Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 237



127 V 237

35. Auszug aus dem Urteil vom 30. August 2001 i. S. K., M., V. und
T. gegen Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt und Kantonale Rekurskommission
für die Ausgleichskassen und die IV-Stellen, Basel

Regeste

    Art. 1 Abs. 3 ELG: Interkantonale Zuständigkeit für die Festsetzung
und Ausrichtung von Ergänzungsleistungen. Zum zivilrechtlichen Wohnsitz
bei urteilsfähigen Personen, die in ein Altersheim eintreten.

Sachverhalt

    A.- Die 1907 geborene Z., Bezügerin einer Altersrente der Alters-
und Hinterlassenenversicherung, wohnte während 28 Jahren im Spital Y
in A./BS, bevor sie im August 1997 - nach dem Tode ihres Ehemannes -
in das Altersheim T. in H./ZH eintrat. Auf Anfrage der sie vertretenden
Tochter V. teilte das Amt für Alterspflege Basel-Stadt am 16. September
1997 mit, dass für die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen (EL) nicht der
Kanton Basel-Stadt, sondern der Kanton Zürich zuständig sei. In der Folge
verneinte indessen auch die Gemeinde H./ZH ihre Zuständigkeit (Schreiben
vom 31. Oktober 1997). Nachdem das Amt für Alterspflege Basel-Stadt
an seiner Auffassung festgehalten hatte (Schreiben vom 21. Dezember
1998), liess Z. im Mai 1998 das Formular für den EL-Bezug beim Amt für
Sozialbeiträge Basel-Stadt einreichen.

    B.- Z. gelangte an die Kantonale Rekurskommission für die
Ausgleichskassen und IV-Stellen Basel-Stadt mit dem Antrag, es sei ihr
Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu prüfen, wobei dessen

Beginn auf September 1997 festzusetzen sei. Im Verlaufe des kantonalen
Verfahrens, am 22. Juli 1999, verstarb Z. Mit Entscheid vom 18. November
1999 wies die Rekurskommission die Beschwerde ab und stellte fest, dass
die Behörden des Kantons Basel-Stadt seit August 1997 für die Ausrichtung
von Ergänzungsleistungen an Z. nicht mehr zuständig seien.

    C.- Die Erbinnen der Z. führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
sinngemässen Rechtsbegehren, es sei die kantonale Zuständigkeit für die
Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zu bestimmen und der Anspruchsbeginn
auf September 1997 festzusetzen.

    Während das Amt für Sozialbeiträge Basel-Stadt auf eine Stellungnahme
verzichtet, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die
Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Sinne, dass der Kanton
Basel-Stadt für die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zuständig zu
erklären sei. Die als Mitinteressierte zum Verfahren beigeladene Gemeinde
H./ZH enthält sich eines Antrages unter Hinweis auf die vom Sozialamt des
Kantons Zürich, Abteilung Zusatzleistungen zur AHV/IV, zuhanden des Eidg.
Versicherungsgerichtes erstellte Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zuständig für die Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistung
ist der Kanton, in dem der Bezüger seinen zivilrechtlichen Wohnsitz
hat (Art. 1 Abs. 3 ELG, welcher im Rahmen der 3. ELG-Revision keine
Änderung erfahren hat). Bei streitiger Zuständigkeit haben die kantonalen
Rekursbehörden und letztinstanzlich das Eidg. Versicherungsgericht über die
Wohnsitzfrage zu entscheiden (BGE 108 V 24 Erw. 2a, 99 V 106; EVGE 1969 S.
176, 1967 S. 263).

