Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 328



127 V 328

50. Urteil vom 19. September 2001 i. S. M. gegen Hermes Krankenkasse und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern

Regeste

    Art. 25 und 31 Abs. 1 lit. a KVG; Art. 17 (Ingress) und Art. 17
lit. a Ziff. 2 KLV: Zahnärztliche Behandlung in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung.

    - Für zahnärztliche Behandlungen ist eine Berufung auf Art. 25 KVG
nicht möglich. Die Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung für
solche Behandlungen ist demzufolge nur bei Erfüllung der Voraussetzungen
von Art. 31 Abs. 1 KVG gegeben.

    - Der Krankheitswert gemäss Art. 17 (Ingress) und Art. 17 lit. a
Ziff. 2 KLV übersteigt den für die soziale Krankenversicherung allgemein
geltenden Krankheitswert des Art. 2 Abs. 1 KVG, indem er eine qualifizierte
Beeinträchtigung der Gesundheit voraussetzt.

    - Anwendungsfall von Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV: Verlagerung von
Weisheitszähnen mit Krankheitswert.

Sachverhalt

    A.- Die 1974 geborene M. hat bei der Krankenkasse Hermes nebst
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung eine kombinierte
Spitalversicherung für krankheits- und unfallbedingte Behandlung
in der Allgemeinen Abteilung in Schweizer Spitälern (Abt. HC) sowie
eine Heilungskosten-Zusatzversicherung (Abt. SC) abgeschlossen. Wegen
pericoronaler Infekte und Zysten bei verlagerten Weisheitszähnen musste sie
sich am 28. Januar 1997 im Spital X einem von Dr. med. S., Spezialarzt FMH
für Plastische und Wiederherstellungs-Chirurgie, durchgeführten operativen
Eingriff unterziehen. Die Rechnungen für diesen Eingriff von insgesamt
Fr. 3259.15 (Spital- und Arztkosten) reichte M. der Krankenkasse Hermes
ein, welche mit Verfügung vom 12. Juni 1997 festhielt, sie entrichte aus
der Heilungskosten-Zusatzversicherung den reglementarischen Höchstbetrag
von 150 Franken, abzüglich einer Franchise von 50 Franken. Die Krankenkasse
lehnte im Übrigen ihre Leistungspflicht ab und erachtete insbesondere die
Voraussetzungen für eine Kostenübernahme zu Lasten der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung als nicht erfüllt.

    M. liess gegen die Verfügung Einsprache erheben und ein Schreiben des
Dr. med. S. vom 24. Juni 1997 nachreichen, wonach es sich beim Eingriff
um eine klassische kassenpflichtige Situation gehandelt habe mit einer
Diagnose, die mehrfach die an Pflichtleistungen zu stellenden Bedingungen
erfüllt habe, ohne dass dabei zahnärztliche Massnahmen infolge Auswirkungen
auf das Odontoparodont notwendig gewesen wären. Mit Einspracheentscheid
vom 29. Juli 1997 hielt die Krankenkasse Hermes an ihrem Standpunkt fest.

    B.- Mit Beschwerde beantragte M., die Krankenkasse Hermes sei zu
verpflichten, die Kosten von Fr. 3158.95 im Zusammenhang mit dem Eingriff
vom 28. Januar 1997 zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern wies die Beschwerde mit Entscheid vom 13. Februar 1998 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M. wiederum die Erstattung
der Kosten für die am 28. Januar 1997 bei Dr. med. S. erfolgte Behandlung
von Fr. 3158.95 zuzüglich 5% Zins aus der bei der Krankenkasse Hermes
abgeschlossenen obligatorischen Krankenpflegeversicherung beantragen.

    Die Krankenkasse Hermes schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat
sich nicht vernehmen lassen.

