Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 I 202



127 I 202

22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
29. Mai 2001 i.S. X. gegen Bezirksgericht Zürich und Obergericht des
Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

    Art. 29 Abs. 3 BV, § 10 Abs. 5 StPO/ZH; Anspruch der geschädigten
Person auf unentgeltlichen Rechtsbeistand im Strafverfahren; Erfordernis
der Bedürftigkeit; Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse der
Eltern der geschädigten Person.

    Die in Art. 277 Abs. 2 ZGB vorgesehene Unterhaltspflicht der Eltern
gegenüber dem mündigen Kind umfasst grundsätzlich auch die Prozesskosten
(E. 3f).

    Keine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV und § 10 Abs. 5 StPO/ZH, wenn
bei der Beurteilung der Frage, ob ein mündiges, sich noch in Ausbildung
befindendes Kind bedürftig sei, auch die finanziellen Verhältnisse seiner
Eltern berücksichtigt werden (E. 3g).

Sachverhalt

    Am 14. Juni 2000 kam es zwischen X. und ihrem ehemaligen Freund
A. zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung. Wegen dieses Vorfalls
wandte sich X. am gleichen Tag an die Polizei und stellte gegen
A. Strafantrag wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung. Die
Bezirksanwaltschaft Zürich eröffnete am 21. Juli 2000 gegen A. eine
Strafuntersuchung. X. stellte mit Eingabe vom 27. Juli 2000 beim
Präsidenten des Bezirksgerichts Zürich das Gesuch, es sei ihr für die
Strafuntersuchung eine unentgeltliche Rechtsvertreterin beizuordnen. Zur
Begründung führte sie im Wesentlichen aus, als Geschädigte sei sie auf
den Beistand eines Anwalts angewiesen, um ihre Zivilansprüche geltend zu
machen und ihre prozessualen Rechte zu wahren. Aufgrund ihrer persönlichen
Verflechtung mit dem Angeschuldigten sei sie nicht in der Lage, ihre
Interessen allein zu vertreten. Zudem verfüge sie als Studentin weder
über ein namhaftes Einkommen noch über Vermögen und könne somit einen
Anwalt nicht mit eigenen Mitteln bezahlen. Der stellvertretende Präsident
des Bezirksgerichts Zürich wies mit Verfügung vom 22. September 2000 das
Gesuch von X. um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ab. Die
Gesuchstellerin erhob Rekurs, den das Obergericht des Kantons Zürich mit
Beschluss vom 10. November 2000 abwies.

    Das Bundesgericht weist die von X. gegen den Entscheid des Obergerichts
eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss § 10 Abs. 5 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich
(StPO/ZH) wird dem Geschädigten auf sein Verlangen vom Präsidenten des
Bezirksgerichts ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben, wenn es "die
Interessen und die persönlichen Verhältnisse des Geschädigten erfordern".
Was die persönlichen bzw. finanziellen Verhältnisse des Geschädigten
angeht, so hat dieser nach der

Rechtsprechung der zürcherischen Gerichte nur dann Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihm der Beizug eines Vertreters auf
eigene Kosten unzumutbar wäre. Im Unterschied zum zivilprozessualen
Armenrecht sei, wie gesagt wird, die Zumutbarkeit nicht erst dann zu
verneinen, wenn sich der Geschädigte eine sachgerechte Vertretung durch
einen Anwalt "überhaupt nicht leisten könnte"; die Grenze sei dort
zu ziehen, wo der Beizug eines Anwalts eine "wesentliche und spürbare
Einbusse in der üblichen Lebenshaltung zur Folge hätte" (ZR 94/1995 Nr. 2
E. 1c S. 5, bestätigt in ZR 99/2000 Nr. 35 E. 2c S. 99).

