Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 250



128 III 250

47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen Kanton
St. Gallen (Berufung)

    4C.328/2001 vom 19. Februar 2002

Regeste

    Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht.

    Berufungsfähigkeit eines Entscheides, mit welchem ein Zivilgericht
auf eine Klage nicht eintritt mit der Begründung, es handle sich um eine
öffentlichrechtliche Streitigkeit (E. 1).

    Vertrag zwischen einem Kanton und einer Privatperson im Gebiet
arbeitsmarktlicher Massnahmen: öffentlichrechtliches oder privatrechtliches
Vertragsverhältnis (E. 2)?

Sachverhalt

    Im Rahmen von arbeitsmarktlichen Massnahmen kam der Kanton
St. Gallen mit A. (Kläger) im Frühjahr 1994 überein, dass dieser eine
Computerinfrastruktur (Übungsfirma) für zehn bis zwölf arbeitslose
Personen verwirkliche, wobei eine Vergütung pro Tag und Kursteilnehmer
vorgesehen wurde. In der Folge wies das Kantonale Amt für Industrie,
Gewerbe und Arbeit (KIGA) dem Kläger regelmässig Arbeitslose zum Besuch der
angebotenen Kurse zu. Der Kläger baute die Kapazität auf Betreiben des KIGA
auf fünfzehn bis siebzehn Plätze aus. Nach rund dreijähriger Zusammenarbeit
wies das KIGA dem Kläger jedoch ab Juni 1997 erheblich weniger Teilnehmer
zu. Schliesslich kündigte das KIGA das Vertragsverhältnis mit Schreiben
vom 17. September 1997 zunächst auf Ende Januar 1998 und verlängerte dann
die Kündigungsfrist bis zum 27. März 1998.

    Mit Eingabe vom 17. September 1999 reichte A. beim Bezirksgericht
St. Gallen Klage gegen den Kanton St. Gallen ein mit dem Rechtsbegehren,
den Beklagten zur Zahlung von Fr. 246'128.- nebst 5% Zins seit
28. März 1998 zu verpflichten. Mit Entscheid vom 25. August 2000
trat das Bezirksgericht mangels sachlicher Zuständigkeit nicht auf
die Klage ein. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass der Kläger keine
privatrechtlichen Ansprüche geltend mache, da zwischen den Parteien ein
verwaltungsrechtlicher Vertrag abgeschlossen worden sei.

    Der Kläger appellierte an das Kantonsgericht St. Gallen, das mit
Entscheid vom 5. September 2001 das Rechtsmittel im Kostenpunkt guthiess
und die Akten dem Eventualantrag des Klägers entsprechend zur allfälligen
Entgegennahme der Eingabe vom 17. September 1999 als öffentlichrechtliche
Klage, eventuell zur Übernahme des Prozesses an das Verwaltungsgericht
überwies. Das Kantonsgericht kam ebenfalls zum Schluss, dass ein
öffentlichrechtliches Vertragsverhältnis vorliege.

    Der Kläger hat das Urteil des Kantonsgerichts mit Berufung angefochten,
die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Berufung ist zulässig in Zivilsachen
bzw. Zivilrechtsstreitigkeiten (Art. 44, 45 und 46 OG). Unter einer
Zivilrechtsstreitigkeit versteht die Rechtsprechung ein kontradiktorisches
Verfahren zwischen zwei oder mehreren natürlichen oder juristischen
Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen
solchen Personen und einer Behörde, die nach Bundesrecht die Stellung
einer Partei einnimmt. Entscheidend ist dabei, dass die Parteien nach
ihren Rechtsbegehren und Sachvorbringen Ansprüche des Bundeszivilrechts
erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind (BGE 124 III 44 E. 1a;
123 III 346 E. 1a). Als Zivilrechtsstreitigkeit gilt auch die Frage,
ob bundesprivatrechtliche Ansprüche streitig sind (BGE 115 II 237 E. 1).

