Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 83



127 III 83

13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 2000
i.S. X. AG gegen Y. AG (Berufung) Regeste

    Unverjährbarkeit der Einrede der Täuschung (Art. 60 Abs.  3 OR);
Verhältnis zwischen Ansprüchen aus kaufrechtlicher Sachgewährleistung
und Vertragsanfechtung wegen Willensmängeln.

    Frist für die einredeweise Geltendmachung von Willensmängeln (Art. 31
Abs. 1 und Art. 60 Abs. 3 OR) (E. 1a).

    Genehmigung des Vertrages durch Geltendmachung von kaufrechtlichen
Sachgewährleistungsrechten (E. 1b).

Sachverhalt

    Im Dezember 1993 verkaufte die Y. AG (Klägerin) der X. AG (Beklagte)
einen Posten Damenkleider zu reduziertem Preis. Am 13. Januar 1994 holte
die Beklagte die gekaufte Ware bei der Klägerin in Z. ab. Gleichentags
stellte die Klägerin der Beklagten die Kleider mit Fr. 337'020.-
in Rechnung.

    Mit Schreiben vom 15. Februar 1994 teilte die Beklagte der Klägerin
mit, sie habe bei einer stichprobeweisen Qualitätskontrolle der Kleider
Mängel festgestellt. Im März 1994 bot die Klägerin nach einer Besichtigung
der beanstandeten Kleider an, diese zurückzunehmen und zu ersetzen. Die
Beklagte äusserte sich nicht zu diesem Angebot. Die Klägerin hielt die
Beklagte in der Folge verschiedene Male vergeblich zur Bezahlung des
Kaufpreises an. Die Beklagte weigerte sich unter Hinweis auf die geltend
gemachten Mängel, die Ware zu übernehmen und zu bezahlen.

    Am 10. Oktober 1995 reichte die Klägerin beim Kantonsgericht
Schaffhausen Klage ein mit dem Begehren, die Beklagte sei zur Bezahlung
von Fr. 337'020.- nebst Zins zu verurteilen. Die Beklagte schloss auf
Abweisung der Klage und beantragte widerklageweise, es sei der Kaufvertrag
vom Dezember 1993 zu wandeln und die Klägerin zu verpflichten, ihr den
Betrag von Fr. 90'790.- (später erhöht auf Fr. 126'790.-) nebst Zins zu
bezahlen, unter Vorbehalt der Nachklage, eventualiter sei der Kaufpreis
zu mindern. Im Laufe des Verfahrens brachte die Beklagte vor, sie sei
von der Klägerin getäuscht worden.

    Das Kantonsgericht Schaffhausen und das hierauf mit der Sache
befasste Obergericht hiessen die Klage mit Urteilen vom 24. August 1999
bzw. 11. August 2000 gut. Die Beklagte führt gegen den obergerichtlichen
Entscheid sowohl staatsrechtliche Beschwerde wie auch eidgenössische
Berufung. In der Berufung verlangt sie die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides sowie die Abweisung der Klage und die Gutheissung der
Widerklage, eventualiter die Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte rügt zunächst, die Vorinstanz habe Art. 31 Abs. 1
OR zu Unrecht angewendet und dabei verkannt, dass sie die Täuschung
einredeweise geltend mache. Ausserdem vertritt sie die Ansicht,
die Vorinstanz habe ihr Schreiben vom 23. November 1994, welches der
Klägerin innert Jahresfrist nach Entdeckung des Mangels zugestellt wurde,
zu Unrecht nicht als Anfechtungserklärung genügen lassen.

