Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 154



128 IV 154

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Y. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.681/2001 vom 2. Juli 2002

Regeste

    Art. 220 StGB (Entziehen von Unmündigen); faktisches
Familienverhältnis, Registerelternschaft.

    Geschütztes Rechtsgut (E. 3.1).

    Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Kindesentziehung bzw.
zum Besuchsrechtsmissbrauch unter Scheidungsparteien (E. 3.2).

    Objektiver Tatbestand, Begriff des Inhabers der elterlichen "Gewalt"
bzw. Sorge; Anwendbarkeit der familien- bzw. kindesrechtlichen Regeln
(E. 3.3).

    Die elterliche Obhut des Registervaters, die ihm durch richterlichen
Entscheid zugewiesen wurde, wird von der Registermutter verletzt, wenn
sie das Kind in Überschreitung ihres Besuchsrechts ins Ausland verbringt
und es nicht zurückbringt (E. 3.4-3.6).

    Art. 28 Abs. 1 StGB (Strafantrag); Rechtsmissbrauch.

    Der gegen die Registermutter erhobene Strafantrag des Registervaters,
der während 11 Jahren die Elternfunktion ausgeübt hat, ist auch dann
nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Registervater gemeinsam mit der
Registermutter den unzutreffenden Registereintrag erschlichen hat (E. 4).

Sachverhalt

    Am 28. Februar 2001 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichtes Dielsdorf die Angeklagte X. des Entziehens eines
Unmündigen (Art. 220 StGB) sowie der Tätlichkeiten (Art. 126 StGB)
schuldig und verurteilte sie zu einem Monat Gefängnis bedingt (bei
einer Probezeit von zwei Jahren). Auf Berufung der Verurteilten hin
trat das Obergericht (II. Strafkammer) des Kantons Zürich mit Urteil
vom 31. August 2001 auf die Anklage der Tätlichkeiten (wegen Eintritts
der absoluten Verfolgungsverjährung) nicht ein. Der Schuldspruch des
Entziehens eines Unmündigen (Art. 220 StGB) wurde vom Obergericht
hingegen bestätigt, und die Strafe wurde auf 27 Tage Gefängnis bedingt
festgelegt (bei einer Probezeit von zwei Jahren). X. erhebt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei
aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Auszugehen ist von folgendem (von der Vorinstanz gemäss Art. 277bis
BStP verbindlich festgestellten) Sachverhalt:

    1.1  Die Beschwerdeführerin ist in Nordzypern aufgewachsen. Als
Jugendliche zog sie nach London, wo sie im Jahre 1980 den privaten
Beschwerdegegner kennenlernte, den sie am 1. September 1981
heiratete. Anschliessend nahmen die Eheleute in der Schweiz Wohnsitz. Da
das Paar kinderlos blieb, entschloss es sich, ein neugeborenes Kind des
Bruders und der Schwägerin der Beschwerdeführerin zu adoptieren. Nachdem
die in der Türkischen Republik Nordzypern wohnhafte Schwägerin schwanger
geworden war, täuschte die in der Schweiz lebende Beschwerdeführerin
(mit einem angepolsterten Bauch) eine Schwangerschaft vor und erklärte,
sie fahre nach Zypern, um dort zu gebären. Die Schwägerin gebar dort
am 2. März 1988 ihren Sohn A. Am 9. März 1988 unterzeichneten die
Beschwerdeführerin und ihr Ehemann beim Bezirksgericht Girne (Nordzypern)
eine Adoptionsurkunde. Gleichzeitig erklärten B. (die Schwägerin der
Beschwerdeführerin) und C. (der Bruder der Beschwerdeführerin), dass A. ihr
von ihnen biologisch erzeugter Sohn sei und dass sie mit der Adoption
ihres Sohnes durch die Beschwerdeführerin und deren Ehemann ausdrücklich
einverstanden seien. Anschliessend reisten die Beschwerdeführerin und
der private Beschwerdegegner mit dem Kind, das sie "D." nannten, in die
Schweiz ein. Die beabsichtigte Adoption konnte jedoch in der Folge nicht
vollzogen werden.