    Die Vorinstanz hat verneint, dass der Kläger nach seinen Sachvorbringen
privatrechtliche Ansprüche einklagt, und angenommen, seine Forderungen
seien öffentlichrechtlicher Natur, während der Kläger die Ansicht vertritt,
seine Ansprüche seien bundesprivatrechtlich; in diesem Sinne liegt hier
eine Zivilrechtsstreitigkeit vor.

    b) Die Berufung ist in der Regel erst gegen Endentscheide der oberen
kantonalen Gerichte oder sonstigen Spruchbehörden zulässig, die nicht durch
ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden können (Art. 48
Abs. 1 OG). Ein Endentscheid liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn das
kantonale Sachgericht über den im Streit stehenden Anspruch materiell
entschieden oder dessen Beurteilung aus einem Grund abgelehnt hat, der
endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch nochmals geltend gemacht
wird (BGE 127 III 474 E. 1a; 126 III 445 E. 3b). Nichteintretensentscheide
werden als Endentscheide im Sinne dieser Bestimmung betrachtet, falls
sie einen Anspruch unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten endgültig
beenden, auch wenn eine öffentlich-rechtliche Subsumtion noch aussteht
(LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Zivilprozessordnung für den Kanton Bern,
5. Aufl., N. 2c zu Art. 194; HANS PETER WALTER in: AJP 1993 S. 1022). Im
vorliegenden Fall hat die Vorinstanz endgültig verneint, dass der Kläger
einen privatrechtlichen Anspruch geltend machen kann. Die Voraussetzung
des Endentscheids im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG ist somit gegeben.

    c) Da auch der gemäss Art. 46 OG erforderliche Streitwert erreicht
wird, ist auf die Berufung einzutreten und zu prüfen, ob die Vorinstanz
die privatrechtliche Natur der eingeklagten Ansprüche bundesrechtskonform
verneint hat.

Erwägung 2

    2.- Der Kläger hat sich im Vertrag mit dem Beklagten verpflichtet,
eine sogenannte Übungsfirma für zehn bis zwölf, später fünfzehn bis
siebzehn arbeitslose Personen einzurichten und die ihm vom KIGA im Rahmen
arbeitsmarktlicher Massnahmen zugewiesenen Personen in Integrations-
und Weiterbildungskursen zu unterrichten. Mit der Berufung wird gerügt,
die Vorinstanz habe diesen Vertrag bundesrechtswidrig nicht als
privatrechtlichen qualifiziert.

    a) Die Abgrenzung bundesprivatrechtlicher Streitigkeiten von
öffentlichrechtlichen ist in der Praxis kasuistisch geprägt (vgl. CORBOZ,
Le recours en réforme au Tribunal fédéral, in SJ 2000 II S. 19 f.; MÜNCH,
Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1996, Rz. 4.8; POUDRET,
Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, Bern
1990, Titel II N. 2.2). Es sind dafür verschiedene Theorien entwickelt
worden, deren grundsätzliche Abgrenzungskriterien sich nicht ausschliessen
und die im Einzelfall herangezogen werden, soweit sie sich am besten zur
Lösung der konkreten Fragestellung eignen (vgl. BGE 126 III 431 E. 2c/bb;
120 II 412 E. 1b; 109 Ib 146 E. 1b). In Betracht fallen vornehmlich die
auch Subjektionstheorie genannte Subordinationstheorie, welche das Gewicht
auf die Gleich- oder Unterordnung der Beteiligten bzw. die Ausübung von
hoheitlichem Zwang legt; daneben werden aber auch die Interessen- und
Funktionstheorie herangezogen, die danach unterscheiden, ob private oder
öffentliche Interessen verfolgt bzw. öffentliche Aufgaben erfüllt werden
(HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl.,
Zürich 1998, S. 50 f.; HANS HUBER, Berner Kommentar, N. 120 ff. zu Art. 6
ZGB; POUDRET, aaO, Titel II N. 2.2). Bei der Anwendung dieser theoretischen
Kriterien ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Unterscheidung
zwischen privatem und öffentlichem Recht ganz verschiedene Funktionen
zukommen, je nach den Regelungsbedürfnissen und den Rechtsfolgen, die
im Einzelfall in Frage stehen (BGE 109 Ib 146 E. 1b). Im vorliegenden
Fall geht es nicht darum, bestimmte Gesetzesnormen als privat- oder
öffentlichrechtlich zu qualifizieren, sondern eine Vertragsbeziehung dem
privat- oder dem öffentlichrechtlichen Bereich zuzuordnen (vgl. POUDRET,
aaO, Titel II N. 2.3.1).