    a) Nach Art. 31 Abs. 1 OR gilt der Vertrag als genehmigt, wenn der
durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil dem andern binnen
Jahresfrist weder eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine
bereits erfolgte Leistung zurückfordert. Aus der Unverjährbarkeit der
Einrede gegen die Erfüllung einer aus unerlaubter Handlung entstandenen
Forderung gemäss Art. 60 Abs. 3 OR wird dagegen abgeleitet, dass
der Getäuschte die Jahresfrist nicht einhalten muss, sofern er seine
Leistung noch nicht erbracht hat (BGE 106 II 346 E. 3a S. 349; 84 II 621
E. 2b,c S. 625; 66 II 158 E. 5 S. 160; BERTI, Basler Kommentar, N. 15
zu Art. 60 OR; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen
Obligationenrechts, Bd. I, S. 342 insbesondere Fn. 56; BUCHER,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., S. 223
insbesondere Fn. 108; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 135 zu Art. 31 OR;
BREHM, Berner Kommentar, N. 108 ff. zu Art. 60 OR; ENGEL, Traité des
obligations en droit suisse, 2. Aufl., S. 356; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY,
Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, 7. Aufl.,
N. 903).

    Die Vorinstanz hat offen gelassen, ob die Beklagte tatsächlich
getäuscht worden ist. Sie hat den Vertrag als genehmigt erachtet, weil sich
die Beklagte innert der Jahresfrist von Art. 31 Abs. 1 OR nicht auf den
Willensmangel bzw. die absichtliche Täuschung berufen habe. Die Fiktion
der Genehmigung eines vom Betroffenen noch nicht erfüllten Vertrages mit
Ablauf eines Jahres setzt jedoch voraus, dass der Willensmangel nicht durch
eine unerlaubte Handlung begründet worden ist. Die Rüge der Beklagten ist
berechtigt, dass die Vorinstanz diesen Grundsatz verkannt hat, der sich
sinngemäss aus Art. 60 Abs. 3 OR ergibt. Die Beklagte hat die Einrede
der Unverbindlichkeit des Vertrages nicht gemäss Art. 31 Abs. 1 OR
verwirkt. Es kann sich nur fragen, ob sie den Vertrag ausdrücklich oder
sinngemäss durch ihr Verhalten genehmigt hat, wie die Klägerin in ihrer
Antwort und die Vorinstanz in ihren Bemerkungen vertreten.

    b) Nach ständiger Rechtsprechung hat der Käufer die Wahl, ob er bei
sachlich mangelhafter Erfüllung durch den Verkäufer gemäss Art. 197 ff. OR
auf Gewährleistung klagen oder den Vertrag wegen eines Willensmangels im
Sinne der Art. 23 ff. OR anfechten will (BGE 114 II 131 E. 1a S. 134; 109
II 319 E. 2 S. 322). Insbesondere ist die Anfechtung wegen absichtlicher
Täuschung wahlweise neben der Sachgewährleistung zulässig (HONSELL,
Basler Kommentar, N. 12 der Vorbemerkungen zu Art. 197-210 OR). Dabei
hat sich der Käufer aber bei seinem Entschluss für einen der ihm zur
Verfügung stehenden Rechtsbehelfe behaften zu lassen (BGE 108 II 102 E.
2a S. 104). Entscheidet er sich insbesondere für die Gewährleistung,
so genehmigt er gleichzeitig den Vertrag nach Art. 31 OR, da die
Sachmängelregelung den Vertragsabschluss voraussetzt (BGE 88 II 410 E. 2
S. 412; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 139 zu Art. 28 OR).

    Die Beklagte hat mit der Klageantwort vom 12. Dezember 1995 beantragt,
es sei der Kaufvertrag zwischen den Parteien betreffend ca. 11'000 Stück
Damenkonfektion vom Dezember 1993 gemäss Art. 205 Abs. 1 OR zu wandeln und
es sei die Klägerin widerklageweise zu verpflichten, ihr unter Vorbehalt
der Nachklage den Betrag von Fr. 90'790.- zu bezahlen, eventualiter sei der
Kaufpreis zu mindern. Die Beklagte, die anwaltlich vertreten war und sich
damit der Rechtsfolgen ihres Begehrens bewusst sein musste, hat sich mit
diesen Anträgen für den Rechtsbehelf der Sachgewährleistung entschieden.
Sie hat damit den Vertrag genehmigt und ist darauf zu behaften. Die
Vorinstanz hat im Ergebnis zutreffend die Berufung der Beklagten auf
Willensmängel abgewiesen.