    1.2  Nach dem Scheitern der Adoptionsbemühungen gerieten die
Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in den Besitz von gefälschten
Geburtsurkunden, denen wahrheitswidrig zu entnehmen war, dass es
sich bei der Beschwerdeführerin um die biologische Mutter des Kindes
D. handle. Gestützt darauf liessen sie das Kind in den schweizerischen
amtlichen Registern als ihren ehelichen Sohn eintragen. Dieser
wuchs bei seinen "Registereltern" in der Schweiz auf und wurde hier
eingeschult. Nachdem zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann
Beziehungsprobleme aufgetreten waren, hielt sie sich ungefähr ab
1994 überwiegend in Ankara und in Nordzypern auf, wogegen der private
Beschwerdegegner zusammen mit D. in Niederglatt lebte. Am 5. Januar 1998
reichte der Ehemann beim Bezirksgericht Dielsdorf Klage auf Ehescheidung
gegen die Beschwerdeführerin ein.

    1.3  An Ostern 1998 fuhr die Beschwerdeführerin mit D. nach
Nordzypern. Am 4. Juni 1998 erliess das Familiengericht von Girne eine
Verfügung, wonach der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann (unter Androhung
von Sanktionsfolgen) verboten werde, D. aus der Türkischen Republik
Nordzypern wegzubringen. Gleichzeitig wurde die Rückführung des Kindes
zu seinen biologischen Eltern angeordnet. Entgegen dieser richterlichen
Verfügung verbrachte die Beschwerdeführerin das Kind heimlich über die
Grenze in den griechischen Teil Zyperns, von wo aus beide wieder in die
Schweiz gelangten.

    1.4  Anlässlich der Hauptverhandlung im hängigen Scheidungsprozess
vom 3. September 1998 wurde eine Regelung der vorsorglichen Massnahmen
getroffen und D. unter die Obhut des privaten Beschwerdegegners
gestellt. Gleichzeitig räumte der Massnahmenrichter der Beschwerdeführerin
ein Besuchsrecht ein, welches die Parteien von Fall zu Fall selbst regeln
konnten. Für den Streitfall wurde angeordnet, dass die Beschwerdeführerin
das Kind jeweils am ersten Wochenende jedes Monats, für drei Wochen
während den Sommerschulferien sowie (in den geraden Kalenderjahren)
an Ostern und Weihnachten bzw. (in den ungeraden Kalenderjahren) an
Pfingsten und Neujahr zu sich oder mit sich auf Besuch nehmen durfte.

    1.5  Am 4. Juli 1999 reiste die Beschwerdeführerin erneut mit
D. nach Nordzypern, wo er seither lebt. Am 10. August 1999 verfügte der
Einzelrichter (im summarischen Verfahren) des Bezirksgerichtes Dielsdorf
(auf entsprechendes Begehren des privaten Beschwerdegegners hin), dass
die Beschwerdeführerin D. unverzüglich

zurückzubringen habe. Mit Schreiben vom 24. August 1999 sprach sich
D.s biologischer Vater gegen eine Rückführung des Kindes in die Schweiz
aus. Gemäss seiner Sachdarstellung habe er der Beschwerdeführerin im Jahre
1988 lediglich gestattet, dass sie seinen Sohn in die Schweiz mitnehmen
könne, um ihm zu ermöglichen, bei ihr in der Schweiz zu wohnen und seine
schulische Ausbildung dort unter günstigeren Bedingungen zu absolvieren.

    1.6  Mit - zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils noch nicht
rechtskräftigem - Urteil des Bezirksgerichtes (I. Abteilung) Dielsdorf
vom 20. Oktober 1999 wurde die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und
ihrem Gatten geschieden und D. unter die elterliche Gewalt des privaten
Beschwerdegegners gestellt. Das Gericht hielt in seinen Erwägungen fest,
es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass D. nicht das leibliche Kind der
Parteien (und der Zivilstandsregistereintrag demgemäss unzutreffend) sein
könnte. Im Hinblick auf das Kindeswohl habe eine Registerberichtigung
jedoch nicht von Amtes wegen zu erfolgen. Vielmehr stehe es den
Betroffenen frei, das gesetzlich vorgesehene Anfechtungsverfahren
einzuleiten. Mangels einer Anfechtung der Ehelichkeitsvermutung bzw. der
Anerkennung des Kindesverhältnisses habe sich der Richter an die
verurkundeten Gegebenheiten zu halten.

    1.7  Nach Abweisung eines Rekurses gegen die Rückführungsverfügung des
Befehlsrichters vom 10. August 1999 wurde der Beschwerdeführerin (unter
Androhung der Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung,
Art. 292 StGB) befohlen, D. unverzüglich an den privaten Beschwerdegegner
zu übergeben.