    Der (im Rahmen des EL-Rechts massgebende) zivilrechtliche Wohnsitz
einer Person befindet sich nach Art. 23 Abs. 1 ZGB an dem Ort, wo sie
sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (Art. 23 Abs. 1 ZGB)
und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat (BGE
120 III 8 Erw. 2a, 97 II 3 Erw. 3, 85 II 322 Erw. 3). Für die Begründung
des Wohnsitzes müssen somit zwei Merkmale erfüllt sein: ein objektives
äusseres, der Aufenthalt, sowie ein subjektives inneres, die Absicht
dauernden Verbleibens. Nach der Rechtsprechung kommt es nicht auf den
inneren Willen, sondern darauf an, auf welche Absicht die erkennbaren
Umstände objektiv schliessen lassen (BGE 125 V 77 Erw. 2a, 120 III 8
Erw. 2b,

119 II 65 Erw. 2b/bb). Der Wohnsitz bleibt an diesem Ort bestehen,
solange nicht anderswo ein neuer begründet wird (Art. 24 Abs. 1 ZGB). Der
Aufenthalt an einem Orte zum Zweck des Besuches einer Lehranstalt und
die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs-, Versorgungs-, Heil-
oder Strafanstalt begründet keinen Wohnsitz (Art. 26 ZGB).

Erwägung 2

    2.- Streitig und zu prüfen ist, wo Z. in der Zeit ab August 1997
ihren Wohnsitz hatte: in A./BS, wo sie bis Juli 1997 im Spital Y wohnte,
oder in H./ZH, wo sie im August 1997 in ein Altersheim eintrat, in welchem
sie bis zu ihrem Tode im Juli 1999 blieb.

    a) Das baselstädtische Amt für Alterspflege stützte seine ablehnende
Haltung im Schreiben vom 21. Dezember 1998 auf § 6 der kantonalen
Verordnung betreffend Ergänzungsleistungen und kantonale Beihilfen zur
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (VELG; SG 832.710),
nach dessen Abs. 3 der Bezug eines auswärtigen Heimes durch Betagte
oder Behinderte ohne Einvernehmen mit dem zuständigen Amt als Wegzug
mit Wohnsitzverlegung behandelt wird. Dieser Hinweis geht indessen
fehl, weil diese Bestimmung die für die interkantonale Zuständigkeit
ausschlaggebende Beibehaltung des Wohnsitzes in A./BS an restriktivere
Bedingungen knüpft, welche mit der allein massgebenden zivilrechtlichen
Wohnsitzbegründung (Erw. 1) nicht vereinbar sind, und damit, soweit sie
im Gebiet der Ergänzungsleistungen angewendet wird, gegen Bundesrecht
verstösst (Art. 1 Abs. 3 ELG). Gleiches gilt mit Bezug auf die Praxis des
Amtes für Alterspflege, wonach "Personen, welche ihren Wohnsitz im Kanton
Basel-Stadt haben, nur aus medizinischen Gründen in ausserkantonale Heime"
vermittelt werden.

    b) Es spricht vieles dafür, dass für die Beurteilung der Frage nach
dem Wohnsitz ab August 1997, entgegen dem angefochtenen Entscheid, nicht
die Bestimmung des Art. 26 ZGB und die hiezu ergangene, in BGE 108 V 25
Erw. 2b publizierte Rechtsprechung massgebend sind. Denn Altersheime sind
- anders als Pflegeheime - nach herrschender Lehre keine Anstalten im
Sinne von Art. 26 ZGB, weil sie nicht einem vorübergehenden Sonderzweck
(Erziehung, Pflege, Heilung, Strafverbüssung) dienen, sondern einem
allgemeinen, indem sie das Verbringen des Lebensabends an einem hiefür
spezialisierten Ort erlauben (HANS MICHAEL RIEMER, Der zivilrechtliche
Wohnsitz von Altersheiminsassen, in: ZVW 1977 S. 58 ff.; SCHNYDER/MURER,
Berner Kommentar, N 66 zu Art. 376 ZGB; DANIEL STAEHELIN, Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht

[Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I], N 7 zu Art. 26 ZGB; vgl. auch
ERWIN CARIGIET, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 33). Daran ändert
sich auch nichts, wenn die Möglichkeit besteht, im Altersheim die
erforderliche Pflege zu erhalten, da dieser Sonderzweck im allgemeinen
Zweck aufgeht (RIEMER, aaO, S. 60; nach CARIGIET, aaO, Rz 33, ist dies
wenigstens bei einer geringen Beanspruchung des Sonderzwecks der Fall).

