Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 49



128 IV 49

12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. V. und
M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und O.
(Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.81/2001 vom 29. November 2001

Regeste

    Art. 125 Abs. 2 StGB, Art. 26 Abs. 1 WG; fahrlässige schwere
Körperverletzung durch unsorgfältige Aufbewahrung eines Luftgewehrs.

    Die Eltern eines im gleichen Haushalt lebenden minderjährigen Kindes
haften für die von ihm einem anderen Kind zugefügte Schussverletzung, wenn
sie das hiezu verwendete Luftgewehr samt Munition unsorgfältig aufbewahrt
haben. Die für die Auslegung der Aufbewahrungspflicht gemäss Waffengesetz
wichtigen Gesichtspunkte lassen sich auf die bei der Aufbewahrung von
Luftgewehren zu beachtende Sorgfalt übertragen (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- S., der im Frühjahr 1985 geborene Sohn von M. und V., erhielt im
Frühjahr 1995 von seinem Vater ein Luftgewehr geschenkt. Anlässlich von
Schiessübungen im Wald instruierten die Eltern ihren Sohn im Umgang mit
dem Luftgewehr. Als sich der Vater beim Manipulieren einmal versehentlich
ins Bein schoss, erklärten sie ihm, es könne bei einem solchen Vorfall
nicht viel passieren, es sei denn, man treffe empfindliche Stellen. Sie
untersagten ihm aber ausdrücklich, auf Personen zu schiessen. Das
Luftgewehr wurde zu Hause samt Munition in einem abgeschlossenen
Kleiderschrank im Elternschlafzimmer aufbewahrt, wobei der Schlüssel
dazu im Türschloss stecken gelassen wurde. Die Eltern hatten ihrem Sohn
den Gebrauch des Gewehrs während ihrer Abwesenheit und hiezu auch das
Betreten des Schlafzimmers verboten. Am 21. Februar 1996 liess sich
S. von anderen Kindern, die ihm nicht glauben wollten, dass er ein
Luftgewehr besass, dazu provozieren, dieses hervorzuholen und damit
vom Balkon der im 5. Stock gelegenen Wohnung aus erst auf sie und dann
auf den damals neunjährigen O. zu schiessen. Dabei traf er letzteren
ins rechte Auge. Trotz zahlreicher operativer Eingriffe konnte das Auge
nicht gerettet werden. Gemäss den ärztlichen Berichten hat O. nicht nur
einen totalen, irreparablen Sehverlust auf dem rechten Auge erlitten,
sondern es ist auch mit späteren kosmetischen Problemen zu rechnen.

    B.- Mit Strafbefehl vom 14. März 2000 wurde die Mutter der
fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig erklärt und zu einer
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 25 Tagen und einer Busse von
Fr. 1'000.- verurteilt. Der Vater wurde zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von 25 Tagen und einer Busse von Fr. 1'400.- verurteilt,
wobei er der fahrlässigen schweren Körperverletzung und mit dem
vorliegenden Sachverhalt nicht zusammenhängender Tätlichkeiten schuldig
erklärt wurde. M. und V. wurden zudem zur Zahlung einer Genugtuungssumme
von Fr. 10'000.- zuzüglich Zinsen und mit Mehrforderungsvorbehalt
verurteilt. Auf Einsprache von M. und V. hin bestätigte das Strafgericht
Basel-Landschaft am 15. August 2000 die Verurteilung wegen fahrlässiger
schwerer Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 2 StGB, reduzierte
indessen die Freiheitsstrafe für beide Elternteile auf 10 Tage Haft
bedingt, bei einer Probezeit von 2 Jahren, und setzte, nachdem die
Tätlichkeiten inzwischen absolut verjährt waren, die Busse für beide auf
Fr. 1'000.- fest. Die Verurteilung zu einer Genugtuungsleistung wurde
bestätigt. Auf Appellation der beiden Verurteilten hin wurde dieses
Urteil vom Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 19. Dezember 2000
vollumfänglich bestätigt.

    C.- M. und V. erheben Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie
beantragen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom
19. Dezember 2000 sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung und
zur Abweisung der Adhäsionsklage des Beschwerdegegners an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführer haben nach den für das Bundesgericht
verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis
Abs. 1 BStP [SR 312.0]) das eigens für ihren Sohn angeschaffte Luftgewehr
und auch die Munition dazu in ihrem Schlafzimmerschrank aufbewahrt. Darin
sieht die Vorinstanz eine Sorgfaltswidrigkeit. Die Beschwerdeführer wenden
sich einzig gegen den Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung.

    c) In seiner bisherigen Rechtsprechung (BGE 103 II 24 E. 4; 100 II 298
E. 3b, beide mit zahlreichen Hinweisen) hat das Bundesgericht festgehalten,
dass Luftgewehre bzw. Pfeil und Bogen Jugendlichen und Kindern nicht ohne
besonders eingehende Instruktion über die damit verbundenen Gefahren
überlassen werden dürfen. Das Bundesgericht hat in BGE 103 II 24 E. 4
offen gelassen, ob Kindern solche Gegenstände ohne permanente Aufsicht
überlassen werden dürfen, da es im konkreten Fall bereits an der nötigen
Instruktion gefehlt hatte.

