ziff. II/3 (erster Absatz) der erwähnten
Richtlinien festgehalten, dass die Sozialbeiträge, darunter auch die
Prämien für die (obligatorische) Krankenkasse im Sinne eines Zuschlags
in der jeweiligen Höhe zum Grundbetrag zu berücksichtigen seien (dazu
BGE 121 III 20 E. 3c S. 23 bezüglich der Situation vor Inkrafttreten
des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung [KVG;
SR 832.10]).

    4.2  Bei den von der Beschwerdeführerin beanspruchten Fr. 19.15
handelt es sich um die auf einen Monat bezogene gesetzliche
(minimale) Jahresfranchise von Fr. 230.- für die obligatorische
Krankenpflegeversicherung (Art. 103 Abs. 1 KVV [SR 832.102] in Verbindung
mit Art. 64 Abs. 2 lit. a KVG). Die Franchise bildet ein Element der
Beteiligung der versicherten Person an den Kosten der für sie erbrachten
Leistungen, für die allenfalls auch ein höherer als der hier in Frage
stehende Betrag gewählt werden kann (vgl. Art. 93 Abs. 1 KVV). Bei der
Ermittlung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs fällt die Franchise
naturgemäss nur insoweit in Betracht, als einschlägige Leistungen in
Anspruch genommen worden sind.

    Für die Frage, wie die Jahresfranchise pfändungsrechtlich zu
behandeln sei, steht auf Grund des Gesagten nicht ihre Höhe, sondern
ihre Natur im Vordergrund. Der Auffassung der Vorinstanz (und des von
ihr zitierten Obergerichts des Kantons Luzern [Luzerner Gerichts-
und Verwaltungsentscheide 1984, Nr. 2 S. 6 oben]; vgl. auch LUCA
GUIDICELLI/FERNANDO PICCIRILLI, Il pignoramento di redditi ex art. 93 LEF
nella pratica ticinese, Bellinzona 2002, S. 62, Rz. 203 f.), Franchisen
in geringer Höhe seien im pauschalen Grundbetrag enthalten, ist deshalb
nicht beizupflichten (im gleichen Sinne auch ALFRED BÜHLER, Betreibungs-
und prozessrechtliches Existenzminimum, in: AJP 2002 S. 652 lit. F). Wie
übrigens auch die Systematik der Richtlinien der Konferenz der Betreibungs-
und Konkursbeamten (und offensichtlich auch des Kreisschreibens des
Aargauer Obergerichts) zeigt, rechtfertigt es sich nur bei Arzneien im
Rahmen der üblichen Selbstmedikation (geläufige Schmerzmittel; Wundsalben),
die Kosten - unter dem Titel Aufwand für Körper- und Gesundheitspflege,
gleich wie etwa die Auslagen für Nahrung, Kleider und Wäsche - als in
einem pauschalen Grundbetrag berücksichtigt zu betrachten.

    4.3  Die in Form der Jahresfranchise erbrachte Beteiligung an den
Gesundheitskosten ist dem Betreibungsschuldner nach dem Gesagten wie die
Arztkosten (Ziff. II/8 der Richtlinien) in voller Höhe zu Lasten des
Notbedarfs zuzugestehen. Da solche Auslagen naturgemäss nur im Falle
der Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung
entstehen, werden sie in der Regel im Sinne einer entsprechenden Anpassung
der Einkommenspfändung nach Art. 93 Abs. 3 SchKG zu berücksichtigen
sein. Leidet der Betreibungsschuldner an einer chronischen Krankheit, oder
stehen aus einem andern Grund eine notwendige ärztliche Behandlung oder
andere medizinische Leistungen bevor, die zum Schluss führen, er werde
während der Pfändungsperiode in der vollen Höhe der Jahresfranchise an
die Kosten beitragen müssen, kann der Betreibungsbeamte unter Umständen
auch einem Begehren stattgeben, gleich bei der Ermittlung des Notbedarfs
die auf einen Monat umgerechnete Franchise einzusetzen.

Erwägung 5

    5.  Ob hier die Voraussetzungen für eine anteilsmässige
Berücksichtigung der Jahresfranchise bei der Ermittlung des monatlichen
Notbedarfs gegeben sind, ist den tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz nicht zu entnehmen. Die erkennende Kammer ist deshalb von
vornherein nicht in der Lage, eine entsprechende Anordnung zu treffen. Die
Beschwerde ist unter den gegebenen Umständen teilweise gutzuheissen, der
angefochtene Entscheid aufzuheben und das Betreibungsamt Z. anzuweisen,
der Jahresfranchise im Sinne der Erwägungen Rechnung zu tragen.