Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 82



128 III 82

15. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Bank X. gegen D. AG
(Berufung)

    4C.240/2001 vom 26. November 2001

Regeste

    Kündigung eines Mietvertrages nach Zwangsvollstreckung; Erstreckung
des Mietverhältnisses nach Doppelaufruf (Art. 142 SchKG, Art. 272 OR).

    Der Ersteigerer einer Liegenschaft wird durch den Zuschlag im
Zwangsvollstreckungsverfahren Eigentümer und kann ein bestehendes
Mietverhältnis kündigen, auch wenn er noch nicht als Eigentümer im
Grundbuch eingetragen ist (E. 1).

    Der Ersteigerer, der ein Grundstück in einer Zwangsvollstreckung mit
Doppelaufruf erwirbt, kann einen langfristigen Mietvertrag ausserordentlich
auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen (BGE 125 III 123 ff.). Auch
bei einer Kündigung nach einem Doppelaufruf kann das Mietverhältnis unter
der Voraussetzung von Art. 272 ff. OR erstreckt werden (E. 2).

Sachverhalt

    Die D. AG (nachfolgend: die Beklagte) ging als Auffanggesellschaft
aus der A. AG hervor. Für ihren Betrieb hatte die Beklagte zwei
Liegenschaften von der A. AG in Liquidation gemietet. Am 25. August 2000
erwarb die Bank X. (nachfolgend: die Klägerin) die Grundstücke in einem
Zwangsvollstreckungsverfahren mit Doppelaufruf. Am 30. August 2000 kündigte
die Klägerin das Mietverhältnis mit der Beklagten per 31. Januar 2001.

    Mit Verfügung vom 19. Oktober 2000 stellte das zuständige Mietamt
die Nichtigkeit der Kündigung fest, weil die Klägerin die Kündigung
ausgesprochen habe, bevor sie im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen
gewesen sei. Mit Urteil vom 17. Mai 2001 hob das Handelsgericht den
Entscheid des Mietamtes auf und stellte fest, dass das Mietverhältnis am
30. August 2000 rechtsgültig per 31. März 2001 gekündigt worden sei. Weiter
wurde das Mietverhältnis erstmals um zwei Jahre erstreckt.

    Eine von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobene Berufung weist
das Bundesgericht ab, soweit darauf einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Im Verfahren vor Handelsgericht stellte sich die Beklagte auf den
Standpunkt, dass die Kündigung nichtig sei, weil die Klägerin gekündigt
habe, bevor sie im Grundbuch als Eigentümerin des Mietobjektes eingetragen
worden sei. Diesbezüglich hat das Handelsgericht ausgeführt, dass die
Klägerin am 25. August 2000 durch Zuschlag im Zwangsvollstreckungsverfahren
Eigentümerin des Mietobjektes geworden sei. Sie sei deshalb berechtigt
gewesen, am 30. August 2000 das Mietverhältnis zu kündigen, obwohl sie
damals noch nicht als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen

gewesen sei. In der Berufungsantwort hält die Beklagte an ihrer Auffassung
fest, dass die Klägerin nicht berechtigt gewesen sei, die Kündigung
vor ihrer Eintragung im Grundbuch auszusprechen. Dieser Einwand ist
unbegründet.

    a) Gemäss Art. 656 Abs. 2 ZGB geht das Eigentum bei einer
Zwangsvollstreckung im Moment des Zuschlags auf den Ersteigerer über,
wobei dieser bis zur Eintragung im Grundbuch nicht über das Grundstück
verfügen darf. Dieses Verfügungsverbot betrifft nur grundbuchliche
Verfügungen. Demgegenüber kann der Ersteigerer alle Rechte ausüben, die
ohne grundbuchliche Eintragung denkbar sind (ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner
Kommentar, Bern 1974, N. 66/67 zu Art. 656 ZGB). Diese sachenrechtliche
Ausgangslage gilt auch in Bezug auf Mietverträge, die im Zusammenhang mit
dem Eigentumsübergang von Gesetzes wegen dem Erwerber überbunden werden
(Art. 261 Abs. 1 OR). Mit dem Zuschlag wird der Ersteigerer nicht nur
Eigentümer des Grundstücks, sondern auch Partei des Mietverhältnisses,
so dass er in seiner Eigenschaft als Vermieter eine Kündigung aussprechen
kann.

