Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 164



128 IV 164

24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. R.X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.337/2001 vom 3. Juni 2002

Regeste

    Art. 287 StGB; Amtsanmassung, rechtswidrige Absicht.

    Das subjektive Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Absicht ist nicht
erfüllt, wenn der Täter weder ein an sich rechtswidriges Handlungsziel
verfolgt noch in unzulässiger Weise in fremde Individualrechte eingreift
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 9. Juni 1998 fand R.X. in einem Zürcher Tram einen Bussenblock,
welchen eine Verkehrsbeamtin der Stadtpolizei Zürich dort liegen gelassen
hatte. Weil sich das Ehepaar X. bereits seit

längerer Zeit darüber ärgerte, dass A.B., ein in der Nachbarschaft
ansässiger Garagist, für seine Kunden regelmässig Parkplätze in der blauen
Zone beanspruchte, füllte E.X. mit dem Einverständnis ihres Mannes einen
Beanstandungsrapport aus dem gefundenen Bussenblock aus. Daraus geht
hervor, dass in besagter blauer Zone keine Plätze für andere Lenker
und Wagen reserviert werden dürfen. Sie unterzeichnete den Rapport mit
"C.D."; der Angeschuldigte befestigte den "polizeilichen" Rapport an der
Windschutzscheibe des Fahrzeugs von A.B. mit der Absicht, diesem Angst
vor einer polizeilich auszufällenden Busse zu machen.

    B.- Wegen dieses Vorfalles sprach die Einzelrichterin in Strafsachen
des Bezirksgerichts Zürichs mit Urteil vom 2. Dezember 1999 R.X. der
Amtsanmassung schuldig und verurteilte ihn deswegen und wegen eines
weiteren Delikts zu einer bedingt vollziehbaren Haftstrafe von fünf Tagen.

    C.- Die Berufung des Verurteilten hiess das Obergericht des Kantons
Zürich R.X. mit Urteil vom 31. Januar 2001 zwar teilweise gut, es
bestätigte aber den Schuldspruch wegen Amtsanmassung.

    D.- R.X. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.

    E.- Mit Beschluss vom 3. Dezember 2001 wies das Kassationsgericht des
Kantons Zürich die von R.X. gegen das Urteil des Obergerichts geführte
kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es überhaupt darauf eintrat.

    F.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat am 6. Mai 2002 auf
Vernehmlassung verzichtet.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die Amtsanmassung betreffend verweist die Vorinstanz in
tatsächlicher Hinsicht global auf den in der Anklageschrift geschilderten
Sachverhalt, welcher vom Angeklagten zugestanden worden sei. Die
diesbezüglichen Feststellungen sind für das Bundesgericht verbindlich
(Art. 277bis Abs. 1 BStP [SR 312.0]).

    In rechtlicher Hinsicht qualifiziert die Vorinstanz das Verhalten
des Beschwerdeführers folgendermassen: Amtsgewalt masse sich nicht nur
derjenige an, welcher sich ein Amt als solches anmasse; Art. 287 StGB
finde auch Anwendung, wenn sich eine Person nur einzelne Befugnisse eines
Amtes anmasse, so zum Beispiel unter

dem Deckmantel einer nicht gegebenen Funktion Befehle erteile, deren
Erteilung nur einem Amtsinhaber zustünde. Der Beschwerdeführer habe mit
dem polizeilichen Formular eines Beanstandungsrapportes, welches mit der
gefälschten Unterschrift einer Verkehrsbeamtin versehen war, Weisungen
erteilt, deren Anordnung in dieser Form allein staatlichen Organen
zustehe. Es sei damit eine behördliche Intervention vorgetäuscht worden,
was den objektiven Tatbestand zu erfüllen vermöge. Nicht von Belang sei
dabei, dass das Formular nicht bestimmungsgemäss verwendet und vollständig
ausgefüllt worden sei sowie dass die verwendeten Formulierungen ungelenk
gewesen seien. Auch der subjektive Tatbestand sei erfüllt, insbesondere
liege die vom Gesetz verlangte rechtswidrige Absicht vor. Der Sinn dieses
zusätzlichen subjektiven Tatbestandserfordernisses liege darin, diejenigen
Fälle aus dem Bereich der Strafbarkeit auszuscheiden, in welchen ein Täter
mit seiner Handlung ein Verbrechen verhindert oder Schaden von Dritten
abgewendet habe. Der Beschwerdeführer habe sich aber fraglos einen Vorteil
verschafft, auch wenn dieser nur in der persönlichen Genugtuung gelegen
haben sollte; jedenfalls sei seine Aktion nicht selbstlos gewesen.

    b) Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, er habe weder den
objektiven noch den subjektiven Tatbestand erfüllt.

