Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 IV 209



127 IV 209

35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. August
2001 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
(Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

    Art. 312 StGB; Amtsmissbrauch.

    Wer bei Anlass einer Amtshandlung unrechtmässig Gewalt oder Zwang
anwendet und dabei seine besondere Machtstellung ausnützt, begeht einen
Amtsmissbrauch (E. 1b; Konkretisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    Am 22. März 1997 gegen 21.15 Uhr wurde Z. in Bettlach von den
Polizeibeamten S. und U. auf seinem Motorfahrrad ohne Helm angetroffen. Da
er sich nicht ausweisen konnte, brachten ihn die beiden Polizeibeamten
auf den Bezirksposten Grenchen und schlossen ihn in eine Zelle ein. Nach
einiger Zeit versuchte Z. durch wiederholtes Läuten auf sich aufmerksam
zu machen. Darauf schloss S. die Zellentüre auf, packte Z. am Hemd,
drückte ihn gegen die Zellenwand, versetzte ihm einen Faustschlag gegen
die linke Schläfe und rief dabei "Hock ab du Sauhund".

    Nach Abschluss der polizeilichen Abklärungen verliessen die beiden
Polizisten den Bezirksposten zusammen mit Z., um diesen nach Hause zu
begleiten. Im Eingangsbereich des Bezirkspostens sagte Z. zu S.: "Los S.,
das het Konsequänze für di". Darauf drehte sich S. zu Z. um und versetzte
ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Durch den Schlag fiel Z. seitwärts zu
Boden und schlug mit dem Kinn auf die metallene Eckverstärkung eines
Stuhles auf. Während des Falles und als Z. bereits am Boden lag, schlug
ihm S. mehrmals auf den Hinterkopf, versetzte ihm Fausthiebe in die Leber-
sowie Nierengegend und trat ihm mit dem Fuss an den Oberschenkel. Er
drohte Z. an, ihn fertig zu machen.

    Wegen dieser Vorfälle wurde S. auf dessen Appellation hin vom
Obergericht des Kantons Solothurn am 10. Januar 2001 des Amtsmissbrauchs,
der einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Beschimpfung sowie der
Drohung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Gefängnisstrafe von
drei Monaten verurteilt. Überdies erklärte das Gericht S. für die Dauer
von zwei Jahren unfähig, Mitglied einer Behörde oder Beamter zu sein, unter
Gewährung des bedingten Vollzuges während einer Probezeit von zwei Jahren.

    S. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Verurteilung wegen
Amtsmissbrauchs. Er macht geltend, die Schläge gegen Z. seien nicht
kraft seines Amtes als Polizeibeamter sondern aus einer persönlichen
Gefühlslage heraus erfolgt. Der objektive Tatbestand des Art. 312 StGB
sei damit nicht erfüllt.

    a/aa) Gemäss Art. 312 StGB machen sich Mitglieder einer Behörde oder
Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem
andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern
einen Nachteil zuzufügen. Der hinsichtlich der Tathandlung sehr allgemein
umschriebene Straftatbestand ist einschränkend dahin auszulegen, dass nur
derjenige die Amtsgewalt missbraucht, welcher die Machtbefugnisse, die ihm
sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt
oder Zwang ausübt, wo es nicht geschehen dürfte (BGE 113 IV 29 E. 1; 108
IV 48 E. 1 mit Hinweisen). Art. 312 StGB umfasst demnach nicht sämtliche
pflichtwidrigen Handlungen, die ein mit Zwangsgewalt ausgestatteter Beamter
bei Gelegenheit der Erfüllung seiner Pflichten ausführt; ihm sind vielmehr
nur solche unzulässigen Verfügungen und Massnahmen unterstellt, die der
Täter kraft seines Amtes, in Ausübung seiner hoheitlichen Gewalt trifft
(BGE 108 IV 48 E. 2a). Diese Voraussetzung ist auch gegeben, wenn der
Beamte zwar legitime Ziele verfolgt, aber zur Erreichung derselben in
unverhältnismässiger Weise Gewalt anwendet (BGE 104 IV 22 E. 2; 113 IV
29 E. 1).

    bb) Fraglich ist, wann unerlaubte physische Gewalt eines Beamten
während seiner Amtstätigkeit als Ausübung seiner spezifischen Amtsgewalt
erscheint und wann nicht. Das Bundesgericht hat in seiner publizierten
Rechtsprechung Amtsmissbrauch bejaht bei Tätlichkeiten eines Polizisten
gegenüber einem Verdächtigen im Verlauf dessen Befragung, weil dieser
sich einer "erkennungsdienstlichen Behandlung widersetzte" (BGE 104 IV
22), sowie bei einem Polizeibeamten, der anlässlich einer Einvernahme
Angeschuldigte prügelte (BGE 99 IV 13 E. 1 und 2). Hingegen hat es ein
hoheitliches Handeln bei einem Polizeibeamten verneint, der mit einer
Tätlichkeit auf die Beschimpfungen einer festgenommenen Frau reagierte
(BGE 108 IV 48).