    b) Im Übrigen hatte das Bundesgericht bereits Gelegenheit, sich zur
Frage zu äussern, in welchem Zeitpunkt der Erwerber einer Liegenschaft
ein bestehendes Mietverhältnis kündigen kann. In BGE 118 II 119 ff. wurde
festgehalten, dass beim derivativen Eigentumserwerb der massgebende
Zeitpunkt nicht der Grundbucheintrag, sondern die Eintragung im Tagebuch
ist, die zum Übergang des Eigentums führt (Art. 972 Abs. 2 ZGB). Massgebend
ist nicht die durch das Grundbuch publik gemachte Rechtslage, sondern
die Tatsache, dass der Erwerber durch den Tagebucheintrag Eigentümer und
damit von Gesetzes wegen auch Vermieter geworden ist (Art. 261 Abs. 1
OR). Nichts anderes kann für den originären Eigentumserwerb durch den
Zuschlag in einer Zwangsvollstreckung gelten. Auch in diesem Fall ist
entscheidend, dass der Kündigende sachenrechtlich Eigentümer und damit
obligationenrechtlich Vermieter geworden ist.

    c) In der Literatur ist BGE 118 II 119 ff. zwar teilweise kritisiert
worden (THOMAS KOLLER, Von welchem Zeitpunkt an kann der Erwerber einer
Liegenschaft ein bestehendes Mietverhältnis kündigen?, in: recht 11/1993
S. 71; PETER ZIHLMANN, Das Mietrecht, 2. Aufl., Zürich 1995, S. 89; PETER
HIGI, Zürcher Kommentar, N. 25 zu Art. 261-261a OR). Dennoch ist kein
Grund ersichtlich, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Einerseits ist
davon auszugehen, dass nach dem Eigentumserwerb der Eintrag im Grundbuch
nur in

den seltensten Fällen scheitert (vgl. die Erhebungen bei JEAN JACQUES
LÜTHI/BEAT ZIRLICK, Die ausserordentliche Kündigung des Mietvertrages
infolge Doppelaufrufs, in: AJP 1999 S. 1333). Es rechtfertigt sich daher
nicht, für derartige Ausnahmefälle im Bereich des Mietrechtes von der
klaren sachenrechtlichen Ausgangslage abzuweichen (BGE 118 II 119 E.
3a S. 121/122). Andrerseits wäre der Mieter ausreichend geschützt, wenn im
Anschluss an eine vom Erwerber ausgesprochene Kündigung die Eintragung im
Grundbuch ausnahmsweise scheitern sollte. Bei einer Abweisung oder einem
Rückzug der Anmeldung fällt die Eigentümerstellung der kündigenden Partei
nämlich ex tunc dahin. Eine bereits ausgesprochene Kündigung wäre damit
unwirksam, wobei dieser Mangel jederzeit geltend gemacht werden könnte
(BGE 118 II 119 E. 3a S. 120 mit weiteren Hinweisen; HIGI, aaO, N. 31
zu Art. 261-261a OR; zur Unterscheidung zwischen nichtigen, unwirksamen
und missbräuchlichen Kündigungen vgl. BGE 121 III 156 E. 1c S. 160 und
122 III 92 E. 2d S. 95).

    d) Aus diesen Gründen ist die Wirksamkeit der Kündigung nicht
zu beanstanden. Da es sich beim vorliegenden Mietverhältnis um eine
unbefristete Geschäftsraummiete handelt, konnte der Mietvertrag mit einer
Frist von sechs Monaten auf einen ortsüblichen Termin gekündigt werden
(Art. 266d OR). Die von der Klägerin am 30. August 2000 ausgesprochene
Kündigung wurde daher per 31. März 2001 wirksam.

