Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 205



127 V 205

30. Auszug aus dem Urteil vom 8. Juni 2001 i. S. Ausgleichskasse des
Kantons Graubünden gegen C. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
Regeste

    Art. 85 Abs. 2 lit. a und f AHVG: Parteientschädigung an
Sozialversicherungsträger. Bezüglich der Voraussetzungen, unter welchen
Sozialversicherer bei mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung der
versicherten Person im kantonalen Verfahren eine Parteientschädigung
geltend machen können, ist analog die Rechtsprechung zur Zusprechung
einer Parteientschädigung an eine unverbeiständete Partei (BGE 110 V 134
Erw. 4d) heranzuziehen.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 25. September 2000 forderte die Ausgleichskasse
des Kantons Graubünden von C. Verzugszinsen in Höhe von Fr. 690.70.

    B.- Hiegegen erhob C. Beschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden. Dieses wies die Beschwerde ab und auferlegte C. wegen
mutwilliger Prozessführung die Gerichtskosten von 608 Franken. Den Antrag
der Ausgleichskasse auf Zusprechung einer Parteientschädigung wies es ab
(Entscheid vom 15. Dezember 2000).

    C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, soweit
die Ausrichtung einer Parteientschädigung verneint worden sei, und
es sei ihr für das kantonale Verfahren eine Parteientschädigung von
400 Franken zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Festsetzung der
Parteientschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    C. und das Bundesamt für Sozialversicherung haben sich nicht vernehmen
lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Das Bundesrecht schreibt den Kantonen in Art. 85 Abs. 2
lit. a AHVG als Regel ein kostenloses Verfahren vor; ausnahmsweise
können in Fällen leichtsinniger oder mutwilliger Beschwerdeführung
die Verfahrenskosten auferlegt werden. Ferner hat der obsiegende
Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und
Vertretung nach gerichtlicher Festsetzung (Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG). Der
Wendung "obsiegender Beschwerdeführer" liegt die gesetzgeberische Absicht
zu Grunde, den Sozialversicherern keinen Anspruch auf Parteientschädigung
einzuräumen (BGE 126 V 150 Erw. 4a; RKUV 1990 Nr. U 98 S. 195; vgl. auch
BGE 127 V 199 Erw. 2d/aa, 108 V 111).

    Der in allen Sozialversicherungszweigen gesetzlich festgeschriebene
Grundsatz der Kostenfreiheit ist ein tragendes Prinzip des
Sozialversicherungsprozesses, das der oft sozial schwachen Partei die
Möglichkeit einräumen will, ihre Rechte oder Ansprüche auf Leistungen der
Sozialversicherung gegen einen öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmenden
Sozialversicherer gerichtlich durchzusetzen. Die Kostenfreiheit würde
weitgehend ihres Gehaltes entleert, wenn die versicherte Person im
Unterliegensfall damit rechnen muss, zwar keine Gerichtskosten, hingegen
eine hohe Parteientschädigung an den obsiegenden Sozialversicherer zu
bezahlen. In BGE 126 V 151 Erw. 4b hat das Eidg. Versicherungsgericht seine
bisherige Rechtsprechung dahin gehend präzisiert, dass eine Ausnahme von
diesem allgemeinen Prozessgrundsatz für sämtliche Sozialversicherungszweige
für Fälle vorzusehen ist, in denen Versicherten mutwillige oder
leichtsinnige Prozessführung vorzuwerfen ist.

    b) Liegt der grundsätzliche Anspruch auf eine Parteientschädigung nach
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG im Streit, prüft das Eidg. Versicherungsgericht
als Frage des Bundesrechts frei, ob eine Partei, die in eigener Sache
auftritt, für ihre eigenen Bemühungen Anspruch auf eine Parteientschädigung
hat (BGE 110 V 134 Erw. 4b; ebenso mit Bezug auf eine Treuhandfirma:
ZAK 1989 S. 253 Erw. 4a und S. 257 Erw. 5c).

Erwägung 4

    4.- a) Unter Berufung auf die in BGE 126 V 151 Erw. 4b präzisierte
Rechtsprechung macht die Ausgleichskasse - wie bereits im vorinstanzlichen
Verfahren - die Zusprechung einer Parteientschädigung geltend. Das
kantonale Gericht hat den Anspruch verneint, da der prozessuale
Aufwand der Sozialversicherungsanstalt derart gering gewesen sei,
dass es sich nicht aufdränge, ihr eine Entschädigung zuzusprechen. In
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bringt die Kasse vor, es sei nicht
nachvollziehbar, warum das kantonale Gericht einen grösseren Aufwand
gehabt haben sollte als die Verwaltung, zumal es der Begründung in der
Vernehmlassung ohne Weiterungen gefolgt sei. Den gesteigerten Aufwand
begründet sie damit, dass sich nebst dem Rechtsdienst auch der zuständige
Sachbearbeiter, die Abteilung Beiträge und die Buchhaltung mit dem Fall
hätten beschäftigen müssen.