    D.- Am 28. März 2000 hat das Eidg. Versicherungsgericht
eine Expertengruppe mit der Erstellung eines zahnmedizinischen
Grundsatzgutachtens beauftragt. Das vorliegende Verfahren wurde deshalb
mit Verfügung vom 3. April 2000 sistiert. Das Grundsatzgutachten ging
am 31. Oktober 2000 beim Gericht ein und wurde am 16. Februar 2001 mit
den Experten erörtert. Am 21. April 2001 erstellten die Experten einen
Ergänzungsbericht.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Da das Gericht im Hinblick auf die sich hier stellenden
medizinischen Fragen Fachpersonen konsultiert hat, wurde das Verfahren
sistiert. Nach Vorliegen des Berichtes mit Ergänzungen ist der Grund der
Sistierung weggefallen. Sie ist daher aufzuheben.

Erwägung 2

    2.- Die Leistungen, deren Kosten von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bei Krankheit zu übernehmen sind, werden
in Art. 25 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) in
allgemeiner Weise umschrieben. Im Vordergrund stehen die Leistungen
der Ärzte und Ärztinnen, dann aber auch der Chiropraktoren und
Chiropraktorinnen sowie der Personen, die im Auftrag von Ärzten und
Ärztinnen Leistungen erbringen.

    Die Leistungen der Zahnärzte und Zahnärztinnen sind in der genannten
Bestimmung nicht aufgeführt. Die Kosten dieser Leistungen sollen im
Krankheitsfalle der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur in
eingeschränktem Masse überbunden werden, nämlich wenn die zahnärztliche
Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems
(Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG) oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung
oder ihre

Folgen bedingt (Art. 31 Abs. 1 lit. b KVG) oder zur Behandlung einer
schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist (Art. 31
Abs. 1 lit. c KVG).

    Die Berufung der Beschwerdeführerin auf Art. 25 KVG geht fehl, weil es
in ihrem Fall um eine zahnärztliche Behandlung des Kausystems geht. Die
Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung ist diesfalls nur bei
Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 1 KVG gegeben und zwar
von lit. a, weil die zahnärztliche Behandlung weder durch eine schwere
Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt (lit. b) noch für deren
Behandlung notwendig ist (lit. c).

Erwägung 3

    3.- Die Bestimmung von Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG, wonach die
zahnärztliche Behandlung durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung
des Kausystems bedingt sein muss, hat durch das Departement (Art. 33
Abs. 2 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV) in Art. 17 der Verordnung
über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV)
folgende Ausgestaltung erfahren:
      "Art. 17 Erkrankungen des Kausystems Die Versicherung übernimmt
      die Kosten der zahnärztlichen Behandlungen,

    die durch eine der folgenden schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen
des

    Kausystems bedingt sind (Art. 31 Abs. 1 Bst. a KVG). Voraussetzung ist,

    dass das Leiden Krankheitswert erreicht; die Behandlung ist nur so weit

    von der Versicherung zu übernehmen, wie es der Krankheitswert des
Leidens

    notwendig macht:
      a. Erkrankungen der Zähne: 1. Idiopathisches internes Zahngranulom,
      2. Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen mit
      Krankheitswert

    (z.B. Abszess, Zyste);
      b. Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodontopathien):
      1. Präpubertäre Parodontitis, 2. Juvenile, progressive Parodontitis,
      3. Irreversible Nebenwirkungen von Medikamenten; c. Erkrankungen des
      Kieferknochens und der Weichteile: 1. Gutartige Tumore im Kiefer-
      und Schleimhautbereich und tumorähnliche

    Veränderungen,
      2. Maligne Tumore im Gesichts-, Kiefer- und Halsbereich,
      3. Osteopathien der Kiefer, 4. Zysten (ohne Zusammenhang mit
      Zahnelementen), 5. Osteomyelitis der Kiefer; d. Erkrankungen des
      Kiefergelenks und des Bewegungsapparates: 1. Kiefergelenksarthrose,
      2. Ankylose, 3. Kondylus- und Diskusluxation;

      e. Erkrankungen der Kieferhöhle: 1. In die Kieferhöhle
      dislozierter Zahn oder Zahnteil, 2. Mund-Antrumfistel;
      f. Dysgnathien, die zu folgenden Störungen mit Krankheitswert
      führen: 1. Schlafapnoesyndrom, 2. Schwere Störungen des Schluckens,
      3. Schwere Schädel-Gesichts-Asymmetrien."