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin erwarb das Mietobjekt in einer Zwangsverwertung
mit Doppelaufruf gemäss Art. 142 SchKG. Im ersten Aufruf (Übernahme der
Liegenschaft mit den Mietverträgen) wurden Fr. 2,4 Mio. geboten. Im zweiten
Aufruf (Übernahme der Liegenschaft ohne Mietverträge) bot die Klägerin
Fr. 2,5 Mio. Zu diesem Betrag wurde ihr die Liegenschaft zugeschlagen.
Umstritten ist nun, ob das von der Klägerin auf den 31. März 2001 wirksam
gekündigte Mietverhältnis erstreckt werden kann, obwohl die Klägerin nach
dem Doppelaufruf das Grundstück "ohne die Mietverträge übernommen" hatte.

    a) Das Bundesgericht hatte unlängst Gelegenheit, sich ausführlich zum
Schicksal von Mietverträgen im Konkurs des Vermieters zu äussern. Wenn
das Mietobjekt in der Zwangsvollstreckung verwertet wird, gehen die
Mietverträge gemäss Art. 261 Abs. 1 OR auf den Erwerber über. Wenn es
sich dabei um ein langfristiges Mietverhältnis handelt, das nach der
Pfandbestellung eingegangen worden ist, besteht die Gefahr, dass der
prioritäre Grundpfandgläubiger

durch später abgeschlossene Mietverträge benachteiligt wird. In diesem
Fall besteht die Möglichkeit, bei der Versteigerung in analoger Anwendung
von Art. 142 Abs. 1 SchKG den Doppelaufruf mit und ohne den Mietvertrag
durchzuführen (BGE 125 III 123 E. 1d S. 128). Wenn der zweite Aufruf ohne
den später abgeschlossenen Mietvertrag den höheren Erlös ergibt als der
erste Aufruf mit dem Mietvertrag, ist der prioritäre Grundpfandgläubiger
durch den später abgeschlossenen Mietvertrag benachteiligt worden. Dies
führt aber entgegen Art. 142 Abs. 3 SchKG nicht ohne weiteres zum
Dahinfallen der Mietverträge. Diese Lösung würde die ausdrückliche
Bestimmung des Art. 261 Abs. 1 OR, wonach der Mietvertrag auf den Erwerber
übergeht, vollständig missachten. Der Erwerber hat aber die Möglichkeit,
nach dem Doppelaufruf das Mietverhältnis in analoger Anwendung von Art. 261
Abs. 2 lit. a OR auf den nächsten gesetzlichen Termin zu kündigen,
und zwar auch ohne dringenden Eigenbedarf (a.a.O, E. 1e S. 129/130 mit
weiteren Hinweisen).

    b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Handelsgericht
festgehalten, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um ein langfristiges
Mietverhältnis, sondern um einen Mietvertrag für Geschäftsräume handle,
der unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist auf einen
ortsüblichen Termin gekündigt werden könne (Art. 266d OR). Es sei daher
im Hinblick auf die Auflösung des Mietverhältnisses gar nicht nötig
gewesen, bei der Versteigerung des Grundstückes einen Doppelaufruf
durchzuführen. Wenn aber gar kein Doppelaufruf hätte durchgeführt
werden müssen, sei auch kein Grund ersichtlich, weshalb eine
Erstreckung ausgeschlossen sein sollte. Auch wenn die Durchführung
eines Doppelaufrufes zutreffend gewesen sein sollte, ergebe sich
nichts anderes. Der Doppelaufruf verschaffe dem Ersteigerer nur ein
ausserordentliches Kündigungsrecht. Die Möglichkeit einer Erstreckung
des Mietverhältnisses werde durch den Doppelaufruf hingegen nicht
tangiert. Die Klägerin wendet dagegen ein, dass der Doppelaufruf die
Erstreckungsmöglichkeit immer ausschliesse, und zwar unabhängig davon,
ob es sich um ein langfristiges Mietverhältnis handle oder nicht. Bei
einem jederzeit kündbaren Mietverhältnis bewirke der Doppelaufruf,
dass eine Erstreckung ausgeschlossen sei. Bei einem langfristigen
Mietverhältnis führe der Doppelaufruf dazu, dass das Mietverhältnis in
analoger Anwendung von Art. 261 Abs. 1 OR vorzeitig gekündigt werden
könne und eine Erstreckung ebenfalls ausgeschlossen sei.