Erwägung 2

    2.  Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin wegen Entziehens
eines Unmündigen (Art. 220 StGB) schuldig gesprochen, da sie das Kind D.
am 4. Juli 1999 (ca. 09.15 Uhr) zur Ausübung des Besuchsrechtes abgeholt
habe, anschliessend in den türkischen Teil Zyperns ausgereist sei und
sich seither weigere, das Kind wieder in die Schweiz zu bringen und dem
Erziehungsberechtigten zu übergeben.

    2.1  Die Vorinstanz geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin und der
private Beschwerdegegner nicht die leiblichen Eltern (oder Adoptiveltern)
des Kindes seien. Darüber müsse jedoch nicht abschliessend entschieden
werden, da auch der blosse "Registervater" Träger der elterlichen Gewalt
im Sinne von Art. 220 StGB sein könne.

    2.2  Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Registereintrag sei
"nachgewiesenermassen unrichtig, ja von ihr" und dem privaten

Beschwerdegegner "mittels gefälschter Geburtsurkunde erschlichen
worden". Sowohl die I. Zivilkammer (welche mit dem Scheidungsverfahren
befasst war) als auch die II. Strafkammer des Obergerichtes gingen
davon aus, dass der Registereintrag falsch und das Kind D. weder
der Sohn der Beschwerdeführerin noch des privaten Beschwerdegegners
sei. Zwar werde im angefochtenen Urteil erwogen, das bestehende
faktische Kindesverhältnis bzw. die Registerelternschaft könne nur (auf
entsprechende Anfechtungsklage hin) durch richterliche Anordnung der
Registerberichtigung beseitigt werden. Da "aufgrund der Parteiaussagen
und der Urkunden" jedoch fest stehe, dass der Registereintrag falsch
sei, werde im angefochtenen Strafurteil "klar Bundesrecht verletzt".
Ausserdem erscheine der Strafantrag des geschiedenen Ehemannes "in höchstem
Grade als rechtsmissbräuchlich".

Erwägung 3

    3.  Gemäss Art. 220 StGB wird (auf Antrag) mit Gefängnis oder mit
Busse bestraft, wer eine unmündige Person dem Inhaber der elterlichen oder
der vormundschaftlichen Gewalt (bzw. Sorge) entzieht oder sich weigert,
sie ihm zurückzugeben.

    3.1  Art. 220 StGB stellt ein Vergehen gegen die Familie (Sechster
Titel StGB) unter Strafe. Geschütztes Rechtsgut ist primär die Ausübung
der Rechte und Pflichten durch den betroffenen Inhaber der elterlichen
Gewalt bzw. Sorge (BGE 125 IV 14 E. 2a S. 15; 118 IV 61 E. 2a S. 63;
108 IV 22 S. 24; 98 IV 35 E. 2 S. 37, je mit Hinweisen; Botschaft über
die Änderung des StGB vom 26. Juni 1985, BBl 1985 II 1009 ff., S. 1060;
vgl. SUSANNE HÜPPI, Straf- und zivilrechtliche Aspekte der Kindesentziehung
gemäss Art. 220 StGB mit Schwergewicht auf den Kindesentführungen
durch einen Elternteil, Diss. Zürich 1988, S. 22 ff., 42; MARTIN
SCHUBARTH, in: Guido Jenny/Martin Schubarth/Peter Albrecht, Kommentar
zum schweizerischen Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 4: Delikte gegen
die sexuelle Integrität und gegen die Familie, Bern 1997, Art. 220 N. 8
f.; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II,
Straftaten gegen Gemeininteressen, 5. Aufl., Bern 2000, § 27 Rz. 3). Von
der Kindesentziehung ist allerdings nicht nur der Erziehungsberechtigte
betroffen, sondern auch das Kind, wie gerade der hier zu beurteilende Fall
deutlich zeigt. Mittelbar dient Art. 220 StGB daher auch dem Schutz des
Familienfriedens bzw. des Kindeswohls (BGE 92 IV 1 E. a S. 2; vgl. HÜPPI,
aaO, S. 30; SCHUBARTH, aaO, N. 8).

