Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 44



128 III 44

10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. (Berufung)

    4C.211/2001 vom 1. November 2001

Regeste

    Aberkennungsklage; Abtretung der Forderung (Art. 83 SchKG).

    Der Aberkennungsbeklagte braucht im Zeitpunkt der Zustellung des
Zahlungsbefehls nicht Gläubiger der streitigen Forderung gewesen zu
sein. Es genügt, wenn er sich die Forderung nach Erlass des Zahlungsbefehls
abtreten lässt, sofern diese bei Anhebung der Betreibung fällig war
(E. 3-5).

Sachverhalt

    Nachdem A. (Beklagter) in einer gegen B.  (Kläger) angestrengten
Betreibung für ausstehende Darlehensraten provisorische Rechtsöffnung
erhalten hatte, führte dieser Aberkennungsklage beim Bezirksgericht
Werdenberg. Es hiess die Aberkennungsklage gut, da die Forderung nicht
dem Beklagten zustehe. Dieser focht den Entscheid beim Kantonsgericht
St. Gallen an. Er machte unter anderem geltend, er habe sich
zwischenzeitlich die Forderung gegen den Kläger abtreten lassen, und
reichte dem Kantonsgericht die Abtretungsvereinbarung ein. Des ungeachtet
bestätigte dieses den Entscheid des Bezirksgerichts. Das Bundesgericht
heisst die vom Beklagten eingereichte Berufung teilweise gut und weist
die Angelegenheit an das Kantonsgericht zur Abklärung der Gültigkeit der
Abtretung zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Der Beklagte führt aus, soweit ihm die geltend gemachten
Ansprüche bei Einleitung der Betreibung noch nicht zugestanden
haben sollten, habe er sie sich am 16. Mai 2000 abtreten lassen. Das
Kantonsgericht liess offen, ob die Ansprüche gültig auf den Beklagten
übergegangen sind. Prozessthema der Aberkennungsklage sei nur, ob die
in Betreibung gesetzte Forderung bei Zustellung des Zahlungsbefehls dem
betreibenden Gläubiger zustand und fällig war. Der Schuldner, der bezogen
auf diesen Zeitpunkt materiell zu Recht Rechtsvorschlag erhoben habe,
müsse sich keine Fortsetzung der Betreibung gefallen lassen. Daher sei
eine nach Zustellung des Zahlungsbefehls erfolgte Abtretung im Rahmen der
Aberkennungsklage unbeachtlich, obwohl nach kantonalem Prozessrecht an sich
der Sachverhalt, wie er sich im Urteilszeitpunkt darstellt, massgebend sei.

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist für eine Abweisung
der Aberkennungsklage nicht notwendig, dass der Aberkennungsbeklagte bei
Anhebung der Betreibung Gläubiger der streitigen Forderung ist. Es genügt,
wenn er es nach Erlass des Zahlungsbefehls durch Zession oder Rückzession
wurde, da die Rechtsstellung des Aberkennungsklägers dadurch nicht
verschlechtert wird (BGE 95 II 242 E. 4 S. 254 und 617 E. 1 S. 620, je mit
Hinweisen). An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht auch in neuerer
Zeit festgehalten (Urteil des Bundesgerichts 4C.369/1998 vom 15. Februar
1999). Es musste sich in diesem Entscheid indes nicht eingehend mit der
an dieser Rechtsprechung geübten Kritik der Lehre auseinandersetzen, da
die Aberkennungsklage unabhängig von der Berücksichtigung der Abtretung
abzuweisen war.