    c) Grundsätzlich ist festzuhalten, dass bei einer Zwangsvollstreckung
das Mietverhältnis gemäss Art. 261 Abs. 1 OR auf jeden Fall immer
auf den Ersteigerer übergeht. Das Bundesgericht hat die gegenteilige
Auffassung (insbes. DENIS PIOTET, Le bail en conflit avec des droits
réels restreints sur la chose louée ou affermée, in: SJ 1997 S. 689;
weitere Hinweise in BGE 125 III 123 ff.) ausdrücklich verworfen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass Art. 261 Abs. 1 OR vollständig
missachtet würde, wenn das Mietverhältnis nicht auf den Erwerber überginge
(BGE 125 III 123 E. 1e S. 129 f.). Dieser Entscheid ist in der Literatur
auf praktisch einhellige Zustimmung gestossen (JEAN JACQUES LÜTHI/BEAT
ZIRLICK, aaO, S. 1332; THOMAS PIETRUSZAK/JÖRG ZACHARIAE, Der Schutz des
Mieters von Wohn- und Geschäftsräumen in der Zwangsverwertung, in: recht
18/2000 S. 47 f.; ALEXANDER DUBACH, Zur Anwendbarkeit des Doppelaufrufs
bei Miet- und Pachtverhältnissen, in: BlSchK 1999 S. 48; MICHEL BISE,
La faillite du bailleur, 11e Séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel
2000, S. 25 mit weiteren Hinweisen in Fn. 110). Es ist daher kein Grund
ersichtlich, auf die Rechtsprechung zurückzukommen, dass das Mietverhältnis
auch nach einem Doppelaufruf auf jeden Fall auf den Erwerber übergeht.

    d) Umstritten ist hingegen, welche Auswirkungen diese Rechtsprechung
auf die Möglichkeit einer Erstreckung hat.

    aa) Ein Teil der Autoren geht davon aus, dass eine Erstreckung nach
einem Doppelaufruf trotz dem Übergang des Mietverhältnisses auf den
Ersteigerer auszuschliessen sei. Zur Begründung wird im Wesentlichen
ausgeführt, dass sich der Erwerber im Zwangsvollstreckungsverfahren
im zweiten Aufruf gegen einen Aufpreis die Kündigungsmöglichkeit
erkaufe. Er müsse deshalb von der sicheren Möglichkeit ausgehen können,
sich nach der Kündigung effektiv auch vom Mietverhältnis zu befreien
(LÜTHI/ZIRLICK, aaO, S. 1336; DUBACH, aaO, S. 48; JÜRGEN BRÖNNIMANN,
Zwangsvollstreckungsrechtliche Risiken bei Grundpfandrechten, Berner
Bankrechtstag, Theorie und Praxis der Grundpfandrechte, Bern 1996, S. 157;
CLAUDE MONNIER, Bevorzugte Mieter?, Insolvenz- und Wirtschaftsrecht 1998,
S. 24). Andere Autoren schliessen demgegenüber eine Erstreckung nach einer
Kündigung im Anschluss an einen Doppelaufruf nicht aus. Zur Begründung
wird im Wesentlichen ausgeführt, der Mietvertrag gehe mit allen Wirkungen
auf den Erwerber über, weshalb auch die Erstreckungsmöglichkeit erhalten
bleiben müsse. In Art. 272a OR seien die Gründe für einen

