Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 30



128 IV 30

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.579/2001 vom 4. Dezember 2001

Regeste

    Art. 16 Abs. 2, Art. 22 Abs. 1, Art. 86 Abs. 1 und 7, Art.  87 Abs. 1
lit. e SSV; Art. 1 Abs. 8 VRV; Begriff der Verzweigung bei Autobahnen;
Geltungsbereich signalisierter Höchstgeschwindigkeiten bei der Verzweigung
von Autobahnen.

    Verzweigungen von Autobahnen umfassen die Gabelung und Einmündung
von Autobahnen, nicht hingegen Ein- und Ausfahrten, die das gewöhnliche
Strassennetz mit der Autobahn verbinden. Der Begriff der Verzweigung
erfasst den gesamten Autobahnkreuzungsbereich.

    Die signalisierte Höchstgeschwindigkeit gilt von der Stelle an,
wo das Signal steht, bis zum Endesignal. Sie endet nicht schon nach der
Gabelung der Fahrbahnen.

Sachverhalt

    A.- X. fuhr am 3. Juli 1998 auf der Autobahn A1 von Bern in
Richtung Zürich. Um 08.22 Uhr wurde er auf dem Gebiet von Neuendorf im
Bereich der Verzweigung Härkingen von einem Radarmessgerät mit einer
Geschwindigkeit von 143 km/h erfasst. Das Messgerät war bei km 50.380
unter der Überführungsrampe der A2 Richtung Basel aufgestellt.

    Die auf den Autobahnen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h
wird für die von Bern her kommenden Fahrzeuge 700 m vor dem damaligen
Standort des Messgeräts mit beidseitig der Fahrbahn angebrachten
Signalen auf 100 km/h herabgesetzt. Unter der Überführung der A2, die
dem von Basel kommenden Verkehr dient, stehen ungefähr bei km 50.940
zwei Wiederholungstafeln. Die Signale "Ende der Höchstgeschwindigkeit"
befinden sich nach der Einfahrt der A2 aus Richtung Basel in die A1.

    B.- Der Amtsgerichtspräsident von Thal-Gäu sprach am 25.  Januar 2000
X. der groben Verletzung einer Verkehrsregel gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG
(begangen durch Überschreiten der signalisierten Höchstgeschwindigkeit
auf der Autobahn von 100 km/h nach Abzug der Toleranz um 37 km/h) schuldig
und büsste ihn mit Fr. 670.-.

    Das Obergericht des Kantons Solothurn bestätigte am 13. Juni 2001
diesen Entscheid.

    C.- X. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zu prüfen ist, ob auf dem fraglichen Streckenabschnitt bei
Kilometer 50.380 der A1 eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h

oder die allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 120 km/h
gilt. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Gabelung der Autobahnen A1 und
A2 (diese zweigt über eine Rampe Richtung Basel ab) stelle eine Verzweigung
im Sinne des Gesetzes dar. Weil unmittelbar nach dieser Verzweigung auf
der A1 in Richtung Zürich keine Signalisation stehe, komme die allgemeine
Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen zum Tragen. Die Vorinstanz nimmt
dagegen an, die herabgesetzte Höchstgeschwindigkeit gelte bis zum Signal
"Ende der Höchstgeschwindigkeit", das sich nach der Einmündung der von
Basel kommenden A2 in die A1 befindet.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 16 Abs. 2 der Signalisationsverordnung vom 5.
September 1979 (SSV; SR 741.21) gilt unter Vorbehalt abweichender
Bestimmungen für einzelne Vorschriftssignale die angekündigte Vorschrift
an der Stelle oder von der Stelle an, wo das Signal steht, bis zum
Ende der nächsten Verzweigung; soll sie weiter gelten, wird das Signal
dort wiederholt. Die Signale "Höchstgeschwindigkeit" [...] gelten bis
zu den entsprechenden Ende-Signalen, höchstens aber bis zum Ende der
nächsten Verzweigung. Gemäss Art. 22 Abs. 1 SSV nennen die Signale
"Höchstgeschwindigkeit" [...] die Geschwindigkeit in Stundenkilometern
(km/h), welche die Fahrzeuge auch bei günstigen Strassen-, Verkehrs-
und Sichtverhältnissen nicht überschreiten dürfen. Die signalisierte
Höchstgeschwindigkeit wird mit dem Signal "Ende der Höchstgeschwindigkeit"
[...] aufgehoben. Gemäss Art. 1 Abs. 8 der Verkehrsregelverordnung
vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) sind "Verzweigungen" Kreuzungen,
Gabelungen oder Einmündungen von Fahrbahnen.

