Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 101



128 III 101

18. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. Z. AG (Beschwerde)

    7B.268/2001 vom 17. Januar 2002

Regeste

    Zustellung des Zahlungsbefehls an eine Aktiengesellschaft (Art. 65
SchKG); Beginn der Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlags bei fehlerhafter
Zustellung.

    Wurde der Zahlungsbefehl allein deshalb (in sinngemässer Anwendung von
Art. 68c Abs. 1 SchKG) der Vormundschaftsbehörde am Sitz der betriebenen
Aktiengesellschaft übergeben, weil diese an der im Handelsregister
vermerkten Adresse über keine Geschäftsräumlichkeiten mehr verfügt und
die einzige Verwaltungsrätin nicht mehr in der Schweiz wohnt, ist er
nicht gültig zugestellt worden (E. 1).

    Falls die Betriebene trotz fehlerhafter Zustellung vom Inhalt des
Zahlungsbefehls Kenntnis erhält, entfaltet dieser damit seine Wirkungen;
im Zeitpunkt der Kenntnisnahme beginnt demnach auch die Frist zur Erhebung
des Rechtsvorschlags zu laufen (E. 2).

Sachverhalt

    In der von X. mit Begehren vom 3. Juli 2001 gegen die Z. AG
eingeleiteten Betreibung Nr. x stellte das Betreibungsamt A. am 4. Juli
2001 den Zahlungsbefehl aus. Da es einerseits festgestellt hatte, dass sich
an der vom Gläubiger angegebenen Adresse keine Geschäftsräumlichkeiten
der Schuldnerin mehr befanden, und andererseits erfahren hatte, dass
die einzige Verwaltungsrätin nicht mehr in der Schweiz wohne und ihren
Wohnsitz nach Spanien verlegt habe, übergab es den Zahlungsbefehl der
Vormundschaftsbehörde A.

    Mit einer am 19. August 2001 zur Post gebrachten Eingabe vom 18. August
2001 wandte sich die Z. AG an das Obergericht (Justizkommission) des
Kantons Zug als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs
und stellte ein Gesuch um Wiederherstellung der Frist zur Erhebung des
Rechtsvorschlags. Gleichzeitig erklärte sie, Recht vorzuschlagen.

    Am 9. November 2001 beschloss und erkannte die kantonale
Aufsichtsbehörde, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten und das
Wiederherstellungsgesuch abgewiesen werde.

    Die Z. AG führt Beschwerde an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts und verlangt, die Rechtsvorschlagsfrist
wiederherzustellen und den Rechtsvorschlag entgegenzunehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid beruht auf der Annahme, der
Zahlungsbefehl sei mit der Übergabe an die Vormundschaftsbehörde A. (Sitz
der Beschwerdeführerin) gültig zugestellt worden.

    a) Das Obergericht hält fest, die Beschwerdeführerin habe im
massgebenden Zeitpunkt an der im Handelsregister vermerkten

Adresse über kein Geschäftsdomizil mehr verfügt und bestreite auch nicht,
dass ihre damalige einzige Verwaltungsrätin nicht mehr in der Schweiz
gewohnt habe. Eine Zustellung in der Schweiz sei mithin nicht möglich und
eine solche ins Ausland nicht anzuordnen gewesen. Nach Art. 708 Abs. 3
OR müsse in einem Fall, da die Verwaltung einer Aktiengesellschaft einer
einzigen Person obliege, diese in der Schweiz wohnhaft sein. Mit dieser
Vorschrift werde, wenn auch nur nebenbei, angestrebt, dass die Gesellschaft
jederzeit in der Schweiz erreicht werden könne. Fehle diese Erreichbarkeit,
rechtfertige es sich, analog zum Fall, wo die notwendigen Organe und
Vertreter einer Aktiengesellschaft weggefallen seien, Betreibungsurkunden
im Sinne von Art. 68c Abs. 1 SchKG der zuständigen Vormundschaftsbehörde
zuzustellen. Die Übergabe des Zahlungsbefehls an die Vormundschaftsbehörde
A. sei daher nicht zu beanstanden.

