Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 163



128 III 163

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Z. und Y. gegen
W. (Berufung)

    5C.245/2001 vom 6. Februar 2002

Regeste

    Art. 636 ZGB; Verträge vor dem Erbgang.

    Der Vertrag im Sinne von Art. 636 Abs. 1 ZGB kann Absprachen künftiger
Miterben über die Zuteilung einzelner Gegenstände oder Rechte beinhalten
(E. 1 und 2).

    Verhältnis zwischen einem Testament des Erblassers und dessen
Zustimmung zu einem Vertrag im Sinne von Art. 636 Abs. 1 ZGB (E. 3).

Sachverhalt

    Am 7. April 1994 verstarb in A. X.; sie hinterliess die
vier Nachkommen Z., Y., W. sowie V. als gesetzliche Erben. Die
Beteiligten schlossen verschiedene erbrechtliche Rechtsgeschäfte
ab. Die schriftliche Vereinbarung der vier Nachkommen vom 11.
Mai/26. Juni/26. August/4. September 1985/10. April 1996, welche auch
von der Erblasserin am 27. Juni 1985 mitunterzeichnet wurde, enthält
das Folgende:
      "Vereinbarung nach Art. 634/636 ZGB Parteien: ...  ...  3. Nach
      Ableben von Frau X. geht das Eigentum an der Liegenschaft
         Strasse B. bzw. GB Nr. ..., ... und ... auf W. über, womit alle
         Beteiligten ausdrücklich einverstanden sind.  W. übernimmt mit
         dem Grundstück auch die darauf befindliche hypoth.  Belastung und
         die Kosten der Grundbuchübertragung.  W. hat mit Übertragung des
         Grundstückes auf seinen Namen den Miterben (Z., V. und Y.) je
         Fr. 20'000.- auszubezahlen.
      ..."

    Am 14. Mai 1993 verfügte die Erblasserin testamentarisch das Folgende:
      "...  2. Alle früheren letztwilligen Verfügungen/Testamente,
      insbesondere die
         Abmachung betreffend die Übernahme der Liegenschaft Strasse B.,
         GB Nr. ..., ..., ..., eidg. Schwyz, durch meinen Sohn W. (1949),
         sind mit der heutigen letztwilligen Verfügung als nichtig und
         gegenstandslos erklärt. Ich hebe sie auf.
      ...  5. Von meinem dereinstigen Nachlass sind:
         a) Vorerst sämtliche Todesfallkosten zu bezahlen.

         b) Vorab sind meinem Sohn W. (1949) für seine Arbeiten an der
            Liegenschaft Strasse B., Fr. 20'000.- (zwanzigtausend Franken)
            auszurichten.
         c) Der Rest des Nachlasses geht zu gleichen Teilen an meine
         Kinder.
      6. Wer diese meine letztwillige Verfügung anficht, ist auf den
         gesetzlichen Pflichtteil gesetzt.
      ..."

    Am 23. Dezember 1996 machte W. beim Bezirksgericht Schwyz eine
Erbteilungsklage anhängig, mit welcher er u.a. die Übertragung der
fraglichen Liegenschaften (heute GB ... u. ...; Grundbuch A.) in sein
Alleineigentum beantragte sowie weitere Anträge zur Erbteilung stellte. Mit
Urteil vom 30. Mai 1999 stellte das Bezirksgericht Schwyz fest, dass
der Nachlass aus den beiden Liegenschaften sowie einer Barschaft von
Fr. 1'228.85 (unter Berücksichtigung des Verzichts von W. auf sein
Vermächtnis gemäss Ziff. 5b des Testaments vom 14. Mai 1993) bestehe;
weiter wurde W. ermächtigt, die Liegenschaften in sein Alleineigentum
übertragen zu lassen, wobei das Gericht zusätzliche Anordnungen traf. Auf
Berufung von Z. und Y. bestätigte das Kantonsgericht (Zivilkammer)
des Kantons Schwyz mit Urteil vom 24. April 2001 im Wesentlichen das
erstinstanzliche Urteil; Änderungen wurden nur bezüglich der Gerichtskosten
vorgenommen.

