Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 184



128 IV 184

27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.111/2002 vom 29. Mai 2002

Regeste

    Art. 27 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 SVG; Pflicht zur Beachtung von nicht
rechtmässig aufgestellten Signalen, Vertrauensprinzip.

    Auch nicht rechtmässig aufgestellte Signale oder Markierungen sind
zu beachten, sofern sie einen schützenswerten Rechtsschein für andere
Verkehrsteilnehmer begründen. Nichtigkeit kann nur in offenkundigen
Ausnahmefällen angenommen werden (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 30. Dezember 2000 fuhr X. um 15.45 Uhr mit übersetzter
Geschwindigkeit auf der Autobahn A2 Richtung Bern/Luzern. Vom Tunnel
Oberburg bis in den Belchentunnel folgte ihm auf einer Strecke von 1,34
km eine Polizeipatrouille in einem zivilen Fahrzeug, die seine Fahrt auf
Video aufnahm. Die Geschwindigkeitsmessung mit mobilem Radargerät ergab
eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 148 km/h (ohne Abzug einer
Toleranzmarge). Die signalisierte Höchstgeschwindigkeit ist auf dieser
Strecke 80 km/h.

    B.- Mit Strafbefehl vom 26. Januar 2001 bestrafte das Statthalteramt
Waldenburg X. wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln mit einer bedingt
löschbaren Busse von Fr. 900.- bei einer Probezeit von einem Jahr. Eine
dagegen erhobene Einsprache wies der Strafgerichtspräsident des Kantons
Basel-Landschaft mit Urteil vom 17. Oktober 2001 ab. Die dagegen gerichtete
Appellation wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil
vom 28. Januar 2002 ab.

    C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.

    4.1  Der Beschwerdeführer bringt vor, die Geschwindigkeit auf dem
fraglichen Autobahnabschnitt sei zu Unrecht auf 80 km/h beschränkt
worden. Die Verfügung des EDI über Geschwindigkeitsbeschränkungen auf
der Nationalstrasse N 2 vom 18. Mai 1971 (BBl 1971 II 988), auf welche
die Behörde sich stütze, erlaube eine Geschwindigkeitsbegrenzung nur im
Belchentunnel selber, nicht aber auf den vorgelagerten Strecken. Auch der
Wechsel zwischen Tunnels und offener Strecke rechtfertige keine Ausdehnung
der Beschränkung. Die Signalisation leide an einem gravierenden Mangel
und sei nicht bloss anfechtbar, sondern nichtig. Der Beschwerdeführer
habe konkret keinen anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet, der auf die
nichtige Signalisation vertraut habe, und sei deshalb auch nicht strafbar.

    Das Obergericht hält die ausgedehnte Signalisation für zulässig
angesichts des vorgelagerten Tunnels und der Spurverengung vor dem
Belchentunnel. Jedenfalls sei sie mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit
im Strassenverkehr nicht als nichtig anzusehen.

    4.2  Art. 27 Abs. 1 SVG (SR 741.01) verlangt von den Strassenbenützern
die Befolgung der Signale und Markierungen. Gemeint sind damit die
rechtmässigen Verkehrszeichen. Denn es ist nicht der Sinn der genannten
Gesetzesvorschrift, dem Verkehrsteilnehmer die Beachtung eines jeden
Signals vorzuschreiben, völlig gleichgültig, ob dieses rechtmässig sei
oder nicht (BGE 99 IV 164 E. 5 S. 168; RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des
schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. I, 1984, N. 287). Allerdings
richten sich die Signale und Markierungen in der Regel an eine Vielzahl von

Strassenbenützern. Diese müssen sich auf die Verkehrszeichen verlassen
können, und eine allfällige Rechtswidrigkeit eines solchen Zeichens ist
für sie meist nicht erkennbar. Würde beispielsweise einem rechtswidrig
aufgestellten Stoppsignal oder rechtswidrig markierten Sicherheitslinien
die Rechtsverbindlichkeit abgesprochen, wäre dies für Verkehrsteilnehmer,
die auf den dadurch geschaffenen Rechtsschein vertrauen, mit grossen
Gefahren verbunden.