    Im Gegensatz hiezu hatten die Beschwerdeführer ihrem Sohn Instruktionen
erteilt, weshalb sich die Frage stellte, ob sie nicht darüber hinaus
noch mehr Sorgfalt hätten walten lassen, d.h. das Luftgewehr und
die Munition wegsperren müssen. Im kantonalen Verfahren hatten die
Beschwerdeführer geltend gemacht, konsequenterweise müssten auch Messer
und andere gefährliche Gegenstände beständig unter Verschluss aufbewahrt
werden. Es ist richtig, dass sich in jedem Haushalt Gegenstände befinden,
die bei unsachgemässem Gebrauch gefährlich sein können. Auch deshalb
dürfen kleine Kinder nicht unbeaufsichtigt in einer Wohnung gelassen
werden. Von einem fast elfjährigen Kind kann jedoch erwartet werden,
dass ihm derartige Gefahren bewusst sind. Zudem üben haushaltsübliche
gefährliche Gegenstände wie beispielsweise Küchenmesser im Normalfall keine
besondere Anziehungskraft auf Kinder und Jugendliche aus. Anders sieht
es hingegen bei Luftgewehren aus, weshalb dort auch höhere Anforderungen
an die hierbei zu erfüllende Sorgfalt bei der Aufbewahrung gestellt
werden müssen.

    d) Gemäss Art. 26 Abs. 1 des Waffengesetzes vom 20.  Juni 1997
(WG; SR 514.54) sind Waffen, wesentliche Waffenbestandteile,
Munition und Munitionsbestandteile sorgfältig aufzubewahren und vor
dem Zugriff unberechtigter Dritter zu schützen. Dabei werden je nach
Sachlage verschieden hohe Anforderungen an die zu beachtende Sorgfalt
gestellt. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn im gleichen Haushalt
Kinder und Jugendliche leben, weil Waffen auf diese einen besonderen,
kaum kontrollierbaren Anreiz ausüben. Der Sorgfaltspflicht genügt nur,
wer in solchen Fällen Munition und Waffen getrennt aufbewahrt, und
zwar so verschlossen, dass ein Jugendlicher das Behältnis nicht öffnen
kann. Es genügt nicht, lediglich die Munition wegzuschliessen. Ein
klarer, gemäss Art. 34 Abs. 1 lit. e WG strafbarer Verstoss gegen
die Aufbewahrungspflicht liegt vor, wenn Jugendliche zu Waffen und
Munition ungehinderten Zugang haben (HANS WÜST, Schweizer Waffenrecht,
Zürich/Egg 1999, S. 144 f.). Luftgewehre sind nicht Waffen im Sinne des
Waffengesetzes (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. b WG). Sie sind auch nicht im
gleichen Masse gefährlich wie diese, können jedoch je nachdem auch schwere
Verletzungen verursachen. Zudem üben Luftgewehre ähnlich wie Waffen einen
besonderen Anreiz auf Kinder und Jugendliche aus. Dementsprechend lassen
sich die bei der Auslegung der Aufbewahrungspflicht gemäss Waffengesetz
wichtigen Gesichtspunkte auf die bei der Aufbewahrung von Luftgewehren
zu beachtende Sorgfalt übertragen. Die Vorinstanz tut dies denn auch,
indem sie mit Recht verlangt, die Beschwerdegegner hätten nur entweder
das Luftgewehr oder die Munition wegschliessen müssen. Wäre nur schon
die Munition weggeschlossen worden, hätte der Sohn der Beschwerdeführer
sich kaum kurzfristig Ersatz beschaffen, damit auf den Balkon treten,
schiessen und dem Beschwerdegegner die konkrete Verletzung zufügen können.
Das unter den gegebenen Umständen unsachgemässe Aufbewahren von Luftgewehr
und Munition durch die Beschwerdeführer hat den Eintritt des Erfolges
zumindest begünstigt. Die von der Vorinstanz geforderten Massnahmen -
insbesondere das Einschliessen der Munition - wären ohne weiteres zumutbar
gewesen. Es mag deshalb dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführer
ihren Sohn hinreichend instruiert hatten, nachdem die von Luftgewehren
ausgehende Gefahr von Augenverletzungen offenbar nie thematisiert
worden war. Schliesslich kann die Adäquanz auch nicht mit dem Argument
verneint werden, der Sohn der Beschwerdeführer sei durch andere Knaben
zum Schiessen mit dem Luftgewehr "angestiftet" worden. Es handelt sich

dabei nicht um ganz aussergewöhnliche Umstände, mit denen schlechthin
nicht gerechnet werden musste. Kinder pflegen zu provozieren und sich
provozieren zu lassen, namentlich im Zusammenhang mit prestigeträchtigen
Gegenständen wie eben Luftgewehren. Auch dass der Schuss trotz der Distanz
von ca. 25 Metern eine schwere Augenverletzung verursacht hat, ist nicht
ungewöhnlich. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet.