Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 IV 59



127 IV 59

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. März
2001 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB; leichter Fall einer
Körperverletzung.

    Für die Beantwortung der Frage, ob ein leichter Fall einer
Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB vorliegt,
ist auf die gesamten Umstände der Tat, nicht bloss auf die objektiven
Verletzungsfolgen abzustellen (E. 2a/bb).

Sachverhalt

    Am 28. November 1998 griff A. im Anschluss an eine verbale
Auseinandersetzung B. tätlich an, warf ihn zu Boden und trat ihn mit den
Füssen mehrfach in den Oberkörper. Gleichzeitig griff sein Kollege C. den
D. an und brachte diesen zu Fall. B. zog sich bei dieser Auseinandersetzung
Schwellungen und Rötungen hinter dem linken Ohr und im Bereich der linken
Augenbraue sowie eine Druckschmerzhaftigkeit am unteren linken Rippenbogen
zu. D. verstauchte sich das Fussgelenk.

    Auf Grund dieses und weiterer Sachverhalte sprach die
Bezirksgerichtliche Kommission Frauenfeld A. mit Urteil vom 15. September
1999 unter anderem der Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu
einer Gefängnisstrafe von fünf Monaten unbedingt sowie zu einer bedingt
vollziehbaren Landesverweisung von drei Jahren. Auf Berufung von A. hin
bestätigte das Obergericht des Kantons Thurgau am 9. März 2000 das Urteil,
gewährte aber den bedingten Vollzug für die Gefängnisstrafe bei einer
Probezeit von fünf Jahren.

    Gegen diesen Entscheid führt A. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde,
mit der er beantragt, das vorinstanzliche Urteil sei in Bezug auf die
unterlassene Anwendung von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB aufzuheben. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) bb) In der Lehre wird die Frage kontrovers beantwortet, ob für
die Abgrenzung zwischen Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 2 StGB allein
auf die objektiven Verletzungsfolgen oder auf die gesamten Umstände der
Tat abzustellen ist (vgl. REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7. Aufl., Zürich
1997, S. 30; NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil, Zürich 1983,
S. 42). Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid BGE 119 IV 25 diese
Frage noch offen gelassen. Im nicht publizierten Entscheid vom 20. Dezember
1999 i.S. L.M. hat der Kassationshof die Frage jedoch im Sinne der zweiten
Variante entschieden: Danach sind für diese Abgrenzung sämtliche objektiven
und subjektiven Umstände der Tat zu berücksichtigen. Der Kassationshof
liess sich dabei von folgenden Überlegungen leiten:

    Der Begriff des "leichten Falles" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff,
welcher der richterlichen Auslegung bedarf. Die Abgrenzung des leichten
Falles vom Grunddelikt allein nach objektiven Kriterien dürfte schwierig
sein und wäre mit den Grundstrukturen des Strafrechts nicht vereinbar:
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB sieht als Strafzumessungsregel Strafmilderung
nach freiem Ermessen gemäss Art. 66 StGB vor. Würde die Abgrenzung des
leichten Falles allein unter objektivem Gesichtspunkt vorgenommen, würde
die für die Strafzumessung gerade wesentliche subjektive Komponente
ausgeklammert. Deshalb wird auch in Bezug auf andere Tatbestände,
welche Strafmilderung für leichte Fälle vorsehen, auf die Gesamtheit
der objektiven und der subjektiven Umstände abgestellt (Art. 251
Ziff. 2 StGB, vgl. dazu BGE 114 IV 126 E. 2c; Art. 19a Ziff. 2 BetmG
[SR 812.121], vgl. dazu BGE 106 IV 75 E. 2a-c; Art. 21 Abs. 1 ANAG [SR
142.20], vgl. dazu BGE 112 IV 121 E. 2; vgl. auch Art. 225 Abs. 2 StGB,
dazu TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl.,
Zürich 1997, Art. 225 N. 5, mit Hinweisen).

    Die Vorinstanz hat für den Kassationshof verbindlich festgestellt
(Art. 277bis Abs. 1 BStP [SR 312.0]), dass der Beschwerdeführer
den Geschädigten im Anschluss an eine verbale Auseinandersetzung
überraschend gepackt, zu Boden geworfen und ihm dann mehrere Fusstritte
in den Oberkörper versetzt hat. Im Laufe der Auseinandersetzung zog
sich der Geschädigte zwei je ca. 2 x 5 cm grosse Schwellungen und
Rötungen im Bereich der linken Augenbraue und des linken Ohrs und
eine Druckschmerzhaftigkeit am unteren linken Rippenbogen zu. Diese
objektiven Verletzungsfolgen sind nicht sehr erheblich und überschreiten
die Grenze zwischen Tätlichkeit und Körperverletzung - wenn überhaupt -
nur knapp. Auch nach dem allgemeinen Kriterium, das bei der Frage ansetzt,
ob bloss eine vorübergehende harmlose Störung des Wohlbefindens oder aber
ein krankhafter Zustand verursacht worden ist, ergibt sich nichts anderes
(vgl. STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl., §
3 N. 8). Da die Abgrenzung zwischen Tätlichkeit und Körperverletzung
begrifflich nur schwer zu fixieren ist, billigt das Bundesgericht
den Sachrichtern einen gewissen Ermessensspielraum zu (vgl. BGE 119
IV 1 E. 4a). Die Qualifikation der Tat als Körperverletzung ist nicht
bestritten und wäre auch nicht zu beanstanden. Hingegen liegt in der
Tatsache, dass die Grenze zur Körperverletzung nur knapp überschritten
ist, ein klares Indiz dafür, dass es sich unter objektivem Gesichtspunkt
um einen leichten Fall nach Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB handelt.

    Zu prüfen bleibt somit, ob auch die übrigen Umstände der Tat als
leicht im Sinne dieser Gesetzesnorm zu qualifizieren sind. Die konkreten
Tatumstände belasten den Beschwerdeführer erheblich. Zwar gab ihm der
Geschädigte einen geringfügigen Anlass zur Tat, indem er sich als Gast in
einem Lokal in eine Sache einmischte, die nur den Beschwerdeführer und
den Lokalinhaber betraf und im Übrigen auch nicht von Belang war. Die
Reaktion des Beschwerdeführers war aber dennoch unmässig. Insbesondere
der Umstand, dass er den Geschädigten nach einem ersten Abschluss der
Auseinandersetzung von hinten angriff, als dieser das Lokal bereits
verlassen hatte, zu Boden warf und mit den Füssen traktierte, spricht gegen
die Annahme eines leichten Falles, zumal der Beschwerdeführer mit seinem
Vorgehen ein erhebliches aggressives Potenzial offenbarte. Daraus ergibt
sich, dass er, was seinen Vorsatz betrifft, durchaus auch gravierendere
Verletzungsfolgen in Kauf genommen hat als diejenigen, die faktisch
eingetreten sind. Demnach kann vorliegend nicht mehr von einem leichten
Fall im Sinne des Gesetzes gesprochen werden.