Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 I 1



127 I 1

1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 2000
i.S. Martin Stoll gegen Statthalteramt des Bezirkes Zürich und Obergericht
des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (Art. 4 aBV, Art. 8 und 9 BV);
strafprozessuales Legalitätsprinzip.

    Offen gelassen, ob eine allfällige Praxis der Bundesanwaltschaft,
ein Ermittlungsverfahren wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen (Art. 293 StGB) nur bei Vorliegen einer schriftlichen
Strafanzeige der betroffenen Bundesstelle einzuleiten, gegen das
strafprozessuale Legalitätsprinzip verstosse. Anspruch auf Gleichbehandlung
im Unrecht im konkreten Fall verneint (E. 3).

Sachverhalt

    A.- In der "SonntagsZeitung" vom 26. Januar 1997 erschienen
unter den Überschriften "Botschafter Jagmetti beleidigt die Juden"
und "Mit Bademantel und Bergschuhen in den Fettnapf" zwei von Martin
Stoll signierte Artikel. Darin werden mehrere Passagen aus einem laut
den Artikeln "vertraulichen" Strategiepapier des damaligen Schweizer
Botschafters in den USA, Carlo Jagmetti, wiedergegeben.

    Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten
erstattete im Auftrag des Bundesrates Strafanzeige gegen Unbekannt wegen
Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB). Die Bundesanwaltschaft
stellte dieses Verfahren mit Verfügung vom 6. März 1998 ein. Gleichzeitig
übertrug sie die Strafverfolgung wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen (Art. 293 StGB) dem Kanton Zürich.

    B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich verurteilte
Martin Stoll am 22. Januar 1999 wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen (Art. 293 StGB) zu einer Busse von 800 Franken.

    Am 25. Mai 2000 wies das Obergericht des Kantons Zürich die vom
Gebüssten erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf
eintrat.

    C.- Martin Stoll ficht den Entscheid des Obergerichts mit
eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde und mit staatsrechtlicher Beschwerde
an. Mit der Letzteren beantragt er dessen Aufhebung.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer erhebt den Anspruch auf eine Gleichbehandlung
im Unrecht und rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung des
Legalitätsprinzips.

    a) Der "Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht" wird nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausnahmsweise anerkannt, nämlich wenn
eine ständige gesetzwidrige Praxis einer rechtsanwendenden Behörde vorliegt
und die Behörde zu erkennen gibt, dass sie auch in Zukunft nicht von dieser
Praxis abzuweichen gedenke (BGE 122 II 446 E. 4a, mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer meint, diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Zur
Begründung verweist er auf einen Aufsatz eines Adjunkten des Bundesanwalts
(HANSJÖRG STADLER, Indiskretionen im Bund, in: ZBJV 136/2000 S. 112 ff.,
124). Darin wird unter anderem ausgeführt, obschon der Tatbestand der
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen ein Offizialdelikt
sei, habe sich bei der Bundesanwaltschaft in den letzten Jahren die
Praxis herausgebildet, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Art. 293 StGB
(und Art. 320 StGB) nur dann eingeleitet werde, wenn eine schriftliche
Strafanzeige der betroffenen Bundesstelle vorliege. Denn diese wisse am
besten, ob die veröffentlichten Informationen des Bundes geheim seien oder
nicht. Dieses Vorgehen der Bundesanwaltschaft sei unter dem Gesichtspunkt
des strafrechtlichen Legalitätsprinzips nicht unbedenklich. Es lasse sich
jedoch insofern relativieren, als Art. 293 Abs. 3 StGB ein Umgangnehmen von
Bestrafung durch den Richter in geringfügigen Fällen vorsehe. Selbst bei
Vorliegen einer Strafanzeige prüfe die Bundesanwaltschaft die Bedeutung
des veröffentlichten Geheimnisses, bevor sie ein gerichtspolizeiliches
Ermittlungsverfahren gegen den involvierten Journalisten wegen
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen einleite, dies
in Berücksichtigung von Art. 10 EMRK betreffend das Recht auf freie
Meinungsäusserung (aaO, S. 124).

