Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 II 168



127 II 168

18. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Juni 2001
i.S. H. gegen Fremdenpolizei des Kantons Zürich und Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 13a und 13c Abs. 5 lit. a ANAG, Art. 5 Ziff. 1 lit.  f EMRK;
Zulässigkeit von Vorbereitungshaft.

    Vorbereitungshaft setzt - wie Ausschaffungshaft - die rechtliche und
tatsächliche Durchführbarkeit der Ausschaffung voraus (Fall eines aus
dem autonomen Gebiet des Nordiraks stammenden Angehörigen der kurdischen
Ethnie; E. 1-3).

Sachverhalt

    Der angeblich irakische Staatsangehörige H.  reiste nach eigener
Darstellung am 6. Oktober 1998 illegal, d.h. ohne Pass und Visum, von
der Türkei kommend in die Schweiz ein. Am 15. Oktober 1998 stellte er
ein Asylgesuch. Dieses ist noch beim Bundesamt für Flüchtlinge hängig.

    Am 12. Januar 2001 wurde H. wegen Handels mit Betäubungsmitteln
festgenommen und in Untersuchungshaft gesetzt. Mit Urteil vom 10. Mai
2001 bestrafte ihn das Bezirksgericht Zürich wegen mehrfacher Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5
mit zwölf Monaten Gefängnis bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Am
gleichen Tag wurde er aus der Haft entlassen und der Fremdenpolizei des
Kantons Zürich zugeführt.

    Am 11. Mai 2001 ordnete die Fremdenpolizei des Kantons Zürich gegenüber
H. Vorbereitungshaft an. Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich prüfte
und bestätigte die Haft am 12. Mai 2001. Am 14. Mai 2001 gelangte der
Rechtsvertreter von H. an das Bezirksgericht und ersuchte um Aufhebung
der Vorbereitungshaft bzw. darum, einen neuen Haftentscheid zu fällen,
nachdem ihm als Rechtsvertreter die Gelegenheit gegeben worden sei, sich
zur Haftanordnung zu äussern. Der Haftrichter behandelte die Eingabe als
Haftentlassungsgesuch und wies sie mit neuer Verfügung vom 15. Mai 2001 ab.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 22. Mai 2001 an das Bundesgericht
beantragt H., die Haftentscheide vom 12. und 15. Mai 2001 seien aufzuheben
und er sei unverzüglich aus der Vorbereitungshaft zu entlassen.

    Die Fremdenpolizei des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung
der Beschwerde. Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich hat auf eine
Vernehmlassung verzichtet. Am 31. Mai 2001 erstattete das Bundesamt
für Flüchtlinge einen Amtsbericht, ohne in der Sache einen Antrag zu
stellen. H. nahm mit weiterer Eingabe vom 6. Juni 2001 die Gelegenheit
wahr, sich nochmals zur Angelegenheit zu äussern.

    Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Um die Durchführung eines Wegweisungsverfahrens sicherzustellen,
kann die zuständige kantonale Behörde einen Ausländer, der keine
Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt, während der
Vorbereitung des Entscheides über seine Aufenthaltsberechtigung für
höchstens drei Monate in Haft nehmen, wenn einer der in Art. 13a des
Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAG; SR 142.20) genannten Haftgründe gegeben ist.