    Z. und Y. erheben Berufung und beantragen dem Bundesgericht, es sei
das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben, die Klage abzuweisen, der
Nachlass von X. festzustellen und die Erbteilung gemäss letztwilliger
Verfügung vom 14. Mai 1993 vorzunehmen; eventualiter sei die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, soweit darauf einzutreten
ist, und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat im Wesentlichen festgehalten, dass die
"Vereinbarung nach Art. 634/636 ZGB" der Beteiligten den Anforderungen
von Art. 636 Abs. 1 ZGB entspreche. Es liege ein rechtsgültiger Vertrag
im Sinne dieser Bestimmung vor, zumal einzelne Objekte und somit auch die
Übernahme von Liegenschaften an Erbanwärter Gegenstand eines Vertrages nach
Art. 636 Abs. 1 ZGB bilden könnten. Weiter hat die Vorinstanz ausgeführt,
der Erblasserin wäre es - trotz Mitwirkung bei der Vereinbarung gemäss

Art. 636 Abs. 1 ZGB - offen gestanden, über die umstrittenen Liegenschaften
und ihren übrigen Nachlass zu verfügen, ihn z.B. zu verkaufen. Das habe
sie aber nicht getan, insbesondere nicht mit der letztwilligen Verfügung
vom Jahre 1993. Damit habe sich die Anwartschaft gemäss Vereinbarung
im Sinne von Art. 636 ZGB verwirklicht, zumal sich die Beklagten nicht
auf das Testament vom Jahre 1993 berufen würden. Daher sei der Kläger zu
ermächtigen, die fraglichen Liegenschaften, unter Beachtung der für den
Vollzug vorgesehenen Bedingungen, in sein Eigentum überschreiben zu lassen.

Erwägung 2

    2.- a) Die Beklagten machen vorab geltend, dass die Rechtsauffassung
der Vorinstanz, nicht nur eine ganze Erbschaft oder ein Erbanteil
(Quote), sondern auch einzelne Gegenstände bzw. bestimmte Liegenschaften
könnten Gegenstand eines Vertrages im Sinne von Art. 636 Abs. 1 ZGB sein,
bundesrechtswidrig sei. Sie berufen sich dabei vor allem auf BGE 98 II
281 E. 5f S. 286, wonach "der Vertrag im Sinne von Art. 636 ... wie die
Verträge im Sinne von Art. 635 Abs. 1 und 2 eine Erbschaft (oder einen
Erbanteil) zum Gegenstand ... hat", in Verbindung mit BGE 100 Ib 121 E. 4
S. 125, wonach "einzelne Gegenstände oder Rechte aus dem Nachlass nicht
Gegenstand eines Vertrages nach Art. 635 ZGB bilden können".

    b) Aus den zitierten Präjudizien leiten die Beklagten zuviel zugunsten
ihres Standpunktes ab. Insbesondere hat das Bundesgericht im erstgenannten
Urteil, in welchem es im fraglichen Zusammenhang allein um die Form ging,
die Möglichkeit, auch einzelne (zukünftige) Erbschaftsgegenstände und
Rechte zum Objekt des Vertrages zu machen, nicht ausgeschlossen. Gegenteils
war das Bundesgericht im gleichenorts erwähnten Präjudiz BGE 57 II 21
bezüglich eines Vertrages im Sinne von Art. 636 Abs. 1 ZGB ohne weiteres
von der Zulässigkeit (auch) derartiger Vertragsgegenstände ausgegangen. In
der Literatur wird im Zusammenhang mit Art. 636 Abs. 1 ZGB ausdrücklich
auch die Zulässigkeit von derartigen Vertragsobjekten angenommen (vgl.
TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, N. 5 zu Art. 636 ZGB, und SCHAUFELBERGER,
Basler Kommentar, N. 3 zu Art. 636 ZGB; ebenso offenbar PIOTET, in:
Schweizerisches Privatrecht, Bd. IV/2, S. 682: "Wird die Übertragung der
aus der Teilung zugewiesenen Güter versprochen, so liegt bis zur Eröffnung
des Erbganges ..."). Hiegegen ist nichts einzuwenden, zumal in Art.
636 Abs. 1 ZGB, im Unterschied zu Art. 635 ZGB, nicht von "Erbanteilen"
die Rede ist; vielmehr spricht jene Bestimmung ganz unspezifisch von
"Erbschaft" bzw. "Verträgen vor dem

