Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 II 97



128 II 97

12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung
i.S. G. gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) 5A.23/2001 vom 11. Februar 2002

Regeste

    Erleichterte Einbürgerung und Widerruf derselben (Art.  27 und 41 BüG).

    Im massgebenden Zeitraum bestand keine tatsächliche eheliche
Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG (E. 3).

    Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht
für eine Nichtigerklärung der Einbürgerung; letztere muss vielmehr
"erschlichen", d.h. mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt
worden sein. Nichtigkeit bejaht (E. 4).

Sachverhalt

    A.- G. (geb. 1958) wuchs als türkischer Staatsangehöriger in der
Türkei auf, heiratete F. (geb. 1951), welche ihm laut türkischem
Zivilstandsregisterauszug zwischen 1976 und 1986 acht Kinder gebar. Er
reiste am 28. März 1989 in die Schweiz ein und stellte hier ein
Asylgesuch. Das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) lehnte das Gesuch am
13. August 1992 ab und wies G. auf den 30. November 1992 aus der Schweiz
weg. Am 9. Juli 1992 hatte sich G. von seiner

türkischen Ehefrau F. scheiden lassen, und am 11. September 1992
heiratete er die 34 Jahre ältere Schweizer Bürgerin B. (geb. 1924). Der
Kanton Zürich erteilte G. am 15. Januar 1993 eine ordentliche
Aufenthaltsbewilligung.

    Am 20. September 1995 stellte G. ein Gesuch um erleichterte
Einbürgerung. Gemeinsam mit B. unterzeichnete er am 26. November 1996
eine Erklärung, wonach sie beide in einer tatsächlichen, stabilen,
ungetrennten ehelichen Gemeinschaft leben. Sie nahmen ferner zur
Kenntnis, dass die erleichterte Einbürgerung nicht möglich sei, wenn keine
tatsächliche eheliche Gemeinschaft mehr bestehe, und dass andernfalls die
erleichterte Einbürgerung nachträglich nichtig erklärt werden könne. Am
11. Dezember 1996 erhielt G. durch erleichterte Einbürgerung das Schweizer
Bürgerrecht. Im Frühjahr 1997 beantragte er den Familiennachzug für
sechs seiner acht Kinder aus erster Ehe, welcher am 21. November 1997
bewilligt wurde.

    B. leitete am 27. November 1997 beim Friedensrichter das
Ehescheidungsverfahren ein. Am 4. Februar 1998 wurde die Ehe geschieden. In
der Folge wurde G. fürsorgeabhängig. Am 8. Mai 1998 verheiratete er sich
in der Türkei erneut mit seiner ersten Ehefrau, für welche er ebenfalls
die Einreise in die Schweiz beantragte.

    B.- Am 9. April 1999 eröffnete das Bundesamt für Ausländerfragen
(BFA) ein Verfahren betreffend Nichtigerklärung der Einbürgerung von G. Am
29. Juli 1999 erteilte das Departement des Innern des Kantons Aargau die
Zustimmung zur Nichtigerklärung. Nach Durchführung eines Schriftenwechsels
erklärte das BFA mit Verfügung vom 30. April 2001 die erleichterte
Einbürgerung als nichtig. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das
Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am 23. Oktober
2001 ab.

    C.- Mit Eingabe vom 23. November 2001 hat G. gegen den Entscheid
des EJPD Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben, im Wesentlichen mit dem
Antrag, der angefochtene Entscheid sowie die Verfügung des BFA seien
aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 27 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952
über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (in

der Fassung vom 23. März 1990 [BüG; SR 141.0]) kann ein Ausländer
nach der Eheschliessung mit einer Schweizer Bürgerin ein Gesuch um
erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der
Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren
in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizer Bürgerin lebt. Nach dem
Wortlaut und Wortsinn der Bestimmung müssen sämtliche Voraussetzungen
sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch anlässlich der
Einbürgerungsverfügung erfüllt sein. Fehlt es insbesondere im Zeitpunkt
des Entscheids an der ehelichen Gemeinschaft, darf die erleichterte
Einbürgerung nicht ausgesprochen werden. Der Begriff der "ehelichen
Gemeinschaft" stammt zwar aus dem Zivilgesetzbuch (Art. 159 Abs. 1
ZGB). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, welche sich auf die
Literatur stützt, unterscheidet sich der Begriff der ehelichen Gemeinschaft
im Sinn von Art. 27 und 28 BüG aber von demjenigen des ZGB (BGE 121 II
49 E. 2b S. 51 mit Hinweis auf die Lehre). Das Bundesgericht geht davon
aus, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinn des Bürgerrechtsgesetzes
nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer
tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraussetzt. Eine solche Gemeinschaft kann
nur bejaht werden, wenn der gemeinsame Wille zu einer stabilen ehelichen
Gemeinschaft intakt ist (BGE 121 II 49 E. 2b S. 52). Ein Hinweis auf den
fehlenden Willen der Ehegatten, die eheliche Gemeinschaft aufrecht zu
erhalten, kann der Umstand sein, dass kurze Zeit nach der Einbürgerung
das Scheidungsverfahren eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte
dem ausländischen Ehegatten einer Schweizer Bürgerin die erleichterte
Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit des Bürgerrechts der Ehegatten
im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu fördern (vgl. Botschaft des
Bundesrats zur Änderung des BüG vom 27. August 1987, BBl 1987 III 310).