    b) Ein verwaltungsrechtlicher Vertrag lässt sich dadurch
charakterisieren, dass er direkt die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe
zum Inhalt hat oder dass er einen öffentlichrechtlich normierten Gegenstand
betrifft, wie zum Beispiel Erschliessungen, Enteignungen oder Subventionen
(vgl. RHINOW, Verfügung, Verwaltungsvertrag

und privatrechtlicher Vertrag, in: Festgabe zum Schweizerischen
Juristentag 1985, S. 303). Das Bundesgericht hat Verträge von
Bauwilligen mit Gemeinwesen über die Erschliessung von Bauparzellen
oder das Mandat an einen Anwalt, für eine unbemittelte Partei tätig zu
werden, als öffentlichrechtlich qualifiziert (BGE 113 Ia 69 E. 6; 102
II 55 E. 1). Anderseits ist etwa die Vereinbarung des Schweizerischen
Treuhänder-Verbandes mit der Schweizerischen Nationalbank über
die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern nicht als
öffentlichrechtlich erachtet worden (BGE 109 Ib 146 ff.). Ebenfalls
als privatrechtlich wurden ein Vertrag der Eidgenossenschaft mit einer
Beratungsfirma für Kommunikations- und Marketingaufgaben im Aktionsprogramm
MICROSWISS und ein Vertrag der Stadt Genf mit Konsortialen zum Bau und
Betrieb eines öffentlichen Schlachthauses im Baurecht angesehen (Urteile
4C.434/1994 vom 11. Juli 1995 und 4C.498/1996 vom 25. März 1997). Als
wesentlich betrachtete das Bundesgericht in diesen zwei Urteilen, dass der
Staat in der Regel privatrechtlich handelt, wenn er sich zur Erfüllung
seiner öffentlichen Aufgaben die erforderlichen Hilfsmittel durch Kauf,
Werkvertrag oder Auftrag beschafft. Ein Vertrag ist in diesen Fällen in der
Regel nur dann als öffentlichrechtlich zu qualifizieren, wenn dem Privaten
dadurch unmittelbar die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe übertragen wird.

    c) Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen
Urteil haben die Parteien den Vertrag im Rahmen der Durchführung
arbeitsmarktlicher Massnahmen gemäss Art. 59-67 des Bundesgesetzes über
die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung
vom 25. Juni 1982 (AVIG; SR 837.0) geschlossen. Nach dem Grundsatz in
Art. 59 AVIG fördert die Versicherung durch finanzielle Leistungen die
Umschulung, Weiterbildung oder Eingliederung von Versicherten, deren
Vermittlung aus Gründen des Arbeitsmarktes unmöglich oder stark erschwert
ist (Abs. 1); diese Massnahmen müssen die Vermittlungsfähigkeit verbessern
(Abs. 3). Während die Leistungen der Versicherung an die Kursteilnehmer
in Art. 60 und 61 AVIG geregelt sind, werden die Beiträge für Umschulungs-
und Weiterbildungseinrichtungen in Art. 62 bis 64 AVIG normiert.

