Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 361



127 V 361

54. Urteil vom 28. Dezember 2001 i. S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen D. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich

Regeste

    Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a, Art.  33bis Abs. 4,
Art. 35 Abs. 1 AHVG; Art. 36 Abs. 2 IVG.

    - Der Splitting-Tatbestand des Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a AHVG
ist auch erfüllt, wenn ein Ehegatte Anspruch auf eine Altersrente hat,
der andere auf eine Rente der Invalidenversicherung.

    - In den Fällen, in welchen der Ehegatte der ins Rentenalter tretenden
Person eine Rente der Invalidenversicherung bezieht, ist das Splitting
bis zum 31. Dezember vor dem Versicherungsfall Alter vorzunehmen. Mit
anderen Worten ist unter rentenberechtigt im Sinne des Art. 29quinquies
Abs. 4 lit. a AHVG auch bei dieser Konstellation altersrentenberechtigt
zu verstehen.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 19. Januar 1999 sprach die Ausgleichskasse
des Kantons Zürich D., geboren am 11. Dezember 1934, eine infolge
einjährigen Vorbezugs um 6,8% gekürzte Altersrente von monatlich Fr.
1837.- sowie eine im selben Umfang gekürzte Zusatzrente von Fr. 562.- für
seine am 15. August 1937 geborene Ehefrau E. zu. Letztere bezog seit 1.
Januar 1997 eine ganze Rente der Invalidenversicherung von monatlich Fr.
995.- samt Zusatzrente für den Ehemann von Fr. 299.-. Mit Verfügung vom 23.
Februar 1999 kam die Ausgleichskasse wiedererwägungsweise auf die am 19.
Januar 1999 zugesprochene Altersrente zurück und setzte diese auf monatlich
Fr. 1405.- fest. Am gleichen Tag legte die IV-Stelle des Kantons Zürich
die Invalidenrente von E. mit Wirkung ab 1. Januar 1999 neu auf Fr. 1508.-
fest und hob die Zusatzrente für den Ehemann auf. Für die Ermittlung des
durchschnittlichen Jahreseinkommens als ein Faktor der Rentenberechnung
wurden die Einkommen der Ehegatten in den Kalenderjahren 1961 (Jahr nach
der Heirat) bis 1997 (Jahr vor Eintritt des Versicherungsfalles) geteilt
und ihnen je zur Hälfte angerechnet.

    B.- D. reichte beim Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich Beschwerde ein und beantragte sinngemäss die Aufhebung der
Altersrentenverfügung vom 23. Februar 1999. Nach Vernehmlassung der
Ausgleichskasse und nach Beiladung von E. zum Prozess hiess das kantonale
Gericht mit Entscheid vom 30. November 1999 das Rechtsmittel in dem
Sinne gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an
die Verwaltung zur Neuberechnung der Altersrente im Sinne der Erwägungen
zurückwies.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale
Entscheid aufzuheben.

    Während D. als Gegenpartei und E. als Mitinteressierte sich nicht
haben vernehmen lassen, schliesst sich die Ausgleichskasse den Ausführungen
der Aufsichtsbehörde in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig und im Lichte der im Rahmen der 10. AHV-Revision
geänderten Rechtslage zu prüfen ist, welche Erwerbseinkommen der Berechnung
der ab 1. Januar 1999 laufenden Altersrente zu Grunde zu legen sind (vgl.
lit. c Abs. 1 der Übergangsbestimmungen der 10. AHV-Revision).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 29bis Abs. 1 AHVG werden für die Berechnung der
ordentlichen Renten Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie - hier nicht
in Betracht fallende - Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften der
rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20.
Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles
(Rentenalter oder Tod) berücksichtigt. Was begrifflich unter
Erwerbseinkommen im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist, wird in
Art. 29quinquies Abs. 1 und 2 AHVG näher umschrieben. Daneben enthält
diese Bestimmung u.a. für verheiratete Personen eine besondere
Bemessungsregel. Nach Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a AHVG werden
Einkommen, welche die Ehegatten während der Kalenderjahre der gemeinsamen
Ehe erzielt haben, geteilt und je zur Hälfte den beiden Ehegatten
angerechnet ("Splitting"). Die Einkommensteilung wird vorgenommen, wenn
beide Ehegatten rentenberechtigt sind. Der Teilung und der gegenseitigen
Anrechnung unterliegen laut Art. 29quinquies Abs. 4 lit. a AHVG jedoch
nur Einkommen aus der Zeit zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des
20. Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles
beim Ehegatten, welcher zuerst rentenberechtigt wird.

    Gemäss Art. 36 Abs. 2 Satz 1 IVG sind für die Berechnung der
ordentlichen Renten der Invalidenversicherung vorbehältlich Absatz 3 die
Bestimmungen des AHVG sinngemäss anwendbar.