    Im Interesse der Verkehrssicherheit verlangt die Rechtsprechung
des Bundesgerichts deshalb, dass auch nicht rechtmässig aufgestellte
Signale und Markierungen befolgt werden müssen. Diese Pflicht zur
Beachtung rechtswidriger Verkehrszeichen ergibt sich aus dem aus Art. 26
Abs. 1 SVG abgeleiteten Vertrauensgrundsatz im Strassenverkehr. Der
Strassenbenützer, der die Rechtswidrigkeit eines Signals kennt, darf
nicht durch dessen Missachtung andere Verkehrsteilnehmer, die auf den
dadurch geschaffenen Rechtsschein vertrauen, gefährden (BGE 99 IV 164 E. 6
S. 169 f.; SCHAFFHAUSER, aaO, N. 288). Die genannte Pflicht bezieht sich
freilich nur auf Verkehrszeichen, die einen schützenswerten Rechtsschein
für andere Verkehrsteilnehmer zu begründen vermögen, dagegen nicht
auf Anordnungen, deren Missachtung keine konkrete Gefährdung anderer
Strassenbenützer bewirkt, wie dies häufig auf Parkverbote zutrifft
(BGE 103 IV 190; 98 IV 264). Die Verbindlichkeit vertrauensbegründender
Verkehrszeichen findet eine Grenze zudem bei nichtigen Anordnungen,
deren Mangelhaftigkeit besonders schwer wiegt und offensichtlich oder
zumindest leicht erkennbar ist, freilich nur, wenn die Verkehrssicherheit
der Annahme der Nichtigkeit nicht entgegensteht (BGE 122 I 97 E. 3a/aa
S. 99). Fehlerhafte Verkehrszeichen, die nicht geradezu nichtig sind,
können auf dem Weg der Verwaltungsrechtspflege angefochten werden. Zwar
kann an sich unter bestimmten Voraussetzungen auch der Strafrichter
die Rechtmässigkeit von Allgemeinverfügungen, wie sie Verkehrssignale
darstellen, überprüfen (BGE 98 IV 264 E. 2 S. 266 f.; missverständlich
in dieser Hinsicht BGE 113 IV 123; vgl. die Kritik zum zuletztgenannten
Entscheid bei ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen
Verwaltungsrechts, 3. Aufl. 1998, Rz. 742 f.); doch ändert nach dem
Ausgeführten eine von ihm allenfalls festgestellte Rechtswidrigkeit
eines Verkehrszeichens nichts an dessen Verbindlichkeit, solange es nicht
geradezu nichtig ist (vgl. BGE 113 IV 123 E. 2b S. 124 f.).

    4.3  Signalisierungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schaffen
Vertrauen, auf das sich die Strassenbenützer bei vielen

Verkehrsvorgängen (Abbiegen, Überholen etc.) müssen verlassen können. Nach
den obigen Darlegungen sind daher auch rechtswidrig aufgestellte
Höchstgeschwindigkeitssignale grundsätzlich zu beachten. Etwas anderes
kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, wenn solche Anordnungen
ganz offenkundig mangelhaft und damit nichtig sind (BGE 113 IV 123 E. 2b
S. 124 f.; noch weniger einschränkend dagegen BGE 99 IV 164 E. 6 S. 170).

    Selbst wenn die in Frage stehende Geschwindigkeitsbeschränkung einen
grösseren Streckenabschnitt abdecken sollte als in der massgebenden
Verfügung des EDI erwähnt, ist sie im Lichte dieser Praxis keinesfalls
nichtig. Weder ist sie offensichtlich und für alle erkennbar mangelhaft,
noch kann sie übergangen werden, ohne die Rechtssicherheit und die
Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Im Gegenteil
erscheint die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit nachvollziehbar
angesichts des Wechsels von Tunnels und offener Strecke sowie der
Spurverengung vor dem Belchentunnel. Unter diesen Umständen müssen die
Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen können, dass sich alle Fahrzeuglenker
an die angegebene Höchstgeschwindigkeit halten.