    aa) Nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil erschöpft sich die
öffentliche Aufgabe im Zusammenhang mit den arbeitsmarktlichen Massnahmen
nach Art. 59 ff. AVIG in deren Finanzierung. Die dem Kläger ausgerichteten
Beiträge für Umschulungs- und Weiterbildungseinrichtungen nach Art. 62
AVIG können als solche

nach Meinung der Vorinstanz nicht Gegenstand einer vertraglichen
Abmachung sein. Dagegen besteht gemäss der Vorinstanz ein Bedürfnis nach
Vereinbarungen im Hinblick auf die Rahmenbedingungen und die zahlreichen
Anspruchsvoraussetzungen, welche das Gesetz an die Erbringung der
finanziellen Leistungen knüpft. Grundlage solcher Abmachungen mit den
Trägern von Umschulungs- oder Weiterbildungseinrichtungen ist dafür aber
nach den Erwägungen im angefochtenen Urteil allein das öffentliche Recht.

    bb) Der Kläger stellt nicht grundsätzlich in Frage, dass
sich die öffentliche Aufgabe auch des Beklagten im Zusammenhang mit
arbeitsmarktlichen Massnahmen in der Förderung durch finanzielle Leistungen
erschöpft. Er vertritt jedoch den Standpunkt, die Argumentation der
Vorinstanz entbehre der Grundlage, da er selbst nicht Beitragsempfänger
gewesen sei. Er ist der Ansicht, der Beklagte bzw. dessen KIGA hätten
in Tat und Wahrheit nicht ihm, sondern den Kursteilnehmern Kostenbeiträge
zugesprochen, die im Interesse zweckentsprechender Verwendung direkt ihm
als Kursveranstalter ausgerichtet worden seien. Er hält aus diesem Grund
das Argument der Vorinstanz für hinfällig oder mindestens nicht zwingend,
dass Grundlage für das Tätigwerden der Verwaltung beim Abschluss solcher
Verträge ausschliesslich das öffentliche Recht sei.

    cc) Die Vorinstanz geht zutreffend davon aus, dass die Ausrichtung
von Subventionen zu den Materien gehört, die öffentlichrechtlich
normiert sind. Die Subvention ist dadurch gekennzeichnet, dass sich
der Empfänger in einer Weise verhält, die dem öffentlichen Interesse
als Gegenleistung erscheint (BGE 126 II 443 E. 6c). Verträge im Bereich
öffentlicher Finanzhilfe sind daher regelmässig als öffentlich-rechtlich
zu qualifizieren. Der Kläger bestreitet insofern nicht, dass die Beklagte
arbeitsmarktliche Massnahmen der hier in Frage stehenden Art von Gesetzes
wegen nicht selbst durchführt, sondern Kurse, wie sie der Kläger angeboten
hat, bloss finanziell unterstützt. Der Beklagte beschafft sich in diesem
Bereich daher von vornherein keinerlei Hilfsmittel zur Erfüllung einer
öffentlichen Aufgabe, sondern richtet allein finanzielle Leistungen
aus. Dies steht der Qualifizierung des zwischen den Parteien geschlossenen
Vertrags als privatrechtlich entgegen.

    dd) Gemäss Art. 62 AVIG können privaten Institutionen Beiträge an
die Kosten der Durchführung von Kursen nach Art. 60 AVIG ausgerichtet
werden. Das Gesetz unterscheidet damit systematisch zwischen den
"Leistungen an Kursteilnehmer" (so die Marginalie von Art. 60 AVIG)
und den Beiträgen nach Art. 62 AVIG, welche

den Veranstaltern der Kurse als Leistungsempfänger ausgerichtet werden
und die funktionell als Subventionen betrachtet werden können. Unter
diesem Gesichtspunkt lässt sich der Vertrag zwischen den Prozessparteien
zwanglos als öffentlichrechtlich qualifizieren. Aber selbst wenn der
Vertrag zwischen dem Beklagten und dem Kläger so zu verstehen wäre, dass
die von ihm angebotenen Kurse zugunsten der Kursteilnehmer als eigentliche
Subventionsberechtigte Vertragsgegenstand gewesen wären, spricht die Art
der Wahrung öffentlicher Interessen - allein durch finanzielle Leistungen
- im hier interessierenden Bereich ebenfalls für die Qualifizierung des
Vertrags als öffentlichrechtlich.