Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 169



128 III 169

32. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A.X. und B.X. gegen
C.Y. und D.Y. (Berufung)

    5C.269/2001 vom 6. März 2002

Regeste

    Auslegung einer Dienstbarkeit (Art. 738 ZGB).

    Bei klarem Wortlaut des Grundbucheintrages ist dieser allein für
den Inhalt der Dienstbarkeit massgeblich. Enthält der Grundbucheintrag
lediglich ein Stichwort wie z.B. Quellen-, Weg- oder Grenzbaurecht, ist
er in der Regel zu rudimentär, als dass sich Rechte und Pflichten aus ihm
deutlich ergäben. In diesem Fall ist für den Inhalt der Dienstbarkeit im
Rahmen des Eintrags auf ihren Erwerbsgrund oder auf die Art abzustellen,
wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt
worden ist (E. 3).

Sachverhalt

    E. war Eigentümer des Grundstücks Nr. 3575, auf dem eine Gastwirtschaft
betrieben wurde und wird. F. gehörte das benachbarte Grundstück Nr. 634.

    Mit Abtretungs- und Dienstbarkeitsvertrag vom 26. August 1960 trat
E. einen Teil seines Grundstücks an F. ab, wobei der abgetretene Teil
mit dem Grundstück Nr. 634 vereinigt wurde. Gleichzeitig räumten sich
die Parteien gegenseitig ein Grenzbaurecht ein. Für das Grenzbaurecht
zu Gunsten des Grundstücks Nr. 3575 vereinbarten die Parteien, der
jeweilige Eigentümer des Grundstücks Nr. 634 räume dem jeweiligen
Eigentümer von Nr. 3575 das Recht ein, den Wirtschaftsanbau und das
Kegelbahngebäude an die neue, zwischen den beiden Parzellen entstandene
Grenze zu stellen und beizubehalten. Für die Lage und Dimensionen dieses
Anbaus und des Kegelbahngebäudes verwiesen die Parteien auf die von ihnen
unterzeichneten Pläne, die zum Vertragsbestandteil erklärt wurden. Des
Weiteren vereinbarten sie, am Anbau und am Kegelbahngebäude dürften gegen
die Liegenschaft Nr. 634 keine Fenster, Türen oder sonstigen Öffnungen
angebracht werden und dem Eigentümer des Grundstücks Nr. 3575 werde
dauernd untersagt, auf der Terrasse der Kegelbahn zu wirten. Abschliessend
bestimmten die Parteien, dieses Rechtsverhältnis erhalte die Form einer
Grunddienstbarkeit und sei im Grundbuch als Grenzbaurecht zu Lasten
des Grundstücks Nr. 634 und zu Gunsten von Nr. 3575 einzutragen. Die
Dienstbarkeit wurde im Grundbuch mit der Bezeichnung "Grenzbaurecht"
so eingetragen und in der Folge wurde die Kegelbahn erstellt.

    1990 gingen die damaligen Eigentümer dazu über, auf der Dachterrasse
des Kegelbahngebäudes Gäste zu bewirten. Am 1. Juli 1996 erwarben A.X. und
B.X. den Gastwirtschaftsbetrieb. Im Frühling 1997 überdachten sie die
Terrasse auf der Kegelbahn.

    Mit Klage vom 19. Juli 1999 verlangten C.Y. und D.Y. als heutige
Eigentümer des Grundstücks Nr. 634, A.X. und B.X. seien unter Androhung
der Ungehorsamsstrafe nach Art. 292 StGB zu verpflichten, auf der Terrasse
der Kegelbahn des Grundstücks Nr. 3575 den Wirtsbetrieb einzustellen. Die
Beklagten beantragten die Abweisung der Klage.

