Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 IV 10



127 IV 10

2. Urteil des Kassationshofs vom 14. Dezember 2000 i.S. Generalprokurator
des Kantons Bern gegen X. und vice versa (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 112 StGB; Kriterien für die Mordqualifikation.

    Vorleben und Verhalten nach der Tat sind für die Mordqualifikation
nur heranzuziehen, soweit sie tatbezogen sind und ein Bild der
Täterpersönlichkeit geben (E. 1a).

    In einem Vater-Tochter-Konflikt wirken immer auch kulturelle Muster
mit. Doch ist nicht eine Kultur zu beurteilen, sondern eine Tat und ihr
Täter (E. 1d).

    Der Vater, der die Tochter "mit dem Tode bestraft", weil sie sich
nicht fügt, handelt besonders verwerflich (E. 1f).

    Die Änderung der rechtlichen Qualifikation führt in casu nicht zu
einer Erhöhung des Strafmasses (E. 2-5).

Sachverhalt

    A.- X., Vater von fünf Kindern, tötete am 19. Juni 1996 kurz
nach 08.30 Uhr seine im Dezember 1976 geborene älteste Tochter bei
einer verbalen Auseinandersetzung in der Küche mit einem zufällig dort
liegenden Küchenmesser. Er verliess hierauf die Wohnung und rief aus einer
Telefonkabine den Bruder seiner Frau in der Türkei und eine Familie aus
seinem Bekanntenkreis in der Schweiz an und teilte ihnen mit, dass er
die Tochter umgebracht habe. Dann stellte er sich der Polizei.

    X., aufgewachsen in einem anatolischen Bergdorf, emigrierte 1988 in
die Schweiz. Es wurde ihm und seiner Familie aus humanitären Gründen
der Aufenthalt bewilligt. Seine Hoffnungen wandelten sich infolge von
Integrationsschwierigkeiten schnell in starke Gefühle der Enttäuschung und
Hilflosigkeit, und die prekären Wohnverhältnisse der siebenköpfigen Familie
in einer Zwei-Zimmer-Wohnung sowie die Arbeit in einem Spätschichtbetrieb
belasteten ihn stark. Zudem entwickelte sich eine Integrationsschere
zwischen den Eltern und den Kindern, die sich dank der Schule schnell
und relativ gut integrierten. Die Integrationsschwierigkeiten führten zu
einer Anpassungsstörung mit Krankheitswert (ICD-10 F 43.2).

    Trotzdem kam es innerhalb der Familie zunächst zu keinen grösseren
Problemen. Mit der Zeit entwickelte sich zusätzlich zum Kulturkonflikt ein
Generationenkonflikt mit der ältesten Tochter. Als er sie 1992 mit einem
Burschen zusammen sah, begann er mit einer "Rekurdisierung" der ganzen
Familie und vor allem der Tochter. Er schlug sie und drohte, sie oder
die ganze Familie umzubringen, wenn sie nicht heirate. Er drohte derart
häufig, dass das gar nicht mehr ernst genommen wurde. Die Tochter ging ihm
möglichst aus dem Weg und blieb bei Auseinandersetzungen passiv. Sie nahm
sich nach wie vor in ihrem schweizerischen Beziehungsnetz ihre Freiräume.

    Als X. sie in ihrem ersten Lehrjahr 1995 mit einem Mann sah,
der sich eine Drogenspritze angesetzt hatte, erkannte er, dass seine
Einschüchterungs- und Rekurdisierungsversuche gescheitert waren. Da
verprügelte er sie aufs Brutalste. Seine Drohungen wurden nun ernst
genommen. In der Folge wurde ausgehandelt, die Tochter zu verheiraten:
Damit würde sie dem schweizerischen Umfeld entrissen und wieder dem
kurdisch-türkischen zugeführt, der Tradition der Kusinenheirat wäre
Genüge getan und der Verwandtschaft bewiesen worden, dass er als Vater
sehr wohl in der Lage war, die Tochter zu behüten und zu verheiraten. Sie
wollte davon jedoch nichts wissen und tauchte unter. Als er dies erfuhr,
geriet er in einen unkontrollierten Erregungszustand (akute psychische
Dekompensation) und musste am 3. Juli 1995 in ein Spital eingeliefert
werden. Nach seiner Entlassung versprach er, die Drohungen nicht wahr
zu machen. Indessen kam es in den Ferien in der Türkei auf Grund seiner
massiven Drohungen zur zwangsweisen Verheiratung der Tochter mit einem
Cousin.