    a) In BGE 124 V 185 hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden,
dass die in Art. 17-19 KLV erwähnten Erkrankungen, deren zahnärztliche
Behandlung von der sozialen Krankenversicherung zu übernehmen ist,
abschliessend aufgezählt sind. Demnach fallen nur Erkrankungen des
Kausystems, die in Art. 17 KLV genannt sind, unter die Leistungspflicht
der sozialen Krankenversicherung.

    b) Die Umschreibung der Erkrankungen in Art. 17 KLV ist
unterschiedlich. So begnügt sich der Verordnungsgeber teils mit einzelnen
Krankheitsbezeichnungen wie etwa der Kiefergelenksarthrose (Art. 17 lit. d
Ziff. 1 KLV) oder der Mund-Antrumfistel (Art. 17 lit. e Ziff. 2 KLV),
teils verwendet er Umschreibungen wie in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV, wo
ihm die Begriffe "Verlagerung und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen"
("dislocations dentaires, dents ou germes dentaires surnuméraires";
"dislocazioni o soprannumero di denti o germi dentari") für sich allein
zu unbestimmt erscheinen, sodass er nur solche darunter verstanden wissen
will, die "Krankheitswert (z.B. Abszess, Zyste)" erreichen ("pouvant
être qualifiées de maladie [par exemple: abcès, kyste]"; "che causano
una malattia [ad es. ascesso, ciste]"). Damit stellt sich die Frage, ob
dieser Krankheitswert ein anderer ist als jener Krankheitswert, der nach
Art. 17 KLV zur allgemeinen Voraussetzung dafür erhoben wird, dass die
in dieser Bestimmung aufgezählten Erkrankungen in den Leistungsbereich
der sozialen Krankenversicherung fallen. Weiter ist danach zu fragen,
ob der Krankheitswert, wie er in Art. 17 KLV allgemein oder in dessen
lit. a Ziff. 2 bei verlagerten und überzähligen Zähnen und Zahnkeimen
verwendet wird, mit dem in Art. 2 Abs. 1 KVG definierten Begriff der
Krankheit übereinstimmt.

Erwägung 4

    4.- Das Gericht hat dazu die von zwei verschiedenen Berufsgruppen zur
Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung im Sinne von Art. 31
KVG herausgegebenen Leitfäden zu Rate gezogen (Atlas der Erkrankungen
mit Auswirkungen auf das Kausystem [SSO-Atlas], herausgegeben von der
Schweizerischen

Zahnärzte-Gesellschaft SSO, 1996; KVG-Leitfaden, Leistungspflicht
im Fachbereich Kiefer- und Gesichtschirurgie, herausgegeben von der
Gesundheitspolitischen Kommission der Schweizerischen Gesellschaft
für Kiefer- und Gesichtschirurgie, 1999). In der Erkenntnis, dass
diese Unterlagen einerseits auf die sich stellenden Fragen wenig
grundsätzliche Antworten geben und die Thematik mehr kasuistisch
angehen und andererseits in vielen Einzelfragen zu unterschiedlichen
Schlussfolgerungen gelangen, sowie angesichts der grossen praktischen
Bedeutung mit allfällig weit reichenden finanziellen Folgen für die
Versicherten und die Versicherer hat das Gericht eine Expertengruppe
mit der Ausarbeitung eines Grundsatzgutachtens beauftragt. Dieses hatte
die gestellten Fragen grundsätzlich, d.h. losgelöst von den anstehenden
Einzelfällen, zu beantworten und so dem Gericht eine Grundlage zu bieten,
welche es ihm erlaubt, den gesetzlichen Bestimmungen einen Inhalt zu
geben, der auf einem zutreffenden Verständnis des der Regelung zu Grunde
liegenden medizinischen Fachwissens beruht. Bei den drei Mitgliedern
der Expertengruppe handelt es sich um PD Dr. med. dent. Gebauer, Klinik
für Kieferorthopädie, Bern, Dr. med. dent. Chiarini, Ecole de médecine
dentaire, Genf, und Dr. med. dent. Gnoinski, Klinik für Kieferorthopädie,
Zürich. Diese Experten durften andere Fachpersonen kontaktieren.

