Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 II 168



128 II 168

21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung in
Sachen A., B. und C. gegen Orange Communications SA, Elektrizitätswerk
der Stadt Zürich, Bundesamt für Energie und Rekurskommission des
Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    1A.142/2001 vom 25. Februar 2002

Regeste

    Einspracheberechtigung gegen eine projektierte Mobilfunkanlage
(Art. 16f Abs. 1 EleG; Art. 48 lit. a VwVG).

    Einspracheberechtigt sind alle Personen, die innerhalb eines Radius
wohnen, ausserhalb dessen in jedem Fall eine tiefere Strahlung als 10%
des Anlagegrenzwertes erzeugt wird. Die Einspracheberechtigung dieser
Personen hängt nicht davon ab, ob die konkrete Strahlung auf ihrem
Grundstück, unter Berücksichtigung der Leistungsabwächung gegenüber der
Hauptstrahlungsrichtung, weniger als 10% des Anlagegrenzwertes beträgt
(E. 2.3).

Sachverhalt

    A.- Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) reichte am
21. März 2000 beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat (EStI) das
Plangenehmigungsgesuch ein für den Einbau einer Mobilfunkanlage der Orange
Communications SA auf dem bestehenden Hochspannungsmast Nr. 138 ihrer
380/220-kV Leitung Samstagern-Mettlen. Gegen dieses Bauvorhaben erhoben
A. und weitere Personen Einsprache. Da keine Einigkeit erzielt werden
konnte, überwies das EStI die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an
das bei Uneinigkeit zuständige Bundesamt für Energie (BFE). Mit Verfügung
vom 7. Juli 2000 entschied das BFE, dass auf verschiedene Einsprachen,
darunter auch diejenige von A. und ihren Mitunterzeichnenden, nicht
eingetreten werde, da die Parzellen der Einsprecher bzw. deren Wohnort
mehr als 100 m von der geplanten Mobilfunkanlage entfernt lägen, der
Anlagegrenzwert nach der Verordnung vom 23. Dezember 1999 über den Schutz
vor nichtionisierender Strahlung (NISV; SR 814.710) für die geplante
Anlage aber nur im Umkreis von 32 m nicht eingehalten sei.

    B.- Hiergegen erhoben A., B., C. und weitere Personen am 6. September
2000 gemeinsam Beschwerde an die Rekurskommission des Eidgenössischen
Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (REKO/UVEK). Am
21. Juni 2001 wies die Rekurskommission die Beschwerde ab, soweit sie
darauf eintrat. Sie verneinte die Legitimation der Beschwerdeführenden,
weil die Strahlung der geplanten Anlage am Wohn- bzw. Arbeitsort der
Beschwerdeführer höchstens 5% des Anlagegrenzwertes betragen und sich
kaum vom ohnehin bestehenden Grundpegel an nichtionisierender Strahlung
abheben werde.

    C.- Hiergegen erhoben A., B. und C. am 22. August 2001
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit darauf einzutreten
war.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Gemäss Art. 16f Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 24. Juni
1902 betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen
(Elektrizitätsgesetz, EleG; SR 734.0) ist zur Einsprache berechtigt,
wer nach den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder des
Enteignungsgesetzes Partei ist. Damit verweist Art. 16f EleG (u.a.) auf
Art. 48 lit. a VwVG (SR 172.021). Danach ist zur Beschwerde berechtigt
und somit Partei i.S.v. Art. 6 VwVG, wer durch die angefochtene Verfügung
berührt ist und ein schutzwürdiges

Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Diese Umschreibung der
Beschwerdelegitimation deckt sich mit derjenigen in Art. 103 lit. a OG.

    2.1  Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind die in der
näheren Umgebung einer projektierten Mobilfunkanlage wohnenden Personen
durch die von der Anlage ausgehenden Strahlen in besonderer Weise
betroffen und daher zur Beschwerde legitimiert. In einem Urteil vom
26. Oktober 2000 (1A.194/2000, publ. in: URP 2001 S. 155 ff.) verneinte
das Bundesgericht die Beschwerdelegitimation einer Person, deren Wohnort
800 m vom Antennenstandort entfernt lag. In jenem Fall unterschritt die
voraussichtliche Belastung des Beschwerdeführers durch die projektierte
Anlage den Immissionsgrenzwert um mehr als das Hundertfache und den
Anlagegrenzwert um mehr als das Zehnfache. Das Bundesgericht erachtete
deshalb die Einwirkung der vorgesehenen Anlage auf den Wohnort des
Beschwerdeführers als minim: Die von der geplanten Anlage ausgehende
Strahlung bewirke für den Beschwerdeführer nur eine geringfügige
zusätzliche Belastung, die sich kaum vom ohnehin bestehenden Grundpegel
nichtionisierender Strahlen abhebe. Sie reiche nicht aus, um eine
besondere Betroffenheit und damit die Legitimation des Beschwerdeführers
zu begründen.