    Die Vorinstanz hält zutreffend fest, dass weder das
Strassenverkehrsgesetz (SVG; SR 741.01) noch seine Verordnungen den
Begriff der Autobahnverzweigung definieren. Die Signalisationsverordnung
unterscheidet bei Autobahnen und Autostrassen zwischen Anschlüssen und
Verzweigungen. Anschlüsse sind das Zusammentreffen von Ein- und Ausfahrten
mit den Fahrbahnen von Autobahnen und Autostrassen (Art. 86 Abs. 1
SSV). Aus dieser Definition sowie aus dem Fehlen einer Umschreibung der
Verzweigungen in Art. 87 Abs. 1 SSV ist mit der Vorinstanz zu schliessen,
dass eine Verzweigung bei Autobahnen nur vorliegt, wenn sich Autobahnen
gabeln bzw. wenn sie ineinander einmünden, sich also Autobahnen verzweigen,
nicht hingegen bei Ein- und Ausfahrten, die das gewöhnliche Strassennetz
mit der Autobahn verbinden.

    Beim Härkinger Kreuz handelt es sich daher um eine Verzweigung.
Somit fragt sich, welchen Bereich die Verzweigung umfasst, ob diese, wenn
man von Bern kommend in Richtung Zürich fährt, schon bei der Abzweigung der
A2 von der A1 Richtung Basel oder erst mit der Einmündung der von Basel
kommenden A2 in die A1 endet. Die Vorinstanz beantwortet diese Frage
wiederum gestützt auf die Signalisationsverordnung. Bei Anschlüssen wird
die "Entfernungstafel" 500 m nach dem Ende des Beschleunigungsstreifens
angebracht (Art. 86 Abs. 7 SSV), bei Verzweigungen von Autobahnen nach der
Verzweigung auf beiden Fahrbahnästen (Art. 87 Abs. 1 lit. e SSV). Da es
nicht logisch wäre, Anschlüsse und Verzweigungen verschieden zu behandeln,
kann letztgenannte Vorschrift nur meinen, dass die Entfernungstafeln
auch bei Verzweigungen "nach dem Ende des Beschleunigungsstreifens", d.h.
nach dem Ende der einmündenden Fahrbahn anzubringen sind. Die Formulierung
"nach der Verzweigung" deutet demzufolge daraufhin, dass der Begriff
der Verzweigung nicht nur die Gabelung einer Autobahn umfasst, sondern
auch die ihr entsprechende Einfahrt einschliesst. Der Grundsatz der
Einheit der Rechtsordnung verlangt, dass diese Auffassung nicht nur in
Bezug auf Entfernungstafeln, sondern für alle in diesem Zusammenhang
relevanten Signale gilt. Die Höchstgeschwindigkeitssignale, die vor einer
Autobahnverzweigung stehen, verlieren ihre Geltung demnach nicht schon nach
der Gabelung der Fahrbahnen, sondern erst nach dem erneuten Zusammentreffen
von zwei Fahrbahnen. Das entspricht auch der Gefahrenlage. Gefährlich
ist nämlich nicht so sehr die Gabelung, an der sich der Verkehr teilt,
sondern die Einmündung einer Fahrbahn in eine andere, wo ein Verkehrsstrom
auf den andern trifft.

    Diese Erwägungen der Vorinstanz überzeugen. Auch BUSSY/RUSCONI
(Code suisse de la circulation routière, 3. Aufl., Lausanne
1996, Art. 16 SSV N. 3.1) nehmen an, in gewissen Fällen müsse der
Geltungsbereich von Signalisationen erst bestimmt werden ("nécessitera
une appréciation"). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass bei einem
Autobahnkreuz, welches ein Gesamtbauwerk darstellt, auf die Teilung einer
Bahn in zwei Äste auch wieder ein Zusammenfügen der zwei Äste in eine Bahn
folgt. Es wäre wenig sinnvoll, eine herabgesetzte Höchstgeschwindigkeit
direkt nach der Ausfahrt enden zu lassen, um sie wenig später im Hinblick
auf die Einfahrt wieder neu festzusetzen. Der Begriff der Verzweigung
erfasst den gesamten Autobahnkreuzungsbereich. Die signalisierte
Geschwindigkeit gilt von der Stelle an, wo das Signal steht, bis zum
Ende-Signal.

Entsprechend gilt auf dem fraglichen Streckenabschnitt die vor der
Verzweigung Härkingen signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h
bis zum Ende der Beschleunigungsspur der einmündenden Basler Fahrbahn
der A2, wo die Signale "Ende der Höchstgeschwindigkeit" stehen. Der
Beschwerdeführer hat diese Höchstgeschwindigkeit um massgebliche 37 km/h
überschritten. Die Verurteilung verletzt somit kein Bundesrecht. Die
Beschwerde ist kostenfällig abzuweisen (Art. 278 Abs. 1 BStP [SR 312.0]).