Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 IV 106



128 IV 106

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Y. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.289/2001 vom 20. März 2002

Regeste

    Art. 189 Abs. 1, Art. 190 Abs. 1 StGB, sexuelle Nötigung und
Vergewaltigung, psychisches Unterdrucksetzen; Art. 193 Abs. 1 StGB,
Ausnützen der Notlage.

    Anforderungen an das Nötigungsmittel des
Unter-psychischen-Druck-Setzens bei erwachsenen Opfern (E. 3a).

    Ausnützen einer Abhängigkeit. Eine in anderer Weise begründete
Abhängigkeit im Sinne von Art. 193 StGB kann zwischen einem
Psychotherapeuten und seiner Patientin bestehen. Abgrenzung zwischen
therapiebedingter Abhängigkeit und psychischem Druck gemäss Art. 189 und
190 StGB (E. 3b und c).

Sachverhalt

    A.- X. ging von Juli bis September 1993 jeweils über Mittag in die
Wohnung von Y., um sie als ihr ehemaliger Blau-Kreuz-Therapeut weiter
therapeutisch zu betreuen. Dabei legte er sich dann für seinen gewohnten
Mittagsschlaf auf das Sofa oder auch ins Ehebett. Danach zog er seine
Kleider aus, hielt sein Glied und verlangte von Y., dass sie ihre Jeans
ausziehe. Weil sie sich für ihn offensichtlich nicht entkleiden wollte,
forderte er sie auf, seinen nackten Körper anzuschauen und manipulierte
dabei an seinem Geschlechtsteil herum. Mit den Worten, sie solle ihn
nicht enttäuschen, das Ganze sei eine Therapie und er wolle ihr zeigen,
wie schön das sei, trieb er sie in die Enge. Er warf ihr vor, sie sei
verklemmt und rief dadurch Ängste und Schuldgefühle in ihr hervor. Er
tat dies im Wissen, dass Y. seit langer Zeit alkoholabhängig war und
sich bei ihm als Therapeuten die einzige Hilfe erhoffte, in ihm auch
eine Vaterfigur sah und sich auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur,
welche X. als Therapeut bekannt war, grundsätzlich schlecht wehren
konnte. Schliesslich setzte er sie damit unter Druck, dass er ihr androhte,
allen zu erzählen, was für eine Person sie sei. Jedesmal, wenn sie sich
seinen Ansinnen zu widersetzen versuchte, wurde er

in seinem Wesen derart kalt und abweisend, dass sie sich davor fürchtete,
seine Hilfe und die Vaterfigur zu verlieren. Sie kam deshalb jeweils
seinen Aufforderungen nach und zog sich selber die Kleider aus, worauf
es in der Wohnung insgesamt 4-5 Mal zum ungeschützten Geschlechtsverkehr
zwischen ihnen kam. Dieser lief jeweils so ab, dass sich X. mit seinem
ganzen Gewicht auf Y. legte und mit ihr vaginal bis zum Samenerguss
verkehrte. Y. versuchte zwar, X. wegzudrücken, doch gelang ihr dies
nicht, weil er ihre Unterarme und Hände hielt und sie in die Matratze
drückte. Wenn sie sich gegen ihn wehrte, wurde er wütend und sagte zu
ihr, ob er denn häufiger "kommen müsse, damit sie lerne". Schliesslich
wies er sie an, über die Sache zu schweigen, weil er sonst seine Stelle
verlieren würde.

