Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 137



128 III 137

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. gegen B. (Berufung)

    4C.164/2001 vom 13. Dezember 2001

Regeste

    Persönliche Haftung der für eine nicht existierende Aktiengesellschaft
Handelnden (Art. 645 OR).

    Abgrenzung der Haftung gemäss Art. 645 Abs. 1 OR gegenüber jener des
vollmachtlosen Stellvertreters gemäss Art. 38 f. OR (E. 3).

    Art. 645 Abs. 2 OR ist anwendbar, wenn keine Gesellschaftsgründung
erfolgt, sondern eine bereits existierende Gesellschaft erworben und
umfirmiert wird (E. 4).

Sachverhalt

    B. gewährte mit Vertrag vom 19./20. Dezember 1994 der C. AG
(Darlehensnehmerin 1) und der D. AG (Darlehensnehmerin 2) ein Darlehen von
Fr. 400'000.-. Der Vertrag wurde namens der damals nicht existenten D. AG
von E. und A. unterzeichnet. Das Darlehen diente als Überbrückungskredit
zur Sanierung der C. AG. Vorgesehen war, dass die D. AG später die
Finanzierung übernehmen sollte. In Ziffer 7.1 des Vertrags wurde für das
der C. AG auszubezahlende Darlehen deren solidarische Haftbarkeit zusammen
mit der D. AG vereinbart.

    Am 20. Dezember 1994 überwies B. Fr. 400'000.- auf das Konto der
C. AG. Das Darlehen sollte vorzugsweise Ende Februar, spätestens Ende
Mai 1995 zurückbezahlt werden. Mit Ausnahme einer im August 1997 von
der Seite der C. AG erfolgten Überweisung von Fr. 70'000.- wurden keine
Rückzahlungen vorgenommen.

    Eine D. AG war nie im Handelsregister eingetragen. Dagegen bestand
vom 16. Mai 1995 bis 19. August 1996 eine F. AG, als welche eine am
2. November 1992 gegründete G. neu firmierte.

Gleichzeitig mit der Änderung der Firma wurde der Zweck und der Sitz
der Gesellschaft geändert sowie der Verwaltungsrat neu bestellt, dem nun
neben zwei anderen Personen E. angehörte. Am 19. August 1996 wurde die
Firma erneut in G. geändert. Später fiel die Gesellschaft in Konkurs.

    B. erhob am 7. Juli 1997 beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen A. mit
dem Rechtsbegehren, den Beklagten zur Zahlung von Fr. 419'804.- nebst
Zins und Betreibungskosten zu verpflichten. Mit Urteil vom 12. Januar
1999 wies das Bezirksgericht die Klage ab.

    Auf Berufung des Klägers hiess das Obergericht des Kantons Zürich die
Klage mit Urteil vom 13. März 2001 gut und verpflichtete den Beklagten
zur Zahlung von Fr. 349'804.- nebst 12% Zins seit 1. Juni 1995 auf den
Betrag von Fr. 419'804.- sowie von Fr. 205.- Betreibungskosten. Das
Obergericht bejahte eine Haftung des Beklagten aus Art. 645 Abs. 1 OR
und verneinte eine Schuldübernahme durch die Gesellschaft im Sinne von
Art. 645 Abs. 2 oder Art. 176 OR.

    Der Beklagte hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten,
die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht erwog, die Voraussetzungen für eine persönliche
und solidarische Haftung des Beklagten im Sinne von Art. 645 Abs. 1 OR
seien erfüllt. Die Bestimmung bezwecke einen möglichst umfassenden Schutz
des Dritten. Für ihre Anwendbarkeit genüge daher, dass Verpflichtungen im
Namen einer noch nicht im Handelsregister eingetragenen Aktiengesellschaft
eingegangen würden. Unerheblich sei dagegen, ob diese Gesellschaft später
gegründet werde oder die Gründung unterbleibe. Nicht anders gestalte die
Haftungslage sich aber auch, wenn an der Stelle einer Neugründung eine
bestehende Gesellschaft übernommen und umfirmiert werde.