    c) Ein Teil der Lehre spricht sich wie das Kantonsgericht für eine
Gutheissung der Aberkennungsklage aus, wenn der Betreibende erst nach
Anhebung der Betreibung Gläubiger der Forderung geworden ist. Andernfalls
kommt ihm nach dieser Auffassung bei der Vollstreckung eine Position
zu, die ihm materiellrechtlich nicht gebührt, und der Schuldner wird
um die im Gesetz vorgesehenen Zahlungsfristen gebracht (STAEHELIN,
Basler Kommentar, N. 44 zu Art. 83 SchKG; SYZ, Aberkennungsklage und
Aberkennungsprozess gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG, Diss. Zürich 1971, S. 59
f.; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem
Recht, Bd. I, S. 269 Fn. 5; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht,
3. Aufl., Zürich 1979, S. 377 f. Fn. 62; unkritisch gegenüber der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung dagegen GILLIÉRON, Commentaire de
la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Art. 1-88,
Lausanne 1999, N. 78 zu Art. 83 SchKG; FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar
zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N. 43 zu §
213 Ziff. 2 ZPO). Der Betreibende, der vor der Abtretung betreibt, sei
gleich zu behandeln wie der Gläubiger, dessen Forderung bei Anhebung der
Betreibung noch nicht besteht oder noch nicht fällig ist.

Erwägung 4

    4.- a) Die Aberkennungsklage ist eine negative Feststellungsklage
(JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, 4. Aufl., Zürich 1997, Bd. I, N. 17 zu Art. 83 SchKG; STAEHELIN,
aaO, N. 14 zu Art. 83 SchKG), mit der die Feststellung der Nichtexistenz
der betriebenen Forderung verlangt werden kann, nicht aber die Aufhebung
der provisorischen Rechtsöffnung (BGE 95 II 617 E. 1 S. 620; AMONN/GASSER,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl.,

Bern 1997, § 19 N. 93 ff.; BLUMENSTEIN, Handbuch des schweizerischen
Schuldbetreibungsrechts, Bern 1911, S. 309). Es ist eine
materiellrechtliche Klage, die sich mit Ausnahme der Verteilung
der Parteirollen und des Gerichtsstands grundsätzlich nicht von
einer ordentlichen Feststellungsklage unterscheidet. Das Urteil
erlangt volle Rechtskraft (AMONN/GASSER, a.a.O, § 19 N. 95 und 104).
Der materiellrechtliche Charakter zeigt sich auch daran, dass ein vor
Gewährung der Rechtsöffnung hängiger Feststellungsprozess automatisch zum
Aberkennungsprozess wird, ohne dass der Schuldner speziell auf Aberkennung
klagen müsste (BGE 117 III 17 E. 1b S. 19; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN,
aaO, N. 8 zu Art. 83 SchKG; STAEHELIN, a.a.O, N. 19 zu Art. 83 SchKG;
AMONN/GASSER, a.a.O, § 19 N. 100).

    b) Im Betreibungsverfahren kommt dieser Feststellungsklage
indessen besondere Bedeutung zu. Sie verlängert den provisorischen
Charakter der Rechtsöffnung (AMONN/GASSER, a.a.O, § 19 N. 93), und
ihr Ausgang entscheidet über Fortgang oder Dahinfallen der Betreibung
(JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO, N. 12 zu Art. 83 SchKG; AMONN/GASSER,
a.a.O, § 19 N. 105; HINDERLING, Ausgewählte Schriften, Zürich 1982, S. 280
ff.). Um diese Funktion zu erfüllen, muss sie diejenigen Fragen klären,
die für den Entscheid über den Fortgang der Betreibung ausschlaggebend
sind, namentlich die Frage nach Bestand und Fälligkeit der Forderung
bei Einleitung der Betreibung (vgl. BGE 95 II 617 E. 1 S. 620; 91 II 108
E. 2b S. 111, je mit Hinweisen; STAEHELIN, aaO, N. 15 zu Art. 83 SchKG).