    An nicht mehr genau ermittelbaren Tagen in der Zeit zwischen Dezember
1992 und November 1993 kam es in den Räumlichkeiten des Blauen Kreuzes an
der A.strasse in Zürich, in der Wohnung von Y., im Fahrzeug von X. sowie
in einem unbekannten Waldstück auf der Fahrt von Zürich nach Mollis
zu mindestens 20 bis 30 Vorfällen, die immer nach dem gleichen Muster
abliefen. X. bat Y. jeweils, in seine Arme zu kommen. Er drückte sie
dann an sich, hielt sie und stöhnte, um ihr seine sexuelle Erregung zu
zeigen. Danach öffnete er seine Hose und forderte sie mit einem Wink oder
auch mit den Worten, sein Glied sei so sauber wie sein Gesicht, und sie
solle ihn nicht enttäuschen, dazu auf, ihn oral zu befriedigen. Meistens
ejakulierte er in ihrem Mund. Zudem verlangte er von ihr, sich auf ihn
zu legen, wobei er dann ihre Vagina berührte und küsste sowie unter den
Kleidern an ihre Brüste griff. Im Anschluss an diesen Sexualkontakten sagte
er ihr, er wisse nun, dass sie ihn gern habe. Nach einem ähnlichen Muster
kam es ungefähr zwei Mal im Ferienhaus von X. in Mollis und in der Wohnung
von Y. zu sexuellen Handlungen. In diesen Fällen verlangte X. von Y., ihn
auch "im Darm" zu befriedigen und dazu Mandelöl zu verwenden. Y. kam dieser
Aufforderung jeweils nach, nahm sein Glied in den Mund und befriedigte
ihn gleichzeitig mit dem Finger im After.

    Ebenfalls zwischen Dezember 1992 und November 1993 rief X. Y.
jeden Morgen gegen 07.15 Uhr sowohl bei ihr zuhause als auch in ein
Ferienheim des Blauen Kreuzes telefonisch an. Er erkundigte sich jeweils
einleitend nach ihrem Zustand, um ihr anschliessend zu sagen, "er halte
sein Glied, er habe Lust und ob sie sein Glied auch halte", wobei er sich
"auf diese Weise selber sexuell befriedigte". Um sich Y. gefügig zu machen,
setzte er die gleichen Mittel ein wie

bei den Vorfällen zwischen Juli und September 1993 (oben Bst.
A. 1. Absatz).

    An einem nicht näher bestimmbaren Nachmittag zwischen Dezember 1992
und November 1993 kam Y. vollkommen betrunken zu einer Therapiestunde
bei X. in dessen Büro beim Blauen Kreuz. Im Verlauf der Therapie steckte
X. seinen Finger in die Scheide von Y. An einem ebenfalls nicht mehr
genau bestimmbaren Tag im Frühling 1993 nach einer Therapiestunde in
den Räumlichkeiten des Blauen Kreuzes fuhr X. die vollkommen betrunkene
Y. zu ihr nach Hause, brachte sie dort im Schlafzimmer ins Bett, zog
ihr die Kleider aus und küsste ihren Körper während zwei Stunden. Y. war
bei beiden Vorfällen dermassen betrunken, dass sie von den Übergriffen
nichts mitbekam.

    B.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X. am 13. Juli 1997 wegen
mehrfacher sexueller Nötigung gemäss Art. 189 Abs. 1 StGB, mehrfacher
Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB, und mehrfacher
Schändung nach Art. 191 StGB, alles begangen zum Nachteil von Y., zu
einer Zuchthausstrafe von 3 Jahren. Ferner wurde X. verpflichtet, Y. eine
Genugtuung von Fr. 22'000.- sowie die Kosten der auf Grund der eingeklagten
Straftaten anfallenden psychotherapeutischen Behandlungen zu bezahlen.

    Auf Berufungen X.'s und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
sowie Anschlussberufung der Geschädigten hin bestätigte das Obergericht
des Kantons Zürich am 15. Juli 1998 den erstinstanzlichen Schuldspruch,
erhöhte jedoch die Strafe auf 4 Jahre Zuchthaus und die Genugtuungssumme
auf Fr. 25'000.-. Zudem verpflichtete das Gericht X. zur Zahlung der
Therapiekosten der Geschädigten.

    Mit Beschluss vom 25. Oktober 1999 hiess das Kassationsgericht des
Kantons Zürich eine von X. erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
gut und wies die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an
das Obergericht zurück. Am 25. Februar 2000 überwies dieses die Sache
an die Staatsanwaltschaft zur Entfernung nicht verwertbarer Urkunden
und zur Wiederholung und Ergänzung der Untersuchung im Sinne der
kassationsgerichtlichen Erwägungen.