    Der Beschwerdeführer macht geltend, die Praxis der Bundesanwaltschaft,
ein Ermittlungsverfahren wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen nur dann einzuleiten, wenn eine schriftliche Strafanzeige
der betroffenen Bundesstelle vorliege, sei gesetzwidrig. Aus den
Äusserungen des Adjunkten des Bundesanwalts im zitierten Aufsatz gehe zudem
hervor, dass von dieser Praxis in Zukunft nicht abgewichen werde. Hinzu
komme im vorliegenden Fall, dass Passagen aus dem Strategiepapier des
Botschafters nicht nur von ihm, sondern auch von anderen Journalisten in
Zeitungsartikeln wiedergegeben worden seien. So sei in der Ausgabe der
"SonntagsZeitung" vom 26. Januar 1997, in welcher die von ihm verfassten
Artikel enthalten seien, auch ein Beitrag des damaligen Chefredaktors
der Zeitung erschienen, worin ebenfalls aus dem Strategiepapier zitiert
werde, um den Vorwurf der verfehlten Tonalität zu begründen. Zudem sei in
der Ausgabe des "Tages-Anzeigers" vom 27. Januar 1997 ein grosser Teil
des dieser Zeitung offenbar ebenfalls zugespielten Strategiepapiers im
Wortlaut wiedergegeben worden. Schliesslich habe auch der "SonntagsBlick"
in seiner Ausgabe vom 26. Januar 1997, wenn auch in knapper Form,
aus dem Strategiepapier publiziert, wobei in diesem Artikel weniger
auf die "Tonalität" als vielmehr auf den Inhalt Bezug genommen worden
sei. Gegen alle diese Journalisten habe die Bundesanwaltschaft jedoch
kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses einseitige Vorgehen
verstosse gegen das Gebot der rechtsgleichen Behandlung. Der bei
Antragsdelikten in Art. 30 StGB ausdrücklich geregelte Grundsatz der
Unteilbarkeit gelte auf Grund des Gebots der rechtsgleichen Behandlung
beziehungsweise des Willkürverbots erst recht bei Offizialdelikten. Die
Strafverfolgungsbehörden hätten ihn, den Beschwerdeführer, willkürlich aus
einer Gruppe von bekannten Tätern am gleichen Objekt herausgegriffen. Seine
Bestrafung sei daher willkürlich, rechtsungleich und verstosse gegen
das Legalitätsprinzip.

    b) Es muss hier nicht geprüft werden, aus welchen Gründen im
Einzelnen die Bundesanwaltschaft nicht auch gegen die vom Beschwerdeführer
genannten Journalisten wegen der von diesen verfassten Zeitungsartikel
ein Ermittlungsverfahren wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen einleitete und ob diese Gründe für einen Verzicht
ausreichten. Selbst wenn man Letzteres verneinen wollte, könnte der
Beschwerdeführer daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten.

    Die Voraussetzungen, unter denen nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung ausnahmsweise ein Anspruch auf Gleichbehandlung im
Unrecht besteht, sind nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen
Entscheid und im erstinstanzlichen Urteil nicht erfüllt. Das Vorgehen der
Bundesanwaltschaft in der hier gegebenen Konstellation begründet für sich
allein noch keine "ständige" (allenfalls gesetzwidrige) Praxis, weder in
dem Sinne, dass Journalisten ohne sachliche Gründe in der Regel nicht,
sondern nur ganz ausnahmsweise wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen zur Rechenschaft gezogen werden, noch in dem Sinne, dass
im Falle der Veröffentlichung von Passagen aus demselben vertraulichen
Papier durch mehrere Journalisten in verschiedenen Zeitungsartikeln
stets nur derjenige Journalist strafrechtlich verfolgt werde, dessen
Verhalten der Bundesanwaltschaft aus irgendwelchen Gründen - etwa wegen der
Aufmachung des Artikels oder wegen der Auswahl der zitierten Passagen - als
vergleichsweise am verwerflichsten erscheint. Zudem ist nicht ersichtlich,
dass eine (allenfalls gesetzwidrige) Praxis im einen oder anderen Sinne
auch in Zukunft gehandhabt werde.

    c) Der Beschwerdeführer kann schliesslich auch aus der seines Erachtens
gesetzwidrigen Praxis der Bundesanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren nur
bei Vorliegen einer schriftlichen Strafanzeige der betroffenen Bundesstelle
einzuleiten, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Der Beschwerdeführer hätte
allenfalls dann Anlass, sich über eine Ungleichbehandlung zu beschweren,
wenn in seinem Fall keine schriftliche Strafanzeige der betroffenen
Bundesstelle vorgelegen hätte und trotzdem, abweichend von der Praxis,
ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wäre.

    Selbst bei Vorliegen einer Strafanzeige prüft die Bundesanwaltschaft
die Bedeutung des veröffentlichten Geheimnisses, bevor sie ein
gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren einleitet (HANSJÖRG
STADLER, aaO, S. 124). Damit, wie auch schon durch das Erfordernis
einer schriftlichen Strafanzeige der betroffenen Bundesstelle, gilt
faktisch ein Opportunitätsprinzip. Ob dieses - allenfalls nun in
Art. 293 Abs. 3 StGB - eine hinreichende Grundlage habe, ist hier nicht
zu prüfen. Der Beschwerdeführer ist zur Rüge, diese Praxis verstosse
gegen das Legalitätsprinzip, nicht befugt, da er durch die Anwendung
des Opportunitätsprinzips in andern Fällen nicht beschwert ist. Er ist
insoweit einzig zur Rüge der rechtsungleichen Behandlung legitimiert. Dass
aber eine ständige Praxis bestehe und in der Zukunft fortgeführt werde,
Verhaltensweisen, die seinem Fall nach Art und Schwere vergleichbar sind,
nicht zu verfolgen, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht
ersichtlich. Die im mehrfach zitierten Aufsatz dargestellten Fälle aus
der Praxis (aaO, S. 116 ff.) sprechen deutlich gegen eine solche Annahme.