    Hingegen verneinte das Obergericht eine Haftungsbefreiung gemäss
Art. 645 Abs. 2 OR zufolge Genehmigung des Geschäfts durch die F. AG. Die
dort vorgesehene rechtsgestaltende Schuldübernahme durch einseitige
Erklärung der Gesellschaft, unabhängig von einer Zustimmung des Gläubigers,
stehe nur einer neu gegründeten Gesellschaft offen. Die F. AG habe jedoch
unter einem anderen Namen bereits bestanden. Der Beklagte könne sich
daher nicht

auf eine von der Zustimmung des Vertragspartners unabhängige
Schuldübernahme im Sinne von Art. 645 Abs. 2 OR berufen. Im Falle des
Erwerbs und der Umfirmierung einer bestehenden Gesellschaft bedürfe die
Schuldübernahme vielmehr der Modalitäten von Art. 176 OR, insbesondere
der Zustimmung des Gläubigers. Im vorliegenden Fall seien indes die
Voraussetzungen einer solchen Schuldübernahme nicht erfüllt.

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 645 Abs. 1 OR haften die Handelnden persönlich und
solidarisch für Verbindlichkeiten, die sie im Namen der Aktiengesellschaft
vor deren Eintragung in das Handelsregister begründet haben. Gemäss
Absatz 2 werden sie von der Haftung befreit und es haftet nur die
Gesellschaft, wenn die Verpflichtungen ausdrücklich im Namen der zu
bildenden Gesellschaft eingegangen und innerhalb von drei Monaten nach der
Eintragung in das Handelsregister von der Gesellschaft übernommen werden.

    b) Art. 645 Abs. 1 OR liegt der Zweck zugrunde, einerseits ein Handeln
der noch nicht zur Entstehung gelangten Aktiengesellschaft möglichst
einzuschränken und anderseits den Vertragspartner zu schützen, der sich mit
den im Namen der Gesellschaft Handelnden einlässt. Der rechtspolitische
Grund der persönlichen Haftung der Handelnden liegt darin, dass sie sich
als Organe einer juristischen Person ausgegeben haben, ohne es zu sein
(BGE 123 III 24 E. 2c und d mit Hinweisen).

    Art. 645 Abs. 1 OR ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
nicht blosser Anwendungsfall der vollmachtlosen Stellvertretung im
Sinne von Art. 38 und 39 OR, weil eine solche nur denkbar ist, wo auch
direkte Stellvertretung möglich wäre. Das trifft aber nicht zu, wenn
nach dem Wissensstand beider Vertragsparteien die angeblich vertretene
Aktiengesellschaft gar nicht existiert, mithin auch nicht vertreten werden
kann (BGE 123 III 24 E. 2d S. 28 f.). Ebenfalls unter Art. 645 Abs. 1
OR einzuordnen ist indes auch der Fall, in welchem für den Kontrahenten
ungewiss ist, ob die Gesellschaft bereits im Handelsregister eingetragen
ist (BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996, Rz. 99 S. 63;
FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, §
18 N. 8; PASCAL TRÖSCH, Rechtsgeschäfte für die in Gründung befindliche AG,
Diss. Basel 1992, S. 55). Der Tatbestand der vollmachtlosen Stellvertretung
setzt dagegen voraus, dass der Kontrahent davon ausgeht, die vom Handelnden
- vollmachtlos - vertretene Gesellschaft existiere wirklich (vgl. BGE 51
II 212 E. c S. 219 unten; MünchKomm/ECKARDT, N. 39 zu § 41 AktG).

    Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Regeln über die vollmachtlose
Stellvertretung nicht zur Anwendung kommen, wenn die Vertragspartner
wissen, dass die Gesellschaft nicht existiert. Gehen sie davon aus,
die Gesellschaft werde später gegründet, ist Art. 645 Abs. 1 OR ebenso
anwendbar wie im Fall, dass der Kontrahent annimmt, die Gesellschaft sei
bereits gegründet worden. Etwas anders verhält es sich dagegen, wenn die
Vertragspartner übereinstimmend davon ausgehen, dass die Gesellschaft nicht
existiert, sie sich aber nicht einig sind, ob sie durch Gründung oder
Umfirmierung entstehen wird. Dieser Tatbestand fällt nicht unmittelbar
unter Art. 645 OR (vgl. unten E. 4). Er rechtfertigt aber dennoch die
persönliche Haftung der Handelnden analog der Regel von Art. 645 Abs. 1 OR,
weil diese als Organe einer Aktiengesellschaft aufgetreten sind, ohne es zu
sein. Insoweit ist die vorinstanzliche Entscheidbegründung zu präzisieren,
in welcher von einer unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 645 Abs. 1 OR
ausgegangen worden ist.

    c) Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts handelten
der Beklagte und E. bei Abschluss des Darlehensvertrags im Namen einer
noch nicht im Handelsregister eingetragenen D. AG. Dass der Vertrag
unter die Bedingung der Entstehung oder Übernahme und Umfirmierung
einer entsprechenden Gesellschaft gestellt worden wäre, ist nicht
festgestellt. Folglich begründete der Beklagte nach dem Gesagten mit
dem Abschluss des Darlehensvertrags eine persönliche Haftung, wobei
insoweit unerheblich ist, ob die Vorstellungen der Parteien über die
Art der Entstehung der Gesellschaft übereinstimmten oder auseinander
gingen. Mit der Auffassung, der Beklagte habe sich beim Abschluss des
Darlehensvertrags persönlich verpflichtet, hat die Vorinstanz somit kein
Bundesrecht verletzt.

Erwägung 4

    4.- Gemäss Art. 645 Abs. 2 OR werden die Handelnden von ihren
persönlichen Verpflichtungen unter den beiden Voraussetzungen befreit, dass
die Verpflichtungen ausdrücklich im Namen der zu bildenden Gesellschaft
eingegangen wurden und sie von der Gesellschaft innert drei Monaten nach
deren Eintragung in das Handelsregister übernommen werden. Die Befreiung
tritt nach zutreffender Lehrmeinung unabhängig davon ein, ob der Dritte mit
der Schuldübernahme nachträglich einverstanden ist, und zwar selbst dann,
wenn sich herausstellt, dass die Gesellschaft ihren Verpflichtungen nicht
nachkommen kann (PASCAL TRÖSCH, aaO, S. 77). Der Dritte, der auf eine in
den Kapitalgrundlagen noch unsichere Gesellschaft hin kontrahiert, hat
keine Wahl, ob er nach Publizität der Grundlagen die Aktiengesellschaft
als Vertragspartnerin

akzeptieren oder die Handelnden beibehalten will (BÄR, Gründergesellschaft
und Vorgesellschaft zur AG, FS Kummer, Bern 1980, S. 77 ff., S. 83).

    Zu entscheiden ist die Frage, ob eine Haftungsbefreiung nach Art. 645
Abs. 2 OR auch dann eintritt, wenn die Verpflichtungen nicht durch eine
neu gebildete, sondern durch eine bestehende, von den Handelnden erworbene
und umfirmierte Gesellschaft einseitig übernommen werden. Sie ist mit
der Vorinstanz zu verneinen.