    Diese Rechtsprechung wird von der Doktrin unterschiedlich
gewürdigt. TRECHSEL führt unter Hinweis auf den Sachverhalt in BGE 99
IV 13 aus, die Anwendung physischer Gewalt sei "bisweilen kaum mehr
als Missbrauch der Amtsgewalt anzusehen, z.B. wenn sie bei Anlass einer
Amtshandlung geschieht, aber a priori nicht zu den Kompetenzen des Beamten
gehört"; andererseits wäre nach seiner Auffassung "eine Privilegierung
stossend", weshalb er die Einführung eines Spezialtatbestandes für
wünschbar hält (TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar,
2. Aufl., Zürich 1997, Art. 312 N. 5). STRATENWERTH kritisiert

demgegenüber den Entscheid 108 IV 48 sowohl in der Begründung als auch
im Ergebnis. Er führt aus, das Bundesgericht stelle darin, anders als
in seinen früheren Urteilen, offenkundig darauf ab, ob die Amtsgewalt
immerhin einen amtlichen Zweck verfolge, ob sie den Betroffenen etwa an
der Flucht hindern oder ihn veranlassen solle, irgendwelche Aussagen oder
Zugeständnisse zu machen, in den Polizeiwagen einzusteigen oder sonstige
Anordnungen zu befolgen. Abgesehen davon jedoch, dass auch die Abwehr
von tätlichen oder verbalen Angriffen während der Amtsausübung einen
"amtlichen" Zweck bilde, habe eine solche Auffassung die sachwidrige
Konsequenz, dass gerade der "krasseste Fall", die Gewaltanwendung zu
anderen als amtlichen Zwecken, z.B. die Misshandlung eines Gefangenen aus
blossem Sadismus, keinen Missbrauch der Amtsgewalt darstelle. Deshalb könne
es nur darauf ankommen, ob die Gewaltanwendung als Ausübung der Macht
erscheine, die dem Amtsträger kraft seiner Amtsstellung zukomme, ob er
gewissermassen unter dem Schutz seiner Amtsstellung handle (STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 5. Aufl., Bern 2000, §
57 N. 9). REHBERG schliesslich räumt ein, dass der Zwang, verstanden
als Eingriff in persönliche Freiheitsrechte, nach Art. 312 StGB stets
kraft des Amtes des Täters ausgeübt werden muss. An dieser Voraussetzung
fehle es gemäss BGE 108 IV 48, wenn der Beamte zwar während einer
dienstlichen Verrichtung Zwang anwende, damit jedoch keinen amtlichen Zweck
verfolge. Diese Rechtsprechung sei jedoch zu eng. Richtig erscheine es,
auch eine keinen amtlichen Zwecken dienende Handlung als Amtsmissbrauch
zu werten, wenn sie dem Täter durch Ausnützung seiner besonderen
Machtbefugnisse ermöglicht wurde. Ausgehend davon sei BGE 108 IV 48 im
Ergebnis aber nicht in der Begründung zutreffend. Der Polizeibeamte habe
nicht seine Machtstellung ausgenützt, um tätlich zu werden, da die Frau
in diesem Augenblick offenbar nicht von ihm festgehalten worden sei und
die Frau den Schlag somit von jedem beliebigen Passanten hätte hinnehmen
müssen (REHBERG, Strafrecht IV, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 397 f.).

    b) Amtsmissbrauch ist der zweckentfremdete Einsatz staatlicher
Macht. Art. 312 StGB schützt einerseits das Interesse des Staates an
zuverlässigen Beamten, welche mit der ihnen anvertrauten Machtposition
pflichtbewusst umgehen, und andererseits das Interesse der Bürger, nicht
unkontrollierter und willkürlicher staatlicher Machtentfaltung ausgesetzt
zu werden (vgl. TRECHSEL, aaO, Art. 312 N. 1).