    Das Grundsatzgutachten und der Erläuterungsbericht werden nicht
nur soweit sie für den vorliegenden Fall einschlägig sind, sondern
umfassend wiedergegeben, und zwar angesichts des Umstandes, dass die
Expertenmeinungen weit über den konkreten Fall hinaus interessieren.

Erwägung 5

    5.- a) Die Experten wurden zum Krankheitswert befragt, der bei
verlagerten und überzähligen Zähnen und Zahnkeimen nach Art. 17
lit. a Ziff. 2 KLV Voraussetzung der Leistungspflicht der sozialen
Krankenversicherung ist. Die Fachpersonen erblicken in diesem
Krankheitswert einen gegenüber dem allgemein definierten Begriff der
Krankheit gemäss Art. 2 Abs. 1 KVG qualifizierten Begriff. Ihm komme -
so führen sie aus - Abgrenzungsfunktion zu. Weil die Umschreibungen
"Verlagerung" und "Überzahl" von Zähnen und Zahnkeimen sowohl leichte
wie auch schwere Erkrankungen des Kausystems erfassten, würden auf
diese Weise die schweren, eben jene mit Krankheitswert, von den übrigen
Erkrankungen abgegrenzt, die nicht als schwer einzustufen seien und daher
der Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung gemäss Art. 31
Abs. 1 KVG nicht unterlägen.

    b) Das Gericht sieht keinen Grund, im Krankheitswert, der nach
Art. 17 KLV bei allen darin aufgeführten Erkrankungen erreicht sein muss,
damit die Behandlung der Leistungspflicht unterliegt, etwas anderes zu
erblicken. Auch hier dient der Begriff der Abgrenzung. Er drückt das Mass
der Schwere der Erkrankung als Voraussetzung für die Leistungspflicht der
sozialen Krankenversicherung aus. Nicht schwere Erkrankungen sollen nach
der gesetzlichen Vorgabe des Art. 31 Abs. 1 KVG davon ausgeschlossen
sein. Der Wiederholung des Begriffes in Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV
kommt daher die Funktion zu, dieser allgemeinen Voraussetzung des
Krankheitswertes in Art. 17 KLV den nötigen Nachdruck zu verschaffen,
weil gerade bei verlagerten und überzähligen Zähnen und Zahnkeimen, wie
nachfolgend zu zeigen sein wird, neben schweren gehäuft nicht schwere
Erscheinungsformen anzutreffen sind.

Erwägung 6

    6.- a) Um die Frage der Schwere einer Erkrankung bei Verlagerung
und Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen differenziert angehen zu können,
unterscheiden die Experten zwischen der Dentition in Entwicklung -
im Sinne eines Richtwertes bis zum 18. Altersjahr - und bleibender
Dentition. So könne bei der Dentition in Entwicklung der Krankheitswert
in der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung oder in einem
pathologischen Geschehen bestehen. Bei bleibender Dentition falle
naturgemäss eine Behinderung der geordneten Gebissentwicklung ausser
Betracht; der Krankheitswert beschränke sich hier auf ein pathologisches
Geschehen.

