Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 III 177



129 III 177

28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen X. AG
(Berufung)

    4C.341/2002 vom 25. Februar 2003

Regeste

    Anspruch des Arbeitnehmers auf ein Arbeitszeugnis (Art.  330a OR).

    Der Arbeitgeber darf nur auf ausdrückliches Verlangen des Arbeitnehmers
ein einfaches Arbeitszeugnis ausstellen (Art. 330a Abs. 2 OR).

    Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis (Art. 330a Abs. 1 OR) muss sich
sowohl zu den Leistungen wie auch zum Verhalten des Arbeitnehmers
aussprechen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3).

Sachverhalt

    A.- A. (nachfolgend: der Kläger) schloss mit der X. AG (nachfolgend:
die Beklagte) einen mündlichen Arbeitsvertrag. Darin verpflichtete sich
der Kläger, ab Oktober 1997 für die Beklagte tätig zu sein. Im Dezember
1997 liess er einer amerikanischen Lizenzgeberin der Beklagten zwei
Schreiben zukommen, in welchen er die Beklagte als eine unorganisierte, von
unprofessionellen Kleinkrämern geleitete Aktiengesellschaft bezeichnete,
die kurz vor dem Konkurs stehe und ihren finanziellen Zustand vor der
Lizenzgeberin zu verbergen trachte. Mit Schreiben vom 30. Dezember 1997
kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos.

    B.- Im März 1999 ersuchte der Kläger das Bezirksgericht Arlesheim mit
Lohnklageformular, die Beklagte zur Bezahlung von Fr. 69'812.70 zuzüglich
der Sozialversicherungsbeiträge und eventuell Feriengeld zu verurteilen.

    Im November 1999 beantragte der Kläger mit schriftlich begründeter
Klage, die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger den ausstehenden Lohn
für die Zeit von Oktober 1997 bis März 1998 in der Gesamthöhe von Fr.
43'342.- nebst 5% Zins seit dem 1. Januar 1998 (Rechtsbegehren 1) und eine
Entschädigung infolge missbräuchlicher Kündigung in der Höhe von sechs
Monatslöhnen zu bezahlen (Rechtsbegehren 2); weiter sei die Beklagte
anzuweisen, die Arbeitgeberbeiträge auf den Bruttolohn des Klägers zu
entrichten (Rechtsbegehren 3) und dem Kläger ein Arbeitszeugnis gemäss
seinem Entwurf vom 19. Dezember 1997 auszustellen (Rechtsbegehren 4).

    Mit Urteil vom 9. Mai 2001 wies das Bezirksgericht Arlesheim die Klage
ab. Der Kläger erhob dagegen Appellation. Im zweitinstanzlichen Verfahren
reduzierte er seine Lohnforderung, indem er für die Monate Oktober 1997
bis Januar 1998 netto Fr. 20'775.- und den Anteil am 13. Monatslohn für
das Jahr 1998 verlangte. Begehren 2 liess er fallen; an den Begehren 3 und
4 hielt er fest, wobei er nicht ein Arbeitszeugnis gemäss seinem Entwurf
vom 19. Dezember 1997, sondern lediglich ein Arbeitszeugnis verlangte. Mit
Urteil vom 7. Mai 2002 hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft die
Appellation teilweise gut, indem es die Beklagte verpflichtete, dem
Kläger eine Arbeitsbestätigung im Sinne von Art. 330a Abs. 2 OR für
das Arbeitsverhältnis vom 1. Oktober 1997 bis zum 31. Dezember 1997
auszustellen.

    C.- Der Kläger beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das Urteil
des Kantonsgerichts teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihm für die Monate Oktober 1997 bis Dezember 1997 Fr. 14'985.- nebst 5%
Zins seit dem 1. Januar 1998 zu bezahlen (Berufungsbegehren 1) und ein
Arbeitszeugnis mit Angaben über die Dauer der Anstellung, die Art der
Tätigkeit, die Leistungen und das Verhalten des Arbeitnehmers während der
Dauer des Arbeitsverhältnisses auszustellen (Berufungsbegehren 2). Die
Beklagte schliesst sinngemäss auf Abweisung der Berufung.

    Mit Beschluss vom 25. November 2002 wurde dem Kläger die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Die Vorinstanz hält dafür, dass der Kläger grundsätzlich einen
Anspruch auf ein Arbeitszeugnis habe. Dieser Anspruch beschränke sich
aber auf eine Arbeitsbestätigung im Sinne von Art. 330a Abs. 2 OR, da
sich die Parteien über den Inhalt des Arbeitszeugnisses nicht einigen
konnten. Der Kläger macht demgegenüber geltend, er habe einen Anspruch
auf ein Zeugnis, das sich über die Dauer der Anstellung, die Art der
Tätigkeit, die Leistungen und das Verhalten während der Dauer des
Anstellungsverhältnisses ausspricht.

    3.2  Gemäss Art. 330a OR kann der Arbeitnehmer jederzeit vom
Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen, das sich über die Art und Dauer des
Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten
ausspricht (Abs. 1). Auf besonderes Verlangen des Arbeitnehmers hat sich
das Zeugnis auf Angaben über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses
zu beschränken (Abs. 2).

    Das Bundesgericht hat sich zum Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers
noch nie umfassend ausgesprochen (vgl. immerhin Urteil 4C.463/1999 vom
4. Juli 2000, E. 10 nicht publ. in BGE 126 III 395). In BGE 107 IV 38
E. 3 S. 39 hielt es fest, dass der Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers
zu den nachwirkenden Fürsorgepflichten des Arbeitgebers gehört, die
den Arbeitgeber zur Förderung des wirtschaftlichen Fortkommens des
Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichten
(vgl. ferner BGE 74 II 44).