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich in BGE 126 V 151 Erw. 4b
nicht dazu geäussert, unter welchen Voraussetzungen der Sozialversicherer
bei mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung der versicherten
Person im kantonalen Verfahren eine Parteientschädigung geltend machen
kann. Es rechtfertigt sich jedoch, von den in BGE 110 V 134 Erw. 4d
gemachten Ausführungen zur Zusprechung einer Parteientschädigung an
eine unverbeiständete Partei auszugehen. Danach ist für persönlichen
Arbeitsaufwand und Umtriebe keine Parteientschädigung zu gewähren, wobei
aber ausnahmsweise von diesem Grundsatz abgewichen werden darf, wenn
besondere Verhältnisse gegeben sind. Eine solche Ausnahmesituation ist
anzunehmen, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ gegeben sind: Es muss
sich um eine komplizierte Sache mit hohem Streitwert handeln. Ferner muss
die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand notwendig machen, der den
Rahmen dessen überschreitet, was der einzelne üblicher- und zumutbarerweise
nebenbei zur Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen
hat; erforderlich ist somit ein Arbeitsaufwand, welcher die normale (z.B.
erwerbliche) Betätigung während einiger Zeit erheblich beeinträchtigt. Und
schliesslich hat zwischen dem betriebenen Aufwand und dem Ergebnis der
Interessenwahrung ein vernünftiges Verhältnis zu bestehen (BGE 110 V
82 Erw. 7 und 135 Erw. 4d; vgl. auch AHI 2000 S. 330 Erw. 5). Ob die
dargelegten Voraussetzungen für die Zusprechung einer Parteientschädigung
kumulativ erfüllt sind, beurteilt sich nach den konkreten Verhältnissen der
Partei, welche eine Entschädigung geltend macht (ZAK 1989 S. 257 Erw. 5c).

    c) Die Ausgleichskassen haben nach Art. 63 AHVG unter anderem die
Beitragspflichtigen zu erfassen, Beiträge zu bestimmen und zu erheben,
Leistungen zu bemessen und zu entrichten und Veranlagungsverfügungen zu
erlassen. Diese Tätigkeit bringt es mit sich, dass sie gegebenenfalls
auch im Rechtsmittelverfahren den Standpunkt der Sozialversicherung
vertreten müssen. Unter diesem Blickwinkel handelt es sich bei der geltend
gemachten Verzugszinsforderung nicht um eine komplexe tatsächliche oder
rechtliche Fragen aufwerfende und daher komplizierte Sache, sodass
sich der erforderliche Arbeitsaufwand, insbesondere die Ausarbeitung
der entsprechend kurz gehaltenen Vernehmlassung vom 30. Oktober 2000
in Grenzen hielt und jedenfalls nicht den Rahmen dessen sprengte,
was normalerweise in einem analogen Fall erforderlich ist. Wohl
hätte sich das Verfahren erübrigt, wenn der Beitragspflichtige der
Verzugszinsverfügung Folge geleistet hätte, nachdem er bereits in der
Zahlungsaufschubsbewilligung auf die Zinspflicht hingewiesen worden
war. Allein dies ist jedoch nicht entscheidend, denn die Prozessführung
gehört zum Risiko einer verfügungsberechtigten Verwaltung. Zudem gilt es,
die mutwillige oder leichtsinnige Beschwerdeführung der Partei, welche
mit einer Kostenauferlegung im Sinne von Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG
sanktioniert werden kann, zu unterscheiden vom Entschädigungsanspruch
gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, welcher sich nach den in Erwägung
4b angeführten Kriterien beurteilt. Demnach kann aus der Höhe der vom
kantonalen Gericht einer Partei auferlegten Kosten nicht geschlossen
werden, die Gegenpartei müsse in etwa im gleichen Umfang entschädigt
werden. Lit. a und lit. f der genannten Bestimmung haben nur insofern
etwas gemeinsam, als bei Kostenfreiheit ein Entschädigungsanspruch zum
Vornherein entfällt, während ein solcher bei Kostenpflicht unter gewissen
Voraussetzungen gegeben sein kann (vgl. BGE 126 V 151 Erw. 4c).

    Da die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zusprechung einer
Entschädigung für Arbeitsaufwand und Umtriebe nicht gegeben sind,
hat das kantonale Gericht der Kasse richtigerweise keinen Anspruch auf
entsprechenden Ersatz zuerkannt.