Erwägung 3

    3.- In Bezug auf die vorstehende Regelung gehen vorliegend
die Meinungen darüber auseinander, was unter "rentenberechtigt" im
Sinne von Art. 29quinquies Abs. 3 und 4 je lit. a AHVG zu verstehen
ist. Gemäss Vorinstanz ist dieser Begriff einheitlich im Sinne des
Anspruchs auf eine Altersrente aufzufassen. Demgegenüber ist nach
Auffassung des Verwaltungsgerichtsbeschwerde führenden Bundesamtes
die Einkommensteilung auch dann vorzunehmen, wenn einer der Ehegatten
eine Rente der Invalidenversicherung bezieht. Dabei gilt als zuerst
rentenberechtigter Ehegatte im Sinne von Art. 29quinquies Abs. 4 lit. a
AHVG, wer zuerst das Rentenalter erreicht. Auf dieser Auslegung beruht
die Verwaltungspraxis gemäss

Rz 5109 und 5120 der Wegleitung des BSV über die Renten in der
Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
(RWL). Unter anderem in Anwendung dieser Vorschriften hat vorliegend
die Ausgleichskasse die Altersrente des Beschwerdegegners berechnet
und festgesetzt.

Erwägung 4

    4.- a) Kantonales Gericht und Bundesamt stimmen darin überein, dass
sich aus der Entstehungsgeschichte von Art. 29quinquies Abs. 3 und 4 AHVG
sowie der Änderung von Art. 36 Abs. 2 IVG im Rahmen der 10. AHV-Revision
nichts Entscheidendes für die Auslegung der vom Wortlaut her offenen
Wendung "beide Ehegatten rentenberechtigt" ergibt. Immerhin sprechen die
im angefochtenen Entscheid sowie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
genannten Fundstellen in den Materialien (vgl. zu deren Bedeutung für
die Gesetzesinterpretation BGE 124 II 200 Erw. 5c, 124 V 189 Erw. 3a,
je mit Hinweisen) eher für die Auffassung der Aufsichtsbehörde, wonach
mit Rentenberechtigung ("droit à la rente" resp. "diritto alla rendita"
in der französischen und italienischen Textfassung) beider Ehegatten im
Sinne von Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a AHVG auch der Fall erfasst ist,
wo einer der Ehegatten eine Rente der Invalidenversicherung bezieht
(vgl. Amtl.Bull. 1993 N 208, 214 und 254, 1994 S 549 f.).

    Soweit das BSV in diesem Zusammenhang auf BGE 124 V 162 ff. Erw. 4a
und b hinweist, wonach die Regeln des AHVG über die Rentenberechnung in der
Invalidenversicherung vorbehältlich ausdrücklich anders lautender Regelung
im IVG entsprechend im Sinne von integral anzuwenden sind, kann offen
bleiben, ob diese zu alt Art. 36 Abs. 2 IVG ergangene Rechtsprechung
weiterhin, insbesondere auch in Bezug auf Teilung und gegenseitige
Anrechnung von Erwerbseinkommen bei Ehegatten gilt. Umgekehrt kann entgegen
der Vorinstanz nicht gesagt werden, die Folge der in Rz 5109 und 5120 RWL
konkretisierten Auslegung von Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a AHVG, dass dem
Einkommen einer verheirateten Person, die bei Erreichen des Rentenalters
des Ehegatten eine Invalidenrente bezieht, unter Umständen keine oder
nicht alle gesetzlich möglichen Einkommen hinzugesplittet werden, sei vom
Gesetzgeber nicht gewollt. Das vom kantonalen Gericht hier angeführte Votum
des Berichterstatters der ständerätlichen Kommission (Amtl.Bull. 1993 N
208) ist insofern nicht einschlägig, als es nach zutreffender Feststellung
in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde damals um die (andere) Frage der
Einkommensteilung im ersten oder im zweiten Versicherungsfall ging.

    b) Aus gesetzessystematischen Gründen ist die vom Bundesamt verfochtene
Auslegung von "rentenberechtigt" in Art. 29quinquies Abs. 3 und 4 je
lit. a AHVG der Interpretation des kantonalen Gerichts vorzuziehen. Art.
33bis AHVG, welcher gemäss Überschrift Fragen im Zusammenhang mit der
"Ablösung einer Invalidenrente" regelt, hält in Abs. 4 Satz 1 fest,
dass für die Berechnung der Altersrente einer Person, deren Ehegatte eine
Invalidenrente bezieht oder bezogen hat, das im Zeitpunkt der Entstehung
der Invalidenrente massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen (vgl. Art.
29quater und Art. 30 AHVG) des invaliden Ehegatten während der Dauer des
Bezuges der Invalidenrente wie ein Erwerbseinkommen im Sinne von Art.
29quinquies berücksichtigt wird. Diese Vorschrift setzt implizit voraus,
dass der Eintritt ins Rentenalter einer verheirateten Person, deren
Ehegatte eine Rente der Invalidenversicherung bezieht, das Splitting
auslöst. Das gesetzessystematische Argument wird unterstützt durch
Art. 35 Abs. 1 AHVG, wonach die Summe der beiden Renten eines Ehepaares
maximal 150 Prozent des Höchstbetrages der Altersrente beträgt, wenn beide
Ehegatten Anspruch auf eine Altersrente haben (lit. a) oder ein Ehegatte
Anspruch auf eine Altersrente und der andere Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung hat (lit. b). Im Lichte dieser Gesetzesbestimmungen
ist der Tatbestand des Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a AHVG auch als
erfüllt zu betrachten, wenn der Ehegatte der altersrentenberechtigten
Person eine Rente der Invalidenversicherung bezieht.