Ausschluss der Erstreckung abschliessend aufgezählt. Zudem sei eine
Erstreckung ohnehin nur beim Vorliegen einer Härte für den Mieter und
unter Berücksichtigung einer Interessenabwägung zwischen den Parteien
zu gewähren (PIETRUSZAK/ZACHARIAE, aaO, S. 51; BISE, aaO, S. 26;
JEAN-PIERRE TSCHUDI, Anwendung und Wirkung des Doppelaufrufs auf Miet- und
Pachtverhältnisse, in: MRA 1999 S. 115 f.; selbst DENIS PIOTET räumt ein,
dass das Mietverhältnis erstreckbar sei, wenn man von der in BGE 125 III
123 ff. vertretenen - aber aus seiner Sicht falschen - Annahme ausgehe,
dass das Mietverhältnis auf jeden Fall auf den Ersteigerer übergehe
[AJP 1999 S. 1341]).

    bb) Ausgangspunkt der Überlegungen zur Erstreckung ist, dass das
Mietverhältnis auch nach einem Doppelaufruf stets auf den Erwerber
übergeht. Diesbezüglich unterscheiden sich die Wirkungen des Doppelaufrufs
in Bezug auf Mietverträge qualitativ entscheidend gegenüber dinglichen
Rechten, die im Anschluss an den Doppelaufruf auf Verlangen des
Erwerbers gelöscht werden können (Art. 142 Abs. 3 SchKG, Art. 812 Abs.
2 ZGB). Wenn das Mietverhältnis aber auf den Ersteigerer übergeht,
untersteht die Rechtsbeziehung zwischen dem Erwerber und dem Mieter
allen Wirkungen des Mietrechts, unter anderem auch dem mietrechtlichen
Kündigungsschutz (Art. 271 ff. OR), der die Möglichkeit einer Erstreckung
vorsieht (Art. 272 ff. OR). Der Stellenwert der Erstreckung als Element
des Kündigungsschutzes wird dadurch unterstrichen, dass die Erstreckung
nur in den vom Gesetz ausdrücklich genannten Fällen ausgeschlossen ist
(Art. 272a Abs. 1 lit. a-d OR). Dabei handelt es sich nach einhelliger
Auffassung um eine abschliessende Aufzählung (HIGI, aaO, Zürich 1996,
N. 8 zu Art. 272a ZGB; LACHAT/STOLL/BRUNNER, Das Mietrecht für die Praxis,
4. Aufl., Zürich 1999, S. 563; SVIT-Kommentar, Schweizerisches Mietrecht,
2. Aufl., Zürich 1998, N. 2 zu Art. 272a OR). Unter diesem Gesichtspunkt
erscheint es ausgeschlossen, einen zusätzlichen, vom Gesetz nicht
vorgesehenen Erstreckungsausschlussgrund einzuführen.

    cc) Das Problem besteht nun aber darin, dass in den Art. 272
ff. OR nur das Verhältnis zwischen dem Vermieter und Mieter geregelt
wird. Bei Zwangsvollstreckungen sind aber auch die Interessen des
Grundpfandgläubigers tangiert, der unter Umständen durch einen
später abgeschlossenen Mietvertrag benachteiligt wird (vgl. oben,
E. 2a). Zur Frage, wie der Interessenkonflikt zwischen dem Mieter und
Grundpfandgläubiger zu lösen ist, hat sich der Gesetzgeber