    C.- Nach Durchführung einer Berufungsverhandlung, zu welcher
X. das persönliche Erscheinen erlassen wurde, fällte das Obergericht am
18. Dezember 2000 ein neues Urteil. Es sprach X. wiederum der mehrfachen
sexuellen Nötigung, der mehrfachen Vergewaltigung sowie der mehrfachen
Schändung schuldig und bestrafte ihn mit 4 Jahren Zuchthaus. Es
verpflichtete ihn zur

Zahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 25'000.- an Y. und zur Übernahme
ihrer durch die beurteilten Straftaten anfallenden Therapiekosten.

    Am 19. Juli 2001 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine
kantonale Nichtigkeitsbeschwerde X.'s ab, soweit es darauf eintrat. Eine
dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde von X. hat das Bundesgericht
mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.

    D.- X. führt gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich
vom 18. Dezember 2000 eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen den Schuldspruch
der mehrfachen Schändung im Sinne von Art. 191 StGB (Sachverhalt gemäss
Bst. A. 4. Absatz). Darauf ist nicht zurückzukommen.

Erwägung 2

    2.- (Vorbringen des Beschwerdeführers und Erwägungen der Vorinstanz)

Erwägung 3

    3.- a) aa) Eine Vergewaltigung nach Art. 190 Abs. 1 StGB begeht,
wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt,
namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen
Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Eine sexuelle Nötigung im
Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter eine Person zur
Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer ähnlichen Handlung nötigt,
namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen
Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht. Die in beiden Tatbeständen
beispielhaft genannten Nötigungsmittel stimmen vollständig überein.

    Im Gegensatz zum früheren Recht (Art. 188 aStGB) setzt eine sexuelle
Nötigung gemäss Art. 189 StGB nicht mehr die Widerstandsunfähigkeit des
Opfers voraus. Immer ist aber eine erhebliche Einwirkung erforderlich
(BGE 122 IV 97 E. 2b; 126 IV 124 E. 3a).

    bb) Die sexuellen Nötigungstatbestände verbieten den Angriff auf
die sexuelle Freiheit. Sie gelten als Gewaltdelikte und sind damit
prinzipiell als Akte physischer Aggression zu verstehen. Dabei stellt
aber die Tatbestandsvariante des Unter-psychischen-Druck-Setzens klar,
dass sich die tatbestandsmässige Ausweglosigkeit der

Situation für das Opfer auch ergeben kann, ohne dass der Täter
eigentliche Gewalt anwendet; es kann vielmehr genügen, dass dem Opfer
eine Widersetzung unter solchen Umständen aus anderen Gründen nicht
zuzumuten ist. Der Gesetzgeber wollte mit der genannten Tatvariante
sicherstellen, dass der Tatbestand alle erheblichen Nötigungsmittel
erfasst, auch solche ohne unmittelbaren Bezug zu physischer Gewalt. Es
sollte etwa auch das Opfer durch Art. 189 und 190 StGB geschützt werden,
das durch Überraschungseffekt, Erschrecken, Verblüffung oder auf Grund
einer ausweglosen Lage keinen Widerstand leistet (BGE 122 IV 97 E. 2b
S. 100 mit Hinweisen). Damit wird deutlich, dass eine Situation für das
Opfer bereits auf Grund der sozialen und körperlichen Dominanz des Täters
aussichtslos im Sinne der genannten Tatbestände sein kann. Diese Dominanz
muss nicht notwendigerweise mit der Furcht des Opfers vor körperlicher
Gewalt verknüpft sein; vielmehr kann für eine tatbestandsmässige
Nötigung gegebenenfalls etwa schon genügen, wenn das Opfer Angst vor der
Unnachgiebigkeit oder Strenge des Täters hat, den Verlust seiner Zuneigung
oder derjenigen anderer Bezugspersonen fürchtet, unter dem Eindruck eines
Schweigegebots in einen unentrinnbaren, lähmenden Gewissenskonflikt gerät,
oder wenn der Täter das Opfer psychisch und physisch so erschöpft, dass
es sich dem ungewollten Sexualakt nicht mehr widersetzt (vgl. BGE 122
IV 97 E. 2 mit Hinweisen; 124 IV 154; 126 IV 124 E. 3b mit Hinweisen;
Urteil des Bundesgerichts 6S.199/2000 vom 10. April 2001). Ob die
tatsächlichen Verhältnisse die tatbeständlichen Anforderungen eines
Nötigungsmittels erfüllen, lässt sich erst auf Grund einer umfassenden
Würdigung der relevanten konkreten Umstände entscheiden. Es ist mithin
eine individualisierende Beurteilung notwendig, die sich auf hinlänglich
typisierbare Merkmale stützen muss (BGE 124 IV 154 E. 3b). Das Ausmass
der Beeinflussung, das für den psychischen Druck erforderlich ist, bleibt
aber letztlich unbestimmbar (REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7. Aufl.,
Zürich 1997, S. 393), weshalb diese Bestimmung vorsichtig auszulegen
ist (vgl. GUIDO JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht,
Bd. 4, Bern 1997, Art. 189 N. 10 ff.; TRECHSEL, Kurzkommentar StGB,
2. Aufl., Zürich 1997, Art. 189 N. 6; kritisch auch PETER HANGARTNER,
Selbstbestimmung im Sexualbereich - Art. 188-193 StGB, Diss. St. Gallen
1997, S. 144 f.; ferner JENNY, Die strafrechtliche Rechtsprechung des
Bundesgerichts im Jahre 1998, in: ZBJV 135/1999 S. 639 ff.; PHILIPP MAIER,
Das Tatbestandsmerkmal des Unter-psychischen-Druck-Setzens