    b) Im Zeitpunkt der Erklärung vom 26. November 1996 und der
Einbürgerungsverfügung vom 11. Dezember 1996 war der Beschwerdeführer
noch mit B. verheiratet und sie wohnten in der gleichen Wohnung. Dies
ergibt sich aus ihren Erklärungen sowie den Schreiben der Nachbarn. Die
damalige Ehefrau leitete das Ehescheidungsverfahren knapp ein Jahr später
am 27. November 1997 ein. Das EJPD vertritt im angefochtenen Entscheid die
Auffassung, bei den beiden habe bereits im Jahre 1996 der Wille gefehlt,
die eheliche Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Der Beschwerdeführer macht
demgegenüber geltend, der Scheidungswille sei bei der Ehefrau erst nach
der Einbürgerungsverfügung im Zeitpunkt

entstanden, als er seine Kinder aus erster Ehe in die Schweiz geholt
habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die eheliche Gemeinschaft bestanden.

    Für ihren Schluss haben die Vorinstanzen die Scheidungsakten
beigezogen. Dem Protokoll des Instruktionsrichters lässt sich Folgendes
entnehmen: B. antwortete auf die Frage, weshalb sie geheiratet habe, sie
habe sich lange gegen diese Heirat gewehrt, aber ihr Mann habe sie immer
wieder gedrängt, und so sei sie halt in das Ganze hineingeraten. Er sei
vorher Asylbewerber gewesen, vielleicht hätte er ohne Heirat ausreisen
müssen. Auf die Frage, ob es richtig sei, dass sie bei der Heirat
mitgemacht habe, damit er in der Schweiz bleiben könne, erwiderte sie,
das müsse sie heute wohl zugeben. Der Beschwerdeführer seinerseits tat
sich schwer mit der Frage, weshalb er B. geheiratet habe. Er vertrat die
Meinung, dies sei einfach eine normale Heirat gewesen, und er sehe in der
Erkundigung nach dem Grund derselben keinen Sinn. B. führte zur Ehe aus,
diese sei zwei Jahre lang gut gegangen, im dritten Jahr, also 1995 hätten
die Probleme begonnen und danach habe die Ehe nicht mehr funktioniert.
Auf die Frage, ob die Ehe gerade so lange gedauert habe, bis ihr Mann
den Schweizer Pass habe erhalten können, antwortete sie, jedenfalls habe
er diesen jetzt. Bezüglich der Eheschwierigkeiten entgegnete B., sie
verstünden sich einfach nicht mehr. Hinzu komme, dass vor kurzer Zeit
die sechs Kinder ihres Mannes in die Schweiz gekommen seien, welcher
Belastung sie nicht mehr gewachsen sei. Mit diesen Aussagen stehen die
Schreiben von B. nicht im Widerspruch. Sie betonte schriftlich immer
wieder, sie habe mit dem Beschwerdeführer keine Scheinehe geführt, die Ehe
sei im Anfangsstadium durchaus normal gewesen und wenn sie schliesslich
die Scheidung beantragt habe, dann vorab, weil sie die sechs Kinder im
Haushalt nicht ertragen habe.

    Gestützt auf diese Aussagen und andern Beweismittel durfte die
Vorinstanz annehmen, die Ehe sei insbesondere seitens des Beschwerdeführers
von Anfang an vorab wegen des Bleiberechts abgeschlossen worden und es habe
bereits im Jahre 1996, also im Zeitpunkt der unterschriftlichen Erklärung
der Eheleute, der massgebliche Wille zur Aufrechterhaltung der ehelichen
Gemeinschaft gefehlt. Ebenso wenig ist die Schlussfolgerung zu beanstanden,
der Beschwerdeführer sei im Jahre 1996 nicht dem Wohl und dem Fortbestand
der Ehe verpflichtet gewesen, sondern habe seine Einbürgerung verfolgt.
Zwar hat möglicherweise der Nachzug der sechs unmündigen Kinder den
äusseren Anlass gegeben, dass B. das

Scheidungsverfahren etwas weniger als ein Jahr nach der Einbürgerung
eingeleitet hat, doch bestehen erhebliche Zweifel, ob die eheliche
Gemeinschaft nicht bereits vorher schon nicht mehr intakt gewesen
war. Zudem ist die Feststellung nicht zu beanstanden, der Beschwerdeführer
habe die Einleitung des Verfahrens mit dem Kindernachzug provoziert.
Sofern er die Scheidung nicht vorsätzlich anstrebte, musste er mindestens
wissen und nahm es bewusst in Kauf, dass seine 74-jährige Frau als
Stiefmutter die sechs ihr unbekannten Kinder aus einem andern Kultur- und
Sprachkreis in ihrer Wohnung auf Dauer nicht wird ertragen können. Daran
ändert nichts, dass B. heute nach wie vor Kontakt mit dem Beschwerdeführer
und seiner Familie hat. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im
massgebenden Zeitraum die eheliche Gemeinschaft seitens des Gesuchstellers
- gestützt auf die angeführten Indizien - bloss als eine fiktive und
nicht als eine tatsächliche im Sinne von Art. 27 BüG qualifiziert werden
muss. Ein schützenswertes Interesse des Beschwerdeführers, die Einheit
des Bürgerrechts im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft der Ehegatten
herzustellen, muss deshalb verneint werden.

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 41 Abs. 1 BüG kann die Einbürgerung vom EJPD mit
Zustimmung der Behörde des Heimatkantons innert fünf Jahren nichtig
erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung
erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der
Einbürgerungsvoraussetzungen genügt daher nicht. Die Nichtigerklärung der
Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese "erschlichen", d.h. mit
einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist.

    b) Vorliegend ergibt sich aus den Scheidungsakten und den gesamten
Umständen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nichtigerklärung
erfüllt sind. Das planmässige Vorgehen des Beschwerdeführers, das
Irreführen der Behörden und möglicherweise auch seiner geschiedenen Frau
sind durch die Scheidungsakten und insbesondere durch den Ereignisablauf
belegt. Nachdem der Beschwerdeführer in die Schweiz eingereist war,
stellte er ein Asylgesuch. Kurz vor dessen absehbarer Ablehnung wurde die
Scheidung von seiner türkischen Frau, mit welcher er acht Kinder gezeugt
hatte, ausgesprochen, und nur zwei Monate später fand die überhastete
Eheschliessung mit einer 34 Jahre älteren Schweizerin statt. Diese
Verbindung, welche seitens des Beschwerdeführers bloss als fiktiv zu
gelten hat (E. 3b hievor), wurde aufrecht erhalten, bis die formellen
Voraussetzungen für die Einbürgerung gegeben waren.

Nur kurze Zeit nach der Einreise der sechs minderjährigen Kinder wurde
die Ehe geschieden und verheiratete sich der Beschwerdeführer erneut mit
seiner ersten Ehefrau und beantragte deren Nachzug in die Schweiz. All
diese Ereignisse können vom Beschwerdeführer nicht glaubwürdig als ein
zufälliger Geschehnisablauf dargestellt werden. Angesichts der gesamten
Abfolge der Ereignisse nicht glaubwürdig ist namentlich der Einwand
des Beschwerdeführers, er habe seine erste Frau nur in die Schweiz
geholt und in der Folge wieder geheiratet, um jemanden zu haben, der
die Kinder betreue, denn nach der Scheidung von seiner zweiten Frau sei
er mit seinen sechs Kindern und seiner Arbeit alleine dagestanden. Die
Vorinstanz hat mit Grund darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer
in der Vergangenheit wiederholt unrichtige oder unvollständige Angaben zu
seinen persönlichen Verhältnissen gemacht hat, wenn ihm dies zur Verfolgung
eines bestimmten Zwecks vorteilhaft erschien (Angaben über die Anzahl
seiner Kinder, seines Zivilstands, seines Aufenthaltsorts u.a.). Sie
durfte daher seine Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen. Im Ganzen gesehen
muss dem Beschwerdeführer Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden, weil er
das Rechtsinstitut der Ehe zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen
verwendet hat, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (vgl. BGE 127
II 49 E. 5a S. 56 zu Art. 7 ANAG [SR 142.20]). Die Vorinstanz hat weder
Art. 41 BüG verletzt, noch ihr Ermessen missbraucht oder überschritten,
wenn sie die Nichtigerklärung der Einbürgerung bestätigt hat.

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde muss aus diesen Gründen abgewiesen
werden. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um Anordnung der
aufschiebenden Wirkung gegenstandslos.