Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 265



128 IV 265

41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.33/2002 vom 1. Oktober 2002

Regeste

    Art. 251 Ziff. 1 StGB; Urkundenfälschung.

    Urkundenfälschung durch Herstellung unechter Urkunden bejaht im
Falle einer Mitinhaberin einer Künstlerinnenagentur, welche die von
ihr vermittelten Verträge, die zwecks Erteilung von Aufenthalts- und
Arbeitsbewilligungen an die ausländischen Tänzerinnen der kantonalen
Fremdenpolizei eingereicht wurden, welche die eigenhändige Unterzeichnung
der Verträge durch die Künstlerinnen verlangte, mit dem Einverständnis der
schwer erreichbaren Tänzerinnen mit deren Namen bzw. Künstlerinnennamen
unterschrieb, um sicherzustellen, dass die Bewilligungen rechtzeitig vor
Antritt der vermittelten Engagements erteilt wurden (E. 1 und 2).

    Art. 251 Ziff. 2 StGB.

    Besonders leichter Fall verneint (E. 3).

Sachverhalt

    A.

    A.a  Im Oktober 1989 eröffnete die Bezirksanwaltschaft Zürich gegen
Y. eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts des Menschenhandels, der
Förderung der Prostitution, der Ausnützung der Notlage und der kriminellen
Organisation. Die Strafuntersuchung wurde am 14. Mai 1992 auf X. und in
einem späteren Zeitpunkt auf zwei weitere Personen ausgedehnt. In der Zeit
vom 23. Mai 1995 bis zum 5. Juli 1995 befand sich X. in Untersuchungshaft.

    Die Bezirksanwaltschaft Hinwil stellte mit Verfügung vom 12.
Januar 2000 die Strafuntersuchung wegen Menschenhandels, Förderung
der Prostitution, Ausnützung der Notlage, krimineller Organisation,
(altrechtlichen) gewerbsmässigen Frauenhandels und (altrechtlicher)
gewerbsmässiger Kuppelei gegen die vier Beschuldigten ein.

    A.b  Mit Strafbefehl vom 12. Januar 2000 verurteilte die
Bezirksanwaltschaft Hinwil X. wegen mehrfacher Urkundenfälschung im Sinne
von Art. 251 Ziff. 1 StGB zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von drei Monaten unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft
von 42 Tagen.

    Dagegen erhob X. Einsprache.

    A.c  Am 25. Mai 2000 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichts Zürich X. vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung
frei. Das Gericht vertrat die Auffassung, zwar sei der objektive
Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne, d.h. der Herstellung
einer unechten Urkunde, erfüllt, doch habe die Beschuldigte nicht in der
Absicht gehandelt, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen
oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen.

    Dagegen erklärte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die
Berufung.

    A.d  Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 8. November 2001
der mehrfachen Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1
und 2 StGB schuldig und verurteilte sie zu einer Busse von 1'500 Franken,
wobei es die festgestellte Verletzung des Beschleunigungsgebotes erheblich
strafmildernd berücksichtigte.

    A.e  X. wird zur Last gelegt, sie habe als Geschäftspartnerin in
der Z., Agentur für Show, Artistik und Musik, Y. & Partner, welche unter
anderem ausländische Striptease-Tänzerinnen an Nachtclubs vermittelte,
ab einem unbestimmten Zeitpunkt zirka im Jahr 1990 bis spätestens
Mai 1995 am Geschäftssitz der Agentur in Zürich immer wieder eine
gesamthaft nicht genau bekannte Anzahl von Engagementverträgen zwischen
den Nachtclubs und den Tänzerinnen anstelle der - mit diesem Vorgehen
allerdings einverstandenen - Tänzerinnen selber mit deren Namen oder
Künstlernamen unterzeichnet, ohne aber deren Unterschriften etwa
nachzuahmen. Sie habe dies in Fällen, in denen die zu engagierenden
Tänzerinnen wegen anderweitiger Engagements nicht ohne weiteres
erreichbar gewesen seien, getan, um die Verträge möglichst frühzeitig
bei der kantonalen Fremdenpolizei, welche Unterschriften der Tänzerinnen
selbst verlangt habe, einreichen zu können, damit die erforderlichen
Arbeits-/Aufenthaltsbewilligungen noch rechtzeitig für die vermittelten
Engagements erteilt wurden; dadurch habe ein allfälliger Ausfall von
Tänzerinnen-Engagements bei den Nachtclubs sowie der damit verbundene
Provisionsverlust der Agentur vermieden werden können.

