Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 IV 236



127 IV 236

39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. August 2001
i.S. A. gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

    Art. 270 lit. g BStP; Legitimation des Privatstrafklägers zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde.

    Nur der prinzipale Privatstrafkläger ist zur Nichtigkeitsbeschwerde
legitimiert (E. 2b/aa).

    Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP; Legitimation des Opfers zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde.

    Durch Stoss mit einer Schaufel abgebrochener Zahn; Opfereigenschaft
der Verletzten bejaht (E. 2b/bb).

Sachverhalt

    Im Zusammenhang mit einem heftigen Streit zwischen den verwandten
Ehepaaren A. und B. über die Benützung eines sich im Familienbesitz
befindenden Chalets wurden drei der beteiligten Personen verletzt. Unter
anderem stiess Herr B. mit einer Schaufel gegen den Kopf von Frau A.,
wodurch diese zur Hauptsache einen

"Teilverlust des Zahnes 34" erlitt. Herr B. wurde im kantonalen Verfahren
von der Anschuldigung der (qualifizierten) einfachen Körperverletzung
freigesprochen. Frau A. führt gegen diesen Freispruch eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Zunächst richtet sich die Beschwerde dagegen, dass der
Beschwerdegegner von der Anschuldigung der (qualifizierten) einfachen
Körperverletzung, angeblich begangen durch einen Stoss mit einer
Schneeschaufel zum Nachteil der Beschwerdeführerin, freigesprochen und die
entsprechende Zivilklage der Beschwerdeführerin gegen den Beschwerdegegner
zurückgewiesen worden ist.

    Im Verlaufe der Auseinandersetzung erlitt die Beschwerdeführerin
eine leichte Verletzung an der linken Wange sowie einen "Teilverlust
des Zahnes 34". Gemäss der Darstellung der Beschwerdeführerin sind
diese Verletzungen dadurch entstanden, dass der Beschwerdegegner mit
einer Schneeschaufel "wie mit einer Lanze" gegen ihren Kopf gestossen
hat. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, die Beschwerdeführerin sei, wie
sie behauptet, vom Beschwerdegegner mit der Schneeschaufel getroffen
worden, was bei ihr eine Kratz- bzw. oberflächliche Schnittwunde an der
linken Wange und einen abgebrochenen Zahn verursacht habe. In rechtlicher
Hinsicht qualifiziert die Vorinstanz das Verhalten des Beschwerdegegners
als einfache Körperverletzung. Er habe mit der Schaufel ungezielt
"herumgefuchtelt" und damit eine Verletzung der Beschwerdeführer in
Kauf genommen. Es sei jedoch davon auszugehen, dass das Eindringen der
Beschwerdeführer ins Chalet rechtswidrig und von massiver Gewalteinwirkung
begleitet gewesen sei. Der Beschwerdegegner habe sich persönlich bedroht
gefühlt, um seine körperliche Integrität gefürchtet und sich zu Recht in
einer Notwehrlage gewähnt. Angesichts der für den Beschwerdegegner durch
den verursachten Lärm offensichtlichen "Bewaffnung" der Beschwerdeführer
mit verschiedenen Werkzeugen und unter Berücksichtigung des sich rasant
abspielenden "Turbulenzgeschehens" müsse das "Herumfuchteln" mit einer
Schneeschaufel schliesslich auch als angemessen bezeichnet werden.

    Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Ansicht, die
Gegenüberstellung der vorliegend in Frage stehenden Rechtsgüter lasse auf
eine unverhältnismässige Abwehr durch den Beschwerdegegner schliessen. Es
liege ein Notwehrexzess vor.

    b) Es ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin zur Beschwerde
gegen den Freispruch des Beschwerdegegners legitimiert ist.