    Der Beschwerdeführer, der keine Aufenthalts- oder
Niederlassungsbewilligung hat, ist Asylbewerber, wobei über sein Asylgesuch
noch nicht, auch nicht erstinstanzlich, entschieden worden ist. Mit Blick
auf seine Verurteilung wegen Drogenhandels erfüllt der Beschwerdeführer
den Haftgrund von Art. 13a lit. e ANAG, wonach in Haft gesetzt werden
kann, wer Personen ernsthaft bedroht oder an Leib und Leben erheblich
gefährdet und deshalb strafrechtlich verfolgt wird oder verurteilt worden
ist (vgl. BGE 125 II 369 E. 3b/bb S. 375 f. mit Hinweisen). Dass dieser
Haftgrund vorliegt, ist denn auch nicht strittig.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer scheint zunächst geltend machen zu wollen,
die Haft sei schon deshalb unzulässig, weil er sich als Asylbewerber in
der Schweiz aufhalten dürfe, womit eine fremdenpolizeiliche Wegweisung
ausgeschlossen sei. Mit der Vorbereitungshaft soll indessen gerade auch
die Durchführung eines Asylverfahrens gesichert werden (vgl. WALTER KÄLIN,
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Materielles Recht, in: AJP 1995 S. 850
f.). Genauso wenig ist zurzeit von Bedeutung, dass ungewiss erscheint,
wann und wie das Bundesamt für Flüchtlinge über das Asylgesuch entscheiden
wird, wie der Beschwerdeführer auch noch vorträgt. Sollte das Asylverfahren
mehr als drei Monate ab dem Beginn der Vorbereitungshaft beanspruchen,
wäre diese aufgrund der entsprechenden gesetzlichen Höchstdauer ohnehin
zu beenden.

    b) Wie bereits in seiner als Haftentlassungsgesuch behandelten Eingabe
an den Haftrichter vom 14. Mai 2001 macht der Beschwerdeführer weiter
geltend, der Vollzug einer allfälligen Wegweisung sei zurzeit tatsächlich
unmöglich, was zur Unzulässigkeit der Vorbereitungshaft führe.

    Nach Art. 13a ANAG dient die Vorbereitungshaft der Sicherstellung
der Durchführung eines Wegweisungsverfahrens. Grundsätzlich geht es
dabei um zwei Gesichtspunkte: Erstens soll gewährleistet werden, dass es
überhaupt zu einem Entscheid über die Wegweisung kommen kann. Zweitens
soll aber auch der Vollzug gesichert werden. Art. 13a ANAG spricht
zwar - im Unterschied zu Art. 13b ANAG, wo die Ausschaffungshaft
geregelt wird - nicht ausdrücklich vom Vollzug, sondern allgemeiner vom
Wegweisungsverfahren. Zu beachten ist indessen der Gesamtzusammenhang.

    Gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK (SR 0.101) ist ausländerrechtliche
Administrativhaft bei einem Ausländer, der sich bereits im Staatsgebiet
aufhält, nur zulässig, wenn er von einem "gegen ihn schwebenden
Ausweisungsverfahren" betroffen ist. Nach der Praxis setzt dies voraus,
dass sich die Haft auf eine mögliche und zulässige Entfernung des
Ausländers richtet. Steht die Unmöglichkeit oder Unzulässigkeit der
Entfernung fest, kann der Zweck der Haft nicht erfüllt werden, weshalb
sie nicht angeordnet werden darf. Dabei kommt es nicht darauf an,
ob das Entfernungsverfahren formell abgeschlossen worden ist bzw. ein
Entfernungsentscheid vorliegt; wesentlich ist einzig, dass materiell mit
genügender Wahrscheinlichkeit feststeht, ob der Vollzug einer allfälligen
Entfernungsmassnahme innert absehbarer Frist durchführbar ist oder nicht
(dazu KÄLIN, aaO, S. 848 f.; PETER UEBERSAX, Menschenrechtlicher Schutz
bei fremdenpolizeilichen Einsperrungen, in: recht 13/1995 S. 62 f.).

    Die ausdrückliche Erwähnung des Haftzwecks in Art. 13a ANAG hat demnach
zum Ziel, diesen menschenrechtlichen Zusammenhang zu verdeutlichen. Auch in
der bundesrätlichen Botschaft vom 12. Dezember 1993 zu den Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht (BBl 1994 I 305 ff.) wird zur Vorbereitungshaft
ausgeführt, es gehe um die "Gefährdung des Vollzuges im weitesten
Sinne", wobei den Kantonen eine Handhabe vermittelt werden solle, "um
die betroffenen Ausländer im Hinblick auf einen allfälligen Vollzug den
Entscheidbehörden zur Verfügung zu halten" (BBl 1994 I 321 f.). Daraus
ergibt sich, dass bei der Anordnung von Vorbereitungshaft nicht nur der
Zusammenhang zum eigentlichen Entfernungsentscheid, sondern auch zu dessen
Vollzug zu beachten ist. Ihre Zulässigkeit ist an den Vorgaben von Art. 5
Ziff. 1 lit. f EMRK zu messen, wobei insbesondere der Haftzweck unabhängig
vom Haftgrund vorliegen bzw. geprüft werden muss (vgl. KÄLIN, aaO, S. 849;
ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Verfahrensfragen, in:
AJP 1995 S. 860 und 861).