    Nach der bereits dargelegten Rechtsprechung ist der Straftatbestand
angesichts der sehr unbestimmt umschriebenen Tathandlung insofern
einschränkend auszulegen, dass nur derjenige die Amtsgewalt missbraucht,
welcher die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig
anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht
geschehen dürfte (BGE 113 IV 29 E. 1; 108 IV 48 E. 1 mit Hinweisen). Daraus
darf jedoch nicht geschlossen werden, der Anwendungsbereich von Art. 312
StGB sei generell auf Fälle zu beschränken, in denen die Amtsgewalt
letztlich einen amtlichen Zweck verfolgt (vgl. aber BGE 108 IV 48 E. 2
S. 50). Dagegen spricht schon, dass eine Abgrenzung zwischen Handlungen mit
und solchen ohne amtlichen Zweck bei Tätigkeiten im Rahmen einer amtlichen
Verrichtung mitunter kaum möglich ist. Auch würde sonst die Abgrenzung und
damit die Anwendung des Art. 312 StGB von beweisrechtlichen Zufälligkeiten
bei der Abklärung der Intentionen des Täters abhängig gemacht. Schliesslich
kann nicht zweifelhaft sein, dass Art. 312 StGB auch bezweckt, die Bürger
vor völlig unmotivierten oder jedenfalls nicht von der Erfüllung einer
amtlichen Aufgabe motivierten Übergriffen durch Beamte während ihrer
dienstlichen Verrichtung zu schützen. Das gilt angesichts der in Frage
stehenden Rechtsgüter und des gegenüber anderen Verfehlungen (vgl. etwa
BGE 101 IV 407) gesteigerten Schutzinteresses jedenfalls bei physischer
Gewalt oder bei Zwang durch Beamte. Nicht nur der einen amtlichen Zweck
verfolgende übermässige Zwang im weiteren Sinne stellt sich objektiv als
zweckentfremdeter Einsatz staatlicher Macht dar, sondern ebenso der ohne
ein solches Ziel erfolgende sinn- und zwecklose Zwang durch Missbrauch
der amtlichen Machtstellung.

    Mit REHBERG und STRATENWERTH ist BGE 108 IV 48 deshalb dahingehend zu
konkretisieren, dass es jedenfalls bei Gewalt und Zwang durch Beamte nur
darauf ankommt, ob der Täter seine besonderen Machtbefugnisse ausgenützt
hat, er die Tat gewissermassen unter dem Mantel seiner amtlichen Tätigkeit
begangen und dabei die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat. Die
Gewaltanwendung bzw. der Zwang müssen als Ausübung der Macht erscheinen,
die dem Amtsträger kraft seiner Amtsstellung zukommt.

    c) Die Vorinstanz nimmt an, der Beschwerdeführer habe den Tatbestand
des Art. 312 StGB erfüllt, als er Z. in der Zelle einen Faustschlag an die
Schläfe versetzte. Es könne zwar offen bleiben, ob der Beschwerdeführer
damit den Verletzten habe beruhigen wollen, um die Abklärungen ungestört
fortsetzen zu können, wie das

Richteramt angenommen habe. Selbst wenn S. keinen amtlichen Zweck verfolgt
haben sollte, so hätte er dennoch sein Amt missbraucht. Der Verletzte sei
im Rahmen der laufenden Identitätsabklärung auf den Posten gebracht und
in der Zelle eingesperrt worden. Indem der Beschwerdeführer ihn bei dieser
Gelegenheit geschlagen habe, habe er im Schutze seines Amtes gehandelt. Mit
dieser Ausnützung der Macht, über die er wegen seiner Amtsstellung
verfügte, sei der objektive Tatbestand des Art. 312 StGB erfüllt.

    Diese Erwägungen sind bundesrechtlich nicht zu beanstanden.  Z. war
wegen einer geringfügigen Übertretung zur Abklärung seiner Identität
vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen worden. Er befand sich damit
in der Obhut des Beschwerdeführers. Trotz seines mehrfach geäusserten
Wunsches wurde Z. die Möglichkeit verweigert, seine Familie über sein
Verbleiben telefonisch zu informieren. Da er sich bereits gegen eine
halbe Stunde in einer Zelle befand, wollte er mit seinem Läuten an die
Forderung nach einem Telefonat erinnern. Als der Beschwerdeführer in die
Zelle kam und auf Z. einschlug, war dieser dem Beschwerdeführer wehrlos
ausgeliefert. Selbst wenn die Gewaltanwendung des Beschwerdeführers keinen
amtlichen Zwecken wie etwa der Beruhigung des Inhaftierten gedient haben
sollte, erscheint sie objektiv betrachtet jedenfalls als Ausübung der
Macht, die dem Beschwerdeführer als Amtsträger kraft seiner Amtsstellung
zukam. Der unzulässige Übergriff wurde dem Täter durch seinen dienstlichen
Einsatz und durch die Ausnützung seiner Machtstellung erst ermöglicht. Das
Verhalten des Beschwerdeführers erfüllt damit den objektiven Tatbestand
von Art. 312 StGB, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat. Im Übrigen ist
auch der subjektive Tatbestand erfüllt, was der Beschwerdeführer nicht in
Frage stellt; insoweit kann auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil
verwiesen werden (Art. 36a Abs. 3 OG).