    c) Prozessgegenstand der Aberkennungsklage nach Art.  83 Abs. 2 SchKG
ist nicht die Frage, ob der Schuldner zu Recht Rechtsvorschlag erhoben
oder der Betreibende zu Recht Betreibung eingeleitet hat, denn sonst
hätte der Gesetzgeber hiefür nicht den Weg des ordentlichen Prozesses
vorgesehen. Die Aberkennungsklage soll primär klären, ob der zwischen
den Parteien streitige Anspruch materiell besteht (Art. 83 Abs. 2 SchKG;
vgl. GILLIÉRON, aaO, N. 50 zu Art. 83 SchKG; HINDERLING, aaO, S. 280)
und so der Verwirklichung des materiellen Rechts dienen (BGE 68 III
85 S. 87 f.; 72 III 52 E. 2 S. 56). Aus diesem Grunde kann sich der
Schuldner im Aberkennungsverfahren auf Umstände berufen, die sich nach
Anhebung der Betreibung zugetragen haben (BGE 72 III 52 E. 2 S. 56 mit
Hinweis). Bis zu welchem Zeitpunkt entsprechende Tatsachen berücksichtigt
werden können, entscheidet wie bei jeder anderen ordentlichen Klage das
kantonale Recht. Von diesem Grundsatz abzuweichen

rechtfertigt sich nur, wenn dies angesichts des mit der Aberkennungsklage
verbundenen Entscheids über den Fortgang der Betreibung notwendig erscheint
(vgl. HINDERLING, aaO, S. 281 ff.). Soweit aus der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung etwas anderes abgeleitet werden könnte (vgl. HUGO SCHÄR,
Der als Urteilsgrundlage massgebende Zeitpunkt, Diss. Zürich 1955,
S. 68 ff.; VOGEL/SPÜHLER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl.,
Bern 2001, Kap. 7, N. 103a), ist daran nicht festzuhalten.

Erwägung 5

    5.- a) Eine solche Ausnahme ist bei fehlender Fälligkeit der
Forderung im Zeitpunkt der Betreibung, erst recht bei fehlendem Bestand
der Forderung, gegeben. Ist die Forderung bei Anhebung der Betreibung nicht
fällig, kann sich der Schuldner nur durch Erhebung des Rechtsvorschlags vor
den verfrüht geltend gemachten Ansprüchen des Gläubigers schützen. Er muss
sich eine derartige Betreibung nicht gefallen lassen, da die Betreibung
nicht dazu dient, den Schuldner zur Zahlung einer noch nicht fälligen
Forderung anzuhalten. Würde eine nachträglich eintretende Fälligkeit
im Aberkennungsverfahren beachtet, würden zudem diejenigen Gläubiger
benachteiligt, die mit der Einleitung der Betreibung dem materiellen Recht
entsprechend bis zur Fälligkeit ihrer Forderung zuwarten (BGE 72 III
52 E. 2 S. 56 mit Hinweis; HINDERLING, aaO, S. 282). Das rechtfertigt,
die Fortsetzung der Betreibung zu unterbinden und die Aberkennungsklage
gutzuheissen. Ob mit Blick auf die vom Gesetzgeber angestrebte Klärung
der materiellen Rechtslage und zur Vermeidung unnötiger Prozesse
angezeigt ist, trotz Gutheissung der Aberkennungsklage festzustellen,
dass die Forderung inzwischen fällig geworden ist, braucht vorliegend
nicht entschieden zu werden (ablehnend SCHÄR, aaO, S. 71; STAEHELIN, aaO,
N. 60 f. zu Art. 83 SchKG, der aber bei der Formulierung des Dispositivs
dem Grund der Gutheissung der Aberkennungsklage Rechnung tragen will; vgl.
auch HINDERLING, aaO, S. 283 f.).

    b) Bei nachträglicher Abtretung einer fälligen Forderung dagegen
ist die Lage des Schuldners wie auch allfälliger weiterer Gläubiger von
jener bei Einleitung einer Betreibung für eine nicht fällige Forderung
gänzlich verschieden.