    Statt dass sich durch die Verheiratung die Probleme lösten, kam X. nun
noch mehr unter gesellschaftlichen Druck, weil die Ehe nicht vollzogen
wurde, da der Ehemann nicht in die Schweiz einreisen konnte. Es wurde
ihm seitens der Verwandten in der Türkei Verrat vorgeworfen. Ausserdem
war für ihn der Gedanke, dass die Tochter - jetzt als verheiratete Frau
- mit anderen Männern gesehen wurde, schlicht verheerend. Schliesslich
organisierte er im Sommer 1996 die illegale Einreise des Schwiegersohnes
in die Schweiz, was ihn - wie schon die Hochzeit - viel Geld kostete,
das er aufnehmen musste. Die eheliche Gemeinschaft kam aber trotz des
Druckes wegen des Widerstandes der Tochter nicht zustande.

    X. wurde es zur Gewissheit, dass dieser Skandal bekannt und er der
Lächerlichkeit und Entehrung preisgegeben würde. Er befand sich in
der Tatzeit in einer chronischen psychosozialen Dauerbelastung. Als
letztlich fatal wirkte sich die Erkrankung und Hospitalisierung der
bislang vermittelnden Gattin aus.

    B.- Das Kreisgericht VIII Bern-Laupen erklärte X. am 17. Dezember
1998 der vorsätzlichen Tötung schuldig (sowie der ANAG-Zuwiderhandlungen
im Mai und Juni 1996) und verurteilte ihn zu 14 Jahren Zuchthaus und 15
Jahren Landesverweisung unbedingt.

    C.- Das Obergericht des Kantons Bern hatte im Appellationsverfahren
am 14. Dezember 1999 auf Grund von Appellationen des Verurteilten und des
a.o. Generalprokurators die Qualifikationsfrage und die Strafzumessung
zu beurteilen. Es stellte unter anderm die Rechtskraft des Schuldspruchs
wegen der ANAG-Zuwiderhandlungen sowie der Landesverweisung fest. Es
erklärte X. der vorsätzlichen Tötung schuldig und bestrafte ihn mit 14
Jahren Zuchthaus.

    D.- Der a.o. Generalprokurator des Kantons Bern (nachfolgend: die
Staatsanwaltschaft) erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache ("zur
Schuldigerklärung von X. wegen Mordes und jedenfalls Neubemessung der
Strafe") an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    E.- X. (nachfolgend: der Verurteilte) erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, das Urteil des Obergerichts ("im Punkt der Strafzumessung")
sei aufzuheben, die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
zu gewähren.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Normal:I. Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft

Erwägung 1

    1.- Vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) ist als Mord zu qualifizieren,
wenn der Täter besonders skrupellos handelt, namentlich sein Beweggrund,
der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind
(Art. 112 StGB).

    a) Die vorsätzliche Vernichtung menschlichen Lebens wiegt immer
ausserordentlich schwer. Mord unterscheidet sich durch besondere
Skrupellosigkeit klar von der vorsätzlichen Tötung (BGE 118 IV 122 E. 2b
S. 126).

    Er zeichnet sich durch aussergewöhnlich krasse Missachtung
fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus. Für die
Qualifikation verweist das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung
beispielhaft auf äussere (Ausführung) und innere Merkmale (Beweggrund,
Zweck). Diese Merkmale oder Indizien müssen zum einen nicht erfüllt
sein, um Mord anzunehmen, zum andern aber sollen sie vermeiden helfen,
dass für die Qualifikation allein auf eine Generalklausel der besonderen
Skrupellosigkeit abgestellt werden müsste (BGE 117 IV 369 E. 17, 19b).

    Die für eine Mordqualifikation konstitutiven Elemente sind jene der
Tat selber, während Vorleben und Verhalten nach der Tat nur heranzuziehen
sind, soweit sie tatbezogen sind und ein Bild der Täterpersönlichkeit geben
(BGE 117 IV 369 E. 17, 19a).

    Das Gesetz erfasst jenen Täter, den der Psychiater BINDER (ZStrR
67/1952 S. 307) beschrieben hat, als skrupellos, gemütskalt, krass und
primitiv egoistisch, ohne soziale Regungen, der sich daher zur Verfolgung
seiner eigenen Interessen rücksichtslos über das Leben anderer Menschen
hinwegsetzt (BGE 117 IV 369 E. 17; 120 IV 265 E. 3a). "Cette mentalité
doit apparaître comme une constante de la personnalité sur laquelle
le juge doit se prononcer selon des critères moraux" (BGE 115 IV 8
E. Ib). Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der äusseren und inneren
Umstände der Tat (BGE 120 IV 265 E. 3a; 118 IV 122; 115 IV 8 E. Ib;
Pra 89/2000 Nr. 73 S. 429 E. 2c). In dieser Gesamtwürdigung kann eine
besondere Skrupellosigkeit immer noch entfallen, namentlich wenn das
Tatmotiv einfühlbar und nicht krass egoistisch ist, etwa wenn die Tat
durch eine schwere Konfliktsituation ausgelöst wurde (BGE 120 IV 265
E. 3a). Somit erfolgt die Qualifikation im Wesentlichen nach ethischen
Kriterien (BGE 115 IV 8 E. Ib). Für Mord typische Fälle sind die Tötung
eines Menschen zum Zwecke des Raubes (BGE 115 IV 187), Tötungen aus
religiösem oder politischem Fanatismus (BGE 115 IV 8 E. Ib; 117 IV 369
E. 19c) oder aus Geringschätzung (BGE 120 IV 265).

    b) Die Vorinstanz geht von der Beurteilung der Erstinstanz aus: Der
Verurteilte habe egoistisch gehandelt, indem er das Leben seiner Tochter
vernichtet habe, um nicht das Gesicht zu verlieren. Er habe allerdings
unter einer chronischen psychosozialen Dauerbelastung gestanden, dies
vor dem Hintergrund der traditionellen Werte, welchen er nachgelebt
und denen er sich verpflichtet gefühlt habe, ohne ersichtlichen Ausweg
aus dem Dilemma. Entgegen der Staatsanwaltschaft habe dem Delikt nicht
bloss Verachtung der Tochter wegen der vermuteten Unreinheit zu Grunde
gelegen. Es habe sich um eine eigentliche Exekution gehandelt, kaltblütig
und mit Entschlossenheit. Alle Elemente abwägend habe die Erstinstanz in
der Gesamtwürdigung das Vorliegen eines krassesten, primitivsten Egoismus
und damit eine Mordqualifikation verworfen.