    In teilweiser Gutheissung der Klage untersagte das Obergericht
als zweite Instanz den Beklagten mit Urteil vom 31. August 2001,
auf dem Dach des Kegelbahngebäudes zu wirten. Es erwog, entgegen
der Auffassung des Bezirksgerichts lasse sich dem Grundbuch der genaue
Inhalt der Dienstbarkeit nicht entnehmen, weshalb auf den Begründungsbeleg
abzustellen sei. Daraus ergebe sich, dass das Wirteverbot als funktionelle
Beschränkung des Grenzbaurechts anzusehen sei und als Nebenbestimmung
zum Grenzbaurecht ohne eigenen Eintrag im Grundbuch habe begründet werden
können. Es habe deshalb nicht bloss zwischen den Vertragsparteien Wirkung
entfaltet, vielmehr binde es auch die Rechtsnachfolger.

    Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt, mit der
sie die vollumfängliche Abweisung der Klage verlangen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das Urteil
des Obergerichts.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Auffassung der Beklagten sind Wortlaut und Bedeutung des
Grundbucheintrages klar und deutlich. Es handle sich um das Recht, an die
Grenze zu bauen. Auf den Begründungsakt dürfe folglich nicht abgestellt
werden oder jedenfalls nur für Lage und Ausmass der Baute. Wegen des klaren
Wortlautes ("Grenzbaurecht") hätten sie auch keine Veranlassung gehabt,
die Grundbuchbelege nach einem Wirteverbot abzusuchen. Bei diesem gehe
es nicht um eine funktionelle Beschränkung der Dienstbarkeit, sondern
um eine damit verbundene nebensächliche Unterlassungspflicht, die der
Eintragung in das Grundbuch bedürfe, um gegenüber Dritten wirksam zu
werden. Die Kläger stellen sich demgegenüber auf den Standpunkt, der
Grundbucheintrag sei keineswegs klar und deutlich. Aus ihm sei nicht
ersichtlich, wo genau an die Grenze gebaut werden

dürfe, in welcher Dimension und zu welchem Zweck. Folglich müsse auf
den Erwerbsgrund zurückgegriffen werden und die Beklagten könnten sich
nicht auf ihren guten Glauben berufen. Im Übrigen gehe es nicht darum,
dass deren Grundstück mit einem Wirteverbot belastet sei, vielmehr gehe
es um ein Grenzbaurecht, das im Dienstbarkeitsvertrag inhaltlich näher
umschrieben sei. Zu dieser Umschreibung gehöre nicht nur die bauliche
Beschaffenheit, sondern auch die Nutzungsart der Grenzbaute.

Erwägung 3

    3.- a) Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich
ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend (Art. 738
Abs. 1 ZGB). Im Rahmen des Eintrages kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit
aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben, wie sie während
längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist
(Art. 738 Abs. 2 ZGB). Nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung
schliesst der klare Wortlaut des Grundbucheintrages ein Vorgehen gemäss
Art. 738 Abs. 2 ZGB aus (letztmals BGE 123 III 461 E. 2b S. 464). Ist der
Wortlaut hingegen unklar, ist auf den Begründungsakt zurückzugreifen,
der als Beleg beim Grundbuchamt aufbewahrt wird (Art. 948 Abs. 2 ZGB)
und einen Bestandteil des Grundbuches bildet (Art. 942 Abs. 2 ZGB).

    In der Praxis kommt es durchaus vor, dass der Grundbucheintrag die
Dienstbarkeit näher beschreibt (vgl. Beispiele in: BGE 123 III 462;
113 II 507; 86 II 245). Eine präzise Beschreibung ist indes selten,
weil die Dienstbarkeit bei der Eintragung im Hauptbuchblatt nach den
Vorgaben in der Grundbuchverordnung nur mit einem Stichwort bezeichnet
wird (vgl. Art. 35 Abs. 2 lit. c der Verordnung vom 22. Februar 1910
betreffend das Grundbuch [GBV; SR 211.432.1]), das der Grundbuchverwalter
festlegt (Art. 35 Abs. 3 GBV). Aus diesem Grund erscheinen funktionelle
Beschränkungen einer Dienstbarkeit nur ausnahmsweise im Wortlaut des
Grundbuches. Enthält der Grundbucheintrag lediglich ein Stichwort wie
z.B. Quellen-, Weg- oder eben Grenzbaurecht, ist er in der Regel zu
rudimentär, als dass sich Rechte und Pflichten aus ihm deutlich ergäben
(LIVER, Zürcher Kommentar, N. 31 und 32 zu Art. 738 ZGB; PETITPIERRE,
Basler Kommentar, N. 3 zu Art. 738 ZGB).