nicht geäussert. Insoweit erweist sich das Gesetz als lückenhaft (BGE 125
III 123 E. 1b S. 126 m.w.H.). Gemäss Art. 1 Abs. 2 ZGB hat der Richter
in diesem Fall nach der Regel zu entscheiden, die er als Gesetzgeber
aufstellen würde. Dabei sind die Einheit der Rechtsordnung und die
beteiligten Interessen zu berücksichtigen (BGE 125 III 123 E. 1d S. 128).
Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung ist festzuhalten,
dass das Gesetz einen Erstreckungsausschluss nur dann vorsieht, wenn dem
Mieter ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorzuwerfen ist (Art. 272a Abs.
1 lit. a und b OR), wenn er in Konkurs gefallen ist (Art. 272a Abs. 1
lit. c OR) oder wenn ein Erstreckungsausschluss im Hinblick auf ein
Umbau- oder Abbruchvorhaben ausdrücklich vereinbart wurde (Art. 272a
Abs. 1 lit. d OR). Umgekehrt kann nach den Wertungen des Gesetzgebers
ein Mieter, dem keine Verfehlungen zur Last gelegt werden können,
stets eine Erstreckung verlangen, wenn die Voraussetzungen gemäss Art.
272 OR erfüllt sind. Selbst wenn der Vermieter einen dringenden
Eigenbedarf geltend macht, ist eine Erstreckung nicht ausgeschlossen
(Art. 272 Abs. 2 lit. d OR). Unter diesen Umständen lässt sich ein
prinzipieller Erstreckungsausschluss nach einem Doppelaufruf zum Nachteil
eines Mieters, dem keinerlei Verfehlungen vorgeworfen werden können,
kaum rechtfertigen. Eine solche Lösung wäre mit den vom Gesetzgeber
getroffenen Wertungen nicht zu vereinbaren. Auch eine Berücksichtigung
der Interessenlage der beteiligten Personen führt zu keinem anderen
Ergebnis. Vorweg ist festzuhalten, dass ein Grundpfandrecht nur durch
später abgeschlossene Mietverträge beeinträchtigt werden kann. Ein
Erstreckungsausschluss liesse sich somit zum Vornherein nur gegenüber
Mietern rechtfertigen, die den Mietvertrag nach der Pfandbestellung
abgeschlossen haben, während vorbestehende Mietverhältnisse davon nicht
betroffen wären. Aus der Sicht des Mieters, der den Mietvertrag nach
Pfandbestellung abgeschlossen hat, ist nicht nachvollziehbar, weshalb er
gegenüber anderen Mietern des gleichen Mietobjektes, die über vorbestehende
Mietverträge verfügen, in Bezug auf die Erstreckungsmöglichkeiten
schlechter gestellt sein soll. Dies hat umso mehr zu gelten, als der
Mieter in aller Regel keine Kenntnis von der Grundpfandbelastung des
Mietobjektes hat. Wenn für den Mieter ausnahmsweise erkennbar gewesen
sein sollte, dass der Mietvertrag zum Nachteil eines Grundpfandgläubigers
abgeschlossen worden ist, wäre eine Erstreckung bereits aufgrund fehlender
schützenswerter Interessen des Mieters zu verweigern (Art. 272 OR). Aus

Sicht des Mieters, dessen Mietverhältnis integral auf den Erwerber
übergegangen ist, lässt sich somit ein prinzipieller Erstreckungsausschluss
durch nichts rechtfertigen. Aus der Sicht des Gläubigers, der durch
ein vorrangiges Grundpfandrecht gesichert ist, besteht zwar sehr wohl
ein Interesse an der Beseitigung des Mietverhältnisses, wenn im zweiten
Aufruf ohne Übernahme der Mietverträge ein höherer Preis geboten wird
und seine Pfandforderung dadurch eine bessere Deckung erhält. Ein
höherer Preis im zweiten Aufruf dürfte sich insbesondere dann ergeben,
wenn der Erwerber das Grundpfandobjekt im Hinblick auf eine Eigennutzung
ersteigert, wie dies regelmässig bei Einfamilienhäusern - zum Teil auch bei
Gewerbeliegenschaften - der Fall sein dürfte. Immerhin ist zu bemerken,
dass sich der Grundpfandgläubiger durch eine vorsichtige Kreditgewährung
wenigstens teilweise zu schützen vermag. Gerade der vorliegende Fall zeigt,
dass die Klägerin in ihrer Eigenschaft als hypotezierende Bank weniger
durch den später abgeschlossenen Mietvertrag, sondern vielmehr durch
ihre (zu) grosszügige Kreditgewährung einen Verlust erlitten hat. Der
Grundpfandgläubiger hat somit durchaus die Möglichkeit, sein Verlustrisiko
in Grenzen zu halten. Demgegenüber hat der Mieter realistisch gesehen in
der Regel keine Möglichkeit zu erkennen, dass das von ihm abgeschlossene
Mietverhältnis bei einer künftigen Grundpfandverwertung allenfalls den
Wert des Pfandobjektes schmälern könnte. In diesem Punkt unterscheiden
sich übrigens die Mietverträge, die stets auf den Erwerber übergehen, von
nachrangigen Dienstbarkeiten und Grundlasten, die nach dem Doppelaufruf
gelöscht werden (Art. 142 Abs. 3 SchKG, Art. 812 Abs. 2 ZGB). Während
beispielsweise der Dienstbarkeitsberechtigte im Hinblick auf die
Eintragung der Dienstbarkeit im Grundbuch einen möglichen Konflikt mit
einem vorrangigen Grundpfandrecht mühelos erkennen kann, hat der Mieter
in der Regel keine Kenntnis über die grundbuchlichen Verhältnisse (sofern
er überhaupt ein berechtigtes Interesse im Sinn von Art. 970 Abs. 2 ZGB
zur Einsicht ins Grundbuch hat [vgl. BGE 126 III 512 ff.]).