    aa) Hinsichtlich des objektiven Tatbestandes macht er Folgendes
geltend: Das verwendete Formular könne ausschliesslich zur Beanstandung
technischer Mängel verwendet werden, nicht aber zur Erteilung irgend
eines amtlichen Befehls, der sich nicht auf den technischen Zustand
eines Fahrzeuges beziehe. Es könne also damit kein Befehl erteilt
werden, welcher sich auf die Parkierpraxis beziehe. Es liege insofern
ein untauglicher Versuch gemäss Art. 23 StGB vor. Im Weiteren habe er
mit dem Text auf dem verwendeten Formular auf einen allgemein gültigen
Umstand hingewiesen; der Hinweis auf ein allgemein bekanntes Verbot sei
aber keine Amtsanmassung im Sinne des Gesetzes. Die Ausübung behördlicher
Macht trete sodann erst ein, wenn mit Konsequenzen gedroht werde. Der
Beanstandungsrapport habe aber mit keinem Wort auf zu gewärtigende
Folgen hingewiesen, weshalb es auch insofern an einer Amtsanmassung
fehle. Schliesslich stünde es auch dem zuständigen Beamten nicht zu,
mit dem vom Beschwerdeführer verwendeten Beanstandungsformular einen das
Parkieren betreffenden Befehl zu erteilen. Es liege auch deshalb keine
Amtsanmassung vor, weil der Täter sich eine Befugnis anmassen müsste,
die in der Kompetenz des angeblich Handelnden läge.

    bb) In subjektiver Hinsicht verlange das Gesetz das Vorliegen
rechtswidriger Absicht. Diese sei jedoch nicht gegeben. Das Rechtsgut
bleibe ungeschützt gegenüber gut gemeinten, wenn auch untragbaren
Angriffen, die keine Individualrechte verletzten. Eine Verletzung von
Individualrechten sei auszuschliessen; im Übrigen habe der betroffene
Garagist von Anfang an gewusst, von wem der Rapport stamme. Die
Vorinstanz habe die rechtswidrige Absicht deshalb bejaht, weil sich
der Beschwerdeführer einen Vorteil habe verschaffen wollen, auch wenn
dieser nur in einer persönlichen Genugtuung gelegen haben sollte. Diese
Begründung halte zum einen nicht stand vor Art. 277 BStP, weil die
Vorinstanz damit auf eine blosse Vermutung abstelle, aber offen lasse,
welchen Vorteil sich der Beschwerdeführer effektiv verschafft habe. Eine
persönliche Genugtuung habe aber gar nicht vorgelegen; weder sei eine
solche den Akten noch der Anklageschrift zu entnehmen. Massgeblich aber sei
schliesslich, dass eine persönliche Genugtuung, auch wenn sie bestanden
haben sollte, eine rechtswidrige Absicht nicht zu begründen vermöge bzw.
keinen ungerechtfertigten Vorteil im Sinne des Gesetzes darstellen könne.

    c) Art. 287 StGB bestimmt, dass mit Busse oder Gefängnis bestraft
wird, wer sich in rechtswidriger Absicht die Ausübung eines Amtes oder
militärischer Befehlsgewalt anmasst.

    aa) Soweit der Beschwerdeführer die Erfüllung des objektiven
Tatbestandes bestreitet, ist die Beschwerde abzuweisen: Die Vorinstanz
stellt in rechtlicher Hinsicht zutreffend fest, zur Erfüllung des
Tatbestandes sei ausreichend, dass ein Täter sich einzelne Befugnisse
anmasse, welche nur einem Amtsträger zustünden. Indem die Vorinstanz das
Verhalten des Beschwerdeführers unter Art. 287 StGB subsumierte, verletzte
sie kein Bundesrecht, weil der Beschwerdeführer, indem er ein amtliches
Formular verwendete, um die Parkierpraxis des Garagisten zu beanstanden,
eine behördliche Intervention vortäuschte. Nicht von Belang ist dabei,
dass die verwendeten Formulierungen unbeholfen waren und das Formular für
die Beanstandung technischer Mängel bestimmt ist. Wesentlich ist allein,
dass der Beschwerdeführer ein amtliches Formular verwendete. Es spielt
deshalb auch keine Rolle, dass für den Fall der weiteren Widerhandlung
nicht explizit mit einer behördlichen Sanktion gedroht wurde: Der
Beschwerdeführer selbst stellt fest, er habe mit der Beanstandung lediglich
auf ein allgemein bekanntes Verbot hingewiesen. Wer mit einem amtlichen
Beanstandungsrapport auf ein allgemein bekanntes Verbot hinweist, droht
implizit eine

behördliche Sanktion an, da Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsrecht
von Amtes wegen verfolgt werden.

    bb) Der Beschwerdeführer hat offensichtlich vorsätzlich gehandelt;
bestritten ist allein, dass die vom Gesetz verlangte rechtswidrige Absicht
vorgelegen hatte.