    Die Vorinstanz führt zur Begründung ihres Standpunktes, die
Einkommensteilung sei erst im Zeitpunkt der Altersrentenberechtigung des
zweiten Ehegatten vorzunehmen, an, dass gemäss den parlamentarischen
Beratungen der Einführung des Splitting der Gedanke einer gemeinsamen
Altersvorsorge - mit Teilhabe des Ehegatten, der weniger Altersvorsorge
geäufnet hat, an der Altersvorsorge des andern - zu Grunde gelegen
sei. Dieser spiele bei der Berechnung der Invalidenrente, welche dem Ersatz
des invaliditätsbedingten Erwerbsausfalles diene, keine Rolle. Richtig ist,
dass der nationalrätliche Kommissionssprecher in dem von der Vorinstanz
erwähnten Votum darauf hinwies, dass es anstelle der bisherigen "einfachen
Altersrente" und "Ehepaar-Altersrente" nur noch individuelle Altersrenten
gebe (vgl. Amtl.Bull. 1993 N 208). In diesem Zusammenhang ist aber zu
beachten, dass das alte Recht den Anspruch auf eine Ehepaar-Altersrente
(ersatzlos gestrichener Art. 22 Abs. 1 AHVG) an den Tatbestand "Ehemann
Alter 65,

Ehefrau invalid (Art. 28 IVG)" geknüpft hatte; bei der Berechnung dieser
Rente wurden Erwerbseinkommen, von denen die Ehefrau vor oder während
der Ehe bis zur Entstehung des Anspruchs Beiträge entrichtet hatte,
berücksichtigt (ersatzlos gestrichener Art. 32 Abs. 2 AHVG). Auch wenn
der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Splitting den - verglichen mit
der Invalidisierung häufigeren - Fall, dass beide Ehegatten altershalber
rentenberechtigt werden, vor Augen hatte, lässt sich dem erwähnten Votum
nicht entnehmen, dass die Anrechnung der Einkommen beider Ehegatten im
Gegensatz zum alten Recht erst bei Erreichen des Rentenalters des zweiten
Ehegatten erfolgen sollte.

    c) Schliesslich ist das Eidg. Versicherungsgericht schon im Urteil U.
vom 18. Mai 2000 (H 67/00), allerdings ohne nähere Begründung, davon
ausgegangen, dass Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a AHVG auch zum Zuge kommt,
wenn der Ehegatte der ins Rentenalter tretenden Person eine Rente der
Invalidenversicherung bezieht.

Erwägung 5

    5.- Was den von der Einkommensteilung erfassten Zeitraum anbelangt,
so ergibt sich zwingend aus dem klaren und unmissverständlichen Art. 33bis
Abs. 4 AHVG (vgl. zur ratio legis dieser Vorschrift Amtl.Bull. 1994 S
552), dass, wo, wie vorliegend, der Ehegatte der ins Rentenalter tretenden
Person eine Rente der Invalidenversicherung bezieht, das Splitting bis
zum 31. Dezember vor dem Versicherungsfall Alter vorzunehmen ist. Mit
anderen Worten ist unter rentenberechtigt im Sinne des Art. 29quinquies
Abs. 4 lit. a AHVG auch bei dieser Konstellation altersrentenberechtigt zu
verstehen. Offensichtlich hatte der Gesetzgeber bei der Redaktion den wohl
häufigsten Fall zweier altersrentenberechtigter Ehegatten im Auge. Dieser
Schluss ergibt sich ohne weiteres aus den Formulierungen, wie sie von
den vorberatenden Kommissionen der Räte in die parlamentarische Beratung
eingebracht und in der Folge angenommen wurden (vgl. Amtl.Bull. 1993
N 254 ["vor Erreichen des Rentenalters durch den ersten Ehegatten"]
sowie 1994 S 549 und 597 ["vor Eintritt des Versicherungsfalles beim
ersten Ehegatten"]). Es wäre im Übrigen mit dem Splitting-Gedanken nicht
vereinbar und entspräche auch nicht dem gesetzgeberischen Willen, wonach
(nur) die Einkommen, die ein Ehepartner "nach Erreichen des Rentenalters
eines Ehegatten (erster Rentenfall)" erzielt hat, nicht dem Splitting
unterliegen (Amtl.Bull. 1993 N 208), in Fällen wie dem vorliegenden die
Einkommensteilung lediglich bis zum Eintritt des Versicherungsfalles
Invalidität vorzunehmen.

Erwägung 6

    6.- Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid
bundesrechtswidrig. Die nach Massgabe von Rz 5109 und 5120 RWL erfolgte
Festsetzung der Altersrente gemäss Verfügung vom 23. Februar 1999 ist
in masslicher Hinsicht nicht bestritten. Zu einer näheren Prüfung der
Berechnung besteht nach Lage der Akten kein Anlass (BGE 125 V 415 Erw. 1b
am Ende sowie 417 oben).