    Die Vorinstanz prüft ihrerseits die Indizien für eine
Mordqualifikation. Sie verneint zunächst ein Handeln aus Mordlust oder aus
Habgier sowie aus extremer (über die jeder Tötung eigene) Geringschätzung
des Lebens. Sie prüft weiter die Kriterien Kaltblütigkeit (er habe die
Tat erst durchführen können, nachdem er seine Tochter provoziert und sich
in Wut gesteigert habe), Gefühlskälte (allenfalls das Nachtatverhalten
erscheine kaltblütig und gefühlskalt), konsequentes Zuendeführen der
Tat (die Tat sei in Sekundenschnelle erfolgt), Umsicht und Planung (er
habe zwar seit Jahren immer ernsthafter davon gesprochen, doch liege
eher eine Kurzschlusshandlung vor), Heimtücke (kein Hinterhalt oder
Vertrauensbruch; das Opfer sei vielmehr darauf gefasst gewesen, dass
eines Tages etwas Unheilvolles geschehen könnte). Weiter habe er zwar
seine Ehre über das Leben der Tochter gestellt, was sicher ein krasses
Missverhältnis der Interessen und in einem gewissen Sinne eine Elimination
darstelle. Doch bestehe ein Unterschied im Grad des Egoismus: Hier sei
die Tat vor dem Hintergrund einer langjährigen, stark konfliktgeladenen
Täter-Opfer-Beziehung geschehen. Er habe auch als dafür verantwortlicher
pater familias die Ehre der eigenen und der Grossfamilie wieder herstellen
wollen und dazu die Tochter, die den Ehrenkodex verletzt habe, mit
dem Tode bestraft. Er habe auch immer wieder den Tötungsentschluss zu
Gunsten anderer Lösungen wie der Heirat fallen lassen. Die Tat sei auf
Grund der Lebensgeschichte und des kulturellen Hintergrunds zwar nicht
entschuldbar, aber psychologisch erklärbar. Er habe aus einer gewissen
Hilflosigkeit und Verzweiflung gehandelt. Er habe subjektiv keinen andern
Ausweg aus dem Dilemma gesehen. Grausamkeit sei nur anzunehmen, wenn der
Täter aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besonders schwere Leiden
(der Stärke, der Dauer oder der Wiederholung nach) zufüge, nicht schon,
wenn die Tat aus andern Gründen besondere Abscheu errege. Er habe der
Tochter keine unnötigen Leiden zugefügt. Dieses Kriterium sei nicht schon
auf Grund der Tötungsart erfüllt.

    Die Vorinstanz kommt zum Ergebnis: Es lägen zwar mehrere belastende
Elemente vor, die in Richtung Mord wiesen. Insbesondere sei die Tat als
klar egoistisch zu bezeichnen, doch liege nicht krassester, primitiver
Egoismus vor. Weder einzeln noch im Gesamten lägen Umstände in jener
Intensität vor, die nötig wäre, um Mord anzunehmen.

    c) Auch für die Staatsanwaltschaft scheiden Mordlust, Rachsucht,
Habgier, Heimtücke oder ein Zuendeführen der Tat im Sinne des Nachsetzens
bis zur endgültigen Tötung als mordqualifizierend aus. Anders als die
Vorinstanz will sie den Egoismus, die Gefühlskälte sowie das direkte Vor-
und Nachtatverhalten gewichtet sehen. Dabei sei der kulturelle Hintergrund
für die Qualifikation unbeachtlich. Würden die besonderen kulturellen
Gegebenheiten, welche nicht allgemein anerkannt und zudem stark von den
subjektiven Vorstellungen des Verurteilten geprägt seien, weggelassen, so
rücke die Tat in die Nähe der Eliminationstötung. Es müsse auf Gefühlskälte
oder auf einen ausserordentlich hohen Grad an Gefühlsrohheit geschlossen
werden, wenn der Vater seine Tochter, sein eigenes Kind, nach einer solchen
selbstverschuldeten Konfliktsituation töte, bei der wie auch bei der Tat
die lenkende Aktivität immer bei ihm gelegen habe. Die Tat dürfe nicht als
Grenzfall zu Mord, sondern müsse eindeutig als Mord qualifiziert werden.

    Soweit die Staatsanwaltschaft indes das von der Vorinstanz angenommene
Handeln "aus einer gewissen Hilflosigkeit und Verzweiflung" als verfehlte
Interpretation des kulturellen Hintergrunds in Abrede stellt, wendet
sie sich gegen die für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz (Art. 277bis BStP; SR 312.0), die überdies in den beiden
psychiatrischen Gutachten und im ethnologischen Gutachten hinreichend
belegt sind.

