Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 257



128 III 257

48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. K. gegen
B. (Berufung)

    5C.6/2002 vom 11. Juni 2002

Regeste

    Art. 153 und 151 aZGB; Abänderung einer Unterhaltsersatzrente.

    Für die Abänderung des Scheidungsurteils, die nach den Vorschriften
des früheren Rechts erfolgt, gilt - wie bis anhin - die Regel, dass zur
Berechnung des familienrechtlichen Notbedarfs das betreibungsrechtliche
Existenzminimum um die laufende Steuerlast zu erweitern ist (E. 4a).

Sachverhalt

    Die Ehe der Parteien, beide Jahrgang 1935, wurde 1996
rechtskräftig geschieden und der Ehemann K. zur Leistung einer
monatlichen Unterhaltsersatzrente an seine Ehefrau B. von Fr. 1'600.-
bis zu seinem Eintritt in das AHV-Alter und von Fr. 1'200.- für
die Zeit danach verpflichtet. Die Abänderungsklage von K. hiess das
erstinstanzliche Gericht für die Dauer des Prozesses gut und setzte
den Unterhaltsbeitrag mit Wirkung ab 1. Dezember 2000 auf Fr. 400.-
pro Monat herab. Das kantonale Obergericht bestätigte das Urteil. Das
Bundesgericht heisst die Berufung von K. teilweise gut und setzt den
monatlichen Unterhaltsbeitrag auf Fr. 250.- herab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Das Bezirksgericht konnte in den Notbedarf des Klägers die
laufenden Steuern auf das Renteneinkommen nicht einbeziehen, da diese
Angaben offenbar nicht erhältlich waren. Vor Obergericht hat der
Kläger behauptet und belegt, dass er in Österreich einer monatlichen
Einkommenssteuer von rund Fr. 300.- unterliegt; die Beklagte anerkennt
diese Steuerlast im Betrag von Fr. 250.-. Aus mehreren Gründen
ist das Obergericht davon ausgegangen, die Steuerlast sei nicht zu
berücksichtigen. Der Kläger bezeichnet dies als bundesrechtswidrig. Die
Beklagte ist offenbar derselben Ansicht, zumal sie die Steuerlast in ihre
Rechnung ausdrücklich einbezieht.

    a) Im Grundsatz ist unbestritten, dass zur Berechnung des
familienrechtlichen Notbedarfs das betreibungsrechtliche Existenzminimum um
die laufende Steuerlast zu erweitern ist. Das Obergericht hat angenommen,
bei einer Unterdeckung auf Seiten der Unterhaltsberechtigten seien die
vom Unterhaltspflichtigen geschuldeten Steuern "praxisgemäss" nicht zu
berücksichtigen.

    aa) Reichen die Mittel nicht aus, muss dem Unterhaltsschuldner nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 151 Abs. 1 aZGB
in jedem Fall sein erweiterter Notbedarf erhalten bleiben; damit soll
verhindert werden, dass beide Parteien Sozialfürsorge beziehen müssen,
und dem Unterhaltsschuldner auch ein gewisser Anreiz verbleiben, seine
Erwerbstätigkeit zu erhalten bzw. zu steigern (LÜCHINGER/GEISER, Basler
Kommentar, 1996, N. 12 letzter Absatz zu Art. 151 aZGB, mit Nachweis
der Rechtsprechung und teilweise auch kritischer Stellungnahmen im
Schrifttum). Die Bedenken gegen diese Praxis beziehen sich insbesondere
auf die damit verbundene Bevorzugung gewisser Gläubiger - vor allem des
Fiskus - gegenüber dem Unterhaltsberechtigten (vgl. etwa

HAUSHEER/SPYCHER, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, S. 59
f. N. 01.81). Trotzdem hat das Bundesgericht an seiner Rechtsprechung
festgehalten, dass dem Unterhaltsschuldner gemäss Art. 151 Abs. 1
aZGB grundsätzlich der erweiterte Notbedarf ("son minimum vital au
sens large" bzw. "élargi") zu belassen ist und er sich nicht mit dem
betreibungsrechtlichen Existenzminimum zu begnügen hat (z.B. Urteile
5C.147/1996 vom 19. September 1996, E. 2a, 5C.107/1998 vom 8. Juni
1998, E. 3d, und 5C.38/2000 vom 4. Mai 2000, E. 2b), und zwar auch
in Abänderungsprozessen nach der ZGB-Revision von 1998/2000 (Urteil
5C.142/2001 vom 5. Oktober 2001, E. 3b).

    bb) Das Obergericht stützt seine gegenteilige Auffassung offenbar
auf die neuere Rechtsprechung im Bereich des Kindesunterhalts (BGE
126 III 353 E. 1a/aa S. 356; 127 III 68 E. 2c S. 70), die auf den
nachehelichen Unterhalt gemäss Art. 125 ZGB übertragen worden ist
(BGE 127 III 289 E. 2a/bb S. 292). Danach darf die Steuerlast in
Mangelfällen nicht berücksichtigt werden. Diesen neuen Entscheiden des
Bundesgerichts ist Kritik erwachsen; nebst steuerrechtlichen Vorbehalten
und Praktikabilitätsüberlegungen wird nunmehr eingewendet, die strikte
Nichtanrechnung der laufenden Steuern könne letztlich zu einem (an sich
unzulässigen) Eingriff in das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners
sowie unter Umständen gleichzeitig zu einer Ungleichbehandlung von
Unterhaltsgläubiger und -schuldner führen (HAUSHEER/SPYCHER, Unterhalt nach
neuem Scheidungsrecht, Ergänzungsband zum Handbuch des Unterhaltsrechts,
Bern 2001, N. 05.91 S. 65; für weitere kritische Stellungnahmen: BÄHLER,
Unterhalt bei Trennung und direkte Steuern, in: ZBJV 138/2002 S. 16 ff.,
S. 24 f.; CADOSCH, Die Berücksichtigung der Steuerlast des Pflichtigen bei
der Festsetzung von (Kinder-)Unterhaltsbeiträgen, in: ZBJV 137/2001 S. 145
ff.; RAMSEIER, Konflikt in der Familie: Harmonie in der Besteuerung?,
in: FamPra.ch 2001 S. 500 ff.).

    cc) Ohne auf diese Kritik abschliessend einzugehen, rechtfertigt
sich eine Übertragung der jüngsten, zu Art. 125 ZGB ergangenen
Rechtsprechung auf Art. 151 Abs. 1 aZGB nicht, würde doch dadurch die
(gefestigte) Rechtsprechung dazu rückwirkend geändert. Dagegen sprechen
gewichtige Gründe der Rechtssicherheit (vgl. zu diesem Gesichtspunkt:
z.B. BGE 127 III 100 E. 2c/aa S. 104; 126 III 315 E. 4c/bb S. 318).
Eine gleichsam rückwirkende Änderung der Gerichtspraxis würde einer
Vielzahl rechtskräftiger Urteile die nach bisherigem Recht massgebende
Grundlage entziehen; eine

derartige Änderung der Rechtslage könnte gegebenenfalls allein schon einen
Abänderungsprozess rechtfertigen, sofern sie eine dauernde und erhebliche
Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners zur Folge
hätte (vgl. zu dieser Möglichkeit: z.B. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner
Kommentar, 1999, N. 8 Abs. 2 zu Art. 179 ZGB; EGGER, Zürcher Kommentar,
1943, N. 5 zu Art. 320 aZGB). Die monatliche Steuerlast darf im Rahmen
von Art. 151 Abs. 1 ZGB nicht unberücksichtigt bleiben.