Erbgang". Bei Art. 636 ZGB steht denn auch die Frage der Mitwirkung
bzw. Zustimmung des (künftigen) Erblassers im Vordergrund und nicht
die Art des Vertragsobjekts. Tatsächlich kann die Aufführung einzelner
(künftiger) Erbschaftsgegenstände und Rechte in einem Vertrag im Sinne
von Art. 636 Abs. 1 ZGB auch als eine Art vorweggenommener (und vom
Erblasser genehmigter) Teilungsvorschrift aufgefasst werden, wie sie der
Erblasser auch selbst anordnen könnte (Art. 608 ZGB). Soweit übrigens
die Erwähnung einzelner Gegenstände und Rechte in einer Verfügung von
Todes wegen auf einer derartigen Teilungsvorschrift beruht, können sie -
in derselben Eigenschaft - selbst in einem Vertrag im Sinne von Art. 635
ZGB aufgeführt sein. Die Kritik der Beklagten an der Rechtsauffassung
der Vorinstanz geht mithin fehl, und die Berufung ist insoweit unbegründet.

Erwägung 3

    3.- a) Für den Fall der Gültigkeit der Vereinbarung von 1985/1996
machen die Beklagten sinngemäss als Eventualbegründung unter Hinweis auf
das Testament vom 14. Mai 1993 und ihre Widerklage vom 10. November 1997
geltend, dass die Vorinstanz zu Unrecht angenommen habe, die Erblasserin
habe von ihrem Recht auf - im Verhältnis zur Vereinbarung von 1985/1996 -
abweichende testamentarische Regelung keinen Gebrauch gemacht, auch nicht
im Testament vom 14. Mai 1993, und die Beklagten hätten sich auf dieses
auch nicht berufen.

    b) In der Sache geht es um das Verhältnis zwischen der Vereinbarung
von 1985/1996 und dem Testament vom 14. Mai 1993. Dies ist die von
den Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage, und die fraglichen Dokumente
gehen in ihrem Wortlaut aus dem angefochtenen Urteil hervor und liegen
in den Akten. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob sich
die Beklagten für ihren Standpunkt, dass die Liegenschaften nicht gemäss
Vereinbarung an den Kläger gehen, sondern in den zu teilenden Nachlass
fallen, ausdrücklich auf das Testament vom Jahre 1993 berufen haben; ob
die von ihnen beanstandete vorinstanzliche Feststellung, sie hätten sich
auf dieses Testament nicht berufen, auf einem offensichtlichen Versehen
beruht, ist insoweit für den Ausgang des Verfahrens nicht erheblich
(vgl. BGE 95 II 503 E. 2a S. 506 f.).

    c) aa) Zur Beantwortung der anstehenden Rechtsfrage ist zunächst
festzuhalten, dass die Erblasserin ihre im Sinne von Art. 636 Abs. 1 ZGB am
27. Juni 1985 abgegebene Zustimmung nicht widerrufen konnte (BGE 57 II 21
E. 2 S. 27). Die Vereinbarung ist - entgegen der Ziff. 2 des Testaments -
nicht einfach "nichtig", sondern bleibt