    d) Zur vertieften Abklärung hat die Vorinstanz ein in Zusammenarbeit
mit einem Psychiater erstelltes Gutachten des Instituts für Ethnologie
der Universität Bern vom 7. März 1997 herangezogen. Danach lassen
sich infolge der rapiden gesellschaftlichen Transformation "typische"
türkisch/-kurdische bäuerliche Lebensverhältnisse, Familien und Biographien
kaum mehr finden. Die Geschichte der Familie (die Gattin ist Türkin) sei
vor diesem Hintergrund des Wandels symptomatisch. Es sei heute unzulässig,
von einer für sich stehenden kurdischen Gesellschaft zu sprechen, welche
einheitliche Werte und Normen vertrete. Der Verurteilte bestreite die
Tötung nicht und sei dennoch im Grunde überzeugt, moralisch unschuldig
zu sein; diesen Widerspruch löse er für sich, indem er einerseits die
Strafe als Teil seines Schicksals akzeptiere, anderseits die Tat selbst
als Folge eines momentanen Ausser-sich-Seins darstelle. Es müsse ihm aber
zugestanden werden, dass er die Verantwortung eines Familienvaters sehr
ernst genommen habe und dass er sich redlich bemüht habe, seiner grossen
Familie Sicherheit zu geben und für sie zu sorgen. Auch bestünden genügend
Hinweise, dass die Tötung als Ausgang eines Ehrkonflikts zu verstehen sei,
der allerdings ausserordentlich komplexe Konturen aufweise, und in welchem
die fehlgeleitete Integration der Familie in der Schweiz eine weit grössere
Rolle gespielt habe als irgendwelche aus der Türkei importierten Normen und
Werte. Mit der Tötung sei das Ehrdelikt weder bereinigt noch abgeschlossen
und eine Fortsetzung des Konflikts könne nicht ausgeschlossen werden.

    In diesem Zusammenhang stellt die Vorinstanz fest, die Tat sei
vor dem Hintergrund einer stark konfliktgeladenen Täter-Opfer-Beziehung
geschehen. Die Tat kann daher auch in der Konsequenz einer katastrophalen
Vater-Tochter-Beziehung begriffen werden. Hier wirken immer kulturelle
Muster mit. Doch ist nicht eine Kultur zu beurteilen, sondern eine Tat
und ihr Täter. Dabei können tatbezogene heimatliche Anschauungen des
Ausländers - wie des Inländers - als innere Tatsachen (Beweggründe)
bei der Gesamtwürdigung erheblich werden. Kulturen geben aber keine
Auskunft zum tatsächlichen individuellen Handeln (HANS-RUDOLF WICKER,
Vom Sinn und Unsinn ethnologischer Gutachten, Asyl 1996 S. 118, 121).
Ethnologische Gutachten können jedoch in spezifischen Fällen helfen,
den Tathintergrund auszuleuchten. Die Verwerflichkeit beurteilt sich dann
nach der ethischen Qualität des Beweggrundes, nicht nach seiner Herkunft.

    e) Die kantonalen Instanzen würdigen die Tat umfassend nach den
grundsätzlich massgebenden Kriterien. Dabei beziehen sie die Migrations-
und Integrations-Problematik ein, ohne aber ihr ein unsachliches Gewicht
beizumessen oder gar einen Mord in abstrakter Weise wegen vermeintlicher
heimatlicher (anatolischer) Auffassungen des Verurteilten zu verneinen.
Sie nehmen in der Gesamtwürdigung nach einem in der Rechtsprechung
anerkannten Schluss an, dass eine besondere Skrupellosigkeit immer
noch entfallen kann, wenn die Tat durch eine schwere Konfliktsituation
ausgelöst worden ist (BGE 120 IV 265 E. 3a) oder wenn gegenüber den für
Mord charakteristischen letztlich doch die für Mord atypischen Elemente
überwiegen (BGE 118 IV 122 E. 3d).