    3.2  Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes kann sich auch ein
Elternteil der Entziehung eines Unmündigen strafbar

machen, der seinem Ehepartner das Kind vorenthält. Dies gilt namentlich
für den Fall, dass ein Elternteil, dem im Rahmen vorsorglicher Massnahmen
im Scheidungsverfahren ein Besuchsrecht zugesprochen wurde, dieses
Besuchsrecht überschreitet bzw. sich weigert, das Kind dem Inhaber der
elterlichen Obhut zurückzubringen (BGE 110 IV 35 E. 1c S. 37; 108 IV 22
S. 24; 98 IV 35 E. 2 S. 37 f., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 IV 14
E. 2b S. 16; 118 IV 61 E. 2a S. 63). Gemäss BGE 95 IV 67 f. dürfte selbst
ein Ehegatte, der im "ungeschmälerten Besitz der elterlichen Gewalt"
steht (also vor einem Zuteilungsentscheid des Massnahmenrichters),
nicht eigenmächtig über das Kind verfügen und dieses dem Ehepartner
entziehen. Da beide Elternteile das Recht haben, an der Betreuung und
Erziehung mitzuwirken, dürfe der andere Ehegatte die elterliche Gewalt
nicht für sich alleine beanspruchen.

    3.3  Gemäss den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 Satz 2 BStP) handelt es
sich bei der Beschwerdeführerin und dem privaten Beschwerdegegner weder
um die leiblichen noch um Adoptiveltern des Kindes D.

    Solange sie unmündig sind, stehen Kinder unter elterlicher Sorge
(Art. 296 Abs. 1 ZGB). Während der Ehe üben die Eltern das Sorgerecht
gemeinsam aus. Wird der gemeinsame Haushalt aufgehoben oder die Ehe
getrennt, so kann das Gericht die elterliche Sorge einem Ehegatten allein
zuteilen (Art. 297 Abs. 1 und 2 ZGB). Grundsätzlich bestimmt sich der
Inhaber der elterlichen Gewalt (bzw. Sorge) im Sinne von Art. 220 StGB
(i.V.m. Art. 296 f. ZGB) nach den Regeln des Zivilrechts (BGE 92 IV 1 E. b
S. 3; vgl. HÜPPI, aaO, S. 6; JÖRG REHBERG, Strafrecht IV, Delikte gegen
die Allgemeinheit, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 21; SCHUBARTH, aaO, Art. 220
N. 20; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar,
2. Aufl., Zürich 1997, Art. 220 N. 1). Das Kindesverhältnis entsteht
nach den Bestimmungen von Art. 252-269c ZGB zur Mutter durch Geburt oder
Adoption, zum Vater durch die Ehe mit der Mutter oder durch besonderen
Rechtsakt (Adoptionsverfügung, Kindesanerkennung, Vaterschaftsurteil;
vgl. dazu CYRIL HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts und des übrigen
Verwandtschaftsrechts, 5. Aufl., Bern 1999, Rz. 2.06, 3.02 ff.).

    Im vorliegenden Fall ist kein solches gesetzliches Kindesverhältnis
zwischen dem Kind und der Beschwerdeführerin bzw. dem privaten
Beschwerdegegner ersichtlich. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei
daher der objektive Tatbestand von Art. 220 StGB

nicht anwendbar. Das Fehlen eines gesetzlichen Kindesverhältnisses
schliesst indessen die Ausübung elterlicher Gewalt/Sorge (bzw. die Ausübung
einer familienrechtlich geschützten Erziehungsbefugnis) im Rahmen einer
faktischen Elternschaft nicht zum Vornherein aus. Laut bundesrätlicher
Botschaft könne Art. 220 StGB namentlich auf Fälle anwendbar sein, "in
denen die unmündige Person von einem Heim oder einem anderen Pflegeort
weggeholt oder ferngehalten wird" (BBl 1985 II 1060; vgl. auch GVP/AR
1990, Nr. 3167, S. 91; HÜPPI, aaO, S. 6, 36 ff., 126 ff.; SCHUBARTH,
a.a.O, Art. 220 N. 29 in fine; TRECHSEL, aaO, Art. 220 N. 1). Auch
das Familienrecht anerkennt (in gewissen Grenzen) die vertretungsweise
ausgeübte bzw. die faktische "elterliche Gewalt" (z.B. von Pflegeeltern
[Art. 300 ZGB], des Stiefelternteils [Art. 299 ZGB] oder von anderen
Betreuern, zu denen kein gesetzliches Kindesverhältnis im Sinne von
Art. 252-269c ZGB besteht). Faktische Familienverhältnisse können unter
gewissen Umständen auch kindesrechtliche Befugnisse und Pflichten nach sich
ziehen (vgl. HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, aaO, Rz. 10.04, 25.11
ff., 27.43). Unter welchen konkreten Umständen auch faktische Familien
durch Art. 220 StGB strafrechtlich geschützt werden, ist hier jedoch nicht
abschliessend zu beurteilen. Entscheidend erscheint im vorliegenden Fall
nämlich, dass der Massnahmenrichter im Scheidungsverfahren die elterliche
Obhut des Kindes am 3. September 1998 dem privaten Beschwerdegegner
zugewiesen hat.