    a) Nach dem Wortlaut von Art. 645 Abs. 2 OR ("im Namen der zu
bildenden Gesellschaft"; "au nom de la future société"; "in nomine
della società anonima da costituire") wird nur der Fall der Neugründung
einer Gesellschaft erfasst. Gebildet werden kann nur eine zuvor nicht
existente Gesellschaft. Bei der hier zu beurteilenden Übernahme und
Umbenennung war zwar die Firma noch nicht im Handelsregister eingetragen,
dagegen die juristische Person als solche. Die Firma aber hat rechtlich
die gleiche Bedeutung wie der Name einer natürlichen Person. Nach der
grammatikalischen Auslegung von Art. 645 Abs. 2 OR ist indessen nicht
die Firma als Personenbezeichnung, sondern die Rechtspersönlichkeit
massgebend. Während mit der Gründung ein neues Rechtssubjekt geschaffen
wird, ändert sich bei der Umbenennung bloss der Name einer bereits
bestehenden juristischen Person. Die neu als F. AG firmierte G. konnte
daher nach der grammatikalischen Auslegung von Art. 645 Abs. 2 OR die
Verpflichtungen des Beklagten gegen den Willen des Klägers nicht durch
einseitiges Rechtsgeschäft übernehmen.

    b) Zum gleichen Ergebnis führt eine systematische Auslegung. Art. 645
OR steht unter der Hauptmarginalie "Erwerb der Persönlichkeit" (Art. 643
OR; "Acquisition de la personnalité"; "Acquisto della personalità") und
der Untermarginalie "Vor der Eintragung eingegangene Verpflichtungen"
("Actes faits avant l'inscription"; Obbligazioni assunte prima
dell'iscrizione"). Unter der Eintragung wird in den Art. 643-645
OR eindeutig der Erwerb der Rechtspersönlichkeit verstanden. Daraus
ergibt sich, dass Art. 645 Abs. 2 OR systematisch mit dem Begriff der
Eintragung die Entstehung einer neuen und nicht die blosse Umfirmierung
einer existierenden Gesellschaft meint.

    c) Zu keinem anderen Schluss führt schliesslich die teleologische
Auslegung. Aus der Wendung "zu bildend" ("future", "da costituire") in
Art. 645 Abs. 2 OR wird deutlich, dass die Gesellschaft, in deren Namen
und für deren Rechnung gehandelt wird, noch nicht besteht. Dabei wird
fingiert, der Dritte gehe davon aus, sein künftiger

Vertragspartner werde noch gegründet. Antizipiert willigt er in einen
allfälligen Subjektswechsel ein, wobei er das Risiko übernimmt, dass die
zu gründende Gesellschaft nicht im Stande sein könnte, die vertraglichen
Pflichten zu erfüllen. Gleichzeitig darf er aber davon ausgehen, dass die
gesetzlichen Vorschriften zur Kapitalausstattung und Kapitalsicherung bei
der Gesellschaftsgründung (vgl. Art. 633 ff. OR) eingehalten werden oder
er andernfalls bei einem Gründungsschwindel die Gründer zur Verantwortung
ziehen kann (Art. 753 OR; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO, § 14 N. 22;
BÖCKLI, aaO, S. 49 f.).

    Sinn und Zweck von Art. 645 Abs. 2 OR bestehen nicht darin, generell
vor Rechtsgeschäften mit Aktiengesellschaften zu schützen, deren Vertreter
oder Organe nicht zur Vornahme von derartigen Rechtsgeschäften befugt
sind. Die Regelung dient vielmehr dem Zweck, unmittelbar vor der Gründung
stehenden Aktiengesellschaften das nötige Handlungsinstrument zu verleihen,
damit diese im Zeitpunkt der Erlangung der Rechtspersönlichkeit sogleich
aktiv werden können. Wer in eine künftige Gesellschaft vertraut, tut
dies nicht zwangsläufig auch in eine bereits bestehende. Die antizipierte
Einwilligung in den Subjektswechsel nach Art. 645 Abs. 2 OR bezieht sich
daher - gegenteilige Abrede vorbehalten - auch nach Sinn und Zweck der
Bestimmung auf ein zukünftiges, nicht aber auf ein schon bestehendes
Rechtssubjekt.