    B.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Der Urkundenfälschung macht sich unter anderem schuldig, wer in
der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen
oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen,
eine Urkunde fälscht.

    1.1

    1.1.1  Fälschen ist Herstellen einer unechten Urkunde, deren
wirklicher Aussteller nicht mit dem aus ihr ersichtlichen Aussteller
identisch ist (BGE 123 IV 17 E. 2 mit Hinweisen). Wirklicher Aussteller
einer Urkunde ist derjenige, welchem sie im Rechtsverkehr als von ihm
autorisierte Erklärung zugerechnet wird. Dies ist gemäss der heute
insoweit vorherrschenden so genannten "Geistigkeitstheorie" derjenige,
auf dessen Willen die Urkunde nach Existenz und Inhalt zurückgeht
(STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Besonderer Teil II, 5. Aufl. 2000,
§ 36 N. 5, mit Hinweisen).

    1.1.2  Bei Vertretungsverhältnissen ist somit wirklicher Aussteller
der Urkunde der Vertretene, welcher den Vertreter zu der in der Urkunde
enthaltenen Erklärung ermächtigt. Dies gilt zum einen bei der offenen
Stellvertretung, bei welcher der Beauftragte mit seinem eigenen Namen,
allenfalls mit einem das Auftragsverhältnis hervorhebenden Zusatz
("i.A.", "i.V." etc.), die vom Auftraggeber nach Existenz und Inhalt
gewollte Urkunde unterzeichnet. Es gilt grundsätzlich aber auch bei
der so genannten verdeckten Stellvertretung, bei welcher der Vertreter
die vom Vertretenen nach Existenz und Inhalt gewollte Urkunde mit dessen
Einverständnis mit dem Namen des Vertretenen unterzeichnet und ein Hinweis
auf das tatsächlich bestehende Vertretungsverhältnis fehlt (HANS WALDER,
Falsche schriftliche Erklärungen im Strafrecht, insbesondere die so
genannte "Falschbeurkundung" nach Art. 251 StGB, in: ZStrR 99/1982 S. 70
ff., 81; STRATENWERTH, aaO, § 36 N. 8, mit Hinweisen; KLAUS SCHWAIGHOFER,
Die Strafbarkeit des "Unterschreibens für andere", in: Juristische Blätter
116/1994 S. 223 ff., 228, 230). Die vom Vertreter im Einverständnis des
Vertretenen mit dem Namen des Letzteren unterzeichnete Erklärung, die der
Vertretene nach Existenz und Inhalt gewollt hat, ist somit, auch wenn das
Vertretungsverhältnis nicht erkennbar und damit verdeckt ist, grundsätzlich
echt, da der aus der Urkunde ersichtliche Aussteller, d.h. der Vertretene,
mit dem gemäss der "Geistigkeitstheorie" wirklichen Aussteller, auf dessen
Willen die Urkunde nach Existenz und Inhalt zurückgeht, identisch ist.

    1.1.3  Vorbehalten bleiben indessen die Fälle der eigenhändigen
Urkunden. Bei der eigenhändig zu errichtenden Urkunde ist derjenige
als wirklicher Aussteller anzusehen, von dessen Hand sie herrührt,
der sie mithin tatsächlich niedergeschrieben bzw. zumindest tatsächlich
unterzeichnet hat (STRATENWERTH, aaO, § 36 N. 9, mit Hinweisen). Dies
gilt nicht nur, wenn die eigenhändige Errichtung der Urkunde, wie etwa
bei der eigenhändigen letztwilligen Verfügung, gesetzlich vorgeschrieben
ist (siehe STRATENWERTH, aaO, § 36 N. 9), sondern grundsätzlich auch in
den Fällen, in denen die eigenhändige Errichtung nach Herkommen oder
sonst nach den Umständen vorausgesetzt oder im Rechtsverkehr erwartet
wird (GÜNTER GRIBBOHM, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. 2001, § 267
[dt.]StGB N. 40; DIETHART ZIELINSKI, Urkundenfälschung durch Computer,
in: Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 1989, S. 605 ff., 610 Fn. 25),
mithin insbesondere auch, wenn eine Behörde die eigenhändige Unterzeichnung
einer ihr vorzulegenden Erklärung verlangt.