    Im vorliegenden Fall vertrat der erstinstanzliche Richter die Ansicht,
die Beschwerdeführerin - eine 26-jährige ETH-Studentin in Erstausbildung
- verfüge selber nicht über genügend Einkommen und Vermögen, um die
Kosten für einen Rechtsbeistand zu finanzieren. Es sei jedoch auch
darauf abzustellen, ob den Eltern der Beschwerdeführerin, die nach
deren Darstellung für den Lebensunterhalt ihrer Tochter aufkämen,
die Vorfinanzierung eines Rechtsbeistandes zumutbar sei. Zum Unterhalt
gehöre die Leistung von Vorschüssen zur Führung von Prozessen, sofern
diese zur Wahrung der Rechte des Kindes notwendig und nicht aussichtslos
seien. Die familienrechtliche Unterhaltspflicht gehe dem Anspruch gegen das
Gemeinwesen auf unentgeltliche Rechtspflege vor. Die konkreten Verhältnisse
der Eltern der Beschwerdeführerin seien aber weder dargelegt noch belegt
worden. Die Beschwerdeführerin habe daher nicht glaubhaft gemacht, dass
ihre unterhaltspflichtigen Eltern wegen der Kosten für einen Rechtsbeistand
eine wesentliche und spürbare Einbusse in ihrer gewöhnlichen Lebenshaltung
erleiden würden.

    Das Obergericht erachtete diese Erwägungen des erstinstanzlichen
Richters als zutreffend. Es betonte, die Beschwerdeführerin habe weder
im Verfahren vor der ersten Instanz noch im Rekursverfahren dargetan
und belegt, dass eine finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern nicht
zumutbar wäre. Der Rekurs sei deshalb abzuweisen. Es könne unter diesen
Umständen offen bleiben, ob der Beizug eines Rechtsbeistandes als geboten
erscheine.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin macht vor allem geltend, das Obergericht
habe mit dem angefochtenen Entscheid den in Art. 29 Abs. 3 BV
gewährleisteten Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand verletzt.

    a) Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht

geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar
aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV; unter der Geltung der früheren
Bundesverfassung wurde er aus Art. 4 aBV abgeleitet. Die Auslegung
und Anwendung der kantonalen Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung prüft das Bundesgericht
nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots. Ob der durch die
Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt wurde, untersucht es in
rechtlicher Hinsicht frei; soweit es um tatsächliche Feststellungen der
kantonalen Instanz geht, ist seine Prüfungsbefugnis auf Willkür beschränkt
(BGE 124 I 304 E. 2c S. 306 f.; 119 Ia 11 E. 3a S. 12, je mit Hinweisen).

    b) Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege,
wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint; soweit es zur
Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf
unentgeltlichen Rechtsbeistand. Entsprechend der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zu Art. 4 aBV hat der Geschädigte in einem Strafverfahren
auch aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV nur dann Anspruch auf unentgeltliche
Rechtsverbeiständung, wenn er bedürftig ist (BGE 123 I 145 E. 2b/bb S. 147;
Urteil vom 13. März 2000 i.S. B., E. 2c, publiziert in: Pra 89/2000 Nr.
151 S. 908). Eine Person ist bedürftig, wenn sie nicht in der Lage ist, für
die Prozesskosten aufzukommen, ohne dass sie Mittel beanspruchen müsste,
die zur Deckung des Grundbedarfs für sie und ihre Familie notwendig sind
(BGE 124 I 1 E. 2a S. 2; 120 Ia 179 E. 3a S. 181, je mit Hinweisen).

    Dass die zürcherischen Gerichte bei der Anwendung der Vorschrift
von § 10 Abs. 5 StPO/ZH die Bedürftigkeit weniger eng umschreiben
(vgl. E. 2), ist hier ohne Belang. Abgesehen davon, dass keine willkürliche
Anwendung des kantonalen Rechts gerügt wird, ist unbestritten, dass die
Beschwerdeführerin selber bedürftig im Sinne von § 10 Abs. 5 StPO/ZH
und auch von Art. 29 Abs. 3 BV ist. Streitig ist im vorliegenden Fall,
ob bei der Beurteilung der Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin die
finanziellen Verhältnisse der Eltern herangezogen werden dürfen. Diese
Frage ist zu bejahen, sofern die Eltern der Beschwerdeführerin aufgrund
ihrer familienrechtlichen Unterhaltspflicht für die Prozess- bzw.
Anwaltskosten ihrer Tochter aufkommen müssen, denn die familienrechtliche
Unterstützungspflicht geht, wie die kantonalen Instanzen mit Recht
ausführten, der staatlichen Pflicht zur Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege vor (BGE 119 Ia 11 E. 3a S. 12, 134 E. 4 S. 135).

