Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 368



127 V 368

55. Auszug aus dem Urteil vom 19. Dezember 2001 i. S. C. gegen
Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn

Regeste

    Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG; Art. 3a Abs. 7 lit. b ELG in Verbindung mit
Art. 17 Abs. 4 ELV; Art. 3a Abs. 7 lit. d ELG in Verbindung mit Art. 23
Abs. 1 und 4 ELV: Ermittlung des anrechenbaren Vermögensverzehrs. Bei der
Berechnung des Reinvermögens gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG sind die
zu Gunsten der Miterben vereinbarten Gewinnbeteiligungsrechte nicht als
wertvermindernder Faktor vom Verkehrswert der nicht zu eigenen Wohnzwecken
dienenden Grundstücke im Sinne von Art. 17 Abs. 4 ELV in Abzug zu bringen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Während Verwaltung und Vorinstanz der Berechnung des
Vermögensverzehrs den gesamten Verkehrswert der Liegenschaften Nr. 47
und 48, Grundbuch Z, von Fr. 103'900.- (Grundstückschätzung

der Schätzungskommission vom 20. Januar 1989) zu Grunde gelegt haben,
vertritt die Beschwerdeführerin die Meinung, als Liegenschaftsvermögen
sei bloss ein Fünftel von Fr. 103'900.-, eventuell von Fr. 153'600.-
(Schätzung vom 4. Dezember 1998), anzurechnen.

    Die Beschwerdeführerin erbte von ihrer Mutter die Grundstücke Nr. 46
(43 m2 Garten) und Nr. 48 (Stall mit 187 m2 Gebäudegrundfläche und
Umschwung) sowie 1/2 Miteigentumsanteil an Grundstück Nr. 47 (Wohnhaus mit
110 m2 Gebäudegrundfläche und Umschwung; Grundbuchauszug Gemeinde Z vom
27. Juli 1998). Dafür wurden ihr im Erbteilungsvertrag, der am 15. Februar
1985 unter den fünf Miterben geschlossen wurde, insgesamt Fr. 20'000.- an
ihren Erbteil angerechnet. Im gleichen Erbteilungsvertrag räumten sich die
fünf Geschwister gegenseitig ein im Grundbuch vorzumerkendes Vorkaufsrecht
(Art. 959 Abs. 1 ZGB) an sämtlichen geerbten Grundstücken ein. Ferner wurde
festgehalten, mit Ausnahme des Grundstücks Nr. 165-4 (ca. 720 m2 Wiese)
seien die Grundstücke zum Ertragswert eingeschätzt worden. Die Erben
räumten sich (folglich) gegenseitig ein Gewinnbeteiligungsrecht während
25 Jahren ein. Entgegen den Angaben in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
wurden die Gewinnbeteiligungsrechte nicht im Grundbuch vorgemerkt
(Grundbuchauszug vom 27. Juli 1998).

Erwägung 5

    5.- Im Folgenden zu prüfen ist demnach, ob bei der Berechnung des
Reinvermögens im Rahmen der Ermittlung des anrechenbaren Vermögensverzehrs
im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG die von der Beschwerdeführerin
zu Gunsten der Miterben vereinbarten Gewinnbeteiligungsrechte als
wertvermindernder Faktor vom Verkehrswert der nicht zu eigenen Wohnzwecken
dienenden Grundstücke (Art. 17 Abs. 4 ELV) in Abzug zu bringen seien.

    a) Ergänzungsleistungen werden ausgerichtet, um Bezügerinnen
und Bezügern von Renten der Alters- und Hinterlassenen- oder der
Invalidenversicherung das Existenzminimum zu gewährleisten, ohne dass die
Versicherten Sozialhilfe beziehen müssen (Art. 112 Abs. 6 in Verbindung
mit Art. 196 Ziff. 10 BV). Mit den Leistungen gemäss ELG soll somit der
gegenwärtige Grundbedarf, sollen die laufenden Lebensbedürfnisse gedeckt
werden. Aus diesem Grunde werden denn auch sämtliche Vermögenswerte,
über welche die Anspruch erhebende Person frei verfügen kann, ungeachtet
ihrer Bestimmung zum anrechenbaren Vermögen gezählt (BGE 122 V 24 Erw. 5a
mit Hinweisen; AHI 2001 S. 292 Erw. 4b), und es wird den

Bezügerinnen und Bezügern von Ergänzungsleistungen zugemutet, einen
Teil ihres Vermögens zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu verwenden
(Art. 3c Abs. 1 lit. c, Art. 5 Abs. 3 lit. b ELG). Da es sich bei
den im Eigentum der Beschwerdeführerin stehenden Grundstücken um
Vermögenswerte handelt, über welche sie frei verfügen kann (Veräusserung,
hypothekarische Belastung), sind sie zum vollen Verkehrswert zum
Reinvermögen zu rechnen. Die (befristete) rein obligatorische
Verpflichtung der Beschwerdeführerin, einen bei Veräusserung der
Grundstücke allenfalls erzielten Gewinn mit ihren Geschwistern zu
teilen, ändert daran nichts. Denn diesem sich in Zukunft eventuell
verwirklichenden Umstand kommt im hier massgebenden Bewertungszeitpunkt
(1. Januar des Bezugsjahres oder Zeitpunkt des Anspruchsbeginns gemäss
Art. 23 Abs. 1 bzw. Abs. 4 ELV in Verbindung mit Art. 3a Abs. 7 lit. d
ELG) keine Bedeutung zu. Im Falle einer tatsächlichen Realisierung der
Gewinnbeteiligungsverpflichtung (Veräusserung der Grundstücke vor Ablauf
der 25-jährigen Befristung; Veräusserungswert liegt über dem seinerzeit
angerechneten Ertragswert; Gewinnbeteiligungsrechte werden von den
Geschwistern ausgeübt) ist (ohnehin) eine neue, auf den dannzumaligen
Vermögensverhältnissen beruhende EL-Berechnung durchzuführen (Art. 25
ELV). Angesichts dieser jederzeit gegebenen Anpassungsmöglichkeit bedarf es
im Gebiete der Ergänzungsleistungen - anders als bei der güterrechtlichen
Auseinandersetzung, welcher grundsätzlich definitive Wirkung zukommt (BGE
125 III 50) - keiner Berücksichtigung rein hypothetischer Belastungen oder
- wie hier - bloss latenter Schulden durch Gewinnbeteiligungsrechte im
Zusammenhang mit Grundstücken. Das unmittelbar hievor angeführte Urteil
des Bundesgerichts zeigt überdies deutlich, mit welchen praktischen
Schwierigkeiten sich die EL-Behörden im Zusammenhang mit der Bewertung
einer Gewinnbeteiligungsverpflichtung vor einer allfälligen künftigen
Grundstückveräusserung konfrontiert sähen.

    b) Zu keinem anderen Ergebnis führen die in BGE 120 V 187 angestellten
Überlegungen.

    aa) In diesem Grundsatzurteil gelangte das Eidg. Versicherungsgericht
zum Schluss, ein Rechtsgeschäft, mit dem jemand eine ihm gehörende Sache
oder eine ihm zustehende Forderung (in casu eine Lebensversicherungspolice)
dem Gläubiger eines Dritten verpfändet, um dadurch die Bezahlung der vom
Dritten eingegangenen Schulden zu sichern, stelle einen bedingten Verzicht
im Sinne des (bis Ende 1997 gültig gewesenen) Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG dar

(welcher wörtlich dem seit 1. Januar 1998 geltenden Art. 3c Abs. 1 lit. g
ELG entspricht). Zweifelsohne ist der Verzicht nur virtuell, solange sich
die Bedingung nicht verwirklicht hat, was aber am Problem nichts ändert:
Jede Schenkung kann mit einer Bedingung verknüpft werden; entscheidend
ist allein, ob der Versicherte im Zeitpunkt, in dem sein anrechenbares
Einkommen zur Ermittlung eines allfälligen EL-Anspruchs festgesetzt
wird, über nach den gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigendes
Vermögen und daraus fliessenden Ertrag verfügt oder nicht. Dem Grund
oder der genauen Rechtsnatur der gegenüber einem Dritten eingegangenen
Verpflichtung kommt demnach keine Bedeutung zu. Unerheblich ist auch,
ob die der Verpflichtung zu Grunde liegende Bedingung sich vor oder
nach der Zusprechung einer Ergänzungsleistung verwirklicht. Sobald der
Gläubiger vom Garanten die Erfüllung seiner Verpflichtung verlangen kann,
hat dieser die Verfügungsfreiheit über seine Vermögenswerte bis zu jenem
Betrag verloren, der von ihm in Erfüllung seiner Sicherheitsleistung
gefordert wird. Dies soll es gegebenenfalls erlauben, Einkommenselemente
oder Vermögensbestandteile zu berücksichtigen, welche nach einer
EL-Zusprechung verschwunden sind, beispielsweise infolge einer Bürgschaft
oder einer anderen, noch vor Erlass der leistungsgewährenden EL-Verfügung
eingegangenen Verpflichtung zu Gunsten eines Dritten (BGE 120 V 191
Erw. 3b).