    1.2  Mit Rücksicht auf diese Erwägungen hat die Vorinstanz den
objektiven Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne durch
Herstellung von unechten Urkunden im vorliegenden Fall im Ergebnis zu
Recht als erfüllt erachtet.

    Die Beschwerdeführerin hat die von ihr vermittelten Engagementverträge
zwischen den Nachtclubs und den Tänzerinnen mit den Namen
bzw. Künstlernamen der Tänzerinnen unterzeichnet. In tatsächlicher Hinsicht
ist dabei aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz davon auszugehen,
dass die Tänzerinnen mit diesem Vorgehen einverstanden waren. Aus dem
angefochtenen Urteil geht allerdings nicht eindeutig hervor, ob die
Tänzerinnen ihr Einverständnis jeweils in Kenntnis des Vertragsinhalts
gaben. Auch wenn man dies bejaht und daher davon ausgeht, dass die aus den
Verträgen als Ausstellerinnen der Urkunden ersichtlichen Tänzerinnen auch
die "geistigen" Urheberinnen und damit gemäss der "Geistigkeitstheorie"
die wirklichen Ausstellerinnen seien, da die Existenz und der Inhalt
der unstreitig als Urkunden zu qualifizierenden Verträge auf ihren
Willen zurückgingen, sind die Urkunden unecht. Denn die Fremdenpolizei
verlangte, wie die Beschwerdeführerin wusste, dass die zwecks Erteilung der
Aufenthalts-/Arbeitsbewilligungen vorgelegten Engagementverträge von den
Tänzerinnen selbst unterzeichnet wurden. Die Fremdenpolizei forderte mithin
- übrigens aus guten Gründen - die eigenhändige Errichtung der Urkunden
durch die Tänzerinnen. Bei eigenhändig zu errichtenden Urkunden wird aber,
wie dargelegt, im Rechtsverkehr als wirklicher Aussteller betrachtet,
wer die Urkunde tatsächlich unterzeichnet hat. Die der Fremdenpolizei
vorgelegten Engagementverträge wurden von der Beschwerdeführerin selbst
mit den Namen bzw. den Künstlernamen der Tänzerinnen unterzeichnet; die
Beschwerdeführerin ist somit die wirkliche Ausstellerin. Sie ist mit den
Tänzerinnen, die aus den Verträgen als Ausstellerinnen ersichtlich sind,
nicht identisch.

    Die Beschwerdeführerin hat die der Fremdenpolizei vorgelegten
Engagementverträge mit den Namen bzw. Künstlernamen der Tänzerinnen
unterschrieben, um vorzutäuschen, dass - wie es die Fremdenpolizei
verlangte - die Tänzerinnen die Verträge eigenhändig unterzeichnet
hätten. Damit hat die Beschwerdeführerin unechte Urkunden hergestellt
(siehe BGE 102 IV 191 E. 1; 75 IV 166 E. 1).

    Dass die Tänzerinnen mit diesem Vorgehen einverstanden waren,
bedeutet nur, dass sie der Herstellung von unechten Urkunden durch
die Beschwerdeführerin zustimmten. Die Beschwerdeführerin macht mit
Recht nicht geltend, diese Zustimmung sei als eine die Straftat der
Urkundenfälschung rechtfertigende Einwilligung zu qualifizieren. Art. 251
StGB schützt das Vertrauen, welches im Rechtsverkehr sowohl der Echtheit
als auch der Wahrheit von Urkunden entgegengebracht wird. Daher kann in
die Herstellung einer unechten Urkunde nicht rechtswirksam eingewilligt
werden, auch nicht durch diejenige, deren Namen zur Herstellung der
unechten Urkunde verwendet wird.

Erwägung 2

    2.

    2.1  Die Beschwerdeführerin hat die Verträge gemäss den
Feststellungen im angefochtenen Urteil aus zeitlichen Gründen und
aus Bequemlichkeit selber mit den Namen bzw. den Künstlernamen
der Tänzerinnen unterzeichnet. Es ging darum, Zeit zu sparen bzw.
keine Zeit zu verlieren. Die Tänzerinnen waren nicht ohne weiteres
erreichbar. Daher bestand stets das Risiko, dass ein von einer Tänzerin
selbst unterzeichneter Vertrag nicht mehr so rechtzeitig der Fremdenpolizei
vorgelegt werden konnte, dass die erforderlichen Bewilligungen noch vor
dem Antritt des vermittelten Engagements in einem bestimmten Nachtclub
vorlagen. Solches wäre für die Agentur, für welche die Beschwerdeführerin
tätig war, mit Nachteilen (Umtrieben, Verlust oder Kürzung der Provision,
Schmälerung des Goodwill) verbunden gewesen.