im Schweizerischen Strafgesetzbuch, in: ZStrR 117/1999 S. 402, 417 f.).

    Diese ursprünglich auf dem Hintergrund von sexuellem Kindsmissbrauch
entwickelte Rechtsprechung (BGE 124 IV 154; 122 IV 97) gilt gemäss BGE 126
IV 124 E. 3d S. 130 auch im Erwachsenenstrafrecht. Das Bundesgericht hat
jedoch schon früh darauf hingewiesen, dass Erwachsenen mit entsprechenden
individuellen Fähigkeiten eine stärkere Gegenwehr zuzumuten ist als Kindern
(BGE 122 IV 97 E. 2b S. 101). Das bedeutet, dass die im Zusammenhang
mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern entwickelten Grundsätze zum
Nötigungsmittel des psychischen Druckes, die den Besonderheiten einer
Ausnützung des Erwachsenen-Kind-Gefälles Rechnung tragen, sich nicht
generell und unbesehen auf Erwachsene übertragen lassen. So kommt etwa dem
einem Kind auferlegten Schweigegebot in aller Regel eine andere Bedeutung
zu als bei einem Erwachsenen. Gleiches gilt für die Androhung des Entzugs
der Zuneigung oder die Angst vor der (erzieherischen) Unnachgiebigkeit
oder Strenge des Täters. Bei Erwachsenen kommt ein psychischer Druck daher
nur bei ungewöhnlich grosser kognitiver Unterlegenheit oder emotionaler
wie sozialer Abhängigkeit in Betracht. Wie schon in BGE 124 IV 154
E. 3c S. 161 angedeutet, genügt demgegenüber das Ausnützen allgemeiner
Abhängigkeits- oder Freundschaftsverhältnisse für sich genommen nicht,
um einen relevanten psychischen Druck im Sinne von Art. 189 Abs. 1 und
Art. 190 Abs. 1 StGB zu begründen.

    b) Art. 193 Abs. 1 StGB erfüllt, wer eine Person veranlasst, eine
sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, indem er eine Notlage oder
eine durch ein Arbeitsverhältnis oder eine in anderer Weise begründete
Abhängigkeit ausnützt. Art. 193 StGB tritt als leichterer Angriff auf die
sexuelle Freiheit gegenüber den Art. 187, 188, 189, 190, 191 und 192 StGB
zurück (JENNY, Kommentar, Art. 193 StGB N. 16 ff.).