Die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des ZGB prüft das
Bundesgericht im Rahmen der Rüge der Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV
frei. Hält der angefochtene Entscheid einer freien Prüfung stand, so ist er
auch unter dem Gesichtspunkt von § 10 Abs. 5 StPO/ZH nicht zu beanstanden.

    c) Gemäss Art. 276 Abs. 1 ZGB haben die Eltern für den Unterhalt des
Kindes aufzukommen, inbegriffen die Kosten von Erziehung, Ausbildung
und Kindesschutzmassnahmen. Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert
bis zur Mündigkeit des Kindes (Art. 277 Abs. 1 ZGB). "Befindet es sich
dann noch in Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den
gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt weiterhin
aufzukommen, bis diese Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen
werden kann" (Art. 277 Abs. 2 in der bis Ende 1995 geltenden Fassung,
im Folgenden: Art. 277 Abs. 2 aZGB).

    Diese Vorschrift wurde mit der am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen
Herabsetzung des Mündigkeitsalters von 20 auf 18 Jahre (Art. 14 ZGB)
geändert. Art. 277 Abs. 2 ZGB lautet in der seit 1. Januar 1996 geltenden
Fassung wie folgt: "Hat es" (das Kind) "dann noch keine angemessene
Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten
Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis
eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann".

    d) Nach Rechtsprechung und Lehre gehört zur Unterhaltspflicht der
Eltern gegenüber minderjährigen Kindern auch der Rechtsschutz. Die
Eltern sind gehalten, für die Prozesskosten eines minderjährigen
Kindes aufzukommen (BGE 119 Ia 134 E. 4 S. 135; 103 Ia 99 E. 4 S. 101;
67 I 65 E. 2 S. 69 f.; HEGNAUER, Berner Kommentar zum ZGB, Bd. II,
Familienrecht, 1997, N. 39 zu Art. 276 ZGB; derselbe, Grundriss des
Kindesrechts, 4. Aufl. 1994, S. 136 Rz. 20.21; BREITSCHMID, Kommentar
zum Schweizerischen Privatrecht, Basel 1996, N. 22 zu Art. 276 ZGB;
ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985,
S. 166; POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire,
Bern 1992, S. 121; ZEN-RUFFINEN, Assistance judiciaire et administrative:
les règles minima imposées par l'art. 4 de la Constitution fédérale, in:
JdT 1989 I S. 42). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein minderjähriges
Kind bedürftig sei, dürfen deshalb auch die finanziellen Verhältnisse
der Eltern berücksichtigt werden (BGE 119 Ia 134 E. 4 u. 5 S. 135 f.;
108 Ia 9 E. 3 S. 10; 67 I 65 E. 2 u. 3 S. 69 ff.; HAEFLIGER, aaO, S. 166).

    e) Was die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber mündigen Kindern
angeht, so hat das Bundesgericht in seiner im Urteil BGE 118 II 97 E. 4a
S. 98 f. zusammengefassten Rechtsprechung zu Art. 277 Abs. 2 aZGB stets
auf den Ausnahmecharakter dieser Unterhaltspflicht hingewiesen: Unterhalt
sei nur geschuldet, wenn sich der Jugendliche noch in Ausbildung befinde
und diese beruflichen Charakter habe. Zweitausbildung, Weiterbildung und
Zusatzausbildung würden grundsätzlich nicht darunter fallen, wohl aber
eine erste eigentliche Berufsausbildung, und zwar auch dann, wenn diese
erst begonnen werde, nachdem der Jugendliche bereits erwerbstätig gewesen
sei. Die Ausbildung müsse einem zumindest in seinen Grundzügen bereits
vor der Mündigkeit angelegten Lebensplan entsprechen. Ferner folge aus dem
Ausnahmecharakter, dass die Unterhaltsleistungen im Lichte der persönlichen
Beziehungen zwischen dem Kind und dem pflichtigen Elternteil sowie der
Leistungskraft des Pflichtigen als zumutbar erscheinen müssten. Sodann
hat das Bundesgericht im erwähnten Urteil BGE 118 II 97 E. 4b/aa S. 99
f. entschieden, einem Elternteil könnten Unterhaltsleistungen an ein
mündiges Kind, das sich noch in Ausbildung befinde, grundsätzlich nur
zugemutet werden, wenn ihm nach Ausrichtung der Unterhaltsleistungen noch
ein Einkommen verbleibe, das den (erweiterten) Notbedarf um ungefähr 20%
übersteige.