    2.2  Die Vermeidung solcher Risiken stellt einen Vorteil im Sinne
von Art. 251 StGB dar. Dieser Vorteil ist unrechtmässig, da er durch die
Vorlage von gefälschten Urkunden erlangt wurde. Der angestrebte Vorteil im
Sinne von Art. 251 StGB muss entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin
nicht schon als solcher unrechtmässig sein. Strafbar ist auch, wer mit
der gefälschten Urkunde einen rechtmässigen Anspruch durchsetzen oder
einen ungerechtfertigten Nachteil abwenden will (BGE 119 IV 234 E. 2c;
121 IV 90 E. 2).

    Es ist daher unerheblich, dass die Beschwerdeführerin durch die
Einreichung der gefälschten Urkunden die Fremdenpolizei nicht über die
Identität der Tänzerinnen täuschen und somit auch nicht den behördlichen
Entscheid als solchen, sondern einzig den Zeitpunkt der Erteilung der
erforderlichen Bewilligungen beeinflussen wollte.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Die Beschwerdeführerin macht geltend, es liege ein besonders
leichter Fall im Sinne von Art. 251 Ziff. 2 StGB vor. Die Urkunden seien
objektiv wahr gewesen. Die Fremdenpolizei wäre bei Vorlage der von den
Tänzerinnen selbst unterzeichneten Urkunden zu keinen andern Entscheiden
betreffend die Bewilligungen gelangt. Der von der Beschwerdeführerin
angestrebte und erreichte Vorteil sei gering gewesen. Es sei lediglich um
eine schnellere, unkompliziertere Abwicklung des Bewilligungsverfahrens
gegangen. Ein Vermögensvorteil sei nicht erlangt worden.

    3.2  Ein besonders leichter Fall im Sinne von Art.  251 Ziff. 2
StGB ist gegeben, wenn das inkriminierte Verhalten in objektiver
und in subjektiver Hinsicht Bagatellcharakter aufweist. Da lediglich
besonders leichte Fälle (cas de très peu de gravité) privilegiert sind,
ist ein strenger Masstab anzulegen. Bei der Auslegung des unbestimmten
Rechtsbegriffs steht dem kantonalen Richter ein dem Ermessen ähnlicher
Beurteilungsspielraum zu, in den der Kassationshof nicht eingreift (BGE
114 IV 126 betreffend Art. 251 Ziff. 3 aStGB, dem Art. 251 Ziff. 2 StGB
entspricht).

    Die Beschwerdeführerin fälschte in der Zeit von 1990 bis 1995 im Rahmen
der Ausübung ihres Berufes eine unbestimmte Vielzahl von Formularverträgen
in der Weise, dass sie die von ihr vermittelten Engagementverträge
zwischen den Nachtclubs und den Tänzerinnen selber mit den Namen bzw. den
Künstlernamen der Letzteren unterschrieb, womit diese einverstanden
waren. Sie tat dies, um sicherzustellen, dass die Fremdenpolizei,
welche eine Unterzeichnung der Verträge durch die Tänzerinnen selbst
verlangte, die erforderlichen Aufenthalts-/Arbeitsbewilligungen an
die Tänzerinnen, die nicht ohne weiteres erreichbar waren, rechtzeitig
vor Antritt der vermittelten Engagements erteilte; dadurch konnte das
Risiko von wirtschaftlichen Nachteilen für die Agentur, welche sich aus
einer verspäteten Erteilung der Bewilligungen ergeben konnten, vermindert
werden. In Anbetracht des langen Zeitraums der deliktischen Tätigkeit, der
- allerdings unbestimmten - Vielzahl von Fälschungen, der Begehung dieser
Taten im Rahmen der Berufsausübung und der letztlich auch finanziellen
Beweggründe durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht einen
besonders leichten Fall im Sinne von Art. 251 Ziff. 2 StGB verneinen.