    Zwischen einem Psychotherapeuten und seinem Patienten kann allein
schon auf Grund der therapeutischen Beziehung ein Abhängigkeitsverhältnis
im Sinne des Tatbestandes der Ausnützung der Notlage gemäss Art. 193 Abs. 1
StGB bestehen (eingehend BGE 124 IV 13 E. 2c/cc S. 16-18 zum entsprechenden
Art. 197 Abs. 1 aStGB). Bei der "in anderer Weise" begründeten Abhängigkeit
steht nach einhelliger Auffassung der sexuelle Missbrauch von Patienten
durch Psychotherapeuten im Vordergrund (JENNY, Kommentar, Art. 193 StGB
N. 9 mit Hinweisen). Daraus ergibt sich, dass nicht allein schon

gestützt auf das Therapeuten-Patienten-Verhältnis auf einen psychischen
Druck des Patienten im Sinne der Art. 189 und 190 StGB geschlossen
werden kann, ansonsten dem Merkmal der in anderer Weise (als durch ein
Arbeitsverhältnis oder durch eine Notlage) begründeten Abhängigkeit gemäss
Art. 193 StGB eine eigenständige Bedeutung weitgehend abginge. In der
Regel wird das Ausnützen von Abhängigkeitsverhältnissen abschliessend
von den Art. 188, 192 und 193 StGB erfasst sein, wobei dem Charakter des
Abhängigkeitsverhältnisses oder dem Umstand, dass es sich um ein besonders
schwaches Opfer handelt, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sein
wird (in diesem Sinne JENNY, Kommentar, Art. 189 StGB N. 14; anderer
Meinung - ohne nähere Begründung - HANGARTNER, aaO, S. 244). Nur in
den Fällen, in denen der vom Täter ausgeübte Druck die in den erwähnten
Bundesgerichtsentscheiden (oben E. 3a/bb) dargelegte Intensität erreicht,
kommen die Tatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung
in Betracht.

    Wann eine therapiebedingte Abhängigkeit in einen psychischen
Druck übergeht, der unter Art. 189 und 190 StGB fällt, lässt sich
nicht allgemein beantworten (dazu etwa JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID,
Strafrecht III, 7. Aufl., Zürich 1997, § 58 Ziff. 3.1, S. 406; GÜNTER
STRATENWERTH, Schweizer Strafrecht, BT I, 5. Aufl., Bern 1995, § 7 N. 50
und § 8 N. 9). Für die Abgrenzung wird namentlich der Charakter der
sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung als Gewaltdelikte zu beachten
sein. Die Auslegung der Art. 189 und 190 StGB hat sich insbesondere
an der Frage der (zumutbaren) Selbstschutzmöglichkeit des Opfers zu
orientieren (vgl. JENNY, Kommentar, Art. 189 StGB N. 14 f.; BRIGITTE SICK,
Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff, Wien 1993,
S. 336). Es versteht sich von selbst, dass nicht jeder beliebige Zwang,
nicht schon jedes den Handlungserfolg bewirkende kausale Verhalten,
auf Grund dessen es zu einem ungewollten Geschlechtsverkehr kommt,
eine sexuelle Nötigung darstellen kann (SICK, aaO, ebd.; ausführlich zum
Ganzen MAIER, aaO, S. 402 ff.). Mit Blick darauf wird für die Abgrenzung
zwischen dem psychischen Druck nach den Art. 189 und 190 StGB und der
Abhängigkeit gemäss Art. 193 StGB unter anderem darauf abzustellen sein,
ob der Täter mit zusätzlichen Einwirkungen (als der blossen Ausnützung des
Therapeuten-Patienten-Gefälles) auf das Opfer wesentlich dazu beitrug,
dieses in eine (subjektiv) ausweglose Lage zu bringen. Dabei wird der
Schwere der Beeinflussung entscheidende Bedeutung zukommen.

    c) aa) Aus dem Urteil der Vorinstanz geht hervor, dass der
Beschwerdeführer Y. im Tatzeitraum therapeutisch betreute. Diese
Betreuung setzte er auch dann noch fort, als Y. zu einem anderen
Therapeuten gewechselt hatte. Fest steht sodann, dass zwischen
Y. und dem Beschwerdeführer ein während der Therapie gewachsenes und
darüber hinausdauerndes Abhängigkeitsverhältnis bestand. Es ist deshalb
grundsätzlich unbeachtlich, über welche Ausbildung der Beschwerdeführer
verfügte und ob er einzelne der ihm vorgeworfenen Taten beging, als er
formell nicht mehr der Therapeut von Y. war.