    aa) Mit Fälligkeit ist der Schuldner verpflichtet, seine Leistung
an den tatsächlich Berechtigten zu erbringen. Es steht ihm offen, durch
Erfüllung an diesen spätere Abtretungen zu verhindern. Ebenso kann er mit
dem tatsächlich Berechtigten eine Stundungsvereinbarung treffen, womit
selbst bei nachträglicher Abtretung der Forderung an den Betreibenden
die Aberkennungsklage mangels

Fälligkeit der Forderung gutzuheissen wäre (vgl. E. 5a hievor). Insoweit
muss sich der Schuldner nicht gefallen lassen, zu früh betrieben zu
werden (vgl. demgegenüber BGE 72 III 52 E. 2b S. 56). Er hat es in der
Hand, sich den Erfolg der Aberkennungsklage zu sichern, ohne dass er
eine nicht fällige Schuld begleichen müsste. Daher erscheint er weniger
schutzwürdig als der vor Fälligkeit oder vor Entstehung der Forderung
betriebene Schuldner.

    bb) Auch der Einwand, durch die Berücksichtigung einer Abtretung im
Rahmen der Aberkennungsklage würde dem Schuldner die gesetzlich vorgesehene
Zahlungsfrist genommen, ist nicht stichhaltig (vgl. HINDERLING, aaO, S.
282). Von einem bereits hängigen Aberkennungsverfahren würde eine neue
für dieselbe Forderung eingeleitete Betreibung ohne weiteres erfasst
(BGE 117 III 17 E. 1b S. 19; vgl. E. 4a hievor). Anders entscheiden
hiesse den Schuldner zwingen, mit Bezug auf ein und dieselbe Forderung
mehrere Aberkennungsklagen anzuheben. Das läuft seinen Interessen zuwider
und würde nutzlosen Aufwand verursachen. Der Zeitpunkt der Fortsetzung
der neuen Betreibung würde damit in der Regel mit dem Entscheid über die
erste Betreibung zusammenfallen. Der Schuldner erfährt insoweit keine
Schlechterstellung hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs der Betreibung
und hat daher kein schutzwürdiges Interesse an der Einleitung einer
neuen Betreibung nach der Abtretung und der Nichtberücksichtigung des
Gläubigerwechsels im hängigen Aberkennungsprozess. Besondere Umstände, die
im zu beurteilenden Fall dennoch ein Rechtsschutzinteresse des Schuldners
nahelegen würden, sind weder dargetan noch ersichtlich.

    cc) Bestreitet der Schuldner dagegen nicht die Forderung an sich,
sondern nur die Forderungsberechtigung des Betreibenden, liegt es an
ihm, den grundsätzlich anerkannten Anspruch nach erfolgter Abtretung zu
begleichen und dadurch im Prozess die Aberkennung zu bewirken (vgl. E. 4c
hievor).

    dd) Auch die übrigen Gläubiger erscheinen in Bezug auf die
nachträgliche Berücksichtigung einer Abtretung weniger schutzwürdig als
bei einer Betreibung vor Fälligkeit. Mit Fälligkeit der Forderung hätte
der tatsächlich Berechtigte Betreibung einleiten können, und im Rahmen
der Abtretung wäre der Erwerber der Forderung in seine Rechtsposition
eingetreten. Anders als bei einer noch nicht fälligen Forderung
haben die anderen Gläubiger aus dem materiellen Recht keinen Anspruch
darauf, dass ihre Forderung vor der in Betreibung gesetzten befriedigt
wird. Daher besteht kein hinreichender Grund, die Abtretung im Rahmen
des Aberkennungsprozesses

nicht zu berücksichtigen, soweit dies nach kantonalem Verfahrensrecht
möglich ist.

    c) An der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist daher grundsätzlich
festzuhalten. Diese hat das Kantonsgericht missachtet und dadurch
Bundesrecht verletzt, als es die Zession für unbeachtlich hielt. Daher
ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Sie wird darüber zu befinden haben, ob die Behauptung
der Abtretung prozesskonform erhoben wurde und sich bejahendenfalls zu
den dagegen vorgetragenen Einwänden des Klägers auszusprechen haben.