    Nach der Lehre (RIEMER, aaO, S. 59 ff.; SCHNYDER/MURER, aaO, N 66 zu
Art. 376 ZGB; EUGEN BUCHER, Berner Kommentar, N 15 in fine zu Art. 26 ZGB)
begründen urteilsfähige mündige Personen am Ort des Altersheimes (in der
Regel) Wohnsitz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 ZGB, und zwar unabhängig
davon, ob der Heimeintritt aus eigenem Willensentschluss erfolgt oder
eine Unterbringung vorliegt (RIEMER, aaO, S. 59 ff.; SCHNYDER/MURER, aaO,
N 66 zu Art. 376 ZGB). Die Gleichbehandlung dieser beiden Tatbestände
rechtfertigt sich nach RIEMER (aaO, S. 61), weil die Grenze zwischen
dem eigenen Willensentschluss im ersten Fall und dem im zweiten Fall
vorausgesetzten Einverständnis mit der Unterbringung nur sehr schwer zu
ziehen wäre. Nach neuerer Auffassung können allerdings auch Altersheime
unter Art. 26 ZGB fallen (so CHRISTIAN BRÜCKNER, Das Personenrecht des
ZGB, Zürich 2000, N 358), wobei nach Meinung dieses Autors das Kriterium
der fehlenden freien Wahlmöglichkeit (Unterbringung) für die Abgrenzung
zu Art. 23 ZGB bedeutsam ist (aaO, NN 359 und 360).

    c) Bei der Prüfung der Frage auf der Grundlage der herrschenden Lehre
(vgl. Erw. 2b), ob der Eintritt von Z. ins Altersheim T. wohnsitzbegründend
war, kann die erste (objektive, äussere) der beiden gemäss Art. 23 Abs. 1
ZGB kumulativ erforderlichen Voraussetzungen, die physische Anwesenheit,
ohne weiteres bejaht werden. Denn auf Grund der Akten steht fest und ist
unbestritten, dass Z. sich von August 1997 bis zu ihrem Ableben im Juli
1999 im Altersheim T. in H./ZH aufhielt.

    Einer näheren Betrachtung bedarf hingegen das subjektive Element,
die Absicht dauernden Verbleibens. Dabei ist vorab festzuhalten, dass
keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass bei Z. die hiefür erforderliche
(Art. 18 ZGB), vom Gesetz vermutete (Art. 16 ZGB) Urteilsfähigkeit nicht
vorgelegen hätte, an welche im Bereich der Wohnsitzfrage ohnehin keine
strengen Anforderungen gestellt werden (BUCHER, aaO, N 28 zu Art. 23 ZGB;
RIEMER, aaO, S. 59 f.; STAEHELIN, aaO, N 9 zu Art. 23 ZGB). Die nach
der Rechtsprechung