    Indessen stellt die Vorinstanz zwar fest, der Verurteilte habe sich
im Tatzeitpunkt unter einer chronischen psychosozialen Dauerbelastung
befunden. Sie erwägt aber unmittelbar anschliessend, der Verurteilte
sei keineswegs als stumm Leidender, über Jahre den Konflikt Ertragender
plötzlich explosionsartig aggressiv geworden. Er sei diesem komplexen
Bedingungsgefüge nicht einfach hilflos ausgesetzt gewesen, sondern habe
mit seinem Verhaltensmuster wesentlich zur Eskalation der Situation
beigetragen, und er habe Anlass zu jenem die Tat auslösenden Disput
gegeben. Damit wird jenes Motiv aufgenommen, welches die Tat kennzeichnet
und ihr das Gepräge gibt. Während entgegen der Staatsanwaltschaft
eine Eliminationstötung zu verneinen ist, ist ihr zuzugeben, dass der
Verurteilte die Tochter in seiner Macht behalten wollte: Nur der bereits
in seiner Art und Bekanntmachung angekündigte Tod der Tochter hat ihn
in seiner Vorstellungswelt vor noch grösserem Ehrverlust retten können.
Er hat seine Sicht der Dinge durchgesetzt, welche in der Konsequenz des
von ihm beschrittenen Weges darin mündete, in aufsteigender Kadenz die
körperliche und seelische Integrität der Tochter krass zu missachten,
um schliesslich die Entscheidung über Leben und Tod der Tochter selbst
in die Hand zu nehmen. Diese verwerfliche tödliche Konsequenz ist nur
deshalb eingetreten, weil der Verurteilte seinem Leben Moralvorstellungen
zu Grunde gelegt hatte, die objektiv weder in der Schweiz noch in seiner
Heimat gerechtfertigt waren und die er seiner nächsten Umgebung und
insbesondere seiner sich ablösenden Tochter aufgezwungen hat.

    f) Der tragende und der Tat ihr Gepräge gebende Beweggrund des
Verurteilten ist, dass er als pater familias seine Tochter "mit dem
Tode bestrafte" (oben E. 1b), weil sie sich nicht fügte. Er schob den
Anspruch der Tochter auf Achtung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit
beiseite. Er entschied, ihr Leben sei verwirkt, und warf sich damit
zum Herrn über ihr Leben auf. Dass er dabei auch aus einer gewissen
Hilflosigkeit und Verzweiflung gehandelt hatte, hat die Vorinstanz
letztlich bewogen, dennoch eine vorsätzliche Tötung an der Grenze zum
Mord anzunehmen. Richtigerweise muss jedoch die Tat qualitativ als Mord,
wegen der Motivationslage indes als Mord an der Grenze zur vorsätzlichen
Tötung eingestuft werden. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft
ist deshalb insoweit gutzuheissen.

Erwägung 2

    2.- Bei diesem Ergebnis ist an sich auf die Frage der Strafzumessung
nicht mehr einzutreten, da die Vorinstanz die Strafe nach Massgabe
des neuen Schuldspruchs grundsätzlich neu zu beurteilen hat (BGE 123
IV 1 E. 1). Aus prozessökonomischen Gründen können aber - angesichts
der Beschwerdegründe sowohl der Staatsanwaltschaft (unten E. 3) wie des
Verurteilten (unten E. 4) sowie angesichts der vorinstanzlichen Erwägungen
- die Rügen beurteilt werden (vgl. Pra 89/2000 Nr. 73 S. 429 E. 3).

    Die Strafe ist nach dem Verschulden des Täters zuzumessen; dabei
sind Beweggründe, Vorleben und persönliche Verhältnisse des Schuldigen
zu berücksichtigen (Art. 63 StGB). Es müssen die wesentlichen Tat- und
Täterkomponenten beurteilt, das Ausmass qualifizierender Tatumstände
gewichtet und die Strafzumessung nachvollziehbar begründet werden. Dabei
besitzt die Vorinstanz ein erhebliches Ermessen. Das Bundesgericht greift
nur ein, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten
ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht
gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch
gewichtet hat (BGE 123 IV 49 E. 2; 122 IV 299 E. 2a).