    3.4  Für die Frage, ob das hier zu beurteilende faktische
Kindesverhältnis unter strafrechtlichem Schutz steht, erscheinen folgende
Gesichtspunkte von massgeblicher Bedeutung:

    Zunächst war das (angebliche leibliche) Kindesverhältnis zur
Beschwerdeführerin und zum privaten Beschwerdegegner seit vierzehn Jahren
in den Zivilstandsregistern (Familienregister) eingetragen. Nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz blieb der Eintrag bis heute
unangefochten. Die öffentlichen Register bringen den vollen Beweis
der durch sie bezeugten Tatsachen, bis die allfällige Unrichtigkeit der
Eintragung nachgewiesen ist (Art. 9 Abs. 1 ZGB, sog. "öffentlicher Glaube"
bzw. Publizitätswirkung der Register; vgl. BGE 117 II 11 E. 4 S. 12 f.; 110
II 1 E. 3a S. 2 f.; 74 II 206, je mit Hinweisen; s. auch ANDREAS BUCHER,
Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 3. Aufl., Basel 1999,
Rz. 287; CYRIL HEGNAUER, Berner Kommentar zum ZGB, Bern 1984, Art. 252
ZGB N. 59, Art. 255 ZGB N. 55). "Registereltern" können grundsätzlich
(ungeachtet ihrer tatsächlichen Elternschaft) die Rechte und Pflichten

aus dem Kindesverhältnis geltend machen, wozu (im Rahmen der elterlichen
Sorge) auch die Erziehungsbefugnis gehört. Das entsprechende faktische
Kindesverhältnis und dessen Wirkungen können nur dadurch beseitigt werden,
dass ein schweizerischer Richter (auf entsprechende Berichtigungsklage hin)
die Nichtelternschaft der fälschlich registrierten Person feststellt und
die entsprechende Registerberichtigung verfügt (vgl. HEGNAUER, Kommentar
ZGB, aaO, Art. 252 ZGB N. 71 f., 88; Art. 255 ZGB N. 55, 64 ff.; s. auch
BGE 41 II 425).

    Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sowohl im vorsorglichen
Massnahmenentscheid vom 3. September 1998 als auch im Scheidungsurteil
vom 20. Oktober 1999 die elterliche Obhut des Kindes dem privaten
Beschwerdegegner zugewiesen wurde, und zwar ausdrücklich im Wissen darum,
dass es sich womöglich um eine blosse "Registervaterschaft" handeln könnte.

    3.5  Nicht zu folgen ist der Argumentation der Beschwerdeführerin, bei
lediglich faktischen Familienverhältnissen bzw. bei "Registereltern" sei
der objektive Tatbestand von Art. 220 StGB zum Vornherein ausgeschlossen.

    Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführerin, der private
Beschwerdegegner und das Kind D. zunächst während etwa sechs Jahren
zu dritt als Familie zusammengelebt. Unbestrittenermassen waren die
Beschwerdeführerin und ihr damaliger Ehemann zumindest faktisch und aus
sozialer Sicht die Eltern des Kindes. Der private Beschwerdegegner hat
das Kind während mehr als elf Jahren betreut. Dabei war er ca. fünf
Jahre lang auf sich alleine gestellt, nachdem die Beschwerdeführerin
den gemeinsamen Haushalt ungefähr 1994 verlassen hatte und sich danach
überwiegend in Ankara und Nordzypern aufhielt. Selbst wenn der Eintrag der
(biologischen) Elternschaft im Zivilstandsregister (nach dem Scheitern
der Adoptionsbemühungen) auf einer gefälschten Geburtsurkunde beruhte,
stehen die betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich unter dem Schutz von
Art. 220 StGB.