    aa) Damit eine Behinderung geordneter Gebissentwicklung Krankheitswert
erlange, so führen die Fachleute aus, müsse sie mit der Verlagerung oder
Überzahl von Zähnen und Zahnkeimen zusammenhängen, bereits manifest sein
oder gemäss bewährter Erkenntnis der Zahnmedizin unmittelbar drohen und
durch einfache Massnahmen nicht zu verhindern oder zu beheben sein. Als
Beispiele der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung nennen
die Experten die Behinderung des Durchbruchs benachbarter Zähne,
die Resorption oder Verdrängung solcher Zähne und das Ausbleiben
weiteren Alveolarfortsatz-Wachstums infolge Ankylose bleibender Zähne
und Früh-Ankylose von Milchzähnen. Unter einfachen Massnahmen seien
namentlich die Extraktion von Milchzähnen oder bleibenden Zähnen ohne
Zusatzkomplikationen (einfache Extraktion), Schleimhautkappen-Excision
sowie die Schaffung des für den Zahndurchbruch nötigen Platzangebotes
mit beschränktem apparativem Aufwand (z.B. festsitzende oder abnehmbare

Lückenhalter/Lückenöffner, Lingualbogen, Palatinalbogen, Headgear)
zu verstehen.

    bb) Von einem pathologischen Geschehen - so die Fachpersonen - sei
zu sprechen, wenn es mit der Verlagerung oder Überzahl von Zähnen und
Zahnkeimen zusammenhänge, wenn es durch prophylaktische Massnahmen nicht
verhindert werden könne, wenn es zu erheblichen Schäden an benachbarten
Zähnen, am Kieferknochen oder an benachbarten Weichteilen geführt
habe oder nach klinischem und allenfalls radiologischem Befund mit
hoher Wahrscheinlichkeit führen werde und ohne Eingriff das Kausystem
beeinträchtige. Als Beispiele einer erheblichen Schädigung benachbarter
Zähne, am Kieferknochen oder an benachbarten Weichteilen nennen sie
den Abszess, die Zyste, soweit sie nicht durch vermeidbare Karies oder
Parodontitis bedingt ist, die Resorption oder Verdrängung benachbarter
Zähne, bereits erfolgte parodontale Taschenbildung an benachbarten Zähnen,
chronisch-rezidivierende Pericoronitis (beginnende Abszessbildung)
bei Weisheitszähnen sowie retinierte Zähne mit Verbindung zur Mundhöhle
und entsprechender Gefahr der Abszessbildung infolge nicht vermeidbarer
Karies. Ein Kauorgan könne sodann ausser in seiner Funktion auch in seiner
Ästhetik (z.B. obere Frontzähne) beeinträchtigt werden.

    b) Verlagerte Weisheitszähne nehmen gemäss den Ausführungen der
Experten gegenüber anderen verlagerten oder überzähligen Zähnen insofern
eine besondere Stellung ein, als sie von ihrer topografischen Lage in der
Gegend des Unterkiefer-Winkels her besonders häufig Lage-Anomalien zeigen
und Anlass zu entzündlichen Komplikationen und Zystenbildungen geben
würden, die in dieser topografischen Position besonders schwer wiegende
Folgen haben könnten wie einen Durchbruch von Abszessen in anatomischen
Logen von vitaler Bedeutung oder eine Spontanfraktur des Unterkiefers
infolge Schwächung durch grosse Zysten.

    c) Was den Umfang der Pflichtleistung der sozialen Krankenversicherung
in den dargestellten Fällen von schwerer Erkrankung des Kausystems
anbelangt, erachten die Experten aus fachärztlicher Sicht allgemein die
Übernahme der Kosten zur Behebung oder Minderung der Entwicklungsstörung
oder des pathologischen Geschehens sowie zur Herstellung eines
funktionell und, soweit obere Frontzähne betroffen sind, eines
ästhetisch befriedigenden Zustandes für angezeigt. Im Besonderen halten
die beigezogenen Fachpersonen dafür, dass bei überzähligen Zähnen mit
pathologischem Geschehen zum Umfang der Leistungspflicht die Kosten

für die Entfernung, für die Behandlung der Pathologie und die Restauration
oder den Ersatz allfällig geschädigter Zähne gehörten. Bei verlagerten
Zähnen umfasst die Leistungspflicht ihrer Meinung nach die Entfernung
und den Ersatz dieser Zähne oder deren Einreihung mittels chirurgischer
oder kieferorthopädischer Massnahmen. Bei verlagerten Weisheitszähnen
mit pathologischem Geschehen schliesslich beinhalte die Pflichtleistung
nur die Entfernung und die Behandlung der Begleitpathologie, nicht aber
den Ersatz für entfernte Zähne.

