Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 II 302



127 II 302

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 2001
i.S. X. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

    Art. 16 Abs. 2 SVG, Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 VRV; Entzug
des Führerausweises, Beherrschen des Fahrzeugs.

    Fall eines leichten Verschuldens, in dem ein Fahrzeuglenker auf einer
mit Schneematsch bedeckten Autobahn mit einer den Strassenverhältnissen
angepassten Geschwindigkeit fährt und beim Anblick von zwei auf
dem Pannenstreifen stehenden Polizeifahrzeugen mit eingeschalteter
Warnblinkanlage unwillkürlich auf die Bremse tritt, so dass die Räder
blockieren und der Wagen ins Schleudern gerät.

Sachverhalt

    A.- X. fuhr am 7. Februar 1999, um 19.30 Uhr, mit seinem
Personenwagen auf der Überholspur der Stadtautobahn von St. Gallen in
Richtung St. Margrethen. Die Fahrbahn war mit Schneematsch bedeckt. Die
Sichtverhältnisse waren dank künstlicher Beleuchtung gut. Während eines
Überholvorganges auf der Höhe der Ausfahrt Neudorf bemerkte er auf dem
Pannenstreifen zwei Patrouillenfahrzeuge der Polizei mit eingeschalteten
Warnblinkanlagen, die eine Unfallstelle absicherten. Er begann sofort
zu bremsen, so dass die Räder blockierten und der Wagen ins Schleudern
geriet. Dabei rutschte das Fahrzeug mit einer leichten Drehbewegung vor
einem auf der Normalspur fahrenden Personenwagen auf den Pannenstreifen,
prallte gegen das Heck des einen Patrouillenwagens, wurde durch die Wucht
des Aufpralls herumgeschleudert, stiess dabei noch mit der Fahrertüre
des Polizeifahrzeugs zusammen und kam schliesslich auf der Normalspur
mit Front in Richtung Gossau zum Stillstand.

X. zog sich mittelschwere Verletzungen zu und musste ins Kantonsspital
überführt werden. Sein Mitfahrer und die beiden im betroffenen
Patrouillenwagen sitzenden Polizeibeamten blieben unverletzt.

    Das Untersuchungsrichteramt St. Gallen verurteilte X. mit
Bussenverfügung vom 7. April 1999 wegen Verletzung von Verkehrsregeln
gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG (SR 741.01) zu einer Busse von Fr. 400.-. Die
Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen.

    Das Strassen- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen entzog
X. mit Verfügung vom 8. Oktober 1999 wegen Nichtbeherrschen des Fahrzeugs
gestützt auf Art. 16 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 SVG den Führerausweis
für die Dauer von einem Monat. Einen von X. erhobenen Rekurs wies die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom
25. Oktober 2000 ab.

    X. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
Entscheid der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen vom
25. Oktober 2000 sei aufzuheben und von einem Führerausweisentzug sei
abzusehen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen und das
Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragen je unter Verzicht auf
Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf
eintritt. Der Entscheid der Verwaltungsrekurskommission wird aufgehoben
und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- c) Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG hat der Lenker sein Fahrzeug ständig
so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er
muss jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf
das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig
zu reagieren. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr
zuwenden (Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962
[VRV; SR 741.11]). Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeuglenker
verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der
Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den
voraussehbaren Gefahrenquellen. Wenn er sein Augenmerk im Wesentlichen
auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere
Aufmerksamkeit zugebilligt werden (BGE 122 IV 225 E. 2b; 120 IV 63 E. 2a;
116 IV 230 E. 2).

    d) Das dem Beschwerdeführer von der Vorinstanz zur Last gelegte
Fehlverhalten erschöpft sich darin, dass er sich nach der Fahrt durch
den künstlich erleuchteten Stefanshorntunnel durch die zwei unmittelbar
nach der Tunnelausfahrt mit eingeschalteten Warnblinkanlagen auf dem
Pannenstreifen stehenden Polizeifahrzeuge hat überraschen lassen und dabei
unglücklich reagiert hat, indem er instinktiv auf die Bremse trat. Dass er
auf die von ihm als Gefahr wahrgenommene Situation überhaupt reagierte,
kann ihm nicht zum Vorwurf gereichen. Wohl hat er im entscheidenden
Moment nicht erkannt, dass die Polizeifahrzeuge auf dem Pannenstreifen
standen und insofern in Wirklichkeit für ihn auf der Überholspur
keine Gefahr bestand, die ein brüskes Bremsen erfordert hätte. Indes
kommt in diesem Zusammenhang den konkreten Umständen besonderes Gewicht
zu. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer seine Fahrgeschwindigkeit
den mit Schneematsch bedeckten Strassen angepasst hatte und lediglich mit
60-70 km/h anstatt der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von erlaubten
100 km/h fuhr. Insofern unterscheidet sich der zu beurteilende Fall von
demjenigen, der BGE 126 II 192 zugrunde lag. In jenem Entscheid würdigte
das Bundesgericht den Umstand, dass eine Fahrzeuglenkerin innerorts
in einer leichten Kurve eine mit Schneematsch bedeckte Strasse mit der
nur unter günstigen Verhältnissen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von
50 km/h befahren hatte, als zumindest mittelschweres Verschulden. Der
Beschwerdeführer hat hier zudem die ungewöhnliche Situation am Rande der
Fahrbahn an sich richtig erkannt, wenn auch falsch eingeschätzt. Dass er
seine Aufmerksamkeit nicht auf das Verkehrsgeschehen gerichtet hätte,
trifft somit nicht zu. Aus dem Umstand, dass er seine Fahrt angesichts
dieser von ihm als gefährlich interpretierten Verkehrslage abgebremst
hat, lässt sich ihm kein Vorwurf machen. Ein Verschulden liegt allenfalls
darin, dass er sein Fahrzeug nach dem brüsk eingeleiteten Bremsmanöver
nicht mehr beherrschen konnte. Dies lag im zu beurteilenden Fall aber
ausschliesslich an den misslichen Strassenverhältnissen und war somit,
wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet, - jedenfalls für den
durchschnittlich geübten Fahrer - die nicht beeinflussbare Folge eines im
Ansatz grundsätzlich richtigen Fahrverhaltens. Der vom Beschwerdeführer
verursachte Unfall ist daher letztlich das Ergebnis eines Zusammenspiels
mehrerer unglücklicher Umstände. Bei dieser Sachlage ist die Annahme
eines mittelschweren Falles nicht gerechtfertigt. Dem Beschwerdeführer
ist höchstens ein leichtes Verschulden anzulasten, bei dem ein Entzug
des Führerausweises

nicht angemessen ist. Dass ein Entzug des Ausweises hier einer
Ermessensverletzung gleichkommt, ergibt sich auch aus dem langjährigen
ungetrübten automobilistischen Leumund des Beschwerdeführers,
der bei der Wahl der Sanktion im Falle leichten Verschuldens
Bedeutung erlangt. Abgesehen davon ist bei einer Konstellation wie der
vorliegenden, in der sich der Fahrzeuglenker im Grunde korrekt verhält,
nicht ersichtlich, inwiefern ein Warnungsentzug seiner Besserung und der
Bekämpfung von Rückfällen sollte dienen können. Das angefochtene Urteil
verletzt somit Bundesrecht und die Beschwerde erweist sich als begründet.