    Auch bei blossen "Registereltern", die zwar weder die biologischen
noch die Adoptiveltern des betroffenen Kindes sind, die aber mit dem
Kind über längere Zeit als Familie zusammenleben, kann grundsätzlich ein
schutzwürdiges Interesse an der Bewahrung des Familienfriedens bzw. am
Schutz der Befugnisse des faktisch Erziehungsberechtigten bestehen. In
diesem Zusammenhang ist auch dem grundrechtlichen Gesamtkontext Rechnung zu
tragen. Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer

Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung (Art. 11 Abs. 1
BV). Art. 14 BV gewährleistet das Recht auf Familie. Auch Art. 8 EMRK
schützt das Familienleben vor staatlichen (bzw. staatlich geduldeten)
Eingriffen. Unter den Schutz von Art. 8 EMRK fallen grundsätzlich nicht
nur leibliche Elternschaften oder Adoptiv-Kindesverhältnisse, sondern
(in gewissen Grenzen) auch faktisch-soziale Lebensgemeinschaften. Von
zentraler Bedeutung ist in dem Zusammenhang das Kindeswohl (vgl. JOCHEN
A. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention,
EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl u.a. 1996, Art. 8 N. 15, 22 ff.).
Das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (SR
0.107) schützt das Kind ausdrücklich vor rechtswidrigen Eingriffen in seine
Familienbeziehungen bzw. vor rechtswidriger Trennung von seinen Eltern
bzw. einem Elternteil (vgl. Art. 8 und Art. 9 UNO-Kinderrechtekonvention,
s. auch Art. 14 Abs. 2, Art. 16 und Art. 18 Abs. 1).

    3.6  Nach dem Gesagten steht die Auffassung der Vorinstanz, der
private Beschwerdegegner sei Träger der elterlichen Gewalt im Sinne
von Art. 220 StGB gewesen, im Einklang mit dem Bundesrecht. Da die
Beschwerdeführerin am 4. Juli 1999 lediglich ein (vom Massnahmenrichter
eingeräumtes) Besuchsrecht ausübte und das Kind seither nicht an den
Erziehungsberechtigten zurückbrachte, ist der objektive Tatbestand von
Art. 220 StGB erfüllt. Sie ist strafrechtlich gleich zu behandeln wie
ein leiblicher Elternteil, der sein Besuchsrecht im Rahmen angeordneter
vorsorglicher Massnahmen überschreitet bzw. die Rückgabe des Kindes
verweigert (vgl. BGE 125 IV 14 E. 2b S. 16; 110 IV 35 E. 1c S. 37; 108
IV 22 S. 24).

Erwägung 4

    4.  Ein Strafantrag des Erziehungsberechtigten liegt ebenfalls vor.
Nach der Praxis des Bundesgerichtes kommt einem Elternteil, dem (im
Rahmen vorsorglicher Massnahmen im Scheidungsverfahren) die Obhut über
das Kind zugeteilt wurde, auch gegenüber dem anderen Elternteil das
Strafantragsrecht zu (BGE 108 IV 22 S. 24 f.). Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin erscheint der Strafantrag des privaten Beschwerdegegners
nicht als rechtsmissbräuchlich erhoben.

    Ein rechtsmissbräuchlicher Strafantrag ist gerade bei
Kindesentziehung nur mit Zurückhaltung anzunehmen (vgl. BGE 104 IV 90 E. 3b
S. 95). Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn die Strafverfolgung wegen eines
Verhaltens verlangt wird, das der Antragssteller durch rechtswidrige
Provokation ausgelöst hat. Ein solcher Fall ist nach der Praxis des
Bundesgerichtes gegeben, wenn der strafantragstellende

Elternteil die Ausübung des Besuchsrechtes durch den anderen Elternteil
zunächst ständig schikanös behindert hat und dann wegen geringfügiger
Überschreitung des Besuchsrechtes eine Bestrafung beantragt (BGE 105 IV
229 E. 2-4 S. 231 ff.; 104 IV 90 E. 3 S. 94-96). Im vorliegenden Fall
hat der Registervater während elf Jahren die Elternfunktion ausgeübt
und faktisch gelebt. Folgerichtig hat ihm der Massnahmenrichter
mit Verfügung vom 3. September 1998 die elterliche Obhut über das
Kind anvertraut. Der private Beschwerdegegner hatte im Zeitpunkt des
inkriminierten Sachverhaltes somit ein schutzwürdiges Interesse an
der Respektierung seiner Betreuungsrechte. Dass er das Besuchsrecht
der Beschwerdeführerin behindert hätte, wird nicht behauptet und geht
auch nicht aus den Akten hervor. Was den unzutreffenden Registereintrag
betrifft, kann sich die Beschwerdeführerin nach Treu und Glauben nicht
auf Rechtsmissbrauch berufen, nachdem sie (nach eigener Darlegung) an
der Erschleichung des Registereintrages selbst massgeblich beteiligt war.