    b) Im vorliegenden Fall enthält das Interimsregister nur das Stichwort
"Grenzbaurecht". Für die Bestimmung des Umfangs der Dienstbarkeit muss
deshalb auf den Dienstbarkeitsvertrag zurückgegriffen werden, denn erst
dieser gibt den nötigen Aufschluss über die Lage, das Ausmass und die
Funktion der Grenzbaute. Der Vertragstext beantwortet all diese Fragen
schlüssig: Für die Lage

und das Ausmass der Baute wird auf die zum Vertragsbestandteil erklärten
Pläne verwiesen und die zulässige Nutzung ist detailliert beschrieben.

    Nach Auffassung der Beklagten bedeutet die Klausel, wonach auf der
Terrasse der Kegelbahn nicht gewirtet werden darf, ein Wirteverbot,
das ins Grundbuch hätte eingetragen werden müssen. Dieser Ansicht
kann nicht gefolgt werden: Ein Wirteverbot im Rechtssinn stellt eine
Gewerbebeschränkung dar, die selbstständig als Dienstbarkeit ins
Grundbuch eingetragen werden kann (vgl. LIVER, aaO, N. 193 zu Art. 730
ZGB). Als Dienstbarkeit lastet sie auf dem Grundstück als solchem mit
der Folge, dass Wirten auf der betreffenden Parzelle ausgeschlossen
oder im vereinbarten Umfang eingeschränkt ist. Demgegenüber geht es im
vorliegenden Fall darum, dass auf der Terrasse des Kegelbahngebäudes,
das auf Grund der Grenzdienstbarkeit errichtet worden ist, nicht gewirtet
werden darf. Sollte die Grenzbaute einmal nicht mehr bestehen, wären die
Beklagten im Unterschied zum eigentlichen Wirteverbot unter Vorbehalt
der nachbarrechtlichen Bestimmungen frei, auf dem entsprechenden Teil
ihrer Parzelle zu wirten. Der direkte Zusammenhang zwischen dem Verbot
und der Grenzbaute zeigt sich weiter in folgender Hinsicht: Wie das
Verbot, auf dem Kegelbahngebäude zu wirten, zeigt, sind die Parteien
stillschweigend davon ausgegangen, dass in der Kegelbahn das Wirten
erlaubt ist. Sie wollten jedoch die Konsumationsmöglichkeit auf das
Innere der Grenzbaute beschränkt wissen. Vor diesem Hintergrund steht
die Präzisierung bzw. Einschränkung des sich aus dem Grenzbaurecht für
ein Kegelbahngebäude selbstredend ergebenden Bewirtungsrechts auf die
fragliche Lokalität in unmittelbarem funktionellem Zusammenhang mit der
Einräumung der Dienstbarkeit.

    Der Dienstbarkeitsvertrag enthält ausführliche Bestimmungen und
legt im Anschluss an diese fest, das Rechtsverhältnis erhalte die Form
einer Grunddienstbarkeit und sei im Grundbuch als "Grenzdienstbarkeit"
einzutragen. Dies zeigt klar, dass die Parteien nicht eine nebensächliche
Unterlassungspflicht zur eingeräumten Dienstbarkeit stipulieren, sondern
deren Umfang festlegen wollten, und dass sie deshalb sämtliche Modalitäten
als funktionelle Beschränkung der Grenzdienstbarkeit angesehen haben.