Erwägung 3

    3.- Die Staatsanwaltschaft macht geltend, die Vorinstanz habe dem
Kulturkonflikt, in dem sich der Verurteilte befunden habe, doppelt Rechnung
getragen, nämlich sowohl im Rahmen der Strafmilderung nach Art. 11 in
Verbindung mit Art. 66 StGB wie auch bei der Strafzumessung nach Art. 63
StGB. Der eigentliche Konflikt, die gescheiterte Integration, gehe in
der diagnostizierten leichten Anpassungsstörung weitgehend auf und dürfe
daher nicht zusätzlich im Rahmen von Art. 63 StGB berücksichtigt werden.

    Die Vorinstanz berücksichtigt strafmildernd die verminderte
Zurechnungsfähigkeit im Sinne von Art. 11 in Verbindung mit Art. 66
StGB. Sie verweist insoweit auf das überzeugende psychiatrische Gutachten
und auf die zutreffenden Erwägungen der ersten Instanz. Es sei also von
einer leicht verminderten Zurechnungsfähigkeit auszugehen. Im Anschluss
daran geht sie auf die verschiedenen Tatkomponenten ein. Dass sie damit
in unzulässiger Weise den gleichen Gesichtspunkt doppelt verwertet
hätte, ist aus dem angefochtenen Urteil nicht ersichtlich und wird von
der Staatsanwaltschaft auch nicht substanziiert geltend gemacht. Die
Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist deshalb insoweit
unbegründet, soweit überhaupt auf sie eingetreten werden kann.

    II. Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten

Erwägung 4

    4.- Der Verurteilte macht geltend, die Vorinstanz habe in Verletzung
von Bundesrecht den Strafmilderungsgrund der schweren Bedrängnis
(Art. 64 Abs. 1 StGB) nicht angewendet. Sie habe nicht seinen kulturellen
Hintergrund und seine absolut zentralen türkisch/kurdischen Grundwerte zu
Grunde gelegt, sondern eine mitteleuropäische Werthaltung. Das Strafmass
sei zu hoch. Die Tatkomponenten würden nicht besonders schwer wiegen. Bei
den Täterkomponenten fehle der Hinweis, dass sich seine Gattin, die sich
bei früheren Konflikten stets schlichtend ins Geschehen eingemischt habe,
zur Tatzeit mit Lähmungserscheinungen im Spital befunden habe. Er habe
sich unverschuldetermassen kurz vor der Tötung in einer ausserordentlich
belastenden Lebenssituation befunden. Es sei eine Strafe deutlich unter
zehn Jahren angemessen.

    Der Verurteilte richtet sich in unzulässiger Weise gegen Feststellungen
der Vorinstanz (Art. 273 BStP), so wenn er vorbringt, er habe nicht
egoistisch, sondern im Interesse der Familie gehandelt, und er habe die
Tochter nicht "terrorisiert". Darauf ist nicht einzutreten. Im Übrigen ist
die Beschwerde unbegründet. Die Vorinstanz gewichtet das Tatverschulden
richtigerweise als ausserordentlich gross, sie berücksichtigt die
Täterkomponenten hinreichend, und sie verneint die Anwendung von Art. 64
Abs. 1 StGB zu Recht mit der Begründung, die Tötung der Tochter stehe in
einem zu krassen Missverhältnis zur Bedrängnis des Verurteilten, der sich
nicht habe von seinem Weg abbringen lassen, stattdessen die Tochter und die
ganze Familie immer mehr gequält und tyrannisiert und sich stur verrannt
habe, bis es aus seiner Sicht keinen anderen Ausweg mehr gegeben habe.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten ist abzuweisen, soweit
darauf einzutreten ist.

    III.

Erwägung 5

    5.- Zusammenfassend ist der vorinstanzliche Schuldspruch aufzuheben
und die Sache zur Schuldigsprechung wegen Mordes (Art. 112 StGB) an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Die Änderung der rechtlichen Qualifikation
erheischt aber nicht eine Erhöhung des Strafmasses. Die Strafe von
vierzehn Jahren Zuchthaus erscheint in Anbetracht der vorinstanzlichen
Feststellungen auch unter der neuen Qualifikation als Mord, an der Grenze
zur vorsätzlichen Tötung liegend, als angemessen.