    dd) Insgesamt besteht somit kein Anlass, durch Richterrecht
einen zusätzlichen Erstreckungsausschlussgrund zu schaffen. Wenn das
Mietverhältnis bei einer Zwangsvollstreckung auf den Erwerber übergeht
(Art. 261 Abs. 1 OR) - und zwar auch nach einem Doppelaufruf (BGE 125
III 123 ff.) -, untersteht die Rechtsbeziehung zwischen dem Erwerber und
dem Mieter allen Wirkungen des Mietrechts. Grundsätzlich können damit auch

Mietverhältnisse, die sich auf Grundstücke beziehen, die im
Zwangsvollstreckungsverfahren mit Doppelaufruf versteigert worden sind,
erstreckt werden. Dies hat zwei Konsequenzen. Bei jederzeit kündbaren,
unbefristeten Mietverhältnissen erübrigt sich ein Doppelaufruf. Der
Mietvertrag, der gemäss Art. 261 Abs. 1 OR auf den Ersteigerer übergeht,
kann auch vom Erwerber jederzeit aufgelöst werden, so dass sich insofern
kein Doppelaufruf rechtfertigt. Im Übrigen schliesst der Doppelaufruf aus
den dargelegten Gründen nicht aus, das Mietverhältnis zu erstrecken. Nur
bei langfristigen Mietverhältnissen hat der Doppelaufruf entsprechend
BGE 125 III 123 ff. seine Berechtigung. Wenn der zweite Aufruf ohne
Übernahme des Mietverhältnisses einen höheren Erlös als der erste
Aufruf mit Übernahme des Mietvertrages ergibt, erhält der Ersteigerer
die Möglichkeit, in analoger Anwendung von Art. 261 Abs. 1 OR unter
Einhaltung der gesetzlichen Frist auf den nächsten örtsüblichen
Termin zu kündigen. Auch in diesem Fall ist indessen eine Erstreckung
des Mietverhältnisses nicht ausgeschlossen, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen (Art. 272 OR) dafür erfüllt sind.

    e) Im vorliegenden Fall ist ein jederzeit kündbares Mietverhältnis zu
beurteilen. Das Handelsgericht hat daher zu Recht festgehalten, dass gar
kein Doppelaufruf hätte durchgeführt werden müssen. Einerseits konnte die
Klägerin in ihrer Eigenschaft als neue Vermieterin ohne Doppelaufruf ohne
weiteres unter Einhaltung der vertraglichen Fristen und Termine auf den
31. März 2001 kündigen. Von dieser Möglichkeit hat sie wie erwähnt auch
Gebrauch gemacht(vgl. oben, E. 1). Andrerseits schliesst der Doppelaufruf
die Erstreckung wie ausführlich dargelegt nicht aus. Ob eine Erstreckung
gewährt werden kann und gegebenenfalls in welchem Umfang, ist aufgrund
einer Interessenabwägung nach Art. 272 Abs. 2 OR zu beurteilen.