Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 23



128 IV 23

5. Urteil der Anklagekammer vom 7. Dezember 2001 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons St. Gallen gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau

    8G.77/2001 vom 7. Dezember 2001

Regeste

    Art. 160, Art. 346 Abs. 1 StGB; Gerichtsstand bei Hehlerei.

    Hat der Hehler durch bösgläubigen Erwerb die Verfügungsmacht über
die gestohlene Sache erlangt, kann er hinsichtlich dieser Sache keine
weiteren Hehlereihandlungen mehr begehen (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- Anlässlich einer Verkehrskontrolle in Wittenbach/SG stellte
die Kantonspolizei St. Gallen am 12. September 2001 im Kofferraum des
vom jugoslawischen Staatsangehörigen B. gelenkten Personenwagens einen
gestohlenen Autoradioverstärker fest. Dieser hatte das Gerät zuvor
in Oftringen/AG von einem angeblich türkischen Staatsangehörigen für
Fr. 100.- gekauft. In der Folge eröffneten die Behörden des Kantons
St. Gallen gegen B. eine Strafuntersuchung wegen Hehlerei.

    Ein Meinungsaustausch zwischen den Behörden der Kantone St.  Gallen und
Aargau führte zu keiner Einigung in der Frage des Gerichtsstandes.

    B.- Mit Gesuch vom 7. November 2001 beantragt die Staatsanwaltschaft
des Kantons St. Gallen der Anklagekammer des Bundesgerichts, die
Behörden des Kantons Aargau berechtigt und verpflichtet zu erklären, das
Strafverfahren gegen B. wegen Hehlerei und SVG-Widerhandlungen zu führen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, das Gesuch
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Für die Verfolgung und Beurteilung einer strafbaren Handlung
sind gemäss Art. 346 Abs. 1 StGB die Behörden des Ortes zuständig, wo
die strafbare Handlung ausgeführt wurde. Ist die strafbare Handlung an
mehreren Orten ausgeführt worden, so sind die Behörden des Ortes zuständig,
wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde.

Erwägung 2

    2.- Nach der unbestrittenen Sachverhaltsdarstellung der Gesuchstellerin
hat der Beschuldigte in Oftringen/AG von einem angeblich türkischen
Staatsangehörigen einen gestohlenen Autoradioverstärker, welcher nach
seinen eigenen Angaben üblicherweise Fr. 300.- kosten würde, für Fr.
100.- gekauft. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass auf
Grund dieses Sachverhaltes gegenüber dem Beschuldigten der Verdacht der
Hehlerei bestehe.

Erwägung 3

    3.- a) Streitig ist zwischen den Parteien einzig die Frage, durch
welche Tathandlung der Beschuldigte allenfalls diesen Tatbestand erfüllt
hat.

    b) Die Gesuchstellerin vertritt die Auffassung, der Tatbestand der
Hehlerei sei allein durch den Erwerb im Kanton Aargau erfüllt.

    Die Gesuchsgegnerin geht demgegenüber davon aus, der Beschuldigte habe
die strafbare Handlung zusätzlich auch im Kanton St. Gallen ausgeführt,
weil er dort das Gerät im Kofferraum seines Personenwagens versteckt
gehalten und dieses damit verheimlicht habe. Sie begründet dies damit,
dass das Delikt der Hehlerei so lange andauere, bis der rechtmässige
Eigentümer wieder in den Besitz der Sache gelange.

    c) Die in Art. 160 StGB aufgezählten Tathandlungen sind abgesehen
vom Sich-Schenken-Lassen und Zum-Pfande-Nehmen, die lediglich als
Beispielfälle des Erwerbes zu betrachten sind (GÜNTER STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., Bern 1995, § 20
N. 10), selbständige Tatbestände (vgl. BGE 90 IV 14 E. 3b). Entscheidend
für den Erwerb ist, dass der Hehler im Einverständnis mit dem Vortäter an
der Sache Gewahrsam und damit eine abgeleitete neue eigene Verfügungsmacht
erlangt (BERNARD CORBOZ, Les principales infractions, Bd. II, Bern 1999,
Art. 160 N. 27 mit Hinweisen; STRATENWERTH, aaO, N. 10). Hat der Hehler die
Verfügungsmacht über die Sache erlangt, kann er hinsichtlich dieser Sache
keine weiteren Hehlereihandlungen mehr begehen, weder durch Verheimlichen
noch durch Absatzhilfe (vgl. ADOLF SCHÖNKE/HORST SCHRÖDER/WALTER STREE,
Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., München 2001, § 260 N. 64).

    Der Beschuldigte hat im vorliegenden Fall das gestohlene Gerät
vom allfälligen Vortäter gekauft und damit eigene Verfügungsmacht
erlangt. Durch diese Erwerbshandlung hat der Beschuldigte allenfalls -
sofern sie bösgläubig erfolgte (vgl. BGE 105 IV 303 E. 3a, e contrario),
was insbesondere auf Grund des Erwerbsortes und des deutlich unter dem
vom Beschuldigten geschätzten Wert liegenden Kaufpreises mindestens in
Betracht fällt - den Tatbestand der

Hehlerei erfüllt. Damit entfallen die weiteren Tatbestandsvarianten,
die lediglich andere Mittel der Aufrechterhaltung des durch die Vortat
geschaffenen rechtswidrigen Zustandes darstellen.

    Der gesetzliche Gerichtsstand liegt daher im Kanton Aargau, wo der
Beschuldigte das gestohlene Gerät erworben hat.

    d) Triftige Gründe, ausnahmsweise vom gesetzlichen Gerichtsstand
abzuweichen, macht weder die Gesuchsgegnerin geltend, noch ergeben sich
solche aus den Akten.