    aa) Ob die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber mündigen Kindern
gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB (in der alten oder neuen Fassung) auch
die Prozesskosten umfasst, ist in der Literatur umstritten. HEGNAUER
erklärt ohne nähere Begründung, für die Prozesskosten des mündigen
Kindes hätten die Eltern nicht aufzukommen (Berner Kommentar, aaO, N.
99 zu Art. 277 ZGB). VINCENT HENRIOD stimmt dieser Meinung dem Grundsatz
nach zu. Er weist darauf hin, es dürfe nicht ausser Acht gelassen werden,
dass die Unterhaltsbeiträge den Zweck hätten, die Ausbildung des Kindes zu
finanzieren. Die Eltern müssten höchstens für die Kosten eines im Hinblick
auf die Erlangung einer Ausbildung notwendigen Prozesses aufkommen,
z.B. wenn gegen das Nichtbestehen eines Examens ein Rechtsmittel eingelegt
werde (HENRIOD, L'obligation d'entretien à l'égard des enfants majeurs,
Diss. Lausanne 1999, S. 157).

    Demgegenüber sind POUDRET (aaO, S. 121) und ZEN-RUFFINEN (aaO, S. 42)
der Ansicht, die in Art. 277 Abs. 2 aZGB vorgesehene Unterhaltspflicht
gegenüber dem mündigen Kind umfasse grundsätzlich auch die Prozesskosten.

    bb) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich ebenfalls in
diesem Sinne geäussert. Es führte in einem Urteil vom 18. April 1994
(publiziert in Sozialversicherungsrecht: Rechtsprechung [SVR] 1994 IV Nr. 9
S. 19 f.) aus, was für die Prozesskosten des minderjährigen Kindes gelte,
sei nach Art. 277 Abs. 2 aZGB "grundsätzlich analog auf mündige Kinder
anwendbar". Wohl könnten sich Ausnahmen von dieser Unterhaltspflicht
ergeben, wenn es den Eltern angesichts der gesamten Umstände nicht
mehr zugemutet werden könne, weiterhin Zahlungen zu leisten. Dies
könne namentlich zutreffen, wenn das Verhältnis zwischen ihnen und dem
mündigen Kind stark gestört sei, die gegenwärtige wirtschaftliche Lage
der Eltern keine Beiträge mehr erlaube oder das Kind seinem Studium nicht
pflichtbewusst obliege. Das Versicherungsgericht wies sodann darauf
hin, je älter das Kind werde, desto strenger sei die Zumutbarkeit zu
beurteilen. Ferner hielt es fest, die unentgeltliche Verbeiständung könne
unter Umständen gewährt werden, wenn die Eltern sich weigern würden, die
Prozesskosten zu übernehmen, da es dem Kind nicht zuzumuten sei, vorgängig
gegen die Eltern den Rechtsweg zu beschreiten (E. 6b des erwähnten Urteils,
SVR 1994 IV Nr. 9 S. 19 f.).