    Die Rechtslehre hat sich hingegen mit dem Zeugnisanspruch eingehend
befasst. Gestützt auf den klaren Wortlaut von Art. 330a OR vertritt sie
einhellig die Meinung, dass ein einfaches Arbeitszeugnis im Sinne von
Absatz 2 der genannten Bestimmung nur dann ausgestellt werden darf, wenn
der Arbeitnehmer dies ausdrücklich verlangt. Der Arbeitnehmer hat die Wahl,
ein qualifiziertes Arbeitszeugnis (Vollzeugnis) oder ein einfaches Zeugnis
(Arbeitsbestätigung) zu verlangen. Eine gegen seinen Willen ausgestellte
Arbeitsbestätigung kann der Arbeitnehmer somit verweigern (STAEHELIN,
Zürcher Kommentar, N. 17 zu Art. 330a OR; REHBINDER, Berner Kommentar,
N. 4 zu Art. 330a OR; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Commentaire du contrat de
travail, 2. Aufl., 1996, N. 4 zu Art. 330a OR; BRÜHWILER, Kommentar zum
Einzelarbeitsvertrag, 2. Aufl., 1996, N. 2 zu Art. 330a OR; STREIFF/VON
KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5. Aufl., 1992, N. 4 zu
Art. 330a OR; SUSANNE JANSSEN, Die Zeugnispflicht des Arbeitgebers,
Diss. Bern 1996, S. 24). Weiter ist die Lehre der Auffassung, dass
das Recht des Arbeitnehmers, ein einfaches oder ein qualifiziertes
Arbeitszeugnis zu verlangen, keine Wahlobligation im Sinne von Art. 72
OR darstellt. Mit der Ausübung des Wahlrechts ist der Zeugnisanspruch
nicht konsumiert. Der Arbeitnehmer soll nach Erhalt des einfachen
Arbeitszeugnisses noch ein qualifiziertes Zeugnis oder nach Verlangen
eines qualifizierten Zeugnisses noch ein einfaches Zeugnis fordern
können (STAEHELIN, aaO, N. 17 zu Art. 330a OR; REHBINDER, aaO, N. 4 zu
Art. 330a OR; STREIFF/VON KAENEL, aaO, N. 2 zu Art. 330a OR; JANSSEN, aaO,
S. 24). Diese bislang unwidersprochen gebliebene Lehrmeinung stützt sich
auf historisch-teleologische Überlegungen: Die in Art. 330a OR eingeführte
Möglichkeit, zwischen einfachem und qualifiziertem Zeugnis zu wählen, soll
dem Arbeitnehmer das wirtschaftliche Fortkommen weitestmöglich erleichtern
(ausdrücklich STAEHELIN, aaO, N. 17 zu Art. 330a OR; REHBINDER, aaO, N. 3
zu Art. 330a OR; ferner BERNOLD, Die Zeugnispflicht des Arbeitgebers, Diss.
Zürich 1983, S. 39 f.).

    Indessen hat der Arbeitnehmer, der sich für ein Vollzeugnis
entscheidet, kein Wahlrecht, entweder nur seine Leistungen oder nur
sein Verhalten beurteilen zu lassen. Gemäss der Rechtsprechung des
Bundesgerichts (Pra 87/1998 Nr. 72 S. 448, 4P.302/1996) hat sich
das Vollzeugnis zu beiden Punkten auszusprechen, da eine Beschränkung
leicht zu Irreführungen Anlass geben könnte. Der Arbeitgeber riskiert,
bei Ausstellung eines unvollständigen Vollzeugnisses, das bei der
Stellenbewerbung als Leistungsausweis verwendet wird, einem späteren
Arbeitgeber haftbar zu werden (BGE 101 II 69 E. 2 S. 72 f.). Aus den
Grundsätzen der Wahrheit und Vollständigkeit des Arbeitszeugnisses folgt,
dass das Vollzeugnis über alle in Art. 330a Abs. 1 OR aufgeführten Punkte,
d.h. über die Art und die Dauer der Anstellung sowie über die Leistungen
und das Verhalten des Arbeitnehmers Auskunft geben muss.

    3.3  Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Kläger sich nicht
mit einer Arbeitsbestätigung begnügen muss, sondern die Beklagte zur
Ausstellung eines Vollzeugnisses verpflichtet ist. Entgegen der Auffassung
der Vorinstanz müssen sich die Parteien über den Inhalt des Zeugnisses
nicht vorgängig geeinigt haben. Der Anspruch auf Ausstellung eines
Zeugnisses ist mit einer Leistungsklage auf Ausstellung eines Zeugnisses
durchsetzbar (STAEHELIN, aaO, N. 19 zu Art. 330a OR; REHBINDER, aaO,
N. 20 zu Art. 330a OR). Ist der Kläger nach Erhalt des Vollzeugnisses der
Auffassung, dessen Inhalt sei unrichtig oder unvollständig, kann er beim
zuständigen Gericht eine Berichtigungsklage erheben (REHBINDER, aaO,
N. 21 zu Art. 330a OR; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, aaO, N. 5 zu Art. 330a
OR; BRÜHWILER, aaO, N. 4 zu Art. 330a OR; STREIFF/VON KAENEL, aaO,
N. 5 zu Art. 330a OR) oder aber die Beklagte auffordern, ihm eine
Arbeitsbestätigung im Sinne von Art. 330a Abs. 2 OR auszustellen, die
sich nur über die Art und die Dauer der Anstellung ausspricht.

    3.4  Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kläger Anspruch auf
ein qualifiziertes Arbeitszeugnis (Vollzeugnis) im Sinne von Art. 330a
Abs. 1 OR hat und die Berufung insoweit gutzuheissen ist. Der Beklagten
ist für die Ausstellung des Arbeitszeugnisses eine neue Frist anzusetzen.