Erwägung 7

    7.- a) In Würdigung dieser medizinischen Ausführungen schliesst sich
das Gericht dem Verständnis der Experten an, wonach der Krankheitswert
gemäss Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV bei der Dentition in Entwicklung
in der Behinderung einer geordneten Gebissentwicklung oder in
einem pathologischen Geschehen und bei bleibender Dentition in einem
pathologischen Geschehen zu sehen ist, wobei das pathologische Geschehen
zu einer erheblichen Schädigung von Nachbarstrukturen führt oder unter
bestimmten Voraussetzungen zu führen droht. Damit scheidet aus, den
Krankheitswert in den verlagerten oder überzähligen Zähnen und Zahnkeimen
selbst zu sehen, etwa bei Überschreitung eines bestimmten Mindestmasses
der Abweichung verlagerter Zähne von der normalen Lage und Achsenrichtung.

    Im Weiteren ergibt sich daraus, dass dieser Krankheitswert den für die
soziale Krankenversicherung allgemein geltenden Krankheitswert des Art. 2
Abs. 1 KVG übersteigt (vgl. Erw. 5a, b). Nicht jede Beeinträchtigung der
Gesundheit durch verlagerte oder überzählige Zähne und Zahnkeime lässt
eine medizinische Untersuchung oder Behandlung unter die Pflichtleistung
der sozialen Krankenversicherung fallen. Vielmehr muss, wie dargelegt,
eine qualifizierte Beeinträchtigung vorliegen.

    Ob eine Erkrankung des Kausystems wegen verlagerter und überzähliger
Zähne und Zahnkeime als schwer anzusehen ist und ihre Behandlung
der Leistungspflicht der sozialen Krankenversicherung gemäss Art. 31
Abs. 1 lit. a KVG unterliegt, ist demnach am Krankheitswert gemäss
Art. 17 (Ingress) und Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV zu messen. Liegt eine
Behinderung geordneter Gebissentwicklung oder pathologisches Geschehen
mit Schädigung der Nachbarstrukturen im dargelegten Sinne vor, so muss
nicht zusätzlich danach gefragt werden, ob die Erkrankung insgesamt als
schwer einzustufen ist.

    b) Was sodann den Umfang der Leistungspflicht anbelangt, gehen die
Experten in ihren Ausführungen relativ weit, indem sie

beispielsweise neben der Entfernung verlagerter Zähne auch deren Ersatz
oder deren Einreihung einschliessen. Der Umfang hat sich in jedem Fall nach
den Grundsätzen der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit
zu richten (Art. 32 Abs. 1 KVG). Keinesfalls darf Anreiz dafür geschaffen
werden, Gebisssanierungen, für welche die soziale Krankenversicherung
nicht aufzukommen hat, unter dem Vorwand einer Behandlung verlagerter oder
überzähliger Zähne ihr doch anzulasten. Der Umfang der Leistungspflicht
wird von Fall zu Fall nach den genannten Grundsätzen festzulegen sein.

    c) Es ist selbstverständlich Sache der Rechtsprechung, die von den
Experten geäusserten Auffassungen, soweit sie nicht in die Beurteilung
des vorliegenden Falles einfliessen, in den konkreten Einzelfällen zu
beurteilen.