    f) An diesen überzeugenden Erwägungen des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts ist auch unter der Geltung der neuen Fassung
von Art. 277 Abs. 2 ZGB festzuhalten. Dass mit der Herabsetzung
des Mündigkeitsalters von 20 auf 18 Jahre der Ausnahmecharakter des
Mündigenunterhalts abgeschwächt bzw. relativiert wurde (vgl. Urteil des
Bundesgerichts vom 2. November 1998 i.S. C., E. 3; HEINZ HAUSHEER/ANNETTE
SPYCHER, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, S. 338 Rz. 06.60;
ROLANDO FORNI, Die Unterhaltspflicht der Eltern nach der Mündigkeit des
Kindes in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: ZBJV 132/1996
S. 433), ändert daran nichts. Sowohl nach der früheren wie nach der
heute geltenden Fassung von Art. 277 Abs. 2 ZGB haben die Eltern für
den Unterhalt des mündigen Kindes nur aufzukommen, soweit es ihnen
"nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf". Dabei kommt, wie
bisher, den persönlichen Beziehungen zwischen dem Kind und den Eltern
und deren wirtschaftlichen Verhältnissen eine entscheidende Bedeutung zu
(vgl. Botschaft des Bundesrates vom 17. Februar 1993 über die Änderung
des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Herabsetzung des zivilrechtlichen
Mündigkeits- und Ehefähigkeitsalters, Unterhaltspflicht der Eltern], BBl
1993 I 1183). Sind die in Art. 277 Abs. 2 ZGB genannten Voraussetzungen
für die Unterhaltspflicht

gegenüber dem mündigen Kind erfüllt, so ist nicht ersichtlich, weshalb zum
Unterhalt grundsätzlich nicht auch die Prozesskosten gehören sollen. In
diesem Sinne führte das Obergericht im angefochtenen Entscheid aus, es
sei zu berücksichtigen, dass es beim Mündigenunterhalt nicht allein um
Ausbildungskosten gehen könne, wenn die Ausbildung - wie das bei einem
Hochschulstudium in der Regel der Fall sei - eigenen Arbeitserwerb
praktisch ausschliesse. Vielmehr gehörten in einem solchen Fall
zum Unterhalt grundsätzlich die gleichen Auslagen wie vor Erreichen
der Mündigkeit des Kindes. Das Gesetz spreche vom "weiterhin" zu
gewährenden Unterhalt (Art. 277 Abs. 2 aZGB). Es sei denn auch nicht
einzusehen, weshalb die elterliche Unterstützung Gesundheitskosten und
Krankenkassenprämien umfassen solle, nicht aber - immer im Rahmen des
Zumutbaren - die Auslagen einer (notwendigen) Rechtsvertretung, die im
Zusammenhang mit einer durch eine Straftat erlittenen Körperverletzung
stehe.

    aa) Die Beschwerdeführerin wendet ein, ein solcher Analogieschluss
bei der Bemessung der Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber mündigen und
unmündigen sich in Ausbildung befindenden Kindern verletze den in Art. 8
Abs. 1 BV enthaltenen Grundsatz der Rechtsgleichheit, wonach Gleiches
nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner
Ungleichheit ungleich zu behandeln sei.

    Der Vorwurf ist unzutreffend. Die rechtsanwendende Behörde verletzt
die Rechtsgleichheit, wenn sie zwei tatsächlich gleiche Situationen
ohne sachlichen Grund unterschiedlich und zwei tatsächlich verschiedene
Situationen ohne sachlichen Grund gleich behandelt. Dabei ist entscheidend,
dass die zu behandelnden Sachverhalte in Bezug auf die relevanten
Tatsachen gleich bzw. ungleich sind (BGE 125 I 166 E. 2a S. 168 mit
Hinweisen). Wenn die in Art. 277 Abs. 2 ZGB genannten Voraussetzungen für
die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem mündigen Kind gegeben sind,
so liegt darin, dass der Unterhalt - ebenso wie beim unmündigen Kind -
auch die Prozesskosten umfasst, kein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit,
denn der Grund, weshalb die Eltern für die Prozesskosten aufkommen müssen,
besteht sowohl beim unmündigen wie beim mündigen Kind darin, dass es noch
keinen eigenen Arbeitserwerb hat; hinsichtlich der relevanten Tatsache
besteht somit Gleichheit und nicht Ungleichheit.