    bb) Die Ausführungen in den Urteilen der Vorinstanzen zur Person
der Geschädigten vermitteln das Bild einer (im Tatzeitraum) schwachen
Persönlichkeit mit geringem Selbstwertgefühl, die in ihrer Kindheit von
ihren Eltern verstossen worden war, in jungen Jahren alkoholabhängig
wurde, ungefähr ab dem 17. Altersjahr auf der Strasse lebte und sich
mit Prostitution durchbringen musste. Der Beschwerdeführer war für
die Geschädigte nicht nur Therapeut, sondern er nahm für sie eine
Vaterstellung ein. Er hatte im Leben von Y. einen entsprechend hohen
Stellenwert. Er war für sie wie ein "Geländer, an welchem sie sich
halten konnte", "eine Stütze und eine Hilfe", was der Beschwerdeführer
wusste. Ihm war auch bekannt, dass Y. bei manchen mittäglichen Treffen
alkoholisiert war. Obschon er in jedem Gespräch daran arbeitete, dass die
Geschädigte lerne, sich zu wehren und nicht zu machen, was die andern ihr
sagten, unterlief er diese Bemühungen, indem er seine Vertrauensstellung
missbrauchte, um gerade diese Schwächen der Geschädigten für seine sexuelle
Befriedigung auszunützen. Y. widersetzte sich den sexuellen Forderungen
des Beschwerdeführers lange Zeit kaum, weil sie Angst hatte, ihn zu
verlieren. Der Beschwerdeführer hatte ihr ein Schweigegebot auferlegt,
da ihm eine Offenlegung der Vorfälle die Stelle kosten könnte. Mit dem
Hinweis, dass er "allen erzählen würde, was für eine Person sie sei",
wenn sie seinen Wünschen nicht nachkomme, belastete und schüchterte er
sie zusätzlich ein. Da sie seine Hilfe und väterliche Zuneigung benötigte
und durch eine Anzeige nicht aufs Spiel setzen wollte, fühlte sie sich
den sexuellen Forderungen des Beschwerdeführers ausgeliefert.

    Angesichts der schwerwiegenden Probleme der Geschädigten und ihrer
Persönlichkeitsstruktur bestand zwischen ihr und dem Beschwerdeführer
allein schon therapiebedingt eine Abhängigkeit. Diese wurde durch die
Vater-Tochter-ähnliche-Beziehung zusätzlich verstärkt. Y. war durch ihre
Jugendzeit (Verstossenwerden durch den Vater) und vor allem durch ihre
Alkoholerkrankung physisch und psychisch

überdurchschnittlich belastet sowie subjektiv auf die Lebenshilfe seitens
des Beschwerdeführers angewiesen. Dieser nutzte die Abhängigkeit der
Geschädigten zur Durchsetzung seiner sexuellen Forderungen aus. Obschon
angesichts dieser Umstände nachvollziehbar ist, dass die Geschädigte
den Beschwerdeführer gewähren liess bzw. sich ihm nicht widersetzte,
war ihre Lage unter dem Gesichtspunkt der Art. 189 und 190 StGB nicht
aussichtslos und eine Widersetzung nicht unzumutbar. Das gilt zunächst
für die Telefonate des Beschwerdeführers, welche die Geschädigte gar
nicht erst hätte entgegennehmen oder aber vorzeitig beenden können,
aber auch für die weiteren Vorfälle. Entscheidend ist in diesem
Zusammenhang, dass die Beschwerdeführerin bereits im Jahre 1991 eine
Therapie mit dem Beschwerdeführer abgebrochen hatte, als dieser ihr
mit Fusskontakten und Umarmungen zu nahe gekommen war, im November
1992 aber wieder zu ihm zurückkehrte, weil sie ihn als Fachmann
betrachtete. Es ist nicht zu erkennen, weshalb die Geschädigte bereits
kurz nach Wiederaufnahme der Therapie gegenüber den Annäherungen des
Beschwerdeführers in einer aussichtslosen Lage gewesen sein soll, in der
ihr ein Widerstand oder Ausweichen nicht habe zugemutet werden können,
nachdem es ihr doch zuvor bereits gelungen war, aus geringerem Anlass
eine Therapie beim Beschwerdeführer abzubrechen. Dies umso weniger,
als der vom Beschwerdeführer ausgeübte Druck im Unterschied zu den
vom Bundesgericht bisher bejahten Fällen bei erwachsenen Opfern weder
andauernd noch vergleichbar intensiv war (vgl. BGE 126 IV 124; Urteil
des Bundesgerichts 6S.199/2000 vom 10. April 2001). Die Missachtung des
der Geschädigten vom Beschwerdeführer auferlegten Schweigegebotes hätte
vorrangig dem Beschwerdeführer geschadet. Für die Geschädigte selbst
hätte dies einzig den Verlust der Behandlung und der Vaterfigur bedeutet,
was nicht als erhebliche Nachteile zu werten ist. Ein mit den anderen
Nötigungsmitteln der Art. 189 und 190 StGB vergleichbarer nötigender
psychischer Druck lässt sich auch nicht aus dem äusserst unspezifischen
Hinweis des Beschwerdeführers an die Geschädigte ableiten, dass er
"allen erzählen würde, was für eine Person sie sei", wenn sie seinen
Wünschen nicht nachkomme. Den Urteilen der Vorinstanzen lässt sich nämlich
nicht entnehmen, dass die Geschädigte befürchtete, der Beschwerdeführer
könnte potenziell rufschädigende Tatsachen über sie verbreiten (z.B.
Alkoholismus, Werdegang), die ihrem Umfeld nicht bereits bekannt waren.