    bb) Diese Erwägungen sind nur zum Teil auf den vorliegend zu
beurteilenden Fall übertragbar. So kann der Beschwerdeführerin angesichts
der dargelegten Umstände (Erw. 4 hievor), die zur gegenseitigen
Einräumung von Gewinnbeteiligungsrechten unter den Geschwistern
im Rahmen der Erbteilung führten, in keiner Weise eine (bedingte)
Verzichtshandlung im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG vorgeworfen
werden. Die adäquate Gegenleistung ist in der Anrechnung der ererbten
Grundstücke zum Ertragswert statt zum Verkehrswert zu erblicken. Dass
hier kein Vermögensverzicht vorliegt, darf indes nicht zum aus BGE 120 V
187 ff. abgeleiteten Umkehrschluss verleiten, wonach die obligatorische
Gewinnbeteiligungsverpflichtung der Beschwerdeführerin schon vor einer
Veräusserung der Grundstücke als wertvermindernder Faktor in Abschlag zu
bringen wäre. Denn die vorliegende Ausgangslage präsentiert sich insofern
völlig anders als diejenige, welche dem zitierten Grundsatzentscheid zu
Grunde lag, als die Verwirklichung der vorerst virtuellen Verpflichtung
(infolge einer Veräusserungshandlung) allein von der Beschwerdeführerin
und nicht von einer

Drittperson (etwa einer Bank als Pfandgläubigerin; vgl. BGE 120 V 188
unten) abhängt. Im Gegensatz zum im publizierten Entscheid beurteilten
Sachverhalt (dort verloren die EL-Ansprecherinnen die Verfügungsfreiheit
über die verpfändete Lebensversicherungspolice, sobald die Gläubigerbank
ihres Sohnes bzw. Neffen auf die Pfandsicherheit zurückgriff) erhält die
Beschwerdeführerin zudem bei der Veräusserung ihrer Grundstücke nicht
etwa einen um die Gewinnbeteiligungsrechte der Miterben reduzierten,
sondern den vollen Verkaufserlös. Erst in einer zweiten, von der
Grundstückveräusserung unabhängigen und von dieser klar zu trennenden Phase
hat die Beschwerdeführerin ihre Geschwister im Rahmen der anlässlich der
Erbteilung getroffenen Vereinbarung am erzielten Gewinn zu beteiligen. Die
Erwägungen in BGE 120 V 187 sind jedoch insoweit auf den zu beurteilenden
Fall übertragbar, als auch hier entscheidend darauf abzustellen ist,
dass die Beschwerdeführerin im Bewertungszeitpunkt nach Art. 23 Abs. 1
oder 4 ELV frei über (unbewegliches) Vermögen verfügen kann, welches -
unabhängig von den Motiven für die Einräumung der Gewinnbeteiligungsrechte
- deshalb zum vollen Verkehrswert im Sinne von Art. 17 Abs. 4 ELV in
die EL-Berechnung einzubeziehen ist. Die sich vorliegend stellende
Rechtsfrage anders zu beantworten würde die Gefahr in sich bergen, dass
künftig Einkommenselemente oder Vermögensbestandteile durch das Eingehen
von Bürgschaften oder anderen Verpflichtungen zu Gunsten eines Dritten
im Rahmen einer EL-Berechnung zum Verschwinden gebracht werden könnten,
was der dargelegte Grundsatzentscheid gerade verhindern wollte (BGE 120
V 192 Erw. 3b).