massgebenden äusseren Umstände liegen hier darin, dass Z. im August 1997,
als sie nach dem Tode ihres Ehemannes nicht mehr länger im Spital Y in
A./BS bleiben konnte, in die Nähe ihrer Töchter zog, wie sie dies gewünscht
hatte, und zwar in das ihrer angestammten evangelisch-methodistischen
Kirche zugehörige Altersheim T. Diese Gegebenheiten lassen darauf
schliessen, dass Z. ihren Lebensabend in H./ZH verbringen wollte, sodass
sie nunmehr dort ihren Lebensmittelpunkt hatte. Dass der Heimeintritt
insofern nicht freiwillig erfolgte, als der weitere Aufenthalt der
Verstorbenen im Spital Y offenbar finanziell nicht länger tragbar gewesen
wäre (Schreiben der V. vom 25. November 1998) und für die hochbetagte
Versicherte, die schon damals ihr Leben nicht mehr autonom, ohne Hilfe
Dritter, gestalten konnte, durch ihre Töchter eine neue Lösung gefunden
werden musste, vermag daran nichts zu ändern. Denn es ist ohne Bedeutung,
ob der Willensentschluss unter dem Zwang der Umstände erfolgt (RIEMER, aaO,
S. 59). Ebenso wenig ist entscheidend, dass Z. ihre Wohnadresse im Spital
Y in A./BS beibehielt und sich in H./ZH bloss als Wochenaufenthalterin
anmeldete, weil für den zivilrechtlichen Wohnsitz nicht massgebend ist, wo
eine Person angemeldet ist und ihre Schriften hinterlegt hat (STAEHELIN,
aaO, N 23 zu Art. 23 ZGB; BGE 108 Ia 255 Erw. 5a). Zu keinem anderen
Ergebnis vermag schliesslich zu führen, dass sie sich, wie einem Schreiben
ihrer Tochter V. vom 9. September 1997 entnommen werden kann, vorbehielt,
bei schwerer Pflegebedürftigkeit oder Hospitalisierung wieder "ins Spital
Y oder auf die Geriatrie nach A." zurückzukehren. Denn die Absicht, einen
Ort später (auf Grund veränderter, nicht mit Bestimmtheit vorauszusehender
Umstände) wieder zu verlassen, schliesst eine Wohnsitzbegründung nicht aus
(BUCHER, aaO, N 22 zu Art. 23 ZGB).

    Wird hingegen in Anlehnung an die erwähnte Auffassung BRÜCKNERS auf das
Kriterium der Unterbringung oder der fehlenden (örtlichen) Wahlmöglichkeit
abgestellt, dürften die geltend gemachten Umstände ebenfalls dazu führen,
dass Z. den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen mit dem Heimeintritt nach
H./ZH verlegt hat, sodass die Anwendbarkeit von Art. 23 oder Art. 26 ZGB
letztlich offen bleiben kann. Da Z. so oder anders ab August 1997 ihren
Wohnsitz in H./ZH hatte, ist nicht der Kanton Basel-Stadt, sondern der
Kanton Zürich (d.h. das Sozialamt H.) zuständig für die Festsetzung und
Auszahlung der Ergänzungsleistung (Art. 1 Abs. 3 ELG).

    d) Das BSV vertrat demgegenüber in seiner Stellungnahme die Auffassung,
Art. 1 Abs. 3 ELG sei in enger Anlehnung an den

zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff dahin gehend auszulegen, dass - gleichsam
in Vorwegnahme einer im Rahmen der nächsten ELG-Revision zu treffenden
Lösung - der Kanton, in welchem der Heimbewohner oder die Heimbewohnerin
vor dem Heimeintritt gewohnt hat, für zuständig für die Ausrichtung von
Ergänzungsleistungen zu erklären sei (vgl. auch den Vorschlag von CARIGIET,
aaO, Rz 188). Es trifft zu, dass die heutige gesetzliche Regelung insofern
unbefriedigend ist, als die zunehmende Mobilität und die neuen Wohn- und
Pflegeformen die Bestimmung des (für die interkantonale Zuständigkeit
massgebenden) zivilrechtlichen Wohnsitzes erschweren. Das kann, wie
hier der Fall, zu Abklärungen und Verzögerungen in der Zusprechung
von Ergänzungsleistungen führen, wenn sich zwei Kantone, die für die
Ausrichtung in Frage kämen, als unzuständig betrachten (CARIGIET, aaO,
Rz 187). Dennoch bleibt es Sache des Gesetzgebers, Abhilfe zu schaffen
und gegebenenfalls ergänzungsleistungsrechtlich eine vom zivilrechtlichen
Wohnsitz abweichende Lösung vorzusehen.