    aa) Gemäss Art. 270 lit. g BStP (SR 312.0) ist der Privatstrafkläger
zur Nichtigkeitsbeschwerde nur dann legitimiert, wenn er nach den
Vorschriften des kantonalen Rechts allein und ohne Beteiligung des
öffentlichen Anklägers die Anklage geführt hat. Dies betrifft jene in
einigen Kantonen vorkommenden Fälle, in denen der Privatstrafkläger
von Anfang an an die Stelle des öffentlichen Anklägers tritt (BBl
1999 S. 9534), weil die Verfolgung der Straftat wegen ihres geringen
Unrechtsgehaltes und mit Rücksicht auf das vorwiegend private Interesse an
der Bestrafung dem Geschädigten überlassen wird (sogenanntes prinzipales
Privatstrafklageverfahren; vgl. dazu HAUSER/SCHWERI, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 4. Aufl. 1999, S. 377 ff.). Voraussetzung
für die Legitimation des Privatstrafklägers zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde ist also, dass der öffentliche Ankläger nach
dem kantonalen Prozessrecht nicht zur Anklage befugt ist, so dass diese
von Anfang an einzig dem Privatstrafkläger zusteht. Mit dieser Regelung
ist sichergestellt, dass auch da, wo der öffentliche Ankläger nach den
Vorschriften des kantonalen Rechts überhaupt keine Parteirechte ausüben
durfte, auf der Anklageseite ein Beschwerdeführer vorhanden ist (BGE
110 IV 114 E. 1a). Die Frage, ob der öffentliche Ankläger im kantonalen
Verfahren hätte Parteirechte ausüben können, ist auch zu bejahen, wenn der
öffentliche Ankläger von seinem Appellationsrecht keinen Gebrauch macht,
sondern im Appellationsverfahren auf seine Parteirechte stillschweigend
oder ausdrücklich verzichtet. Insoweit ist BGE 115 IV 152 E. 3 zu
präzisieren und die zu Art. 270 Abs. 3 BStP in der bis 31. Dezember 1992
geltenden Fassung ergangene abweichende Rechtsprechung (BGE 105 IV 278
E. 1) aufzugeben.

    Die Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner wurden durch Beschluss
des Untersuchungsrichteramtes und der Staatsanwaltschaft Berner Oberland
dem Strafgericht Interlaken-Oberhasli zur Beurteilung überwiesen. Erst
nachdem die Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Entscheid
appelliert hatten, verzichtete der Generalprokurator des Kantons Bern auf
die weitere Teilnahme am Verfahren. Da die Beschwerdeführerin folglich
nicht allein und ohne Beteiligung des öffentlichen Anklägers die Anklage
im kantonalen Verfahren vertreten hat, ist sie als Privatstrafklägerin
zur Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt nicht legitimiert.

    bb) Gemäss Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP ist das Opfer zur
Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert, wenn es sich bereits vorher am
Verfahren beteiligt hat und sofern der Entscheid seine Zivilansprüche
betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann.

    Opfer ist unter anderem, wer durch eine Straftat in seiner körperlichen
Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Art. 2 Abs. 1 OHG
[SR 312.5]). Die Beeinträchtigung muss von einem gewissen Gewicht sein,
weshalb ein Bagatelldelikt, welches nur eine unerhebliche körperliche
Beeinträchtigung bewirkt hat, vom Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes
ausgenommen ist. Das Opferhilfegesetz betrifft anderseits jedoch nicht
nur schwer geschädigte Opfer. Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung
des Geschädigten in seiner körperlichen Integrität das legitime Bedürfnis
begründet, die Angebote und Schutzrechte des Opferhilfegesetzes in Anspruch
zu nehmen (vgl. BGE 125 II 265 E. 2a/aa).

    Der Beschwerdegegner stiess mit der Schneeschaufel gegen den Kopf der
Beschwerdeführerin, wobei er in Kauf nahm, sie zu verletzen, und brach ihr
durch sein Verhalten einen Teil des Zahns 34 ab. Ein abgebrochener Zahn
ist eine recht schwere körperliche Schädigung und hat für den Betroffenen
erhebliche Folgen, weshalb die Opfereigenschaft zu bejahen ist.

    Auf die Beschwerde ist jedoch in diesem Punkt nicht einzutreten,
weil die Beschwerdeführerin nicht darlegt, weshalb sich der angefochtene
Entscheid auf ihre Zivilforderung auswirkt (BGE 125 IV 102 E. 1b; 123 IV
152 E. 1).

    cc) Auf die Beschwerde im Zivilpunkt ist mangels Begründung (Art. 273
Abs. 1 lit. b BStP) und mangels Angabe des Streitwertes (Art. 271 Abs. 2
BStP; BGE 127 IV 141 E. 2) nicht einzutreten.