    bb) Sodann ist die Beschwerdeführerin zu Unrecht der Meinung, die
Eltern müssten höchstens die Kosten für Prozesse übernehmen,

die eng mit der Ermöglichung einer Erstausbildung zusammenhängen
würden, nicht aber die Kosten für Verfahren, die unabhängig von einer
Ausbildungssituation entstanden seien. Der Begriff der Prozesskosten kann
nicht so eng interpretiert werden, dass darunter nur Kosten für Prozesse
fallen dürften, welche eng mit der Ermöglichung einer Erstausbildung
zusammenhängen, sondern es sind darunter die Kosten für alle, den
Rechtsschutz des Kindes betreffenden Prozesse zu verstehen.

    cc) Die Argumentation des Obergerichts, es sei nicht einzusehen,
weshalb die elterliche Unterstützung des mündigen Kindes Gesundheitskosten
und Krankenkassenprämien umfassen solle, nicht aber die Auslagen einer
notwendigen Rechtsvertretung, die im Zusammenhang mit einer durch eine
Straftat erlittenen Körperverletzung stehe, lässt sich entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht beanstanden.

    dd) Auch was die Beschwerdeführerin sonst noch gegen die oben (E. 3f)
angeführten Überlegungen des Obergerichts vorbringt, ist nicht stichhaltig.

    Nach dem Gesagten hat das Obergericht die Vorschrift von Art. 277
Abs. 2 ZGB nicht unrichtig ausgelegt, wenn es annahm, die Unterhaltspflicht
der Eltern gegenüber mündigen Kindern umfasse grundsätzlich auch die
Prozesskosten.

    g) Verhält es sich so, dann gingen die kantonalen Instanzen im
vorliegenden Fall mit Recht davon aus, bei der Beurteilung der Frage,
ob die Beschwerdeführerin bedürftig sei, seien auch die finanziellen
Verhältnisse der Eltern zu berücksichtigen. Den Akten ist zu entnehmen,
dass der erstinstanzliche Richter die Beschwerdeführerin aufforderte,
innert einer bestimmten Frist die finanziellen Verhältnisse der Eltern
(Einkommen, Vermögen, Bedarf) darzulegen und zu belegen (Steuererklärung,
Bankauszüge, Lohnabrechnung, Bedarfsaufstellung). Die Beschwerdeführerin
hat die finanziellen Verhältnisse ihrer Eltern innert zwei Mal erstreckter
Frist weder dargelegt noch belegt. Sie erklärte, die Wahrung der Interessen
in einem Strafprozess gehöre zu den höchstpersönlichen Rechten. Es sei
ihr als einer 26-jährigen Frau nicht zuzumuten, ihre Eltern um finanzielle
Hilfe für den Beizug einer Rechtsvertreterin anzufragen. Diesen Standpunkt
vertrat sie auch im Rekursverfahren vor Obergericht, in welchem sie
ebenfalls keine Angaben über die finanziellen Verhältnisse ihrer Eltern
machte.

    Wie erwähnt, setzt die Unterhaltspflicht gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB
voraus, dass sie den Eltern zumutbar ist. Die Zumutbarkeit ist

aufgrund aller im Einzelfall erheblichen Umstände zu beurteilen (HEGNAUER,
Berner Kommentar, aaO, N. 89 zu Art. 277 ZGB). Die Beschwerdeführerin
war unter dem Gesichtswinkel dieser Vorschrift verpflichtet, Angaben
über die finanziellen Verhältnisse ihrer Eltern zu machen, damit die
kantonalen Instanzen abklären konnten, ob den Eltern die Finanzierung der
Prozess- bzw. Anwaltskosten der Beschwerdeführerin zumutbar sei. Nachdem
sie dieser Pflicht weder im Verfahren vor der ersten Instanz noch im
Rekursverfahren vor Obergericht nachgekommen war, hielt dieses mit Recht
fest, die Beschwerdeführerin habe nicht dargetan und belegt, dass eine
finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern nicht zumutbar wäre.

    Das Obergericht verletzte demnach Art. 29 Abs. 3 BV nicht, wenn es den
Rekurs der Beschwerdeführerin gegen die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtsverbeiständung abwies. Bei dieser Rechtslage ist der angefochtene
Entscheid auch unter dem Gesichtspunkt von § 10 Abs. 5 StPO/ZH nicht
zu beanstanden.