    Die Bedeutung der "rechtswidrigen Absicht" und damit der Umfang des
strafbaren Verhaltens gemäss Art. 287 StGB sind generell bisher weder
in der Rechtsprechung noch in der Literatur abschliessend bestimmt
worden. In der Literatur werden, teils mit Hinweis auf die spärliche
Gerichtspraxis zu dieser Strafnorm, unterschiedliche Deutungen erwogen
(vgl. z.B. TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar,
2. Aufl., Zürich 1997, N. 4 zu Art. 287 StGB; STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, Besonderer Teil II, 5. Aufl., Bern 2000, N. 7 zu § 53). Das
Bundesgericht hat in einem Entscheid vom 19. Juni 1995 (Urteil 6S.309/1995,
E. 3, publ. in: Pra 85/1996 Nr. 174 S. 641) die Frage offen gelassen,
ob dieses Tatbestandsmerkmal als "qualifizierte Vorsatzform" oder
"in einem weiteren Sinne" zu verstehen sei. Aus dem Entscheid kann
jedoch abgeleitet werden, dass sich nicht nur derjenige strafbar macht,
der mit der Amtsanmassung ein an sich rechtswidriges Handlungsziel
verfolgt. Strafbar macht sich auch, wer ein an sich gerechtfertigtes
Handlungsziel verfolgt, dies aber mit Mitteln tut, welche für die
Verfolgung des Ziels nicht notwendig sind, und der gleichzeitig in
unzulässiger Weise in fremde Individualrechte eingreift. Im zitierten
Entscheid war dies deshalb der Fall, weil der Täter unter Anmassung eines
Amtes einen vermutlich fahrunfähigen Fahrzeuglenker nicht nur - was für
sich alleine gerechtfertigt gewesen wäre - an der Weiterfahrt hinderte,
sondern gleichzeitig dessen Personalien kontrollierte. Um die Strafbarkeit
einer Amtsanmassung unter dem Gesichtspunkt des Tatbestandsmerkmals
der rechtswidrigen Absicht festzustellen, ist zunächst zu prüfen, ob der
Täter ein an sich rechtswidriges Handlungsziel verfolgte. Falls dies nicht
der Fall ist, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob der Täter
das nicht widerrechtliche oder das rechtfertigende Ziel unter unnötiger
Beeinträchtigung fremder Individualrechte verfolgte.

    Der Beschwerdeführer gibt an, mit der scheinbar amtlichen Beanstandung
nur auf ein allgemein bekanntes Verbot, einen allgemein gültigen Umstand
hingewiesen zu haben: Dass in der blauen Zone keine Parkplätze reserviert
werden dürfen. Die Vorinstanz scheint dem zuzustimmen, wenn sie die
rechtswidrige Absicht allein darin erblickt, dass der Beschwerdeführer
einen Vorteil für sich selbst

erstrebte, einen Vorteil, der möglicherweise nur in der persönlichen
Genugtuung gelegen habe, dem Betroffenen eine Lektion erteilen
zu können. Einen weiter gehenden Vorwurf macht die Vorinstanz
dem Beschwerdeführer nicht; insbesondere wirft sie ihm nicht vor,
widerrechtlich in die Rechtssphäre eines anderen eingegriffen oder einen
in anderer Weise widerrechtlichen Zweck verfolgt zu haben. Es kann hier
dahin gestellt bleiben, wie die beabsichtigte persönliche Genugtuung unter
moralischem Gesichtspunkt zu werten ist, widerrechtlich in einem strikten
Sinn ist sie allerdings nicht. Mit anderen Worten fehlt es bei der hier
zu beurteilenden Konstellation an der Strafwürdigkeit des inkriminierten
Verhaltens.

    Wird persönliche Genugtuung im Rahmen einer Amtsanmassung angestrebt,
indem gleichzeitig in die Rechtssphäre eines anderen eingegriffen wird,
ergibt sich die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit des Verhaltens
nicht aus der intendierten Genugtuung, sondern bereits aus dem Eingriff
in die Rechtssphäre des Betroffenen. Der Beschwerdeführer hat mit seinem
Beanstandungsrapport ausschliesslich auf eine allgemein bekannte Norm und,
implizit, auf die Sanktion hingewiesen, die eine Verletzung der Norm nach
sich ziehen kann. Ein die Strafwürdigkeit seines Verhaltens begründender
Eingriff in Rechte anderer ist dabei nicht auszumachen. Für eine enge
Auslegung des Tatbestandsmerkmals der rechtswidrigen Absicht spricht
im Weiteren auch, dass die von der Vorinstanz festgestellte persönliche
Genugtuung in analogen Fällen regelmässig gegeben sein dürfte: Wollte man
die rechtswidrige Absicht allein damit begründen, hätte das praktisch zur
Folge, dass das zusätzliche subjektive Tatbestandserfordernis immer gegeben
wäre, die Strafbarkeit durch dieses Merkmal nicht mehr eingeschränkt und
das Merkmal neben Art. 34 StGB jede selbständige Bedeutung verlieren würde.