    Verfahrensrechtlich wird dieser Zusammenhang überdies abgesichert
durch die Regelung von Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG, wonach die Haft
unter anderem dann beendet wird, wenn sich - unabhängig vom Haftgrund -
erweist, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen undurchführbar ist (dazu KÄLIN, aaO, S. 849; FELIX
ZILTENER, Neues aus der Praxis zur Ausschaffungshaft, in: AJP 2001 S. 510
f.). Gemäss der Gesetzessystematik, dem Zweck der ausländerrechtlichen
Zwangsmassnahmen sowie dem übrigen Wortlaut von Art. 13c ANAG gilt
diese Bestimmung nicht nur für die Ausschaffungs-, sondern auch für die
Vorbereitungshaft. In der bundesrätlichen Botschaft findet sich dazu die
Erläuterung, mit den Haftbeendigungsgründen werde zum Ausdruck gebracht,
"dass die Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft tatsächlich nur zum Zweck
der Sicherstellung des Wegweisungsverfahrens und des Vollzugs eines Weg-
oder Ausweisungsentscheides angeordnet werden dürfen" (BBl 1994 I 325).

    Die Rechtmässigkeit der Vorbereitungshaft hängt demnach davon ab,
dass der Vollzug der zu sichernden Entfernungsmassnahme rechtlich und
tatsächlich zulässig und möglich ist.

    c) Wie es sich mit der Durchführbarkeit in einem konkreten Fall
verhält, ist regelmässig Gegenstand einer Prognose. Es geht um die
Vorhersage darüber, ob sich das Ziel der Entfernung überhaupt - und zwar
innerhalb der vom Gesetz vorgegebenen zeitlichen Schranken - erreichen
lässt. Zwar ist nicht über die Entfernungsmassnahme und deren Vollzug
zu entscheiden, sondern lediglich über die Haft als Sicherungsmassnahme;
im Rahmen der Haftprüfung muss aber die Frage über die wahrscheinliche
Durchführbarkeit der Entfernung vorfrageweise mit entschieden werden
(vgl. ZÜND, aaO, S. 861). Massgeblich ist, wie dargelegt, ob die
Durchführbarkeit der Ausschaffung innert absehbarer Frist mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit verneint oder bejaht werden kann.

    Der Umstand allein, dass die Ausreise nur schwer organisiert werden
kann, lässt die Ausschaffung nicht als undurchführbar erscheinen. Für
die Undurchführbarkeit der Entfernungsmassnahme müssen triftige Gründe
sprechen, oder es muss praktisch feststehen, dass sich die Ausschaffung
innert der gesetzlichen Frist kaum wird realisieren lassen (vgl. BGE
125 II 217 E. 2; 122 II 148 E. 3 S. 152 f.). Dies ist in der Regel
nur der Fall, wenn die Ausschaffung mit grosser Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen bzw. deren Vollzug nicht absehbar erscheint, obwohl die
Identität bzw. Nationalität des Ausländers belegt ist oder es doch
wenigstens keine Anhaltspunkte gibt, an der angeblichen Herkunft zu
zweifeln (vgl. BGE 125 II 217 E. 2 und 3b).