    b) Die Beschwerdeführerin bestreitet die Rechtmässigkeit der
Zustellung. Ob ihre Vorbringen den auf Grund von Art. 79 Abs. 1 OG für
die Begründung einer Beschwerde geltenden Anforderungen genügen, mag
dahingestellt bleiben: Hat der Betriebene vom Inhalt eines fehlerhaft
zugestellten Zahlungsbefehls keine Kenntnis erhalten, ist die Betreibung
nämlich nichtig (BGE 120 III 117 E. 2c S. 119 mit Hinweis), und ob eine
Betreibungshandlung nichtig sei, prüft die erkennende Kammer von Amtes
wegen.

    Die von der Vorinstanz herangezogene Bestimmung von Art. 68c Abs. 1
SchKG, wonach bei einem unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft
stehenden Schuldner Betreibungsurkunden dem gesetzlichen Vertreter,
falls ein solcher (noch) nicht vorhanden der Vormundschaftsbehörde
zuzustellen ist, setzt voraus, dass ein Schutzverhältnis mit entsprechender
Pflicht des Vertreters, die Interessen des schutzbedürftigen Schuldners
wahrzunehmen, besteht. Derartiges ist hier nicht dargetan. Namentlich
ist den Ausführungen des Obergerichts nicht etwa zu entnehmen, dass der
Beschwerdeführerin die erforderlichen Organe gemangelt hätten und für die
Verwaltung ihres Vermögens nicht gesorgt gewesen sei und dass deshalb
gestützt auf Art. 393 Ziff. 4 ZGB eine Beistandschaft errichtet worden
wäre. Der Vormundschaftsbehörde A. kam deshalb gar nicht die Stellung zu,
die sie ermächtigt und verpflichtet hätte, im Namen der Beschwerdeführerin
gegebenenfalls Recht vorzuschlagen. Der ihr übergebene Zahlungsbefehl ist
unter den angeführten Umständen nicht rechtskonform zugestellt worden. Es
braucht hier nicht erörtert zu werden, ob eine Zustellung ins Ausland
hätte angeordnet werden müssen (dazu vgl. PAUL ANGST, Kommentar zum

SchKG, Basel 1998, N. 13 zu Art. 66) oder ob die Voraussetzungen von
Art. 66 Abs. 4 SchKG für eine öffentliche Bekanntmachung erfüllt gewesen
wären.

Erwägung 2

    2.- Falls der Betriebene trotz fehlerhafter Zustellung vom
Zahlungsbefehl Kenntnis erlangt, beginnt dieser damit - im Zeitpunkt der
Kenntnisnahme - seine Wirkung zu entfalten, wodurch auch die Frist zur
Erhebung eines Rechtsvorschlags ausgelöst wird (dazu BGE 120 III 114
E. 3b S. 116 mit Hinweisen). Wie den Feststellungen im angefochtenen
Entscheid zu entnehmen ist, hat die Beschwerdeführerin in der (von ihr am
19. August 2001 zur Post gebrachten) Eingabe vom 18. August 2001 an die
kantonale Aufsichtsbehörde geltend gemacht, sie habe vom Zahlungsbefehl
durch die Kopie Kenntnis erhalten, welche die Rechtsvertreterin des
Beschwerdegegners ihrer vom 14. August 2001 datierten Zuschrift beigelegt
habe. Mit der ebenfalls bereits in der Eingabe vom 18. August 2001
enthaltenen Erklärung der Beschwerdeführerin, sie schlage Recht vor,
ist die (frühestens) am 14. August 2001 ausgelöste Zehn-Tage-Frist von
Art. 74 Abs. 1 SchKG gewahrt worden. Das Begehren um Wiederherstellung
dieser Frist war unter den dargelegten Umständen gegenstandslos.