Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 237



128 IV 237

36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Besonderes
Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft gegen
X. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.167/2002 vom 17. Juli 2002

Regeste

    Art. 270 lit. c BStP; Beschwerdelegitimation des öffentlichen Anklägers
des Kantons.

    Das Besondere Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft
ist legitimiert, in den von ihm geführten Verfahren eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Straferkenntnisse kantonal
letztinstanzlicher Urteile zu erheben (E. 1).

Sachverhalt

    A.- Das Strafgericht Basel-Landschaft verurteilte X. am 22. November
2000 wegen mehrfacher Veruntreuung, mehrfacher Unterdrückung von Urkunden
sowie Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von 14 Monaten. Es widerrief ferner den für zwei Vorstrafen
von insgesamt 16 Monaten Gefängnis gewährten bedingten Strafvollzug.

    Auf Appellation des Verurteilten hin sprach ihn das Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft am 11. Dezember 2001 von mehreren Vorwürfen
frei und gab dem Verfahren in einem Punkt keine weitere Folge. Mit
gleichem Urteil sprach es X. schuldig der mehrfachen Veruntreuung und
der mehrfachen Unterdrückung von Urkunden. Es bestrafte ihn deswegen
zu 9 Monaten Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei
einer Probezeit von 3 Jahren. Ferner verzichtete es auf den Widerruf des
bedingten Strafvollzuges für die beiden Vorstrafen, verlängerte aber die
für sie geltenden Probezeiten je um 1 Jahr.

    B.- Das Besondere Untersuchungsrichteramt Basel-Landschaft führt
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei das Urteil
des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 11. Dezember 2001
hinsichtlich des Verzichts auf den Widerruf des bedingten Strafvollzuges
für zwei Vorstrafen von insgesamt 16 Monaten aufzuheben und die Sache
zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Das Urteil der Vorinstanz kann nicht durch ein kantonales
Rechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen Rechtes angefochten
werden. Die Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht ist damit
grundsätzlich zulässig (Art. 268 Ziff. 1 BStP [SR 312.0]).

    Die Nichtigkeitsbeschwerde steht unter anderem dem öffentlichen
Ankläger des Kantons zu (Art. 270 lit. c BStP). Die Funktion
des öffentlichen Anklägers ist in den Kantonen regelmässig der
Staatsanwaltschaft übertragen. Wer für sie zur Einreichung einer
Nichtigkeitsbeschwerde berechtigt ist, beantwortet sich nach dem
jeweiligen kantonalen Recht (SCHUBARTH, Nichtigkeitsbeschwerde 2001,
N. 87 mit Hinweis). Wem allgemein und in einem bestimmten Fall
die Funktion des öffentlichen Anklägers zukommt, sagt das kantonale
Prozessrecht. Hingegen ergibt sich ausschliesslich nach Bundesrecht, ob
nur einem und gegebenenfalls welchem oder mehreren öffentlichen Anklägern
nebeneinander die Befugnis, eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde zu
führen, zukommt (vgl. BGE 115 IV 152 E. 4).