gültig. Fraglich ist einzig, ob sie mit dem Testament vom 14. Mai 1993
vereinbar ist; andernfalls hat dieses Vorrang, denn die Vereinbarung
vermochte die Verfügungsfähigkeit der Erblasserin nicht zu beeinträchtigen
(BGE 57 II 21 E. 2 S. 28; TUOR/PICENONI, aaO, N. 12 zu Art. 636 ZGB;
ESCHER, Zürcher Kommentar, N. 12 zu Art. 636 ZGB; PIOTET, aaO, S.
683 f.; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 5. Aufl. 2002, § 8 Rz. 15). So
hätte die Erblasserin die Liegenschaften verkaufen oder sie im Sinne einer
Teilungsvorschrift einem der Beklagten zuweisen können, was sie aber nicht
getan hat. Vielmehr verfügte sie, der Rest des Nachlasses gehe zu gleichen
Teilen an ihre Kinder (Ziff. 5c des Testamentes vom 14. Mai 1993). Damit
hat sie sich für eine Gleichbehandlung der Erben ausgesprochen, ohne sich
- weder negativ noch positiv - zur Frage der Zuweisung eines bestimmten
Nachlassgegenstandes an einen Erben zu äussern. Dem Testament ist auch
nicht zu entnehmen, der Kläger dürfe die Liegenschaften nicht bekommen. Im
Rahmen der Verfügung, wonach der Nachlass zu gleichen Teilen an ihre
Kinder gehen soll, sind die Erben ohnehin frei, die Liegenschaften durch
Teilungsvertrag einem der Miterben (z.B. dem Kläger) zuzuweisen.

    bb) Bleibt zu prüfen, ob die Vereinbarung von 1985/1996 als eine mit
dem Testament vom 14. Mai 1993 vereinbare Teilungsregelung verstanden
werden kann. Dies ist zu verneinen. Die in Ziff. 3 der Vereinbarung
getroffene Regelung geht über eine blosse Teilungsvorschrift hinaus,
wurde doch die Abtretung der Liegenschaften mit allen dazu gehörenden
Modalitäten wie Preis (Übernahme der Hypotheken und Auszahlungen an die
Miterben), Zustimmungsbedürftigkeit von Landverkäufen, gegebenenfalls
unter Gewinnbeteiligung der Miterben (nicht aber deren Nachkommen)
endgültig geregelt. Der Kläger selber erblickt in der Vereinbarung nicht
einfach eine Teilungsvorschrift, sondern beansprucht die Liegenschaften
ausdrücklich "zu den vereinbarten Konditionen". Eine Umdeutung der
Vereinbarung in eine blosse Teilungsvereinbarung ohne Begünstigung des
Klägers (und insoweit vereinbar mit der testamentarisch verfügten Teilung
des Nachlasses zu gleichen Teilen) kommt daher nicht in Frage. Wenn
schliesslich der Kläger behauptet, mit Ziff. 5c des Testaments habe die
Erblasserin lediglich bestätigt, dass sie keine anderen Erben eingesetzt
habe, geht er darüber hinweg, dass es der Erblasserin mit dieser Bestimmung
offensichtlich darum ging, dass der Nachlass ihren Kindern "zu gleichen
Teilen" zukommt. Der Kläger behauptet nicht, dass dies auch der Fall wäre,
wenn er die Liegenschaften "zu den vereinbarten

Konditionen" übernähme. Sind aber Vereinbarung und Testament nicht
vereinbar, ergibt sich aus dem Vorrang des Testaments die Teilung nach
letzterem. Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung der Vorinstanz,
die Erblasserin habe von ihrem Recht auf Abweichung vom Vertrag im Sinne
von Art. 636 Abs. 1 ZGB keinen Gebrauch gemacht, nicht haltbar, und die
Berufung ist insoweit begründet.

    d) Die Beklagten werfen weiter die Frage auf, ob der Kläger mit seiner
Klage und seiner Opposition zur Widerklage nicht ein Verhalten an den
Tag gelegt habe, welches als Testamentsanfechtung im Sinne von Ziff. 6
des Testaments vom 14. Mai 1993 zu würdigen sei, was zur Folge hätte,
dass er auf den Pflichtteil zu setzen wäre. Laut dem angefochtenen Urteil
beantragten die Beklagten vor der Erstinstanz widerklageweise Feststellung
des Nachlasses sowie Vornahme der Erbteilung, nicht aber zusätzlich,
den Kläger auf den Pflichtteil zu setzen; nichts anderes beantragten
sie vor Kantonsgericht. Soweit die Beklagten verlangen, der Kläger sei
auf den Pflichtteil zu setzen, scheitert ihr Antrag schon am Umstand,
dass er erstmals vor Bundesgericht geltend gemacht wird und das Stellen
neuer Anträge unzulässig ist (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG).