Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 II 182



128 II 182

23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. S. gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    6A.3/2002 vom 10. April 2002

Regeste

    Art. 17 Abs. 1 lit. b und d SVG, Art. 33 Abs. 2 VZV; Entzug des
Führerausweises, Rückfall.

    Der Rückfall eines Motorfahrzeuglenkers ist kein Element des
Verschuldens. Er darf bei der Festsetzung der Entzugsdauer i.S. von
Art. 33 Abs. 2 VZV nur unter dem Gesichtspunkt des automobilistischen
Leumunds berücksichtigt werden (E. 3a).

    Im konkreten Fall falsche Gewichtung des Verschuldens (E.  3b),
des automobilistischen Leumunds (E. 3c) und willkürliche Feststellung
der beruflichen Massnahmeempfindlichkeit (E. 3d).

Sachverhalt

    A.- Nach eigenen Angaben konsumierte S. in der Nacht vom 24. auf den
25. April 1999 zwischen 20.00 Uhr und ca. 04.00 Uhr in Aarau rund 1,2
l Bier, 4 dl Champagner und 3 dl Rotwein. Nach dem Alkoholkonsum liess
er sich in einem Taxi nach Hause fahren und begab sich zu Bett. Nach
6-7 Stunden Schlaf setzte er sich an das Steuer seines Personenwagens,
um seine Freundin von Schöftland nach Trimbach zu bringen. Um 11.50 Uhr
wurde er einer

polizeilichen Kontrolle unterzogen. Die Blutprobe ergab eine rückgerechnete
Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,00 Promille.

    S. besitzt den Führerausweis der Kategorie B seit dem 14.  Juni
1982. Er ist ihm am 7. Juli 1988 sowie am 7. Februar 1991 wegen Fahrens
in angetrunkenem Zustand (FiaZ) mit Selbstunfall für die Dauer von 3
bzw. 16 Monaten entzogen worden.

    B.- Das Bezirksgericht Zofingen verurteilte S. am 28.  Oktober
1999 gestützt auf Art. 91 Abs. 1 SVG (SR 741.01) zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von 30 Tagen und einer Busse von Fr. 2'000.-. Das Urteil
erwuchs in Rechtskraft.

    Am 3. Juni 1999 verfügte das Strassenverkehrsamt des Kantons
Aargau einen Führerausweisentzug von 9 Monaten. Das Departement des
Innern des Kantons Aargau hiess am 14. Juni 2001 eine Beschwerde von
S. teilweise gut und reduzierte die Entzugsdauer auf 7 Monate. Eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 5. Dezember 2001 ab.

    C.- S. führt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
den Anträgen, es seien das Verwaltungsgerichtsurteil vom 5. Dezember
2001 aufzuheben und die Dauer des Führerausweisentzuges auf 3 Monate
festzusetzen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz verweist zunächst auf die so genannte
"Aargauer Praxis" der Verwaltungsbehörden. Danach wird ein rückfälliger
Automobilist nicht wieder wie ein Ersttäter behandelt, auch wenn nach
Ablauf eines früheren Entzugs wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand
mehr als 5 Jahre verstrichen sind. Es wird vielmehr für die Bemessung der
Entzugsdauer bei einem Rückfall von abgestuften Richtwerten ausgegangen,
wobei der gesetzliche Wert von 12 Monaten für den Rückfall innert 5
Jahren proportional zu den seit dem früheren Entzug verstrichenen Jahren
reduziert wird, d.h. nach 6 (7, 8, 9, 10) Jahren gilt als Richtmass eine
Entzugsdauer von 10 (8, 6, 4, 2) Monaten.

    b) Das Bundesgericht hat sich mehrfach mit solchen standardisierten
"Tarifen" befasst und festgehalten, diese verletzten Bundesrecht, wenn
sie zu schematisch angewendet und die Umstände des Einzelfalls nicht mehr
genügend berücksichtigt werden (BGE 124 II 44 E. 1; 123 II 63 E. 3c).
Ausgangspunkt der Bemessung einer Massnahme muss der vom Gesetz vorgegebene
Wert sein. In Bezug

auf die Dauer des Entzuges hat der Gesetzgeber eine klare Abstufung
vorgenommen: Bei einem Rückfall innert 5 Jahren ist der Führerausweis
mindestens für ein Jahr zu entziehen (Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG), danach
für mindestens zwei Monate (Art. 17 Abs. 1 lit. b SVG). Nach Ablauf der 5
Jahre darf der Faktor Zeit nicht mehr so stark gewertet werden, ausser bei
Vorfällen, die nur kurze Zeit nach Ablauf der fünfjährigen Frist erfolgt
sind. Die Einsatzdauer muss so gewählt werden, dass die Entzugsdauer unter
Anwendung der Kriterien von Art. 33 Abs. 2 der Verordnung vom 27. Oktober
1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr
(VZV; SR 741.51) bis auf den gesetzlichen Mindestwert hinab angepasst
werden kann, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind (Urteil des
Bundesgerichts 6A.49/2001 vom 30. Oktober 2001, E. 2a).

Erwägung 3

    3.- a) Es fällt auf, dass die Vorinstanz das Moment des Rückfalles
ausserordentlich stark betont. Wiederholt und mit Nachdruck wird
auf die Rückfälligkeit des Beschwerdeführers, auf dessen einschlägige
Erfahrungen beziehungsweise auf seine früheren FiaZ-Vorfälle hingewiesen.
Der Rückfall und damit die zeitliche Nähe des neuen Delikts werden von
der Vorinstanz sowohl bei der Gewichtung des Verschuldens als auch bei
der Beurteilung des automobilistischen Leumundes hervorgehoben. Diese
doppelte Berücksichtigung des gleichen Elementes bei zwei verschiedenen
Zumessungsfaktoren im Sinne von Art. 33 Abs. 2 VZV verletzt Bundesrecht:

    Das Gesetz trägt dem Rückfall in Art. 17 Abs. 1 lit. c sowie lit. d
SVG durch eine Verschärfung der Massnahme Rechnung. Ein FiaZ-Rückfall im
Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG liegt vor, wenn der Führer innert 5
Jahren seit Ablauf eines früheren Entzuges wegen FiaZ erneut in diesem
Zustand gefahren ist. Die Mindestentzugsdauer für diesen Tatbestand
beträgt ein Jahr. In dieser Entzugsdauer sind das Fahren in angetrunkenem
Zustand sowie die Tatsache des Rückfalls innert 5 Jahren erfasst, weshalb
dies weder beim Verschulden noch beim Leumund zusätzlich zu Ungunsten
des Betroffenen berücksichtigt werden darf (SCHAFFHAUSER, Grundriss des
schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. III, Rz. 2461). Nach Ablauf
der 5 Jahre kommt wieder Art. 17 Abs. 1 lit. b SVG zur Anwendung, also eine
Entzugsdauer von mindestens 2 Monaten. Diese ist unter der Berücksichtigung
der Zumessungskriterien von Art. 33 Abs. 2 VZV gegebenenfalls zu erhöhen
(ebenso BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière: commentaire,

3. Aufl., N. 2.2 zu Art. 17 SVG). Der Faktor Zeit indessen darf nach Ablauf
der 5 Jahre nicht mehr so stark gewertet werden, ausser bei Vorfällen,
die nur kurze Zeit nach Ablauf der fünfjährigen Frist erfolgt sind (Urteil
des Bundesgerichts 6A.49/2001 vom 30. Oktober 2001, E. 2a). Ein solcher
Fall ist hier nicht gegeben.

    Die Bundesgerichtspraxis darf nicht dadurch umgangen werden, dass das
zeitliche Moment sowohl beim Verschulden als auch beim automobilistischen
Leumund zu Lasten des Fahrzeuglenkers gewichtet wird. Das Moment des
Rückfalls ist im Rahmen von Art. 33 Abs. 2 VZV nur beim automobilistischen
Leumund zu beachten, stellt dieser doch ein Abbild des früheren Verhaltens
eines Fahrzeuglenkers im Verkehr dar. Die Dauer der bisherigen Fahrpraxis
sowie die früheren Massnahmen und Strafen, d.h. die Zahl der erfassten,
den Massnahmen und Strafen zu Grunde liegenden Delikte, ihre Schwere,
ihre Zusammensetzung, ihre zeitliche Abfolge und auch die allfällige
Gleichartigkeit der Verkehrsdelikte stellen bei der Berücksichtigung
des automobilistischen Leumundes entscheidende Gesichtspunkte dar
(vgl. SCHAFFHAUSER, aaO, Rz. 2313, S. 201). Demgegenüber sind beim
Verschulden die verschiedenen Schuldformen (leichte Fahrlässigkeit bis
Vorsatz) zu prüfen (ders., aaO, Rz. 2285 ff.). Der Rückfall ist daher -
anders als etwa der Alkoholisierungsgrad - kein Verschuldenselement.

    b) Die Vorinstanz geht zu Unrecht von einem schweren Verschulden
des Beschwerdeführers aus. Wohl trifft es zu, dass FiaZ immer zu einem
obligatorischen Führerausweisentzug führt. Auch eine Massnahme wegen
FiaZ setzt jedoch immer ein Verschulden des Fahrzeugführers voraus. Dabei
genügt grundsätzlich jede Art von Verschulden. Vorsatz oder Fahrlässigkeit
beziehen sich dabei auf die Angetrunkenheit bei Antritt der Fahrt. Der
Fahrzeugführer handelt vorsätzlich, wenn er die Fahrt antritt, obwohl er
weiss oder mit der Möglichkeit rechnen muss, dass er angetrunken ist.
Fahrlässig handelt er, wenn er im Zeitpunkt des Antritts der Fahrt aus
pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt, dass er angetrunken ist
oder sein könnte (SCHAFFHAUSER, aaO, Rz. 2393 mit Hinweisen; BGE 117
IV 292).

    Der Beschwerdeführer hat lediglich fahrlässig gehandelt. Er hat nicht
bedacht, dass sein Blut bei Antritt der Fahrt noch einen unzulässigen
Alkoholwert aufweisen könnte. Es ist ihm nämlich zu Gute zu halten, dass
er nach einer durchzechten Nacht mit dem Taxi nach Hause gefahren ist und
anschliessend mehrere Stunden geschlafen hat. Erst etwa 7-8 Stunden nach
Ende des Alkoholkonsums hat er

sich ans Steuer gesetzt. Diese Tatsache lässt das Verschulden in
erheblich milderem Licht erscheinen. Der Vorfall unterscheidet sich
diesbezüglich massgebend von den in früheren Jahren mit Alkohol begangenen
Selbstunfällen. Das Verschulden ist daher weniger schwer zu gewichten.

    c) Der automobilistische Leumund des Beschwerdeführers ist - wie
die Vorinstanz zutreffend festhält - durch zwei Alkoholfahrten aus den
Jahren 1988 und 1991 erheblich getrübt, was bei der Festsetzung der
Entzugsdauer beachtet werden muss. Allerdings trägt der angefochtene
Entscheid auch in diesem Zusammenhang einem wesentlichen Moment
nicht Rechnung. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer
seit dem 25. April 1999 alkoholabstinent lebt. Diese Tatsache ist
unter dem Titel "automobilistischer Leumund" massnahmereduzierend zu
berücksichtigen. Gemäss Art. 30 Abs. 2 VZV dienen Warnungsentzüge wegen
Verletzung von Verkehrsvorschriften der Besserung des Führers und der
Bekämpfung von Rückfällen. Mit der Einhaltung einer Abstinenz hat der
Beschwerdeführer gezeigt, dass er im Sinne des Gesetzes aus dem letzten
Vorfall eine Lehre gezogen hat.

    d) Die Dauer des Warnungsentzugs richtet sich gemäss Art. 33 Abs. 2
VZV schliesslich nach der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug
zu führen. Die Vorinstanz hält fest, gemäss Bestätigung des Arbeitgebers
bestehe bei dem als Verkäufer/Innenarchitekt tätigen Beschwerdeführer eine
erheblich gesteigerte Massnahmeempfindlichkeit, weil er für die Ausübung
der Kundenkontakte, die ausserhalb der mit öffentlichen Verkehrsmitteln
erreichbaren Gegenden liegen, auf sein Fahrzeug angewiesen sei und dieses
zeitweise auch als Transportmittel für Kleinmöbel und Katalogmaterial
benötige. Allerdings gelte es zu berücksichtigen, dass ein Grossteil
der Kundschaft mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und es dem
Beschwerdeführer daher zuzumuten sei, sich für die Fahrten zu der übrigen
Kundschaft zweckdienlich zu organisieren. Es werde daher lediglich von
einer leicht erhöhten Massnahmeempfindlichkeit ausgegangen.

    Diese Erwägungen sind widersprüchlich und jedenfalls im Ergebnis
unhaltbar. Die tatsächliche Feststellung der Vorinstanz - Erreichbarkeit
der Kundenmehrheit mit dem öffentlichen Verkehr - weicht klar von der
Bestätigung des Arbeitgebers ab. Worauf die vorinstanzliche Annahme
basieren soll, ist nicht ersichtlich. Damit ist die Willkürrüge begründet
(vgl. zum Begriff der Willkür: BGE 127 I 38 E. 2a).

Erwägung 4

    4.- a) Das Strassenverkehrsamt sowie das Departement des Innern des
Kantons Aargau haben ihre Verfügungen auf die dargelegte "Aargauer Praxis"
gestützt. Die Vorinstanz überprüft die angefochtene Entzugsdauer anhand
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, welche die "Aargauer Praxis" als
bundesrechtswidrig bezeichnet. Das Verwaltungsgericht gelangt zum gleichen
Ergebnis wie seine Vorinstanz. Mit der Erhöhung der Mindestentzugsdauer
von 2 Monaten auf 7 Monate überschreitet es jedoch aus den aufgezeigten
Gründen sein Ermessen. Die Beschwerde ist daher begründet und gutzuheissen.

    b) Das Bundesgericht hat in BGE 124 II 44 in einem ähnlich gelagerten
Fall mit einer noch höheren BAK (1,27 Promille) und neuerlicher Fahrt in
angetrunkenem Zustand 5 Jahre und 9 Monate nach einer ersten Massnahme
einen Warnungsentzug von 4 Monaten verfügt. Im Entscheid vom 30. Oktober
2001 wurde eine Entzugsdauer von 7 Monaten auf 3 Monate herabgesetzt. Der
damalige Beschwerdeführer war mit einer BAK von mindestens 1,03
Promille gefahren und hatte bereits drei Massnahmen aus früheren Jahren
zu verzeichnen. Der FiaZ-Rückfall lag 6 Jahre und 11 Monate zurück. In
der Zwischenzeit war noch eine Verwarnung wegen Unachtsamkeit erfolgt.

    Im Lichte dieser zwei Urteile sowie der vorliegenden Erwägungen
erscheint eine Entzugsdauer von 3 Monaten, wie sie auch der
Beschwerdeführer beantragt, als angemessen (Art. 114 Abs. 1 OG).