    Gemäss § 139 StPO/BL (SGS 251) arbeitet die Staatsanwaltschaft
auf Grund der Akten die Anklageschrift aus. Sie erhebt die Anklage
(§ 143 StPO/BL) und ist auch zur kantonalen Appellation legitimiert
(§ 177 Abs. 1 lit. b StPO/BL). Die revidierte Strafprozessordnung
des Kantons Basel-Landschaft in der Fassung vom 3. Juni 1999 hat ein
"Besonderes Untersuchungsrichteramt" (abgekürzt BUR) geschaffen, das
in dem von der Strafprozessordnung näher eingegrenzten Bereich der
Wirtschaftskriminalität und des organisierten Verbrechens (vgl. §
8 Abs. 1-3 StPO/BL) gleichermassen für die Untersuchung und die
Anklageerhebung von Straftaten zuständig ist. Während im normalen Verfahren
ein Statthalteramt (§ 7 StPO/BL) die Untersuchung führt und die Sache
nach Abschluss der Untersuchung - soweit kein Strafbefehl zu erlassen
ist - an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung oder Einstellung
weiterleitet, vereinigt das BUR im Rahmen seiner Zuständigkeit alle
Kompetenzen von Statthalteramt und Staatsanwaltschaft in sich. Die
Strafprozessordnung umschreibt dies mit den Worten, dass das BUR
"innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs dieselben Rechte und Pflichten
wie die Statthalterämter und die Staatsanwaltschaft" habe (§ 8 Abs. 4
StPO/BL). Die definitive Gabelung der Verfahren erfolgt einzelfallbezogen
und nach sachlichen Gesichtspunkten (§ 8 Abs. 1-3 StPO/BL), wobei
sich "die Statthalterämter und das Besondere Untersuchungsrichteramt im
Einzelfall über die Zuständigkeit zur Durchführung der Strafuntersuchung
verständigen" (§ 9 Abs. 2 StPO/BL). Bei Uneinigkeit entscheidet
das Präsidium des Verfahrensgerichts in Strafsachen endgültig über
die Zuständigkeitsfrage (§ 9 Abs. 2 StPO/BL). Ist die Zuständigkeit
entweder einvernehmlich oder gerichtlich geklärt, nehmen die Verfahren
bei der zuständigen Behörde ihren Gang, womit die andere Behörde jegliche
Einflussmöglichkeit auf das Verfahren verliert. Die Untersuchung des BUR
findet somit ausschliesslich unter der Aufsicht des Verfahrensgerichts
in Strafsachen statt, wie dies auch für die Statthalterämter gilt (§
119 Abs. 1 i.V.m. § 6 StPO/BL). Die revidierte Strafprozessordnung hat
das nach altem Recht bestehende Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft
gegenüber den Statthalterämtern aufgegeben. Angesichts der Vereinigung der
Kompetenzen von Statthalterämtern und Staatsanwaltschaft beim BUR dürfte
die Staatsanwaltschaft auch nicht berechtigt sein, gegen Verfügungen
des BUR etwa über den Verzicht auf die Eröffnung einer Untersuchung (zur
Beschwerdekompetenz der Staatsanwaltschaft gegen solche Verfügungen der
Statthalterämter vgl. § 128 StPO/BL) Beschwerde an das Verfahrensgericht
in Strafsachen zu führen.

    Zusammenfassend ergibt sich, dass eine Aufsichts- oder Weisungsbefugnis
der Staatsanwaltschaft über das BUR in der geltenden Strafprozessordnung
nicht vorgesehen ist. Der Bestimmung, wonach das BUR innerhalb seines
Zuständigkeitsbereiches dieselben Rechte und Pflichten hat wie die
Statthalterämter und die Staatsanwaltschaft, ist zu entnehmen, dass die
sachlichen bzw. übernommenen Verfahrenszuständigkeiten ausschliesslich sind
und das BUR gegenüber den Statthalterämtern und der Staatsanwaltschaft
vollständig unabhängig ist. Das BUR ist somit in den ihm zugedachten
und definitiv überlassenen Fällen der öffentliche Ankläger des Kantons
im Sinne von Art. 270 lit. c BStP. Zwar mag die dargelegte Regelung im
Kanton Basel-Landschaft insbesondere aus systematischer Sicht und unter
Effizienzgesichtspunkten Fragen aufwerfen, doch steht ihr keine Norm des
Bundesrechts entgegen. Die Kantone sind frei, ihre Gesetzgebungsautonomie
auf dem Gebiete des Strafprozessrechts im Rahmen der bundesrechtlichen
Schranken nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten (vgl. oben
E. 1 Abs. 2). Die Legitimation des BUR zur Nichtigkeitsbeschwerde ist
deshalb zu bejahen.