    d) Zusammenfassend ergibt sich, dass die Abhängigkeit der Geschädigten
vom Beschwerdeführer keinen für die Annahme eines

psychischen Druckes im Sinne der Art. 189 und 190 StGB genügenden
Schweregrad erreichte. Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen
mehrfacher sexueller Nötigung und mehrfacher Vergewaltigung verletzt
Bundesrecht. Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils in den genannten
Punkten erübrigt sich eine Überprüfung der ebenfalls beanstandeten
Strafzumessung.

    e) aa) Die Vorinstanz hat einerseits vollständig auf den von der
Anklageschrift geschilderten Sachverhalt abgestellt. Andererseits hat
sie die Schilderungen der Geschädigten als glaubwürdig angesehen und
damit vollständig übernommen. Während die Anklageschrift nur eine
Verhaltensweise des Beschwerdeführers schildert, die als physische
Gewalt gewertet werden könnte (Festhalten der Unterarme und Hände,
Sich-mit-dem-ganzen-Körpergewicht-auf-die-Geschädigte-Legen, Niederdrücken
in die Matratze), gehen aus den von der Vorinstanz gewürdigten Aussagen der
Geschädigten weitere ähnliche Handlungen des Beschwerdeführers hervor. Die
Geschädigte gab an, der Beschwerdeführer habe sie mit einer Art Würgegriff
immer am Hals packen wollen und ihr auch die Kleider vom Leib gerissen.

    Die Vorinstanz führt aus, die Anklage gehe hauptsächlich von
einem psychischen Druck des Beschwerdeführers aus und nur am Rande
von physischer Gewalt. Die gegenüber der Anklageschrift ergänzenden
und präzisierenden Ausführungen der Geschädigten wirkten sich nicht
zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. Daraus wird nicht deutlich,
ob die Vorinstanz gestützt auf den Anklagegrundsatz nur auf den in der
Anklageschrift geschilderten Sachverhalt abstellt und nicht auf die
zusätzlichen Schilderungen der Geschädigten, oder ob sie zu Gunsten des
Beschwerdeführers rechtlich davon ausgeht, sein Verhalten erfülle lediglich
das Tatbestandsmerkmal des Unter-psychischen-Druck-Setzens und nicht auch
dasjenige der Gewalt. Unter diesen Umständen wird die Vorinstanz bei der
Neubeurteilung prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer die Geschädigte
mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr oder zu sexuellen Handlungen nötigte
und deshalb die Tatbestände der Art. 189 und 190 StGB erfüllte.

    bb) Soweit die von der Vorinstanz als Vergewaltigung und sexuelle
Nötigung qualifizierten Handlungen des Beschwerdeführers den Tatbestand
der Ausnützung der Notlage (Art. 193 StGB) erfüllen könnten, wäre die
Frage der Verjährung zu prüfen.