Erwägung 8

    8.- Es bleibt zu prüfen, ob das Leiden der Beschwerdeführerin
Krankheitswert im Sinne von Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV erlangt hat. Die
Beschwerdegegnerin sieht in den Berichten des Dr. med. S. zur Behandlung
(Operationsbericht vom 28. Januar 1997; Berichte vom 1. Mai 1997 und
vom 24. Juni 1997) und in seiner Stellungnahme im Beschwerdeverfahren
vom 16. April 1998 gewisse Widersprüche. So erachtet sie es als
widersprüchlich, dass der Weisheitszahn 18, im Oberkiefer links
lokalisiert, trotz follikulärer Zyste nicht entfernt wurde, dagegen Zahn
38 im Unterkiefer rechts, obwohl lediglich eine klinisch unauffällige
Zyste vorlag. Was die kritische Bemerkung zu Zahn 18 anbelangt, liegt
hier einerseits ein Missverständnis der Beschwerdegegnerin zu Grunde,
indem dieser Zahn im Oberkiefer rechts und nicht links lokalisiert ist
(ERNST SAUERWEIN, Zahnerhaltungskunde, 2. Aufl., Stuttgart 1972, S. 9),
und andererseits eine Ungenauigkeit im Bericht des Dr. med. S. vom 1. Mai
1997, indem darin in Ziff. 1 von pericoronalen Infekten und Zysten bei
retinierten Weisheitszähnen im Oberkiefer rechts und im Unterkiefer
beidseits gesprochen wird. Aus Ziff. 4 dieses Berichtes und allen
andern erwähnten Berichten des Dr. med. S. geht aber hervor, dass das
Krankheitsgeschehen seinen Sitz zur Hauptsache im Oberkiefer links und
nicht rechts hatte.

    Was das Krankheitsgeschehen betrifft, ergibt sich aus allen Berichten
des Dr. med. S., dass das Leiden der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt
der Behandlung Krankheitswert im Sinne von Art. 17 lit. a Ziff. 2 KLV
hatte. Denn die Behandlung zielte darauf ab, eine weitere Schädigung
von Nachbarstrukturen verlagerter Zähne zu unterbinden. Dies gilt auch
hinsichtlich des Zahnes 38 im

Unterkiefer rechts. Bezüglich der Diagnose schreibt Dr. med. S. in der
Stellungnahme vom 16. April 1998 (Ziff. 3):
      "... Im Unterkiefer rechts fand sich röntgenologisch ebenfalls eine

    zum damaligen Zeitpunkt klinisch unauffällige follikuläre Zyste bei

    verlagertem Weisheitszahn, die jedoch anamnestisch offenbar bereits

    rezidivierende Infekte durchgemacht hatte. Die Verlagerung der

    Weisheitszähne bei bereits abgeschlossenem Wurzelwachstum war in
Lage und

    Achse derart, dass die bogenförmig abgekrümmten, ein Knochenfenster

    umschliessenden Wurzeln im Unterkiefer bis unter den Nervenkanal
reichten,

    so dass mit der schwierigen Situation eines Einschlusses des
N. alveolaris

    inferior durch die Wurzeln der verlagerten Zähne gerechnet werden
musste.

    Die Nähe des Infektgeschehens zum Nerv erklärte auch die starken
Schmerzen

    ..."

    Und zur Notwendigkeit der Behandlung führt er im selben Bericht unter
Ziff. 5 fort:
      "Ohne notfallmässige Überweisung und sofortige Behandlung hätte der

    Infekt zugenommen, so dass dann eine Inzision und Drainage von
extraoral

    notwendig geworden wäre. Wäre auch diese Behandlung unterblieben,
können

    solche Abszesse durch innere Fortleitung innert kürzester Zeit zu

    schwersten bis lebensbedrohlichen Komplikationen führen. ... Selbst
kleine

    rezidivierende pericoronale Infekte, wie im vorliegenden Fall auf der

    rechten Seite, können unbehandelt zu einer hämatogenen Streuung führen,

    mit Auftreten vielfältigster Krankheitsbilder, beispielsweise einer

    Endokarditis bis hin zur Sepsis."

Erwägung 9

    9.- Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die Beschwerdegegnerin
ist zu verpflichten, die Kosten für die zahnärztlichen Behandlungen
zu übernehmen.

Erwägung 10

    10.- Auf das Begehren der Beschwerdeführerin, es sei ihr
nebst dem Betrag für die erfolgte Behandlung 5% Zins ab 1. März 1997
zurückzuerstatten, ist nicht einzutreten, da dieser Antrag nicht begründet
wird (Art. 108 Abs. 2 OG).