Erwägung 3

    3.- a) Das Bundesamt für Flüchtlinge hat in seinem Amtsbericht
vom 31. Mai 2001 an das Bundesgericht bestätigt, dass eine freiwillige
Rückkehr von Angehörigen der kurdischen Ethnie in das autonome Gebiet
des Nordiraks grundsätzlich möglich sei; ein zwangsweiser Vollzug einer
Wegweisung in dieses Gebiet sei hingegen zurzeit aus praktischen Gründen
unmöglich. Das Bundesamt verweist dazu auf die Praxis der Schweizerischen
Asylrekurskommission, wo der Vollzug einer Wegweisung auf freiwilliger
Grundlage als möglich erachtet, eine zwangsweise Ausschaffung hingegen
als ausgeschlossen beurteilt wurde, solange die Grenzstaaten des Iraks
die entsprechende Mitwirkung verweigern und eine Ausschaffung unter
Beizug des irakischen Zentralstaates ebenfalls nicht in Betracht fällt
(vgl. insbes. das Grundsatzurteil vom 22. August 2000 in EMARK 2000
Nr. 16). Das Bundesamt bestätigt überdies, dass bisher in der Tat nur
einzelne wenige Ausreisepflichtige aus dem Nordirak freiwillig dorthin
zurückgekehrt seien, dass es indessen keine zwangsweisen Rückführungen
gebe. Das Bundesamt äussert sich nicht zur künftigen Entwicklung. Es stellt
aber auch nicht in Aussicht, dass sich diese Sachlage innert absehbarer
Frist ändern könnte. Für eine solche Entwicklung liegen auch sonst keine
Hinweise vor.

    b) Beim Beschwerdeführer handelt es sich nach seinen eigenen Angaben um
einen Kurden aus dem Nordirak. Die Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit steht
bisher allerdings noch nicht endgültig fest. Sie bildet Gegenstand der
laufenden Untersuchungen im Asylverfahren. Das Bundesamt für Flüchtlinge
trägt dazu vor, "ein zwangsweiser Vollzug einer allfälligen Wegweisung
wäre noch denkbar, wenn es sich erweisen würde, dass der Beschwerdeführer
nicht aus dem Irak stammt, sondern aus einem Staat, in welchen zwangsweise
Rückführungen grundsätzlich möglich sind (Bsp. Syrien)".

    Die entsprechenden Ausführungen des Bundesamts für Flüchtlinge
sind sehr vage. Es bietet auch keine Hinweise an, die für eine andere
Herkunft als die vom Beschwerdeführer behauptete sprechen, die sich
namentlich aus den bisherigen Anhörungen ergeben könnten, zum Beispiel
sprachliche Einwände oder solche aufgrund der vom Beschwerdeführer
gemachten geografischen oder sonstigen Aussagen. Genauso wenig verweisen
die kantonalen Behörden auf allfällige Ungereimtheiten oder wenigstens nur
minimale Gründe, die Zweifel an der Herkunftsangabe des Beschwerdeführers
aufkommen lassen könnten. Im Übrigen hat der Haftrichter in seinem Urteil
vom 15. Mai 2001 die behauptete Herkunft nicht in Frage gestellt; mit
Blick auf Art. 105 Abs. 2 OG darf daher auch das Bundesgericht nicht ohne
weiteres von einer anderen Sachlage ausgehen. Damit gibt es aufgrund einer
vorläufigen Einschätzung im Haftverfahren - ohne dass damit in irgendeiner
Weise das Ergebnis der laufenden und weiteren Abklärungen des Bundesamtes
im Asylverfahren vorweggenommen wird - gegenwärtig keinen Anlass, an der
Herkunftsangabe des Beschwerdeführers zu zweifeln.

    c) Ist demnach zurzeit davon auszugehen, dass es sich beim
Beschwerdeführer um einen Kurden aus dem Nordirak handelt, erweist sich der
zwangsweise Vollzug einer allfälligen Wegweisung als nicht möglich. Der
Beschwerdeführer hat mehrfach, so etwa auch vor dem Haftrichter, klar
zu verstehen gegeben, dass er nicht freiwillig in den Irak zurückkehren
werde. Sodann gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die tatsächliche
Ausgangslage innert absehbarer Frist ändern wird. Weder das Bundesamt
für Flüchtlinge noch die kantonalen Behörden haben dies auch nur
behauptet. Damit erweist sich die Vorbereitungshaft zurzeit als unzulässig.

    d) Auf die übrigen Vorbringen des Beschwerdeführers braucht demnach
nicht weiter eingegangen zu werden.