    2.2  In Anlehnung an diesen bundesgerichtlichen Entscheid verneinte
die Rekurskommission im vorliegenden Fall die Einspracheberechtigung
der Beschwerdeführer, weil die elektrische Feldstärke, die von der
geplanten Anlage ausgehen werde, nach den Berechnungen des Bundesamtes für
Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) am Wohnort der Beschwerdeführerin A.
nur 0.3 V/m und am Arbeitsort von C. nur 0.2 V/m betragen werde, d.h. 5%
bzw. 3.33% des Anlagegrenzwertes gemäss Anh. 1 Ziff. 64 lit. b NISV (6
V/m). Die Einwirkung der geplanten Anlage auf die Wohn- und Arbeitsorte
der Beschwerdeführer sei daher minim und genüge nicht zur Begründung
ihrer Legitimation. Dieser Schluss dränge sich auch mit Blick auf die im
betroffenen Gebiet bereits bestehende, relativ hohe Hintergrundbelastung
mit Strahlen aus dem Hochfrequenzbereich auf: Wie das Bundesamt für
Kommunikation (BAKOM) mit seinen Messungen festgestellt habe, betrage
der Pegel dieser Hintergrundbelastung im betroffenen Gebiet rund 0,5 -
0,7 V/m (± 40 Messunsicherheit), die hauptsächlich vom Mittelwellensender
Beromünster herrühre. Damit würde sich die von der geplanten Anlage
ausgehende Strahlung kaum vom ohnehin bestehenden Grundpegel an
nichtionisierender Strahlung abheben und setze die Beschwerdeführer

jedenfalls keiner wesentlich höheren Belastung aus als die ganze
Bevölkerung. Sie reiche somit nicht aus, um eine besondere Betroffenheit
und damit die Legitimation der Beschwerdeführer zu begründen.

    2.3  In einem neueren, die Gemeinde Worb (Bern) betreffenden Fall
(BGE 128 I 59, nicht veröffentlichte E. 1b) hat das Bundesgericht
die Beschwerdelegitimation einer Person anerkannt, deren Wohnort
ca. 280 bis 290 m von der geplanten Mobilfunkanlage (drei Antennen im
Frequenzbereich 1800 MHz mit einer äquivalenten Strahlungsleistung ERP
von je 710 W) entfernt lag. Dabei legte es die von der Berner Bau-,
Verkehrs- und Energiedirektion (BVE) verwendete Berechnungsformel zur
Ermittlung des Radius zugrunde, innerhalb dessen die Strahlung noch 10%
des Anlagegrenzwerts betragen kann (vgl. Entscheid der BVE vom 12. Dezember
2000, publ. in: BVR 2001 252 E. 2 S. 257 ff.; IRENE GRAF/JEAN-LUC NIKLAUS,
Mobilfunkanlagen - Beschwerderecht der Nachbarn, KPG-Bulletin 1/2001
S. 29 ff., insbes. S. 34 ff.). Diese Formel lautet:
      d = (70 x Quadratwurzel von ERP) : AGW

    Diese Berechnung berücksichtigt (im Gegensatz zu derjenigen
der Rekurskommission im vorliegenden Fall) nur die Strahlung in der
Hauptstrahlungsrichtung und ergibt einen Radius d, ausserhalb dessen in
jedem Fall eine tiefere Strahlung als 10% des Anlagegrenzwertes (AGW)
erzeugt wird. Alle Personen innerhalb dieses Radius werden nach der
Praxis der BVE zur Einsprache bzw. zur Beschwerde zugelassen, auch wenn
die konkrete Strahlung auf ihrem Grundstück, unter Berücksichtigung der
Leistungsabschwächung gegenüber der Hauptstrahlrichtung (in vertikaler
und horizontaler Richtung) weniger als 10% des Anlagegrenzwertes beträgt.

    Im zitierten BGE 128 I 59 hielt das Bundesgericht diese
Berechnungsweise für sinnvoll, weil es zunächst darum gehe, den Kreis
derjenigen Personen zu bestimmen, die von der Anlage mehr als jedermann
betroffen seien; dieser Kreis dürfe nicht zu eng gezogen werden und nicht
von komplexen Berechnungen im Einzelfall abhängen.

    2.4  Im vorliegenden Fall soll die geplante Mobilfunkanlage im
Frequenzbereich 1800 MHz senden; der Anlagegrenzwert (AGW) beträgt somit
6 V/m (Anh. 1 Ziff. 64 lit. b NISV). Die drei Sendeantennen verfügen über
eine äquivalente Strahlungsleistung (ERP) von je 710 W. Damit beträgt
der Radius ca. 311 m:
      d = (70 x Quadratwurzel von 710) : 6 = 310.87

    Die Beschwerdeführer A. und B., deren Wohnort 190 m vom
Antennenstandort entfernt liegt, sowie die Beschwerdeführerin C., deren
Arbeitsplatz sich in einem Abstand von 290 m zur geplanten Mobilfunkanlage
befindet, sind daher zur Einsprache legitimiert.

    2.5  Die Tatsache, dass im betroffenen Gebiet bereits ein relativ
hoher Grundpegel an nichtionisierender Strahlung besteht, ist kein Grund,
den im genannten Radius wohnenden Personen die Beschwerdelegitimation
abzusprechen. Es ist im Gegenteil verständlich, wenn Personen, die
bereits den Strahlen eines Rundfunksenders ausgesetzt sind, sich gegen
die Installation weiterer Quellen nichtionisierender Strahlung wehren
bzw. verlangen, dass neue Installationen die gesetzlich vorgeschriebenen
Grenzwerte strikt einhalten.

    2.6  Nach dem Gesagten ist die Einspracheberechtigung der
Beschwerdeführer zu bejahen. Diese können im Einsprache- bzw.
im Beschwerdeverfahren nicht nur eine Überschreitung der Immissions- oder
der Anlagegrenzwerte auf ihren eigenen Grundstücken geltend machen, sondern
können generell die Rechtmässigkeit des Bauvorhabens in Frage stellen und
somit auch die Überschreitung der Grenzwerte auf anderen Grundstücken rügen
(Urteil 1A.316/2000 vom 21. September 2001, E. 1b/cc). Dies gilt jedenfalls
dann, wenn eine allfällig notwendige Reduktion der Sendeleistung auch
die auf die Beschwerdeführer entfallende Strahlungsbelastung reduzieren
würde (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 24. August 2000
E. 11b/bb, publ. in: URP 2001 S. 171).